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Die mythologischen Festspiele Calderon's, 17 an der Zahl, sind meistens auf Bestellung gemachte Gelegenheitsstücke, wonach sich ihr Werth von selbst bemißt. Sechs derselben sind überseßt; unter den übrigen werden gerühmt: „, Ni Amor se libra de amor" (Selbst Amor kann sich der Liebe nicht entschlagen) und „El golfo de las sirenas" (Der Golf der Sirenen).

Travestieen hat Calderon nur Eine geschrieben: „,Céfalo y Pócris", die zwar sehr scherzhaft, aber durch die zahlreichen Anspielungen auf Zeitgenössisches auch sehr schwer zu verstehen sein soll. Die 3 fymbolischen Schauspiele, worunter,,La vida es sueño" (Das Leben ein Traum), sind in ihrer Trefflichkeit durch Ueberseßungen

bekannt.

Von den 8 geistlichen Schauspielen sind 3 überseßt. Die übrigen werden sämmtlich als Meisterwerke voll erhabener Gedanken bezeichnet: ,,La virgen del sagrario" (Die Jungfrau des Sacrariums),,,La exaltacion de la cruz" (Die Erhebung des Kreuzes), „, La cisme de Inglaterra" (Das englische Schisma), „El grand principe de Fez" (Der große Fezaner Fürst) und „La reina de Sabá" (Die Königin von Saba). An sie schließen sich 5 Legenden-Schauspiele von gleich hohem Werthe, wovon 2 überseßt, die übrigen aber sämmtlich rühmenswerth find, insbesondere:,,El purgatorio de S. Patricio" (Das Fegefeuer des S. Patrizius). Wenn sich in diesen Dramen der strengkatholische Spanier in seiner leidenschaftlichen Religiosität zeigt, so hat sich Calderon gleichwohl in mehreren Stücken auf den Standpunkt der allgemeinen Menschlichkeit emporzuschwingen gewußt, wie in,,Amar despues de la muerte" und „, La niña de Gomez Arias", wo er die Mauren in Schuß nimmt, was für einen Dichter seiner Zeit und seiner Nation umsomehr heißen will, als selbst Cervantes sich zu feindseligen Aeußerungen gegen jenes Volk hinreißen ließ. Schmidt gebührt das Verdienst, solche und ähnliche wichtige Charakterzüge Calderon's ans Licht zu stellen.

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Mit diesen geistlichen Schauspielen schließen die 108 jedenfalls echten Dramen Calderon's. Von ihnen haben überseßt: Gries 15, Malsburg 11, Martin 9, Schlegel 5, eine Ungenannte 3, Schack 1. Doch giebt es noch eine große Anzahl (106) durch Buchhändlerbetrug fälschlich dem Calderon zugeschriebene Schauspiele, die gleichfalls von Schmidt einer kurzen Kritik unterworfen werden. Von diefen scheinen ihm nur dem Calderon anzugehören: „El phenix de España S. Francisco. de Borja" (Der Phönir Spaniens, Franz von Borgia),,,La Española de Florencia" (Die Spanierin in Florenz), Los desdichados dichosos (Die unseligen Glücklichen), „El mejor testigo" (Der beste Zeuge). Wenigstens scheint hier der Grundent wurf und ein Theil der Ausführung von Calderon zu stammen.

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Bei Besprechung dieser Apokryphen erfahren wir, in welch schändlicher Weise die Dichterwerke damals von den Buchhändlern verstümmelt wurden, so daß man sie oft gar nicht wiedererkennt und der Herausgeber jezt die größte Mühe hat, das Wahre aus dem Wuste herauszufinden und die Lücken durch andere Ausgaben auszufüllen. Um so größer ist das Verdienst der Herausgeber, und Keil's wird insbesondere hervorgehoben.

Endlich hat Calderon mit noch zwei anderen Dichtern zusammen an 8 Stücken gearbeitet, denen man diese ungleiche Arbeit begreiflich wohl ansieht.

Die Herausgabe dieses Buches liefert einen wesentlichen Beitrag zur befferen Erkenntniß Calderon's und des damaligen spanischen Theaters überhaupt. Es ist wichtig für den Sprachgelehrten, ein Wegweiser für den Ueberseßer und dramatischen Dichter und interessant für das größere Publikum. Indem es den Ersteren zu ähnlicher Bearbeitung anderer spanischer Dramatiker, namentlich Lope de Vega's (nach der neuen Ausgabe von Harßenbusch), die Zweiten zu Ueberseßung mancher dem Publikum noch unbekannter trefflicher Dramen und zu Bearbeitung derselben für die Bühne auffordert, trägt es den fruchtbaren Keim neuer Thätigkeiten in sich.

Leopold Schmidt, welcher das von seinem Vater vorbereitete Werk, wo es nöthig war, ergänzte, die durch neuere Entdeckungen aufgehellten Stellen berichtigte, zahlreiche neue interessante Bemerkungen hinzufügte und das Ganze durch eine sehr übersichtliche Vorrede einleitete, hat sich durch die Herausgabe dieses Buches Anspruch auf den vollen Dank des Publikums erworben. G.

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lich aber wegen der Rolle, welche die Themse in dem vom „, Foreign Office" beherrschten England spielt. Im Interesse des durch Palmerston zur Hegemonie gekommenen Foreign Office mußten stets alle inneren Angelegenheiten, so augiasftallartig sie auch sind, abgewiesen werden; nur der Themse-Gestank ließ sich diesmal nicht ungerochen abweisen. Im Uebrigen bleibt Foreign Office aber auch das Foreign Office, aus welchem Niemand jemals die Wahrheit ungeschminkt, unbeschnitten erfuhr, und auch dann in der Regel erst, wenn Alles abgemacht und nicht mehr zu ändern war. Diese Herrschaft des Auslandes, diese dunkele Herrschaft in dem öffentlichen, preßfreien England ist der Hauptgrund, weshalb man nichts Gescheidtes durch die freie Preffe und Oeffentlichkeit erfährt. Es kommen natürlich eine Menge anderer Gründe hinzu in den verschichteten, verklausirten, in Klassen, Kreise und Kliken abgeschlossenen Lebensverhältnissen; aber diese wollen wir nicht weiter verfolgen, da wir Gelegenheit und Stoff haben, einmal einen Blick in das geheimnißvolle Getriebe des Palmerstonschen Foreign Office zu thun. Der schon ziemlich bekannte, „smarte“ New-Yorker Henry Wikoff, der schon öfter in Zeitungsspalten als Palmerstonscher Spion, Agent und unter sonstigen Namen, dann als abenteuerlich Gefangener in Genua, als Schriftsteller 2c. erschien, hat jezt zu seiner Rechtfertigung und Aufklärung verschiedener noch nicht erledigter Zeitungsnachrichten ein ganzes Buch über sich und die Palmerstonsche Foreign Office geschrieben und in Amerifa, wie in England, veröffentlicht. Ein New-Yorker im Foreign Office und seine Abenteuer in Paris".") Der Chatbestand ist in gedrängter Kürze folgender: Henry Wikoff war mehrmals aus dem freien Amerika herübergekommen, um sich an kontinentalen Zuständen und Persönlichkeiten, besonders Louis Napoleon, zu erholen und za erlaben. Das Buch fängt mit seiner vierzehnten Reise von NewYork nach England an. In Paris war er schon öfter gewesen, auch bei dem,,Gefangenen von Ham", worüber er ein Buch geschrieben, um seine Homerschaft für den Präsidenten und Kaiser vorzubereiten. Der auf seine heimatliche Freiheit stolze „Demokrat“ ist ein Anbeter Napoleon's durch Dick und Dünn geworden. Dieser Umstand brachte verwandte Größen zusammen, nämlich Herrn Palmerston und Henry Wikoff. Ersterer lud ihn eines Tages nach Broadlands ein, dem Landsiz Palmerston's, mit dem Bemerken, daß er auch dort schlafen könne. Auf Broadlands kommen die verwandten großen Geister zu einem Einverständniß. Der berühmte Auswärtige braucht Frieden mit Frankreich und auch mit Amerika und betraut den Amerikaner mit der Mission, in Paris durch Zeitungen die feindliche Stimmung gegen England zu beschwichtigen und auch eine friedliche Politik in Bezug auf Amerika zu unterstüßen. Es wird ihm freigestellt, was er für ein Honorar dafür in Anspruch nehme. Wikoff sagt: Wollen's mit 4-500 Pfund jährlich versuchen. Gut, sagt der eiserne, schweigsame Secretair in der Foreign Office: 500 Pfund. So geht er ab und entwaffnet eine Zeitung nach der anderen in Paris, daß sie freundschaftlich für England werden. Seine Hauptwirksamkeit fiel in die lezte Präsidentenzeit, wo das Kaiserwerden schon geahnt ward. Witoff beweist in mehreren Kapiteln die steigende Nothwendigkeit. dieses Kaiserthums und studirt zu diesem Zweck andachtsvoll jede Miene des schweigsamen, mysteriösen Präsidenten, während er in den Parteien der Deputirten, der Legitimisten, Orleanisten, Monarchisten, Republikaner u. f. w. nur Blödsinn, Lüderlichkeit, blinden Eigennuß und sonstige Lafter entdecken kann. Die Mission, in der franzöfifchen Presse Freundschaft, wenigstens Feindlosigkeit gegen England, zu stiften, war ihm dabei nach seinem eigenen Zeugniß - wunderbar gelungen, offenbar zu gut, wenigstens in Bezug auf Amerika. Da läßt ihn eines Tages der Secretair des englischen Gesandten in Paris kommen, bietet ihm eine Cigarre an und plaßt endlich mit dem Vorschlage heraus:,,Wie wär's, wenn Sie abdankten für eine anständige, runde Summe, die ich Ihnen gleich anweisen würde.“ Wikoff ist wie durchbohrt, aber nicht todt. Er will sich's überlegen und überlegt sich's. Nicht abdanken, sagt er. Ich möchte aber wissen, woher dieser Vorschlag kam und was ihm zu Grunde liege.

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Die Enthüllung dieses Geheimnisses bildet fortan das eigentliche Pathos des Buches und seines Helden. Es ist nicht ohne Intereffe, die Manöver und Diplomatieen, die er anwandte, um dahinter zu kommen, und zu denen Palmerston seine Zuflucht nahm, um fich nicht errathen und erwischen zu laffen, Seite für Seite zu verfolgen. Natürlich bleibt Palmerston der Meister, so daß dem Winkel-Diplomaten nichts übrig bleibt, als das wahrscheinliche Geheimniß zu errathen.

Palmerston, der große Diplomat der alten Schule des vorigen Jahrhunderts, wollte durchaus nicht dauernden Frieden mit Amerika, überhaupt keinen dauernden, auf die Harmonie der Völker-Inter

*) A New Yorker in the Foreign Office, and His Adventures in Paris. By Henry Wikoff, Author of ,,A Visit to Prince Napoleon at Ham", My Courtship and its Consequences" &c. London: Trüb

effen gegründeten Frieden mit irgend einer Macht, weil sonst die Diplomatie ganz aufhören würde. Der schlaue Yankee ging zu weit in seiner Frieden stiftenden Mission. Gleichwohl konnte man ihm nicht füglich sagen, daß er seinem Meister Krieg und Kriegsgeschrei offen laffen solle. Daher der Versuch, ihn hinauszukaufen. Aber der Yankee fand Gefallen an seiner vierteljährigen Anweisung auf 125 Pfund und blieb, und ließ sie sich sogar ein halbes Jahr über feine wirkliche Dienstzeit verlängern. Auch diese Zeit war endlich abgelaufen. Jezt benußte Wikoff seine volle Freiheit, um Palmerston zu einem Geständniß zu nöthigen. Palmerston schrieb ihm auch mehrere Male, um die und die Stunde an dem und dem Tage werden Sie mich dort und dort finden, aber Wikoff wartete jedesmal mehrere Stunden, ohne daß er für ihn zugänglich ward. Müde und empört, ergab sich der Er-Winkel-Diplomat der Liebe und machte einer Londoner Dame, die er früher schon angebetet, die Cour. Das Liebespaar wird auch handelseins (es ist gerade ein Ausdruck, gut genug für diese Courtship); aber sie bereut es und kündigt den Kontrakt wieder, worauf sie nach Genua abreift. Wikoff reist seiner abtrünnigen Braut nach und bringt sie wieder an sein Herz. Da wird er plöglich arretirt, der,,Entführung" angeklagt. Die Braut, die er entführt zu haben beschuldigt wird, bittet für ihn, droht, daß der Beamte Palmerston's von der englischen Flotte gerächt werden werde. Graf Cavour, der sardinische Premier-Minister, verlangt, daß der unschuldig Angeklagte in Freiheit gesezt werde. Alles vergebens. Die Beamten Palmerston's in Genua bestehen auf die Anklage wegen Entführung und zeugen im Prozesse gegen ihn und leugnen (d. h. lügen), daß er je Palmerstonscher Agent gewesen. Kurz, der unglückliche Liebhaber, der seiner abtrünnigen Braut nachgereift war und sich so mit ihr versöhnt hatte, daß sie ihn mit Drohung wieder heraushaben wollte, wird wegen Entführung dieser Braut auf Grund der belastenden Zeugen und Palmerstonschen Beamten zu funfzehn Monaten Gefängniß verurtheilt. So rächt sich ein großer Diplomat, dem man ein Geheimniß des Foreign Office hatte abdringen wollen.

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Das sind Werke Wikoff's und Palmerston's. Gott sei Dank, daß wir von einem anderen Manne ein würdigeres Werk erwähnen können, den dreibändigen Homer von dem Right Honourable W. E. Gladstone, Vertreter von Orford im Parlamente. Die eigenthümliche Rolle, welche Gladstone im Parlamente spielt, geht uns hier nichts an. Genug, daß er uns hier einen großen gründlichen Kommentar zur heidnischen Bibel, der Jlias und Odyffee, giebt.") Ich habe einzelne Partieen der drei Bände durchgelesen und mir einen Ueberblick durch das 'Ganze zu verschaffen gesucht. Nach diesem Eindrucke zu urtheilen, ftellt Gladstone den Homer als den größten Dichter aller Zeiten und Nationen Hin und sucht dies durch Vergleiche mit Virgil, Dante, Milton u. s. v. noch ganz speziell zu erhärten. Dies ist der übliche Fehler der meisten Monographen, die immer leicht in Monomanie verfallen. Aber Gladstone will diesen größten Dichter zugleich auch als treuesten Gefchichtsschreiber anerkannt wiffen. Seine Poefieen find Thatsachen, historische Thatsachen. Er läßt sich hierbei offenbar durch die treuen, speziellen, objektiven Sach- und Sittengemälde, welche alle heroische Zeiten Griechenlands treu abspiegeln, zu dem Glauben verleiten, daß die poetische Wahrheit und Wiedergeburt der Wirklichkeit in poetischen Formen auch in geschichtlicher Beziehung als solche gelten müsse. Dies scheinen die Hauptfehler im Prinzip der Auffassung zu sein. Er hat unseren Wolfschen Homer nicht gelesen, auch nicht den Laokoon. Aber im Detail und als Repräsentant der Orforder Gelehrsamkeit wird er auch für den deutschen Philologen, Alterthumsforscher und Aesthetiker manches Interessante und Neue bieten. Viele seiner Bemerkungen über kleine, vielleicht übersehene und versteckte Schönheiten des Homer find geiftvoll und überraschen, wenn nicht durch ihre Richtigkeit, so doch durch ihre Orginalität. Im Uebrigen will ich hiermit über ein so gelehrtes Buch nicht wesentlich geurtheilt haben. Dazu gehört mehr. Unter Anderem darf man seinen Homer nicht so weit vergessen und verschwigt haben, wie ich. Gott, wie ich ihn vor 20 Jahren fast auswendig wußte, und jezt, wenn ich einmal hineinblicke, eine allbekannte „Vokabel" aufschlagen muß, wie ein Tertianer!

Gladstone's Homer erinnert mich an einen anderen soliden ge

*) Studies on Homer and the Homeric Age: Olympus, or the Religion of the Homeric Age. By the Right Hon. W. E. Gladstone, D. C. L., M. P. for the University of Oxford. 3 vols. Oxford: University Press. 1858.

lehrten Schriftsteller und „,,Essayisten“, der sich in Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit seiner Studien thatsächlich frühzeitig zu Tode arbeitete und vorm Jahre in der Blüthe seines Lebens starb, Robert Vaughan, den Prediger und reichen gelehrten Schriftsteller. Sonst geben Söhne und Enkel die hinterlassenen Werke ihrer Vorfahren heraus, hier war es der Vater, der die geistigen Ueberreste seines Sohnes für die Oeffentlichkeit ordnete und befürwortete.") Der Autor wird den Gelehrten Deutschlands schon als Verfaffer der,, Hours with the Mystics" rühmlich bekannt sein, diesem deutsch gründlich gelehrten Werke, das aus dem sorgfältigsten Studium der OriginalQuellen in alter und neuer griechischer, deutscher, italiänischer, spani scher, holländischer, französischer Sprache hervorging und die Mystiker aller Zeiten und Zonen in gründlichster Kritik ihrer Lehren und Träume zusammenfaßt. Die jest zum ersten Male gesammelten ,,Essays" und „Remains" bestehen in gründlichen biographischen und kritischen Abhandlungen, poetischen Perlen aus seinen Predigten. Unter seinen Essays finden wir Abhandlungen über Schleiermacher, Savonarola, Goethe, Hypathia und die Alexandrinische Schule, die deutschen Höfe, Sydney Smith u. f. w. Wir sehen schon aus diesen Namen, wie weit und reich der Kreis feiner Forschungen war. Man muß sie aber lesen und studiren, um den Reichthum, die Fülle, die Phantasie und den Wiß dieses umfassenden Gelehrten zu genießen. Der Reiz seiner Werke besteht in der seltenen Combination von gründlicher Gelehrsamkeit mit blühender, poetischer Diction und Auffaffung, deren tiefere Bedeutsamkeit aber in dem göttlichen Feuer der Leidenschaft, womit er das Göttliche, Große, Unendliche, Mystische aus den verschiedenen Zeiten und Persönlichkeiten heraussucht und zur Erwärmung und Erhebung der Menschheit unserer materialistischen Zeit einzuverleiben sucht, einer großen, erhabenen Leidenschaft, der er sich thatsächlich aufopferte, die ihn in der Blüthe seiner Jahre aufzehrte, ohne daß er je daran dachte, sich vor ihr zu retten. Wir verweilten gern länger bei einer solchen erhebenden Größe der englischen Gegenwart, wie wir sie sonst überall vergebens suchen, da auch Literatur und Poesie, Schriftstellerei und Gelehrsamkeit immer allgemeiner zu bloßen Mitteln, Geld und Carrière zu machen, herabgewürdigt werden; aber ich bin müde und scheue, selbst diesem Muster gegenüber, die Mühe, mich in Details einzulaffen, die mich nöthigen würden, die beiden abgegebenen Bände wieder weit her zu holen und noch einmal zu revidiren.

Die Wikoffschen „Geheimnisse“ aus noch lebendiger Neuzeit führten mich zu einem älteren, feineren englischen Winkel-Diplomaten, der schon vor zwei Jahren, glaube ich, seine Erinnerungen an die Erlebnisse vor funfzig Jahren geschrieben, ohne daß ich damals Notiz davon nahm. Jezt ist das dreibändige Werk höheren Klatsches von diesem Cyrus Redding in zweiter Auflage erschienen,**) so daß ich dachte, es müsse doch viele Leser gefunden haben und ungewöhnlich interessant sein. Für das ältere und älteste Diplomaten- und „Hochlebens", Geschlecht Englands gewiß auch; aber ich zweifle, ob man sich auch in Deutschland für alle diese oft sehr unwesentlichen und klatschhaften Details über verstorbene (nur verstorbene) englische Größen interessiren wird, wie sich William Pitt in Wein und Laudanum sein böses Gewiffen zu ersäufen suchte, ehe er starb, wie er so entseßlich häßlich, gebrochen und widrig ausgesehen; wie Madame de Staël zwar nicht häßlich, aber ordinär und schwerfällig gewesen; Züge aus dem originellen Leben Dr. Wolcot's, Catalani's, des originellen, zerlumpten französischen Bücherwurms Mentelle, Foscolo's, Alfieri's Freund, einer Dame, die mit Zorn die Zumuthung zurückwies, für 12 Guineen pro Bogen zu einem Magazin beizutragen; Lamb's, des echten Cockneys, der keine Welt kannte und liebte, als das schmußige London; Campbell's und Wilson's u. f. w. Wer die betreffenden Literatur- und Diplomaten-Kreise, aus denen Redding ausplaudert, schon etwas näher kennt und sich für sie interesfirt, wird das Buch allerdings oft sehr pikant finden. Auch ist seine allgemeine Bedeutung nicht zu übersehen. Redding zeigt uns, daß damals Englands Celebritäten häufig noch originell, kräftig, produktiv, wenn auch roher waren, als die jeßigen, von feiner Civilisationszunge zu gleicher langweiliger Form abgeleckten Größen, von denen keine mehr zu wagen scheint, selbständig zu denken, zu sprechen, zu handeln und sich zu geben.

Ich wollte noch über einen luftigen, fleißigen Schriftsteller, Walter Thornbury, wenigstens über sein sein,,Paris of Louis Quatorze" ein Wort sagen, bin aber noch nicht recht zur Sache in dem Buche gekommen, noch nicht zu der Pracht und den Fineffen des vorrevolutionairen Paris, wie es damals die Welt überstrahlte und in allerlei Moden und Manieren beherrschte, sondern bei der Geschichte

*) Essays and Remains of the Rev. Robert Alfred Vaughan, D. D. 2 vols. London: J. W. Parker. 1858. **) Fifty Years Recollections, Literary and Personal, with Observations on Men and Things. By Cyrus Redding. 3 vols. London: Char. les J. Skeet. 1858.

dieser Lutetia stehen geblieben. Soviel sehe ich aber schon, daß Thornbury mit seiner üblichen Leichtigkeit und Lebendigkeit schildert, vielleicht in vielen Punkten leichtsinnig, ungenan, unrichtig, aber immer sehr hübsch und modern, der lachendste Gegensag zu dem in tieffter Gelehrsamkeit und Gründlichkeit anmuthigen Vaughan, dem Homer der Mystiker.

Von tausenderlei anderen intereffanten Dingen, großen und klei nen Konzerten, vier italiänischen Opern, berühmten Sängern und Sängerinnen aus allen Weltgegenden, berühmten Menschen, Büchern und Ereignissen weiß ich nichts, weil ich zuviel davon in den Zeitun gen gelesen habe.

Schweiz.

Romanische Literatur im Engadin,

Wir haben kürzlich (Nr. 86) der von Profeffor Karl Witte in Halle unter dem Titel,,Alpinisches und Transalpinisches") herausgegebenen italiänisch-schweizerischen Monographieen gedacht. Unter den neun Vorträgen dieses Bändchens befindet sich auch einer über das Engadin, jenes zum Kanton Graubündten gehörende Innthal, deffen Einwohner das Romanische sprechen, welches uns in Deutschland namentlich durch die gewandten, sprachenkundigen schweizer Konditoren bekannt ist, die meistens in diesem Thale zuhause find. Profeffor Witte giebt sowohl von der Natur, als von den Menschen dieses Thales eine recht anziehende Schilderung; er macht uns mit den rhätischen Ueberlieferungen dieser Gegenden, mit der Geschichte der Ausbreitung des Evangeliums im Thale und endlich auch mit den schwachen Versuchen bekannt, welche geschehen sind, das Romanische auch zur Büchersprache zu erheben. Es wird dabei an die Kirchenverbesserung im sechzehnten Jahrhundert unmittelbar angeknüpft.

Als zu jener Zeit im Engadin die Reformation in der Gestalt, welche ihr zwei italiänische Kapuziner gegeben, zu wurzeln drohte, unternahm es der greise Johann Travers, der nicht weniger als dreizehn Mal das oberste Amt im Thal, das eines Landammans, bekleidet hatte, seinen Landsleuten das Evangelium in der Sprache des Volkes, dem Romanischen, zu predigen, dessen die deutschen Prediger, die aus Zürich gekommen, gänzlich unkundig waren, weshalb denn auch jene Italiäner so vielen Einfluß gewonnen hatten. Travers arbeitete mit Kaspar und Ulrich Campell den Ausschweifungen des Glaubenshaffes mit Erfolg entgegen: namentlich auch dem Bildersturm in Zernez und der in Chur beabsichtigten Plünderung des Bisthums.

Ueberhaupt war die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts die Zeit einer geistigen Regung im Engadin. Einzelne Volkslieder in romanischer Sprache, die in jener Zeit entstanden, sind jezt noch im Munde des Volkes. Aehnliche Gedichte historischen Inhalts schloffen sich an, so dasjenige des Johann Travers über den Krieg um die Burg Musso am Comer See. Noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, wurden zu Süß, Ardeß und anderwärts zahlreiche theils geistliche, theils historische Schauspiele, darunter ein,,Wilhelm Tell" - von den bedeutendsten Männern des Thales in romanischer Sprache verfaßt in der Art aufgeführt, daß manchmal gegen die Sitte der Zeit nicht Knaben, sondern Frauen die Frauenrollen darstellten. Merkwürdig ist es zu lesen, wie im Jahr 1564 in den zehn Stufen des menschlichen Lebens", von Stuppan, der greife Caspar Campell die Rolle des Methusalem gespielt und die Gelegenheit wahrgenommen habe, um mit beredten Worten die Zuschauer von einem Bündniß mit Spanien abzumahnen.

Gallitius überfeßte demnächst Vaterunser, apostolisches Symbolum und die zehn Gebote, und verfaßte einen Katechismus in der Landessprache. Ulrich Campell übertrug 100 Psalmen in gereimte romanische Verse, welche er im Jahre 1562 verbunden mit einer Anzahl geistlicher Lieder herausgab. Die bedeutendste Leistung aber war Jacob Biveroni's Uebersehung des neuen Testamentes, die auf des Verfassers Kosten 1560 zu Basel gedruckt ward. Später folgte die gleichfalls lobenswerthe Uebertragung von Gritti. Auch fehlt es nicht an manchen älteren Andachts- und Gebetbüchern, die zum Theil aus. fremden Sprachen entlehnt sind. So befize ich z. B. eine Prattica da pietaet, welche Lorenz Wiezl 1668 nach dem Englischen von Baily bearbeitet hat. Dem siebzehnten Jahrhundert noch gehört das geistliche Liederbuch Philomela des Remüser Pfarrers Johannes Martinus er Martinis an, das neben manchem Naiven noch mehr Geschmackloses enthält, z. B. eine lange Canzun da laud, in welcher nicht nur alle Geschöpfe, sondern auch Erompeten, Pauken und Flöten redend

*) Berlin, Wilhelm Herz, 1858.

eingeführt werden, um Gott zu preisen. Ein großer Theil dieser Arbeiten ist noch jest im täglichen Gebrauche der Engadiner Kirche und des Hauses. Man sieht es den Exemplaren an, daß sie seit Jahrhunderten in so manchen Wechselfällen des Lebens den auf einander folgenden Geschlechtern Quelle des Troßtes und der Stärkung gewesen find. Auf diesen nur noch lose an einander hängenden Blättern hat manche von harter Arbeit ermüdete Hand geruht, und manche Thräne ist auf das Buch gefallen. Blatt auf Blatt hat die Zeit davon getragen, und so manches Exemplar von Biveroni's neuem Teftament auch durch meine Hand ging, so war doch keines ganz vollständig. Keine Literaturgeschichte hat diese Arbeiten verzeichnet; viele find so gut als vergessen, und bei fortgefeßten Erkundigungen begegnet man immer wieder neuen Namen. Neues ist seit dem siebzehnten Jahrhundert wenig, weniger wohl noch Besseres gedruckt worden. Das jezt gebräuchliche Gesangbuch, das zuerst im Jahre 1765, zulet 1840 erschien, besteht nur aus Liedern des vor nun mehr als funfzig Jahren verstorbenen Johann Baptist Frizzoni, Pfarrers in Celerina, der auch alle die etwas eintönigen Melodieen selbst komponirt hat. Wie sehr sich auch in diesen, vorzugsweise vom Leiden des Herrn handelnden Liedern der chriftliche Sinn des Verfassers ausspricht, der Generationen lang in seiner Gemeinde segensreich nachgewirkt hat, so stört die Sammlung doch vielfach durch spielende Geschmacklosigkeiten in der Weise mancher Kirchenlieder der Brüdergemeinde. Die Pfarrer Vital in Pontresina und Lechner in Celerina bemühen sich jest in ihrer sehr verständig redigirten kleinen Vierteljahresschrift Dumengiasaira) mit Erfolg, in mancherlei Form einen christlichen Sinn zu wecken. Prosaische Auffäße, wenn auch verschieden schattirten Inhalts, wechseln mit Liedern der beiden Herausgeber und einiger Anderen, z. B. Conradi's von Flugi. Manche dieser Stücke sind auch aus dem deutschen Liederschaß übertragen. Außerdem haben die beiden legten Decennien noch Religiusas meditaziuns von Wezel (einem Deutschen), die vom Pfarrer Sandri sehr gut zusammengestellte Liturgie und die Istorias della sencha scrittura von Heinrich und Lechner gebracht. Endlich sieht man mit Nächstem einer Uebersehung des Neuen Testaments vom Pfarrer Menni in Samaden, von der man Vorzügliches erwartet, entgegen.

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Mannigfaltiges.

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Spanische Lehrbücher. In einem uns zugegangenen Schrei ben aus Frankfurt. a. M. wird auf die zahlreichen Verstöße gegen den Geist und die Grammatik der spanischen Sprache hingewiesen, die sich in einer im vorigen Jahre bei Brockhaus in Leipzig erschienenen,,,Spanischen Chrestomathie", herausgegeben von Friedrich BoochArkosy, befinden. Es werden uns für diese Aussage so viele Belagstellen aus dem Buche selbst geliefert, daß es allerdings schon um die deutsche Kritik gegen den Vorwurf zu wahren, daß sie dergleichen Dinge ungerügt passiren lasse— gerechtfertigt erscheint, dasselbe als das Werk eines Schriftstellers zu bezeichnen, der seiner Aufgabe durchaus nicht gewachsen war. Um das ganze Sündenregister, das uns von Frankfurt zugegangen, in unser Blatt aufzunehmen, dazu fehlt es uns leider an Naum. Wir können jedoch nicht unbemerkt lassen, daß unser Korrespondent gleichzeitig gegen ein von demselben Verfasser ganz kürzlich herausgegebenes Spanisch-Deutsches Wörterbuch" warnt, das obwohl es bereits in der Augsburger,,Allgemeinen Zeitung": sehr belobt worden nichts weiter als ein Plagiat des längst vergriffenen, vortrefflichen Seckendorfischen Wörterbuches sein soll.

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Die Akademie der Wissenschaften in Turin hat fol gende Preisaufgabe gestellt: Es soll der Zustand der historischen Forschungen in Italien in dem Jahrhundert vom Aachener Frieden (1748) bis zum Jahre 1848 geschildert werden, wobei der literarische. Charakter der hauptsächlichsten Schriftsteller näher zu bezeichnen ist. Auch ist der Einfluß darzustellen, den die politischen Ereignisse auf den Charakter und den Verlauf dieser Forschungen hatten. Der Preis ist eine Denkmünze, tausend Francs an Werth. Die Konkurrenzschriften können in italiänischer, französischer oder lateinischer Sprache abgefaßt sein.

*) Chur, Pargāzi und Sanct Gallen, Huber.

Wöchentlich erscheinen 3 Rummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und viertel jährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird

NNo 91.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bet
Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann,
Niederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Italien.

Berlin, Sonnabend den 31. Juli.

Mezzofanti's Leben, von Ruffell. *)

1858.

aber damit einverstanden sein, vorausgeseßt, daß man unter,,beschränkter Kenntniß" die der wesentlichsten grammatischen Erscheinungen und der Wortbildungsgeseße verstehe. Ebenso beruht die,,lange Kontroverse" Schott's mit einem bekannten Petersburger Gelehrten auf einem Mißverständnisse: es hat nicht einmal eine kurze, sondern gar keine Kontroverse stattgefunden. Noch im frischen Bewußtsein des ihm damals erst kürzlich offenbarten Besizes einer stattlichen gloria frontis, hatte der Petersburger diese nicht umsonst besigen und also in tüchtigen Stößen (nach West und Südwest) sich versuchen wollen, die aber für alle Angegriffenen nur Luftstöße geblieben sind. Von der neuesten Entwickelung gesunder Linguistik bei einer kleinen und hoffentlich bald auch mächtigen Partei in Ungarn weiß Herr Russell gar nichts zu melden; dafür werden uns am Schluffe seines,, Memoirs" linguistische Damen und Wunderkinder vorgestellt.

Wir kommen nun zum dicken Ende des langen, glänzenden Reigens, dem fast sprüchwörtlichen Riesen der Vielsprachenkenntniß, um dessen willen alle Uebrigen da sind, und dem sie als Folie dienen sollen. Hat der nach den meisten Zeugnissen durchaus redliche, leutselige, bescheidene und wahrhaft fromme Mezzofanti keine der erstaunenswürdigen linguistischen und zum Theil auch sachlichen Aufspeicherungen seines seltenen Gedächtnisses wissenschaftlich oder nur literarisch verwerthet, hört man in seinen uns aufbewahrten Urtheilen und Einfällen nur selten einmal Geistesfunken knistern immer wird dieser Mann als ein sehr merkwürdiges Phänomen auf die Nachwelt übergehen, wenn sie zusammenfaßt, was uns über seine kolossale und immer fich gleich gebliebene Gedächtnißkraft, über die beinahe fabelhafte Schnelligkeit, womit er bis ins hohe Greisenalter Sprachen aller Welttheile erlernte und zum praktischen Gebrauche derselben durchdrang, über die unvergleichliche Volubilität, Abstraction und Konzentrirung berichtet wird, welche ihn befähigten, in faft bligschnellem Wechsel Idiome jeder Art als Werkzeuge seiner Gedanken zu gebrauchen. Dazu kam noch eine Geschmeidigkeit der Stimm-Organe, welche über jede etwaige Schwierigkeit der Aussprache alsbald triumphirte. Doch würden alle diese ungewöhnlichen Eigenschaften ihm wenig genügt haben, hätte Mezzofanti nicht daneben eine fast beispiellose Energie und Ausdauer befeffen, die nur mit seinem Dasein aufhörte. „Er kannte“ — sagt sein Biograph -,,von Grund aus die wahre Bedingung erfolgreichen Strebens Strebensökonomische und systematische Anwendung seiner Zeit."

Ein katholischer Geistlicher, Präsident am St. Patrick-College zu Maynooth in Irland, hat sich die Mühe genommen, eine möglichst ausführliche Biographie des weltberühmten Polyglotten von Bologna auszuarbeiten. Dieser mit vielen intereffanten Zeugnissen mehr oder minder bekannter Zeitgenossen und mit kritischer Würdigung der Zeug nisse versehenen Biographie (493 räumlich gedruckte Seiten) ist ein „Memoir“ von 121 enggedruckten Seiten vorausgeschickt, in welchem Herr Russell eine skizzenhafte Geschichte der Sprachstudien überhaupt liefert und die umfassendsten Linguisten jeder Nation eine Musterung passiren läßt. Leztere Arbeit bietet uns hin und wieder einiges anekdotisch Kurzweilige, ist aber im Wesentlichen ziemlich nüchterne Compilation. Gerade die zu ihrer Zeit am meisten angestaunten Sprachen bewältiger haben der Nachwelt wenig oder gar keinen geistigen Erwerb hinterlassen, daher von ihnen oft nur eben gesagt werden kann, wie viel und allenfalls was für Sprachen sie verstanden oder gesprochen, und auch das noch mit einigem Mißtrauen, weil die Urtheile der Zeit-. genossen natürlich verschieden lauten. Außerdem beweist Herr Ruffell, daß er auf diesem Gebiete nicht sehr heimisch ist. Ein ansehnliches Quantum feiner Gelehrsamkeit verdankt er den von ihm öfter zitirten Werken des Ritters von Bunsen: er scheint nämlich kaum zu ahnen, daß dieser unbestreitbar sehr verdiente Mann in verschiedenen Materien nur Dilettant ist, und daß seine Aussprüche nicht als Orakel hinzunehmen sind.") Wir wollen nur einige blunders des,,Memoir" namhaft machen. S. 54 liest man: „Viele französische Misfionare in China waren natürlicher Weise ausgezeichnete Kenner des Chinesischen. Das Wörterbuch des Paters Amiot z. B., obgleich erst nach seinem Tode erschienen (obgleich? was thäte dies zur Sache?), ist noch immer ein Musterwerk (standard work)." Hier muß man zuvörderst wissen, daß Amiot's Wörterbuch gar nicht chine fisch, sondern mandschuisch ist, d. h. eine von der chinesischen grundv erschiedene Sprache zum Gegenstand hat. Sodann verdient dieses (murch Langlès' Bemühungen auf empörende Weise verpfuschte) „,standard work” felbft so, wie es ungefälscht aus Amiot's Händen hervorging, nur den Namen eines ersten (unwissenschaftlichen) Versuches zu einem künftigen Wörterbuch der Mandschusprache. Auf derselben Seite hängt Herr Russell dem verdienstvollen älteren De Guignes unwiffentlich einen argen Klecks an, indem er ihn unter Anderem auch zum Verfasser eines chinesischen Wörterbuches macht, welches Wörterbuch, die Arbeit eines portugiesischen Missionars, der dünkelvolle und im Chinesischen ganz unwissende jüngere De Guignes unter seinem eigenen Namen (1812) herausgegeben. Von den acht asiatischen Sprachen, die Klaproth (S. 73) verstanden haben soll, find wenigstens das Mongolische, Japanesische, Armenische und Sanskrit abzuziehen. Hat er wirklich seiner Zeit von einem, schiffbrüchigen Von einem englischen Geistlichen befragt, wie es ihm möglich Japanesen zu Irkutsk (Herr Russell schreibt Irkutsch!) etwas gelernt, sei, in Zeit einer halben Stunde ein Dußend und mehr Sprachen zu so müssen wir Herrn Russell bedeuten, daß zwischen einiger praktischer sprechen, ohne sich je zu verwickeln, fragte Mezzofanti lächelnd von Unterweisung und der Fähigkeit, japanesische Werke zu verstehen, ein seiner Seite: Habt Ihr schon eine grüne Brille getragen?" ungeheurer Abstand ist.) S. 79 macht der Verfasser den Profeffor, ja.“ – „Gut, so lange Ihr diese Brille truget, war Alles vor Schott zu einem katholischen Geistlichen und biblischen Linguiften!) Kurz vorher läßt er denselben die Behauptung aussprechen, daß beschränkte Kenntniß einer Sprache schon hinreiche, um über ihre Verwandtschaft mit anderen im Allgemeinen zu urtheilen. Diese Behauptung haben wir in Schott's Schriften nicht gefunden, würden

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*),,The Life of Cardinal Mezzofanti, with an Introductory Memoir of Eminent Linguists". London: Longman. Berlin, A. Asher & Comp. **) Auf S. 484 geht Herr Russell so weit, Herrn von Bunsen zum Haupte der germanischen Schule der Sprachwissenschaft zu ers heben!!

***) Vergl. J. Hoffmann's: Japansche Spraakkunst", S. 31–32 (in der Mote).

†) Daß der gleichnamige weiland Profeffor in Jena gemeint sei, ist aus zwei Gründen nicht wahrscheinlich; denn auch dieser war Protestant und gehört nicht zu den Linguisten.

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Mancher mitgetheilte Ausspruch des großen Polyglotten spricht dafür, wie demüthig er von sich selber dachte. Gott", - fo fagte er hat mir ein gutes Gedächtniß und rasch auffaffendes Ohr gegeben. Hierin liegt das Geheimniß meiner Erfolge. Bin ich am Ende was Besseres, als ein schlecht eingebundenes Wörterbuch?") Gegen Kardinal Wiseman bemerkte er, nachdem dessen ,,Horae Syriacae" erschienen waren:,,Jhr verwendet Eure Sprachenkenntniß doch zu irgend einem nüßlichen Zwecke. Wenn ich sterbe, wird von dem, was ich weiß, nicht eine Spur zurückbleiben.“

Euren Augen grün. Ich bin gerade in demselben Falle. Spreche ich irgend eine Sprache, z. B. Russisch, so seg' ich meine russische Brille auf, und so lang ich diese auf der Nase laffe, färbt sie mir Alles Russisch. Ich sehe dann alle meine Begriffe nur in dieser Sprache. Gehe ich zu einer anderen Sprache über, so brauche ich nur die Brille zu wechseln, und es ist mit dieser Sprache ebenso."

Herr Russell plagt sich mit möglichst kritischer Sichtung aller Angaben über die Totalsumme der Sprachen, die Mezzofanti in seinem Greifenalter beherrschte. Er sondert die (nach seiner Meinung) wirklich verschiedenen Sprachen von den (wirklichen oder angeblichen) Dialekten und Mundarten und kommt zu dem Ergebnisse, daß der Kar*) Wohl mit Beziehung auf seine Kränklichkeit und die Unansehnlichkeit

seiner Gestalt?

dinal 30 der ersteren mit seltener Virtuosität, 9 andere wenigstens ohne Anstoß, 11 andere mittelmäßig, 8 nur sehr unvollkommen, endlich 14 gar nicht gesprochen, nur aus Büchern verstanden habe. Macht in Summa 72. Dann rubrizirt er noch 36 Dialekte, doch so, daß die Dialekte des nördlichen und südlichen Deutschlands ungezählt in ein Faszikel kommen, folglich nur als Ein Dialekt zählen.") Während aber Herr Russell in dem Sprachenregister AltHebräisch und Rabbinisches, Hebräisch, Holländisch und Vlaemisch als je zwei verschiedene Sprachen aufführt, fällt es ihm ein, das Altgothische und das Romanische in Rhätien unter die bloßen Dialekte zu werfen, ja nicht allein ersteres, sondern auch legteres als Dialekt des Deutschen (!!) zu bezeichnen.

Unter den Idiomen Europa's, die Mezzofanti sich angeeignet, vermissen wir das Finnische (Suomi) und Estnische), unter den bekannteren asiatischen aber das Mongolische, Mandschuische, Siamische. Die beiden angeblichen Dialekte des Chinesischen kön nen nur Mundarten sein; unerwähnt bleiben dagegen die wirklichen Dialekte Süd-China's.

Nicht ohne Rührung lesen wir, daß der Beherrscher einer so erftaunlichen Zahl von Sprachen, deren er oft fogar nach eigener Verficherung in seinen Meditationen und Selbstgesprächen um die Reihe fich bediente, doch in keiner anderen als der lieben Muttersprache von dieser Welt geschieden ist. Die leßten verständlichen Worte des ehrwürdigen Greises sollen gewesen sein: Andiamo presto in Paradiso! Das Buch ist mit Mezzofanti's Bildnisse und mit Facsimile's feiner Handschrift geziert, welche größtentheils (poesielose) Verse des Kardinals in folgenden Sprachen darstellen: Hebräisch, Griechisch, Lateinisch, Italiänisch, Spanisch, Portugiesisch, Französisch, Deutsch, Holländisch, Vlaemisch, Englisch, Russisch, Polnisch, Cymbrisch (in Wales), Baskisch, Angolesisch (in SüdAfrika). In einem „Anhang“ hat der Biograph Oden und Gedichte Mezzofanti's (aus welchen einige der Proben auf der Facsimile-Tafel genommen sind) vollständig mitgetheilt, namentlich einen hebräischen Psalm auf das funfzigjährige Amtsjubiläum eines Priesters, °°°) eine anakreontische Ode (griechisch) auf die ,,Anbetung der Hirten", ein. langes lateinisches Gedicht in Herametern (in der Akademie der ArFadier vorgetragen), und zwei Oden in Angolesischer Sprache (einer Nieder-Guineischen, also Süd- Afrikanischen). Dazu noch eine Ode auf das Fest Epiphania, in Graubündnischem Romanisch oder Kurwälsch (das Herr Ruffell, wie wir oben gesehen, den deutschen Dialekten beizählt).

Der lezte große Ausbruch des Vesuvs. †)

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mit seinem dichten Laub, dessen er noch nicht zum Fraß des Seiden-
wurms beraubt, und Aepfel-, Birnen- und Pflaumenbäume und Korn-
felder und Bohnenbeete - alle zeugten von dem Reichthum des
Bodens und von den Verheißungen der Zukunft. Da erhebt sich aus
dem Hintergrund dieser freudenhellen Bühne eine lange, unablässig
steigende Rauchlinie in den klaren, blauen Himmel, und jede Räder-
windung denn ich hatte, troß dem Kompliment, das Gozzolino jan.
meinen jugendlichen Beinen gemacht, einen Wagen genommen —
brachte uns der Erscheinung näher. -,,Auf diesem Wege geht es
nicht weiter" bemerkte mein Führer. -,,Warum nicht?"
„Die Lava hat ihn abgeschnitten; es ist die alte Straße, aber sie ist
nun ganz versperrt, höchstens für Esel und Fußgänger zu passiren."
Wir seßten nun unsere Reise auf dem Fahrwege fort. Ein Polizei-
Kommissar überholte uns, ferner ein Gendarm, dann ein elender
Klepper mit einer Karre an den Schwanz gebunden aber sie Alle
kommen zu früh; denn ein Ausbruch kommt erst, nach der Volks-
meinung, spät in der Nacht. Volk zu Fuß war in Menge da, und
auf spekulirende Höker mit Fackeln, Waffer, Limonade, Cigarren,
Obst stieß man bei jedem Schritt. Aus den wenigen Häusern an der
Straße waren die Bewohner ausgezogen, vielleicht um unser Mitgefühl
für mögliche und künftige Leiden anzusprechen. Ein dicker Qualm,
ein Gedränge von Eseln, Pferden, Wagen mit dem endlosen mensch-
lichen Zubehör, kündigen an, daß wir zur Stelle sind. Wir steigen
ab, bezahlen den Fuhrmann und stehen nun vor dem Feinde, Aug'
in Auge.

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Eine ungeheure schwarze Fläche dehnt sich vor uns aus, etwa eine halbe Meile in die Breite, und in die Tiefe, so weit das Auge reicht. Die sie erfüllende Maffe ist nicht zusammenhängend, sonst in Tausende von Feldern gebrochen, manche von regelmäßiger Form und Eisenplatten ähnlich. Zwei Lavakanäle bewegen sich über oder durch diese Masse, die selbst, aber minder rasch, in Bewegung ist. Eine Pause von wenigen Stunden reicht hin, ihren Fortgang zu hemmen, aber unter der Oberfläche rückt sie, glühend roth, vor und führt ihre dunkle Rinde mit. Wie der Feuerstrom ankommt, fallen die oberen und äußeren Theile der schon verhärteten Maffe ab und bringen einen Schall hervor, wie wenn die stürmische See die Kiesel am Gestade abspült. Schauen Sie", sagte mein Führer,,,die Bäume in jenem Winkel: es ist eine Todtenstille, kein Lüftchen regt sich, und doch rauschen und wogen sie hin und her."— Wir standen mitten in einem schönen, jungen Weinberge, der vor kurzem der Verwüstung durch den Ausbruch von 1779 abgewonnen worden. Die Stöcke hingen voll schwerer Trauben und hatten dem armen Padrone eine reiche Lese versprochen. Reihe nach Reihe der jungen Reben sah ich die Farbe wechseln, flattern und in Flammen aufgehen. Mächtige Pinien, hart Eben im Begriff, noch vor Postabgang dem Vesuv einen zweiten daneben, hoben ihre stolzen Häupter, aber völlig braun von der einBesuch zu machen, werde ich von einer Trobea (einem Unwetter im wirkenden Gluth. Die Hiße ist hier unerträglich, gehen wir ans andere Sommer) eine Weile abgehalten. Als aber der Regen von den Ende. Das Landvolk trug die Pfähle weg, an welche der Wein geStrahlen der rückkehrenden Sonne sich zu vergolden anfing, legte ich bunden war; Andere hieben große Bäume nieder, um sie vor dem mein schlechtestes Gewand an und eilte mit dem Bahnzuge in zwanzig Feuer zu retten. Ein Bauer kam mit einer Schürze voll unreifer Minuten nach Portici, und von dort in einem Cab nach Resina, an Aepfel. Ich nahm sie, wie sie sind", sagte er, sie werden doch den Pforten von Herculanum, dem Rendezvous mit meinem getreuen nimmer reifen." Nie habe ich etwas Rührenderes gesehen, als die Vincenzo Cozzolino; an deffen Stelle traf ich zwar nur Cozzolino, stumme Verzweiflung dieser armen Menschen; außer einer gelegentden Sohn, machte aber weiter keine Umstände, nahm eine Fackel, lichen Bemerkung ist es, als wenn sie über dem Anblick die Sprache und wir, der Führer, mein Freund und ich, machten uns auf die verloren hätten. Neben der weiten und tiefen Schlucht, dem soBeine nach der Lava. „Es ist blos eine Stunde Weges von hier, genannten Fosso grande, der jeßt mit glühender Lava ausgefüllt ist, und Sie haben ja junge Beine", meinte mein Cicerone.,,Es befindet sich eine Höhle in einem alten Tuffelsen, hier hauft eine Fathut mir leid", sagte ich zu ihm, „daß Ihr Vater ausgeblieben; denn, milie, deren Wohnung am Mittag zerstört wurde. In einer Entohne Ihnen zu nahe zu treten, er ist ein so fachkundiger Beobachter fernung von etwa 50 Yards bemerkte ich ein hübsches Landhaus, das des Vesuvs." „Mein Herr“, war die Antwort, „ich bin darin einem Priester gehört; es steht auf einem kleinen Hügel, einst wahrauch nicht auf den Kopf gefallen." - Nachdem wir uns durch ein scheinlich selbst Lava, der aber jezt als Barre dient und in der That Gewühl von Wagen, Eseltreibern, Fackelträgern, Führern aus dem den Feind gezwungen hat, feinen Lauf abzulenken; die Bewohner stehen Stegreif zu Hunderten durchgedrängt, entkamen wir endlich dem auf dem Balkon und schauen hinab auf den Gluthstrom, der fie verStädtchen Resina.......... Es war einer jener lieblichen Abende, die nur schont hat. In Steinwurfsabftand davon ist ein Haus von der Lava in Italien zwischen Frühlingsende und Sommersanfang heimisch sind. völlig umringt; das obere Stockwerk hat sie nicht erreicht: die BeDas Wetter hatte die Luft gekühlt, und die an den Bäumen hängen- wohner hatten aber Fensterrahme und Thüren vor dem andringenden den Regentropfen glißerten von den Strahlen der untergehenden Feind gerettet. Wir durften nicht länger hier weilen, gingen über Sonne. Die Natur lächelte uns so füß an und ließ uns der grausen den verhängnißvollen Boden hart am Saume des Lavastromes und Verwüftung vergessen, die wir bald mit Augen schauen sollten. Wel- kamen auf einen schmalen Weg. kamen auf einen schmalen Weg.,,Es hat uns großen Schaden gecher üppige Pflanzenwuchs! Die Weinstöcke von Trauben überfüllt; than", sagte Cozzolino. -,,Was, hattet Ihr hier ein Grundstück?“ blühende Olivenbäume mit angefeßter Frucht; der weiße Maulbeer,,Nein, aber wir holen unsere besten Mineralien aus dem Foffo;

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***) Dieser Psalm ist bloße Zusammenstückelung biblischer Phrasen. Der Abdruck wimmelt von Seßfehlern, die Herrn Russell (der sich selbst als Korreftor bekennt) als einen schlechten Kenner des Hebräischen beurkunden.

†) Nach einer Korrespondenz des Londoner Athenaeum aus Neapel, vom

"

es ist für uns ein großer Verlust."-,,Die Aermften“, sagten zwei
Frauen von Leuten ihrer Bekanntschaft, haben in der Cholera ihre
Aeltern verloren; nun sind sie durch den Ausbruch Bettler geworden.
Das kommt aber Alles von dem bösen Blick ihrer neidischen Nachbarn.“

der

Wir stiegen immer höher und machten Halt, um uns umzuschauen. Die halbe Sonnenscheibe war in's Meer getaucht Dampfer brauste eben mit unseren niedergeschriebenen Gedanken, Empfindungen, Plaudereien aller Art, nach Marseille ab - die Hauptstadt sieht so still darein, als wäre sie nicht von 400,000 schwaßenden Neapolitanern bewohnt

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