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England.

• Berlin, Dienstag den 27. Juli.

Korrespondenz-Berichte aus London.

Deffentlichkeit der Zustände und Geheimnisse im Ueber fluß. – Die Themse und das Foreign Office. - Wikoff, der indiskrete New Yorker. - Literarische Umschau.

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Wenn man wüßte, was in London unter drei Millionen Menschen aller Gattungen, Klaffen, Arten und Raçen gedacht, gethan, geLitten, gesündigt und Edles beabsichtigt oder ausgeführt wird, ließen fich Bücher und Bände darüber berichten. Aber wer weiß es? Wer erfährt etwas davon? Wir haben alle Tage eine Preßfreiheit von Millionen alle Nächte frisch gefeßter Buchstaben, täglich zentner- und tonnenweise frisch mit Tausenden großer und kleiner Neuigkeiten und Nachrichten. In unzähligen Versammlungen, Meetings und Diskussions-Klubs spricht jeder von der Leber weg und bringt Geheimnisse zu Tage. Das Parlament fißt alle Nächte, und jedes Mitglied bekömmt Petitionen und Klagen, die zum Theil zur Sprache kommen. Viele Hunderte von penny-a-liners (jeßt 14 d. pro Zeile) sind fortwährend, Tag und Nacht, auf der Jagd nach Feuersbrünften, Unglücksfällen, Mord und Todtschlag, erschütternden Beispielen von Noth und Elend, nach Geheimnissen aus allen Schichten, Höhen und Tiefen des Lebens. Das ganze verzwickte, verworrene, versteckte, labyrinthische Leben und Leiden Londons und ganz Großbritanniens unter allen möglichen Längen- und Breitengraden wird täglich und nächtlich von unzähligen Argus-Augen und Briareus-Armen vor die Deffentlichkeit gezogen, daß Jeder Alles sehen kann. Aber wer weiß, wer erfährt etwas davon?

Nach Talleyrand ist die Sprache erfunden worden, damit der Mensch seine Gedanken durch sie verheimliche. Aehnlich ist es mit der Oeffentlichkeit und Preßfreiheit in England. Je mehr man lieft, desto weniger erfährt man. Ja, es giebt vielleicht kein befferes Mittel, ein Idiot zu werden, als alle Tage die Times durchzulesen, d. h. oft 70 Spalten sehr engen Druckes in Folio oder 17 bis 18,000 Zeilen mit mehr als einer Million von Buchstaben. Diese Million von Buch. staben sind in der Regel Abends um 7 Uhr zu zwei Dritteln noch gar nicht einmal geschrieben, und zwölf Stunden später kommen sie geschrieben und gedruckt fir und fertig in 70,000 Exemplaren zu unserem Frühstück. Also enthält die Times im Durchschnitt jeden Morgen 10-12,000 Zeilen Neuigkeiten, die erst während der Nacht von allen möglichen elektrischen Telegraphen und Korrefpondenten aus allen En. den der Welt zusammenschoffen.

Wer in England lebt und lesen gelernt hat (und lettere Kunst fertigkeit ist allerdings mehr eine aristokratische, von der Millionen nicht die geringste Ahnung haben), muß die Times so gut täglich genießen, wie seinen trüben, stupiden Porter und seinen Thee. In neunzig Fällen unter Hundert bekomme ich aber auf die Frage an die, welche sie gelesen: „Was steht heute in der Times?" stets die runde Antwort:,, Nothing", täglich 18,000 Zeilen Nichts? Das wäre ein furchtbares testimonium paupertatis für unsere runde, civilifirte Erde, aus der die Times alle Morgen frisch die neuesten Nachrichten und Heldenthaten auftischt. Nein, nein, so arg ist es nicht. Aber es kann Niemand mehr lesen. Man findet sich in der Regel mit den 18,000 Zeilen täglich in einer halben Stunde ab, besonders wenn man noch ein halbes Dußend andere Zeitungen Englands und außer dem ein paar deutsche und französische genießen will. Aber die Times reicht in der Regel allein hin für den Engländer, alle Morgen zu lesen, daß nichts darin steht. Er fliegt über hunderterlei Dinge hin, die feinen Eindruck auf ihn machen, die er sich kaum für eine Se kunde klar zu machen sucht. Nach 20 Minuten bis Stunde (das ist die Periode für die Times-Lektüre) ift er durch Hunderte von Bäumen geflogen, so daß er den Wald nicht mehr sieht, oder umgekehrt. Er hat einen Eindruck von einem verworrenen Walde und erinnert sich keines einzigen Baumes mehr. Er sieht sich blos den Theil näher an, der sein Fach behandelt. Hier intereffirt ihn nur,

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1858.

was speziell auf sein „business”, seinen Stand, feine Gesellschaftsschicht ein pikantes Licht wirft, was nicht alle Tage vorkommt. Alles Uebrige ist für ihn nicht gedruckt. Alle übrige Welt bleibt ihm,,ge= heimnißvoll offenbar“ oder offenbar geheimnißvoll. Giebt er sich auch den Leitartikeln hin, sie führen ihn noch mehr hinter das Licht und demoralisiren und verdummen ihn in ärgere Konfusion hinein, als die, in welcher sich die Leute, welche gar nicht lesen können, auf eine wohlfeilere Weise zu halten wissen. Das Nichtwiffen und die Unwissenheit in dieser stets sich offenbarenden Oeffentlichket hat also eine doppelte Quelle. Man liest nie ordentlich und nie genug, während man in Lüderlichkeit und Unachtsamkeit, in Geschäftseile oder schon ausgebildeter Abstu. pfung zu viel liest. Andererseits enthält das Gelesene nie reinen Wein. Es ist von der Parteien Haß entstellt und ftets für gewiffe Endzwecke zugerichtet. Weder große moralische, noch ökonomische oder nur gesunde, feste politische Prinzipien leiten durch die Labyrinthe der täglich 10 bis 18,000 Zeilen der Times. Wie sie Napoleon nach dem Staatsstreiche als den schwärzesten Verbrecher malte, trug sie für seine Apotheose und die Allianz ebenso unverschämte Farben auf und drehte und wand sie sich neuerdings den,,Rüftungen" gegenüber auf eine klägliche Weise zwischen Freundschaft und Drohung.

Das ist erbärmlich genug und wird nur von der blinden, gedankenlosen Andacht übertroffen, mit welcher deutsche Zeitungen fast täglich diese wichtigen, erhabenen verschiedenen Ansichten der Times ercerpiren, so daß selbst Börsen -Course danach steigen oder i *n.

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Dieses England, wie es jezt vor der Welt steht und t öffentlicht, überseßt und ercerpirt wird, ist hauptsächlic Politik, deren Sig,, the Foreign Office" ift. Die meis.. Ereignisse Englands, Ministerwechsel, Reform-Aufschiebun nale Agitationen und Leiden, Alles kam aus dem Foreign & auswärtigen Politik. Lord Palmerston hat dieses Foreign Ot Mittelpunkt Englands gemacht, aus dem Niemand etwas erfa welchem die Times selbst nichts herauskriegen kann, so daß si darauf beschränkt, nach gegebenen Ordres und Winken daraus zu lügen, zu entstellen, zu beschönigen. England wird vom Auslande be herrscht, durch diplomatische Lügen zu Gunsten der auswärtigen Politik.

Während des leßten Jahres herrschte Indien. An das Inland konnte wieder nicht gedacht werden. Alles ward abgewiesen, nur um Indien, d. h. die Satrapieen Englands in Indien, zu reformiren. Ich kenne nur eine einzige inländische Macht, welche sich diesmal nicht abweisen ließ, sondern ganz London eroberte und das ganze gloriose Parlamentsgebäude von den untersten Grundsteinen bis in die Spise des Viktoria-Thurms einnahm und festhielt. Diese Macht ist der Themse - Gestank. Wir hatten im Juni die heißesten Tage seit 45 Jahren. Unter einer solchen Temperatur entfaltete die Themse alle ihre seit Jahrhunderten gesammelte Macht und „stunk“ selbst das Parlament zum Haufe hinaus. Der Parlaments - Ventilator Gurney hatte schriftlich erklärt, daß er nicht mehr für die Gesundheit der Parlamentsmitglieder stehen könne. Man versuchte mit ungeheuren, in Chlor getauchten Leinwandflächen die Luft von der Themse her zu entstänkern, aber es wurde nur noch ärger, wie jeder Chemiker aus der Chlorleinwand nachweisen kann. Außerdem ist das ganze gloriofe Parlamentsgebäude von unten aus während des ganzen Baues gehörig mit Themse-Parfüm getränkt worden. Man hat für diesen höchsten Stolz Englands eine niedrige Stelle ausgesucht, dicht an der Themse, so daß gerade eine große Menge Kloaken drunter weg laufen, eine Stelle, die durch winklige, verworrene Umgebungen und enge Straßen von allen Seiten schief und schielend zu blicken scheint. Und die Themse blickt während der Ebbe hinauf an der kolossalen gothischen Front entlang, wie ein in Mistjauche sich sonnendes Schwein, umgeben von schmußigen, wackligen, geflickten, in allen möglichen Verrenkungen grimacirenden Schuppen, Waarenlagern und halbverfaulten Bretterverschlägen. Diese naturwüchsigen Zustände wurden seit Jahrhunderten der freien Themse-Industrie überlaffen. Der Schmug und Unrath von 2-3 Millionen Menschen wurde täglich

hineingespült, ohne daß er je das Meer erreichte, da die Themse mit dieser Ladung täglich zweimal zurückfluthet und so den Unrath der Bewohner der englischen Metropole thatsächlich vor ihren Nasen aufund abschüttelt. Es wurde jeden Sommer darüber geklagt, aber England ist Foreign Office, und die Themse, die in nie entschiedenen Gränzen dem Lord-Mayor der City,,,dem Konservator der Themse" und zugleich der Krone gehört, fuhr täglich fort, vor den Nasen des Parlaments mit dem täglich frischen Unrathe von drei Millionen Menschen zu duften und zu glänzen, bis neulich der seit 45 Jahren heißeste Tag kam. Jest brach der Sturm aus Millionen zugehaltenen Nasen los.

Alle Organe der Preffe, öffentliche Meetings, einzelne Sach, verständige, beide Häuser des Parlaments schrieen uud schrieben: Es muß etwas geschehen! Man muß etwas thun. Wer kann etwas thun? Bitte, thut etwas! Wer sollte was thun? Wieder ein Labyrinth von Fragen. Und ein Narr wartet auf Antwort." Es kamen allerdings Projekte für 10 Millionen Pfund, in zehn Jahren zu vollenden, zum Vorschein, furchtbare Projekte von ungeheuren Thürmen, in welche der Gestank hinaufgepumpt, von Fluththoren, in welche der Gestank hineingesperrt werden sollte; aber keine Spur von Plan zur wirklichen Entstänkerung der Themse. Endlich entdeckte der energische Mr. Dean, ein genialer Engländer, die,,plastische Kohlenwerk-Compagnie“ des Herrn Bühring, eines Deutschen aus Mecklenburg, der vor Jahr und Tag die Erfindung gemacht hatte, aus reiner Kohle auf trockenem Wege allerhand Arten von festen Körpern zu formen und zu brennen: FilterBulle, Platten für galvanische Elektrizitäts-Apparate, allerhand poröse Körper, Bausteine, Vasen, Gefäße, Kühl- und Präservir-Apparate u. f. w. Die Erfindung schleppte sich unter Schwindlern, die sich ihrer bemächtigten, und in Mangel an Kapital jämmerlich hin, bis ein Amerikaner und der unternehmende, noble Mr. Dean, dem die Dubliner Industrie- und die Manchester Kunst-Ausstellung wesentlich ihre Entstehung verdankten, sich der Sache annahmen und nach viermonatlichem Würgen und Kämpfen mit blinder, englischer Geldgier (welche stets den Zweck ohne die Mittel will) eine anständige Compagnie zur Ausführung der Bühringschen Erfindung zu Stande brachten. Es wurden zunächst Filter aus plastischer Kohle gemacht, Filter, die nicht nur mechanisch, sondern auch chemisch filtriren und im Stande sind, jede Art von Waffer vollständig rein und klar zu machen. Bühring sagte den Herren: Ich filtrire euch die ganze Themse und gewinne dabei ein werthvolles Produkt, den Dünger, von welchem täglich mindestens 7000 Tonnen in die Themse laufen, fie vergiften und verloren gehen. An einer Stelle wird jeßt der Dünger aus der Themse konzentrirt und für 6 Pfund Sterling pro Tonne verkauft. Meine Themse-Filtration gäbe also einen täglichen Baargewinn von 42,000 Pfund. Nehmen wir aber auch einen fechsfachen Fall des Preises durch die Menge des dann auf den Markt kommenden Düngers an, so ergiebt sich immer noch, außer dem Hauptzwecke: reiner Luft, einer peftstofflosen Themse für Millionen Menschen, ein täglicher Gewinn von 7000 Pfund Sterling. Mein Unternehmen kann höchstens 50,000 Pfund kosten, die sich durch einen jährlichen Gewinn von 24 Millionen Pfund verzinsen. Die anderen Projekte Laufen auf 10 Millionen und zehn Jahre, ohne daß sie die Lebensmittel für Aecker, Felder und Gärten, also für uns, herausschaffen. Mein Plan kann in sechs Monaten vollständig ausgeführt sein.

Dies klang zu mächtig und à propos. Bühring ward also zu einem Versuche vor das Themse-Comité des Parlaments zitirt. Dort filtrirte er ihnen am 2. Juli Nachmittags auf der gloriofen, aber vor Geftant ungenießbar gewordenen Terraffe des Parlamentsgebäudes die peftilenziale Themsejauche durch seine Kohlenbulle in flares, trinkbares Waffer und bot dem Sir Benjamin Hall, Er-Chef des Gesundheitsamtes, des Board of Works, das keinerlei Werk thut, davon zum Trinken an. Die Repräsentanten beider hohen Häuser waren erstaunt und entzückt, daß jezt Aussicht auf eine athembare Luft im Parlamentsgebäude sich eröffnete. Palmerston nannte die Erfindung und den Versuch an exceedingly clever thing, und Parton nahm das Ganze unter seinen speziellen Schuß vor Begeisterung. Man beschloß, die Sache sofort zu befürworten, und gab dem Board of Works auf, fich behufs des Geldes, welches die Ausführung des Unternehmens kosten würde, näher zu informiren und dann zu entscheiden. Der Versuch vor dem Board of Works, am 6. Juli, fiel leider ungünftig aus, da Herr Bühring, in Uebereilung und Geschäftsüberhäufung, die Vorbereitungen Lehrlingen überlassen hatte, welche ein dickes Lehm- und Thonwasser, nicht Themsewasser, mit Gewalt einer starken Pumpe durch die Filterbulle hindurch preßten, so daß es unklar herauskam.

Zwar zeigte man durch Filtration des dicksten, stinkendsten Themsewaffers noch denselben Tag, daß die Themse durch die KohlenFilter vollständig gereinigt und rein erhalten werden könne; aber das Parlament schien sich an den ersten, verpfuschten Versuch

in zehn Jahren zu vollenden und dann mißlungen, vorgezogen werde. Wir wollen das Resultat zwischen den feindlich kämpfenden, kostbaren, von vorn herein als nuglos einleuchtenden Projekten, die alle gegen Bühring's Methode einig zu sein scheinen, abwarten. Jezt steht soviel fest, daß ein Deutscher dem Parlamente zuerst gezeigt hat, wie man die Themse vollständig reinigen, rein halten und jährlich 24 Millionen Pfund Geld daraus haschen könne, wie ein Deutscher zuerst London mit Gas beleuchtete und andere Deutsche andere große, gloriose, englische Erfindungen machten und ihnen Bahn brachen. (Schluß folgt.)

Frankreich.

Béranger und seine Lieder.")

Die ersten Seiten dieses Buches, eines von Béranger selbst gelieferten Kommentars seiner Lieder, datiren von 1815; allein, um diese Zeit „sang er lieber, als er kommentirte", wie der Verfasser selbst sagt. Erst nach und nach verdrängte der Kommentar den Gesang, und den giebt er uns hier, wie er aus Béranger's mündlichen Mittheilungen und aus laugem, vertrautem Umgang hervorgegangen. Béranger wußte nichts davon, und so bewahrte sich der Verfaffer eine unbeirrte Selbständigkeit. Man erwarte daher keine trunkene Lobrede auf die Lieder, sondern die Betrachtungen eines Mannes von Kunstsinn und gesundem Verstand, der überdies das Verdienst hat, Zeitgenosse dieser Lieder gewesen zu sein, mit ihnen gelebt, gefühlt, den Anlaß und das wahre Ziel gekannt zu haben. Aus dem Kommentar leuchtet uns die Erfahrungeines Greises entgegen, der aus der Ferne auf seine Jugend zurückschaut, mit Wehmuth, aber ohne Reue. Aller Welt sagt er: „Wenn das Leben ein Spiel ist, so that es gut, sich den Blick klar zu erhalten;" und sich selber: „Das Leben, wie der Wein, trübt sich, wenn man es schüttelt; nur durch die Ruhe und die Jahre klärt es sich.“

Glaube Einer an die Prognostik, die man auf die Kindheit gründet! Béranger war mit zehn Jahren ein Muster von Fleiß das ließ einen Akademiker ahnen; im Nu berechnete er die Zahl der Sekunden seit der Schöpfung - das mußte ein Wunder von Mathematifer werden; er zeigte sich so verschlossen, daß kein Wort aus ihm zu bringen war- und er wurde einer der liebenswürdigsten, heiterften Plauderer. Der Keller-Verein (société du Caveau), dem er durch seine ersten Lieder bekannt geworden, nahm ihn auf, und er würde sich hier verloren haben, wäre er minder stark gewesen, er wäre ein Désaugier oder ein Panard, nimmer ein Béranger geworden. Der Keller hatte seine Zusammenkünfte.,,Man kam zusammen um geistigen Genuß? das ist vielleicht zuviel verlangt um lustig zu sein." Es gab auch Abendbrodte des Momus. Bei Tische trug der Vorfißende als Zeichen seiner Würde eine Schellenkappe. „Das sollte heißen“, bemerkte Béranger dem Freunde auf Befragen: ergößen wir uns, lachen wir aus vollem Halse, feien wir luftig, seien wir Narren! Und das mußte uns folglich weise, mindestens ernst machen. So viele Vorkehrungen, sich das Vergnügen zu sichern, ist ein Beweis, daß man es zu verfehlen fürchtet, oder einfacher, daß man es verfehlt; die alten Griechen ließen sich einen Myrthenzweig reichen und fangen beim Empfang desselben. Darin war mehr Anmuth."

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Béranger machte also den Anfang damit, Momus, Komus, Bacchus und Venus zu befingen. So führt euch sein Bild vor, und ihr werdet einen richtigen Begriff von ihm haben. Dieser Sänger Fretillon's und Roger-Bontemps', dieser zügellose Epikuräer, war ein nüchterner Mann, allem Uebermaß abhold, empfänglicher für die Freundschaft, als für die Liebe, der er schon früh entsagte; sparsam, dem Schuldenmachen geschworener Feind; der den größten Theil seines Lebens sehr wenig besaß und die Hälfte den Armen gab; fein im Umgang, heiter mit Anmuth, im Herzen ernst und religiös. Man erstaunt oft, wenn man den wirklichen Béranger mit dem vom Publikum gekannten vergleicht. Die Oper gefiel ihm nicht besonders; aber so oft er das Konzert im Konservatorium besucht, kommt er durch und durch bewegt heraus, wenn er die Beethovensche Hirtensymphonie angehört. Er liebte nur die Psalmen der italiänischen Meister und den Kirchengesang; unter den Inftrumenten waren das Violoncell und die Orgel seine Lieblinge.

Er glaubte an die Unterschiedenheit von Seele und Leib; die Gaswerdung (Aetherisation) der Substanzen galt ihm als unwiderleglicher Beweis für seinen Glauben. Einst, an einem schönen Sommerabend, beim Mondlicht, das durch eine Weinrebe schimmernd spielt, fißt er und unterhält über Seelenleben, über Sokrates und Plato, nach Art dieser Weisen. An eine Frau, die soeben ihren geliebten Mann verloren hat, schrieb er:

,,Ach, liebes Kind, am glücklichsten sind, die zuerst hingehen, denn *), ,, Béranger et ses chansons", d'après des documens fournis par lui-même et avec sa collaboration par Joseph Bernard. Paris, 1858.

dort oben haben sie nicht lange zu warten, und da es zu glauben ist, daß Gott ihnen gestattet, diejenigen unablässig im Auge zu behalten, die sie hienieder in Thränen um ihr Grab versammelt zurückgelassen haben, so würden sie uns nicht verzeihen, uns troftlos zu sehen. Sie wissen, wie ich an Gott glaube, und werden sich über den Ton in meinem Briefe nicht wundern."

Man kennt seine Mildherzigkeit, und wir geben hier nur zwei allerliebste Züge derselben. Einem armen Teufel von Schriftsteller giebt er einst das Manuskript zurück, das er nicht so loben kann, wie es Beide gewünscht hatten, und - legt ein Hemd dazu. Ein ander mal", erzählt der Freund,,,an einem ziemlich trüben Morgen, treffe ich ihn im schwarzen Anzug und im Begriff auszugehen zum Grabgeleite seiner Schließerin, die vorgestern, und zwar durch eigene Schuld, gestorben ist: sie hatte zuviel getrunken. -""Von Ihrem Wein doch?!!!! Freilich, und bis auf die leßte Flasche." -"Und Sie gehen zum Begräbniß""..,,meines Kellers wenigstens". Er ging und war der einzige Begleiter. Ist das nicht liebenswürdig?"

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Die großen Gesellschaften suchte er nie auf und that recht daran, denn er konnte die Langweil nicht ertragen. Bei einem Prunkmahl in einem reichen Hause, völlig abgespannt, vergißt er, wo er ist, und glaubt sich allein:,,Guter Gott, wie langweile ich mich!" ruft er laut. Wenn er aber auch diese Gesellschaften mied, so benahm er sich doch, wenn er einmal darin war, in der schlichtesten, anspruchslosesten Weise. Keiner glich so sehr, wie er, aller Welt, sagt Bernard.,,Eines Lages tadelte ich ihn, daß er bei einer gewissen Gelegenheit einen Moderock, der durchaus nicht nach seinem Geschmack war, anlegte: „,,,Meinen Sie, ich soll mir das zwanglose Gebaren eines vornehmen Wichts zuLegen?"" Behaglich in einem Zirkel, den er sich gewählt hatte, bewahrte er seine Schäße nur für Wenige. Alle, die ihn hier gekannt haben, finden ihn einstimmig unvergleichlich. Der liebenswürdige Plauderer, zugleich aber mit dem so klaren, geraden und gründlichen Verstande, imponirte dennoch' dem Zuversichtigsten. Beyle (Stendhal) blieb an feiner Thür stehen und wagte es nicht, zu schellen. Lamennais äußerte gegen Bernard: Wenn ich mit ihm spreche und er die Unterlippe aufwirft, so habe ich zwei Tage lang das Fieber."

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Bernard erzählte ihm eines Tages von seinem Sohne, der gefährlich krank lag, und wünschte ihm Glück, daß er diese Seelenangst nicht kenne. „D“, rief er mit einem Ton, der aus der Tiefe einer glühenden, vereinsamten Seele sich entwand,,,selbft auf die Gefahr hin, ihn sterben zu sehen, würde ich Alles für ein Kind hingeben!"

Einige Notizen über Chateaubriand sind erwähnenswerth.,,Was meinen Sie, Chateaubriand beklagt sich gewöhnlich über Langweil?" bemerkte Jemand in dem engen Kreise bei Béranger.,,Wiffen Sie, warum", sagte dieser zu Chateaubriand. ,,Nun?" sich nur mit sich beschäftigen." -,,Ah, wie richtig!" rief die an„Ah, wie richtig!" rief die anwesende Frau von Chateaubriand. -Im Jahre 1848 fagte Béranger zu Chateaubriand: Traun, sie kommen, euch die rothe Müße aufzusehen und euch zum Präsidenten zu machen.“ ,,Ei, ei!!! ,,Werdet ihr annnehmen?" -,,Meiner Treu, ich glaube, ja; diese Könige find gar zu dumm."

Eines Meisters Urtheil ist jenes über Delille.

,,Delille ist ein vortrefflicher Versemacher, aber kein Macher vortrefflicher Verse; er scheint in dem Alexandriner eben nur den Alexandriner, ich meine den Rhythmus und den Gang, gesehen und sich in diese Reize desselben leidenschaftlich verliebt zu haben. Ganz in dem Genuß der Form verloren, konnte es nicht fehlen, daß er weniger auf die Gedanken als auf die Worte gab; daher kann sich bei ihm bis auf einem gewissen Punkt das Ohr geschmeichelt fühlen, der Geist nimmer. Die Gedanken selbst, wenn sich hin und wieder einige in dieses Tongedränge einschleichen, lassen sich unter diesem pomphaften und eintönigen Geklinge schwer herausfinden, und man hält sie fast für Gemeinpläße; man wird an den Apollo mit der Perücke aus den Zeiten Ludwig's XIV. oder an eine Venus im Reifrockel gemahnt. Delille macht die Verse, wie sie die meisten Schauspieler rezitiren: fie halten weit mehr darauf, fie für das Ohr zu betonen, als sie dem Gefühl und der Lage anzupassen.“

Nicht immer war die Zeit günstig, Béranger's Lieder nach ihrem "wahren Werthe zu würdigen. Im Kampfe war es schwer, gerecht zu fein; jest find wir beffer gestellt: ohne Besorgniß, eine Stärke preis zu geben, können wir minder Taugliches fallen lassen, um dem wahr haft Guten seinen Rang anzuweisen. Es scheint, daß die vom Keller" inspirirten Lieder mit der Zeit nicht gewinnen, und daß man in den Liedern, welche den Wein und die Liebe feiern, das Feuer, einen gewiffen Wahnsinn vermißt, die sich bei den Dichtern dieser Liederart von weit untergeordnetem Verdienst finden; dafür gewinnen die Dichtungen, welche das Vaterländische, die Weisheit in Schimpf und Ernst besingen, was jene verloren haben. Hier hat man den vollendeten Künstler anerkannt, der diesen leichten poetischen Schöpfungen eine unsterbliche Seele eingehaucht hat.

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Béranger, verewigt durch seine Lieber, der Volksliebling durch sein Leben, wird in unseren Tagen hart angegriffen: man wirft ihm vor, er habe sich zu sehr geschont, habe gar zu zimperlich mit seinem Rufe gethan, habe hinter die gutmüthige Miene eine gewiegte Klugheit versteckt. Bernard vertheidigt ihn. Nachdem er Alles aufgezählt, was seinem Freunde geboten worden und er ausgeschlagen hat, fährt er fort: Er sah ein, daß man in hohen Stellungen dem Publikum sehr große Dienste leisten müßte, um ihm durch das beharrliche Beispiel der Mäßigkeit nicht noch nüßlicher sein zu können, und daß sich mit Wenigem zufrieden zeigen, in diesem Falle ebensoviel gilt, wie sich des Vielen würdig zeigen." Die Vertheidigung ist gut; überdies steht nicht zu fürchten, daß sein Beispiel anstecken und es uns an Deputirten und Ministern fehlen werde. Indeß dürfte in diesem stolzen Abschließen, einer Folge der steten Rückkehr zu sich selber, doch viel Berechnung liegen. Wer ist bescheidener, wer eine Stelle annimmt und sich gewissenhaft bestrebt, sie auszufüllen; oder wer alle Aemter zurückweist, aus Scheu vor dem Maßstab, den man an seine Leistungen legen würde?,,Aber die Menschen sind so ungerecht, so undankbar", sagst du; nun, was thut das, wenn du nicht um ihres Lobes willen arbeitest? Wirke aus Liebe zum Guten; wenn man liebt, darf man sich anbieten. (R. I. P.)

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Die Ebene des Berges Moria hat eine Breite von nahe an 1000, eine Länge von etwa 1600 Fuß und ist allseitig von massiven, nach innen etwa 15 Schuh hohen Mauern umgeben. Fünf Eingänge führen auf der Westseite, wo der Klageort der Juden ist, von der Stadt empor zum Tempelplage.

An dieser Seite find sarrazenische Gebäude, Erker, Thürmchen, Bogen, Hallen, in denen sich einige,,Medreschen", Schulen der Muhammedaner, Wohnungen für Derwische, für die Diener der Moschee und für Pilger befinden. und für Pilger befinden. Vor ihnen auf freiem Plaße zwei überkuppelte Bäder. Gegen Morgen, hochauf vermauert, ragt das goldene Thor oder, wie es die Juden nennen: das Thor des Erbarmens, empor.

Auf dieser Ebene erhebt sich eine höhere Terrasse, zu der von allen Seiten breite Treppen emporführen. Wir stiegen eine derselben, von Spigbogen schön überwölbt, etwa 15 Stufen hinauf. Diese Platt-, form ist 550 Fuß lang, 450 Fuß breit, mit buntem Marmor belegt und trägt den Richterstuhl König Davids und die Omar-Moschee. Ehe wir die Stufen empor stiegen, mußte ich die Schuhe abthun, was den Gang durch die weiten, mitunter steinigen Näume sehr unangenehm machte

Der Richterstuhl, wie ihn die Moslems benennen, ist eine auf hohen, schlanken Marmorsäulen getragene Kuppel, die mit den buntesten Marmorarten ausgelegt ist. Unter ihr befindet sich eine Betstelle, die, wenn sie der andächtige Moslem betritt, ihm den Blick gegen Mekka gewährt.

Die nahean liegende Moschee Omar's, imfiebenten Jahrhunderte nach chriftlicher Zeitrechnung erbaut, ftellt ein Achteck dar, deffen jede Seite siebenundsechzig Fuß mißt. Durch sechsundfunfzig, mit farbig brennendem Glase ausgefüllte Spigbogen-Fenster fällt Licht in dieselbe. Die zwischen den Fenstern aufstrebenden Wandpfeiler sind mit schwarz, grün, roth und weiß glafirten Ziegeln belegt, während ringsum der untere Theil der Wandflächen mit verschiedenfarbigem Marmor geschmückt ist. Die mit Blei eingedeckte Kuppel funkelt mit einem goldglänzenden Ringe gekrönt. Soll er den Vollmond bedeuten? Marmorne Bogenhallen umgeben den Bau, zu dem von den vier Himmelsgegenden hohe Pforten führen. Eingetreten durch eine derselben befand ich mich in einem magischen Dunkel. Die brennenden Lichter der bunten Glasfenster waren durch die kühn gewölbte, lichtlos finstere Kuppel, die von vier schweren steinernen Pfeilern und zwölf korinthischen Marmorsäulen emporgehalten wird, gedämpft.

Unter dieser Kuppel, von rothem Damast überhangen, von reich vergoldetem Eisengitter umringt, ragt es, wie ein unregelmäßiges Gewaltiges, gerundet empor. Dies ist der Eben Sch'tia,,,der Stein, auf dem die Bundeslade gestanden ist, aus welchem die Welt geschaffen wurde“, wie es im Talmud heißt. Es ist ein Kalksteinfels, der wie ein auf die Fläche des Tempelplages herabgefallener kiklopischer Meteorstein daliegt und der Moschee den Namen Kubbet es Sukhrah, Kuppel des Felsens, gab. Zwischen dem den Riesen-Felsblock umgebenden Goldgitter und einem in der Runde fich hinziehenden Korridor, der von acht Steinpfeilern und sechzehn korinthischen MarmorSäulen gebildet wird, ging ich auf dem freigelaffenen Kreise herum. Der Schech hob einigemal die schwere rothe Damaftdecke empor, um mich den Fels sehen zu laffen.

Die Wände der Moschee und die aus Gebälk kunstreich geformte Ruppel find grüngolden, arabeskenhaft und mit Koransprüchen geschmückt. Wir fliegen aus dem Prachtbau, der in seiner Ornamentik übrigens sehr vernachlässigt schmugig ist, eine steinerne Treppe hinab unter den mit Teppichen belegten Estrich der Moschee und befanden uns in einem „die edle Höhle der Moslemin" benannten Raume, in welcher der in der Moschee selbst aufragende Felsen sich fortsett oder viel mehr beginnt und wurzelt. Hier ist er nackt zu sehen, unterhöhlt und mit Holzbalken gestügt. Dieser Raum ist nur von bedeutender Mannshöhe, aber von einem nicht unansehnlichen Umfange. Hinabgelangt, machte mich der Schech auf zwei Gebet-Nischen aufmerksam, in denen die Könige David und Salomo einsam wachend ihr Herz vor dem Herrn der Welt aufgethan und zu ihm gebetet haben sollen.

Der Schech schlug mit seinem langen Stabe auf eine dem felsigen Boden eingefugte, metallene Platte, daß es einen dumpfen Klang gab, wie ein unterhöhlter Boden. Wirklich befindet sich unter der Platte ein leerer, tiefgehender Raum, der Brunnen der Seelen, den die Moslems Birraruah nennen und welcher der Eingang zur Hölle sein foll. Hierher kommen diejenigen, die mit den Abgeschiedenen geheimniß. volle Zwiesprache halten wollen. Später, weil die Bösen dem kühnen Besucher manche Gefahr brachten, wurde die offene Mündung des Brunnens mit der metallenen Decke geschlossen.

Der Felsen selbst ist nicht nur von Muhammedanern, sondern auch von Christen für heilig gehalten. Lehtere meinten im Mittelalter, es sei der Stein, auf dem Jakob schlief, als die Engel vom Himmel her zu ihm niederstiegen, und auf dem später der Todesengel stand, der das Volk wegen der Sünde König Davids zu schlagen gesendet worden ist. Die Legende erzählt auch, dieser Stein sei unter dem Allerheiligsten im Tempel gelegen und verwahre noch jezt die Bundeslade und heiligen Geräthe in seinem Innern. Den Moslems ist der Felsen, nach dem in Mekka, der heiligste auf Erden, er wird,,einer von den Felsen des Paradieses" genannt, wohl auch als jener be, zeichnet, auf dem Abraham saß, ehe er an das Opfer seines Sohnes ging. Der Schech machte mich auf die eingedrückten Fingerspuren der Hand Abrahams aufmerksam.

Herausgetreten aus den geheimnißvollen Räumen, stiegen wir wieder eine Treppenflucht herab auf die Moriafläche. Riesige, Jahrhunderte alte Cypreffen ragen hier in den tiefblauen Himmel empor; ein marmornes Bassin ist von einigen Orangen- und Olivenbäumen überschattet.

Bog fors.

Bir gingen der zweiten Moschee, welche fich auf der Südseite ipel - Area befindet, entgegen, zur el Aksa. Diese Moschee wird altchriftliche, der Jungfrau geweihte Kirche gehalten; sie ftellt genviereck dar und imponirt durch eine achtfache marmorne flucht, welche mächtige Architrave trägt, von denen aus sich kühne vannen. Bedeutungsvoll und wichtiger für die Alterthumsnd neben und unter der Kirche in den Fels hinein gegrabene Gewölur, urch Koloßpfeiler geftüßt werden und Quaderstücke von gewaltigsten Dimensionen. Der Schech erklärte mir, es seien dies Unterbaue des Salomonischen Tempels. Er schlug mit einem Steine einige Fragmente los und gab sie mir zum Andenken; was er auch am goldenen Thore that. Ebenso brach er von den Zweigen der Cypreffen ab, um mir sie als „Kinder des Heiligthums“ zu verehren.

Ich legte wieder die Schuhe an und wanderte jeßt auf dem Tempelplage umher, jedoch keinen Augenblick vom Schech und dem bewaffneten Gefolge verlassen. Einige Arbeiter, die mit Mauer ausbesserungen beschäftigt waren, sonst befand sich Niemand auf dem weiten Plaze.

Es war ein Schmerzwandeln in den stillen, sonnigen Räumen. Ueber die Mauern herein schaute der Delberg mit seinen steinigten Flächen, aus denen graugrüne Olivenbäume emporragten, wie Pilger, die, hinauf ziehend, stehen geblieben sind, um die Trauer der Landschaft, um die Stadt zu betrachen und die Zweigarme empor zu heben, um zu beten.

Unter meinen Begleitern erhob sich plöglich ein Streit, indem Einer von ihnen von mir ein Backschiesch verlangte, während ich dem. Schech, um auch die Uebrigen zu betheiligen, die ganze, früher bestimmte Summe übergeben hatte. Der Dolmetsch war nicht so gefällig, mir die Ursache des Zankes zu erklären, doch konnte ich be merken, daß der Schech gern den größten Theil für sich behalten hätte. Es war mir ein Streit zwischen Arabern nicht daß erste Mal hier vorgekommen, sonst hätte ich meinen müssen, das die Männer nur blutig aus demselben hervorgehen würden, so heftig waren ihre Be wegungen, so bligvoll die Augen, so gewaltig ihr Schreien. Und doch gingen sie nach wenigen Minuten wieder friedlich neben und hinter mir her.

Ich gewahrte im Weitergehen an der füdlichen Seite der Stadtmauer eine Art Graben, zu dem keine Treppe hinabführte, und an deffen einer Seite eine weite Deffnung zu einer Höhle zu führen schien. Als ich fragte, ob man da eindringen könnte, bejahten das die Männer und munterten mich auf, hinabzugehen. Mein fragender Blick an den christlichen Dolmetsch wurde zustimmend erwiedert, und so kletterte ich, während meine Begleiter oben blieben, an der einen Wand der Grabenwand etwa drei Klafter tief, auf einzelne vorragende Steine, oder in Fugen tretend, hinab, indem ich mich an den anderen Steinen mit den Händen festhielt. Ich trat dann durch die Deffnung in eine tiefer liegende und abwärts führende Höhle, tief unter der Fläche des Tempelplages, und stand in Finsterniß. Allmählich dänmerte es um mich her, dann in immer weiterem Kreise und zur Höhe empor. Ich stand in einem weiten Raume, in welchem viereckige gewaltige Steinpfeiler aufstreben und mächtige Bogen tragen.

Der ganze Raum ist mit Steinen und Schutt, an manchen Stellen bis an die Bogen reichend, angefüllt; ich mußte mühsam klettern, um wieder einige Schritte vorzudringen, und das bei genug spärlichem Lichte, das an der Seite, von der ich hereingekommen war, durch Löcher hereindringt, die sich zufällig in dem auch vor diesem unterirdischen Bauwerke aufgehäuften Schutte befinden.

Ich war von einem heftigen Staunen ergriffen und konnte den Bau nur mit dem unterirdischen tausend Säulenwerke nahe dem Almeidan in Konstantinopel vergleichen. Schmerzlich war es mir aber, daß es Forschern wie Robinson und Tobler nicht gegönnt war, wie überhaupt auf den Tempelplaß, so auch nicht hier herab zu gelangen, um ihre gelehrte Kritik und ihre scharfen Maße anzulegen. Völlig unvorbereitet und ohne jeden Apparat, wie ich war, konnte ich nur ein allgemeines Bild dem Gedächtnisse einprägen und glauben, daß ich mich vielleicht hier in dem cavati sub terra montes" des Tacitus befand; in jenen Höhlungen unter dem Tempelraume, in die sich zur Zeit der Belagerung durch Titus der leßte Kämpfer Jerusalems, Simon, mit den Seinen zurückgezogen hat.

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Ich war einer der Leßten, welche die ewig merkwürdige Stätte des alten Jehovatempels betraten; denn wieder ist es, seit Kiamil Pascha nicht mehr Gouverneur von Jerusalem ist, von moslemitischer Seite streng untersagt.

Mannigfaltiges.

Neugriechische Schrift über die russische Gesezgebung. Eine solche Schrift ist im vorigen Jahre in Athen erschienen, und sie wird von der Kritik in Griechenland selbst besonders willkommen geheißen. Sie enthält in einer ziemlich umfangreichen Einleitung die hier in Betracht kommende Geschichte Rußlands von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, und sodann eine gedrängte Darstellung der gesammten russischen Gesezgebung, theils was das öffentliche, theils was das Privatrecht anlangt. Die Schrift gereicht ebensowohl dem fremden Staate zu gebührender Anerkennung, als fie für die Griechen in mancher Beziehung höchst lehrreich werden kann. Sie haben hiernach eine erwünschte Gelegenheit, die Zustände und Verhältnisse Rußlands in Betreff der Gesetzgebung und deren allmähliche Entwickelung und Ausbildung in der Gegenwart kennen zu lernen, und können diesfalls in Ansehung ihrer eigenen Geseßgebung troß der Verschiedenheit des zum Theil traditionellen Charakters der legteren, höchst fruchtbare Vergleichungen anstellen. Der Verfaffer der Schrift ist der Grieche Dimitrios Stephanos Maurokordatos, der sich auf dem Titel derselben als ,,Doktor der Juristen-Fakultät in Paris, Mitglied der Kommission zur Abfaffung des Civil-Koder (wo?) und früheren Richter in Athen“ bezeichnet. Sie selbst liefert im Allgemeinen von neuem den Beweis, daß die gebildeten Griechen der Gegenwart auch fernerliegende Intereffen gehörig zu berücksichtigen und die betreffenden Gegenstände mit der nöthigen Sachkenntniß und mit verständiger Auffassung zu behandeln wissen. Die Darstellung des Verfassers zeichnet sich durch große Klarheit aus und weiß das Interesse des Lesers an dem an und für sich weniger anziehenden Gegenstande zu erregen und dauernd zu fesseln.

Brachvogel's,,Narzis" in Moskau. Im großen Theater zu Moskau wird jezt eine russische Uebersehung des „Narziß“ mit großem Beifall gegeben. Die russische Kritik ist indeß mit dem Urtheil des Publikums nicht einverstanden, wie aus einem Artikel der Petersburger Wjädomosti hervorgeht, in welchem die Schwächen des Brachvogelschen Drama's nachgewiesen und als Beleg für dieselben die den Lesern des Magazin" wohlbekannten Bemerkungen St. René Taillandier's angeführt werden.

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Spanien.

Die Schauspiele Calderon's,

Berlin, Donnerstag den 29. Juli.

dargestellt und erläutert von Friedr. Wilh. Val. Schmidt.")

Von Calderon hat man im größeren Publikum noch eine beklagenswerth oberflächliche Kenntniß. Er wird selten gelesen und ebenso selten auf der Bühne gesehen.,,Das Leben ein Traum",,,Der standhafte Prinz",,,Der Richter von Zalamea“ und „Der Arzt seiner Ehre" dies sind so ziemlich die einzigen Dramen von ihm, die häufiger auf unseren Bühnen figuriren. Dieselben find zum Theil nicht nach Jedermanns Geschmack, und man empfindet, wenn man es auch nicht zugesteht, manchmal ziemliche Langweil beim Anhören derselben, was zum Theil den uns fern liegenden Anschauungen, noch mehr aber dem wirklich abgeschmackten estilo culto, in dem sie geschrieben, und dem einschläfernden Versmaße, in welchem sie überfest find, zuzuschreiben sein dürfte. Was das letztere betrifft, so ist von anderer Seite längst hervorgehoben, daß man den spanischen Vers lange Zeit unrichtig bei uns gelesen, das Maß desselben mit Gewalt zu einem ermüdenden Trochäus gemacht und ihn in demselben matten Rhythmus überseht hat, während er doch eine lebendige Mischung von Jamben, Trochäen und Daktylen enthält, worüber man sogleich im Klaren sein wird, wenn man nur einmal spanische Verse von Spaniern hat vortragen hören. Was aber die Ideen und den estilo culto betrifft, so konnte wohl eine dem Geschmacke des deutschen Publikums besser zusagende Auswahl getroffen werden, wie wir aus dem vorliegenden Werke ersehen, das neben seinem gelehrten Zwecke überhaupt dazu beitragen muß, Calderon und seine poetische Eigenthümlichkeit bekannter zu machen und beiläufig darzuthun, daß er nichts weniger als langweilig ist. Val. Schmidt hat die 108 unbezweifelt echten Schauspiele Calderon's, die er in seinem Werke bespricht, ihrem Charakter nach in folgende zehn Klassen eingetheilt, die noch einiger Vereinfachung fähig sein dürften: Intriguen, heroische Schauspiele, Schauspiele aus der spanischen Geschichte und Sage, Schauspiele aus der allgemeinen Geschichte, solche aus Romanen, mythologische Festspiele, Travestieen, fymbolische Schauspiele, geistliche Schauspiele, solche aus der Legende.

Ihrem Gehalte nach, unterscheidet Schmidt die Jugendwerke Calderon's, welche zwar mehr oder weniger im estilo culto, jenem überschwenglichen, bombastischen Modestile der Gegner Lope de Vega's, geschrieben sind, dem hochpoetischen Inhalte nach aber bereits den Meister erkennen lassen; ferner die Werke des gereiften Mannes, die eigentlich klassischen, nach Inhalt und Form vollendeten Dramer, und endlich die wenigen kälteren, manierirteren, oft auf Bestellung geschriebenen Werke des höheren Alters.

Die Form, in welcher Schmidt diese Dramen Calderon's bespricht, ist folgende: Zuerst wird der spanische Titel mit deutscher Uebersehung gegeben, dem die Erzählung der Thatsachen in der Reihenfolge der Aft-Eintheilung folgt. Hieran schließt sich eine kurze Würdigung des Dramas nach Inhalt und Form, wobei besonders hervorgehoben wird, welcher Dichtungsperiode Calderon's das Stück angehört. Hieraus sowie aus einzelnen historischen Anführungen des Dramas wird die Zeit und Gelegenheit zu bestimmen gesucht, in welcher und für welche es geschrieben wurde. Die Zeitbestimmung dient dazu, zahlreiche, sonst unverständliche Anspielungen auf einzelne zeitgenössische Ereignisse und Persönlichkeiten Feldzüge, Schlachten, Belagerungen, Fürsten, Generale, Staatsmänner zu erklären. Diese Anspielungen betreffen manchmal auch zeitgenössische Dichter und ihre Werke, sowie auch andere Werke Calderon's selbft, spanische Sprüchwörter 2. Dies veranlaßt Schmidt zu Anführung und Vergleichung ähnlicher Stellen oder auch ganzer Dramen, welche denselben Stoff behandeln, wobei auf die Editionen von Keil und Harßenbusch verwiesen wird.

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*) Aus gedruckten und ungedruckten Papieren des Verfassers zusammen gefeßt, ergänzt und herausgegeben von Leopold Schmidt. Elberfeld, 1857. Berlag von R. E. Friedrichs.

1858.

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Es ist begreiflich, daß durch dieses sorgfältige Eingehen ́in das Detail die Dramen erst recht nach allen Seiten verständlich werden, und Schmidt's Verdienst ist in dieser Beziehung unstreitig sehr groß; gehört ja doch gewiß fast ein Menschenleben dazu, um sich in einen so fruchtbaren Dichter und seine bedeutendsten Dichter-Zeitgenossen so innig hinein zu leben!

Im praktischen Bühnen-Interesse wäre vielleicht zu wünschen ge. wesen, wenn diejenigen Dramen besonders hervorgehoben worden wären, welche sich zu einer Bearbeitung für die deutsche Bühne eignen würden; denn nach Schmidt's allgemeiner Charakterisirung, sowie nach den Geschichtserzählungen, scheint die Zahl der Dramen keinesweges erschöpft zu sein, welche einer Uebertragung zu obigem Zwecke würdig wären. Wenn wir die verschiedenen Klaffen einzeln durchgehen, so finden wir unter den 26 Intriguenstücken, die sich äußerlich durch große Verwickelungen, Duelle, Verstecke 2c. charakterisiren und deren zwei innere Angelpunkte Liebe und Ehre sind, in welchen jedoch häufig dieselben typischen Persönlichkeiten wiederkehren, fieben bereits überseßte, aber wohl noch ein Duhend, welche vermöge des Reizes der Erfindung, der Erhabenheit und Feinheit der Charaktere ein gleiches Loos verdienten. Wir nennen hierunter:,,Casa con dos puertas mala es de guardar" (Ein Haus mit zwei Thüren ist schwer zu hüten), „, Bien vengas, mal, si vienes solo" (Man darf mit dir noch zufrieden sein, Unglück, wenn du allein kommst),,,El astrólogo fingido" (Der falsche Aftrologe), Tambien hay duelo en las damas" (Auch unter den Damen giebt es Ehrensachen),,,Mañana será otro dia" (Morgen ist auch ein Tag), No hay cosa como callar" (Es geht nichts über das Schweigen), „,Con quien vengo, vengo" (Ich stehe auf der Seite meines Begleiters), El maestro de danzar" (Der Tanzmeister), „Primero soy yo" (Ich bin mir selbst der nächste), „La desdicha de la voz" (Eine unselige Stimme). Wir bemerken beiläufig, daß einige Titel von Schmidt etwas geschraubt und dunkel überfest sind, wie z. B.: Fuego de Dios en el querer bien" 'mit: Feuer des Himmels tilge der Liebe Gluth! während es dem Sinne nach heißen sollte: Das Donnerwetter foll in das Lieben schlagen! allerdings nicht so fein, aber verständlich.

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Von den 21 heroischen Schauspielen sind 10 überseht, aber wohl noch ein halbes Dußend fein durchdachter und gut charakterisirter Dramen dieses Genre dürften zu gleichem Versuche auffordern. Unter ihnen nennen wir: „Para vencer á amor, querer vencerle" (Um die Liebe zu bezwingen, muß man es wollen), Nadie fie su secreto" (Vertraue Niemand fein Geheimniß einem Anderen),,,El alcaide de sí mismo" (Sein eigener Aufseher),,, La señora y la criada (Herrin und Dienerin).

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Die Schauspiele, deren Stoffe der spanischen Geschichte entnom men sind, machen natürlich keinen Anspruch auf große historische Treue, sind jedoch in anderer Beziehung so trefflich wie die vorigen. Schmidt zählt ihrer 10, wovon 5 überseht find. Ob der „Médico de su honra" mit Recht darunter aufgenommen wurde, dürfte bestritten werden können. Jedenfalls ist nicht das historische, sondern das heroische Element hier die Hauptsache. Unter den nicht überseßten werden als befonders interessant bezeichnet: El postrer duelo de España" (Das lehte öffentliche Duell in Spanien), „, Gustos y disgustos no son mas que imaginacion" (Gefallen und Mißfallen bestehen nur in der Einbildung), „Amar despues de la muerte" (Nach dem Tode noch lieben).

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Noch weniger historisch getreu find die 10 der allgemeinen Geschichte entnommenen Dramen. Es gehört hier oft wenig mehr als der Name der Person der Geschichte an. Im Allgemeinen bewegt sich Calderon auf diesem Gebiete nicht mit besonderem Glück, er ist zu sehr spezifischer Spanier. Fünf von diesen Dramen sind überseßt, die übrigen 5 verhältnißmäßig unbedeutend.

Der Romantik find 6 Schauspiele entnommen, wovon 2 überfeßt wurden. Auch sie bilden nicht die starke Seite Calderon's. Hervorhier:,,El zuheben wäre hier: „El castillo de Lindabrídis" (Das Schloß der Lindabridis).

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