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überwiesenen Summen aufgestellt war. Die Rückstände verschiedener Jahre waren in funfzig Büchern und vielen tausend Posten zerstreut. Diese nachlässige Geschäftsführung hatte so manchen Leuten Gelegen heit gegeben, mit dem Gelde, das in die Stadtkasse fließen sollte, ihre Taschen zu füllen. - Haufen von Bürgern erschienen, welche sich bei dem Comité beklagten, daß immer noch Auflagen auf ihre Grundftücke als unbezahlt aufgeführt würden, die doch längst bezahlt seien. Das Comité führt als Beispiele Posten von Abschägungen von beinahe 5000 Doll. an, welche als Rückstände aufgeführt und gleichwohl längst bezahlt sind. Vorläufig hat man gefunden, daß die als Rückstände bis zum 1. Januar aufgeführten städtischen Steuern beinahe sechs Millionen Dollars (nach anderen Angaben neun Millionen) betragen.

Ueber die Deffnung, Erweiterung und Ausdehnung der Straßen haben die betreffenden Kommissare ihr Geschäft so nachläffig geführt, daß es schwer ist, die eigentlichen Abschägungen und Bewilligungen anzugeben. Aenderungen, Einschaltungen und Rasuren verwirren fast alle betreffenden Papiere; Abschriften stimmen nicht mit den Originalen und Zahlen im Texte nicht mit denen am Rande. Noch verschiedene Einzelheiten, die hier nicht alle können angeführt werden, find veröffentlicht, woraus man die gränzenlose und schamloseste Nachlässigkeit ersehen kann. Beim Steuer-Einnehmer, beim County Clerk und allenthalben fand man die größten Unordnungen, welche auf kolossale Betrügereien schließen lassen. -In noch grellerem Lichte würde den europäischen Lesern das Alles erscheinen, wenn sie mit eigenen Augen sehen könnten, wie wenig die städtische Verwaltung bei dieser Verschlauderung leistet, wenn sie den verwahrlosten Zustand der Straßen, den tiefen Straßenkoth und auch die Menschen und deren Gesichter sehen könnten, welche den Kommentar zu solcher Wirthschaft liefern.

Manche Europäer scheinen, um ihre irrthümliche Vorstellung von Amerika zu retten, New-York vorzugsweise für das verderbte Babel zu halten und im Westen einen unverdorbeneren Zustand zu suchen. — Wie die Griechen bei erweiterter Erdkunde die Amazonen und andere fabelhafte Kreaturen immer weiter hinaus in das Unbekannte verlegten, so verseßen dergleichen Leute das eingebildete Amerika, wenn fie es hier im Often nicht finden, immer weiter hinaus in den Westen. Freilich kann dies nicht lange mehr getrieben werden, denn am Ende gerathen sie nach Kalifornien, welches gleichwohl der Vorstellung vom „Westen“ nicht entspricht und auch hier unter diesem Namen nicht begriffen wird. Die Corruption ist aber in den Vereinigten Staaten allenthalben dieselbe. So erinnere ich mich im im vorigen Jahre aus dem „gemüthlichen“ Milwaukie ganz klägliche Berichte über die dortige Stadtverwaltung gelesen zu haben, und will hier einige neuerdings über die Corruption in Wiskonsin veröffenlichte Thatfachen in der Kürze anführen. (Schluß folgt.)

Italien.

Die italiänische Armee in Rußland, 1812.

Eine Reclamation gegen Thiers.
(Schluß.)

Sie, mein Herr, haben kein Wort für dieses wichtige Ereigniß, das Ihnen vielleicht ganz unbekannt blieb; Sie beschränken sich auf die Bemerkung, daß jene 14,000 Reiter, nachdem sie das 8. kroatische Regiment vergebens umschwärmt, an einem Erfolge verzweifelnd, sich zurückzogen. (5. Bd., 4 Buch, 44.) Ohne Zweifel haben Sie bei Niederschreiben dieses Sahes selbst nicht an deffen Genauigkeit ge. glaubt, die Wahrheit aber nicht gewußt und so diese Lücke nicht vermeiden können. Die königl. Garde, welche jezt die Bestimmung er halten hatte, die linke Flanke und den Rücken der Armee zu decken, verließ diesen wichtigen Posten im weiteren Verlaufe der Schlacht nicht mehr: weshalb der Vicekönig die der viel genannten Redoute näher stehenden Regimenter 9, 17, 21 und 38 in Bewegung seßte, um jene anzugreifen. Sie nahmen die Redoute auch in der Weise, wie Sie es beschreiben. Sie vergaßen aber, beizufügen, daß das 9. und 35. Regiment, welche zuerst von der linken Flanke aus in das Werk eindrangen, hierbei unter dem Kommando des Majors Cosimo del Fante, eines Toscaners, standen; daß er es war, der den russischen General Lichatschev vor der Wuth der Soldaten schüßte und ihm den Degen abnahm, und daß der Prinz Eugen, der sofort gleichfalls in die Redoute eindrang, den del Fante auf der Stelle zum Grade eines Adjutant Kommandanten beförderte, was damals die Mitte zwischen Oberst und Brigade-General hielt.

Die überaus wenigen, obwohl tröstlichen Worte, welche Sie uns bei Beschreibung der Schlacht von Malojaroslawet widmen, zeugen von neuem davon, daß es Ihnen an offiziellen italiänischen Dokumenten gänzlich gefehlt hat. Aus demselben Grunde sprechen Sie auch bei Beschreibung der Schlacht von Wiäsma wenig oder gar nicht von den Italiänern. Und doch war das 4. Corps an jenem Tage 13,000 Mann stark, somit zahlreicher als die Davouft's und Ney's,

und die Italiäner waren es, welche, als Davouft von den Russen umringt war, wieder umkehrten und ihn los machten. Die Division Pino allein war es, welche die dichten Kolonnen Miloradowitsch's angriff und warf und sich beinahe dessen Haupt-Batterie bemächtigt hätte. Das 4. Corps hat hier die Initiative zum Siege gegeben, und ein für alle Mal sei es gesagt, daß die Regimenter diefes Corps zwar französische Cadres hatten und der Nummer nach zu der franzöfischen Armee gehörten, die Soldaten aber beinahe lauter Italiäner waren, indem die dem Kaiserreiche einverleibten italiänischen Departe ments seit einer Reihe von Jahren ihre jährlichen Kontingente zu diesen Regimentern stellten.

In Dorogobusch trennte sich das italiänische Heer von der großen Armee. Seine eben so wichtigen als schwierigen und gefährlichen Operationen, die Ordnung und Disziplin, die es bis Smolensk bewahrte, das heißt so lange es nicht zum zweiten Mal mit den Trümmern der großen Armee zusammentraf, hätten eine ausgiebigere Erwähnung verdient. Die unheilvolle Passage des Wop, jenes Vorspiel zum Trauerspiel der Beresina, wo der heroische General, obwohl verwundet, und mit ihm die ganze königl. Garde den Anderen mit hohem Beispiel voranleuchtete und sich bis an die Schulter in das Eiswaffer stürzte, es unter dem Feuer des Feindes passirte, diesen wüthend angriff und in die Flucht schlug, dies war ein Gegenstand, der wohl Ihres vollen Lobes würdig gewesen wäre.

-

Auch bei der Affaire am 16. November bei Krasnoi vergaßen Sie der königl. Garde, obgleich sie die Hauptrolle bei dieser Scene spielte. Nicht minder vergaßen Sie die aufopfernde Handlung der Division Pino. Lassen Sie mich dieser Dinge in Kürze Erwähnung thun.

Die königl. Garde, damals noch 25,000 Mann (?) stark, bildete das Centrum unserer Schlachtlinie; ihr gegenüber hatten sich die Russen unter Miloradowitsch im Walde und hinter den steilen Hängen von Sosmina à cheval der Hauptstraße festgesezt und versperrten uns den Weg. Wir standen ohne alle Deckung in ihrem Kanonenfeuer; die Division Pino hält hinter uns in Reserve. Als die Division Broussier, die zu unserer Linken stand, von der feindlichen Uebermacht geworfen wurde, ftürzten die Dragoner von Kargopol und von Moskau nebst dem Corps von Uwarov auf die königl, Garde, welche den stürmischen Anprall jedoch mit Gliederfeuer und gefälltem Bajonnet zurückwarf und den Feind dermaßen mißhandelte, daß er sich in Unordnung in den Wald zurückzog und nicht wieder auf dem Kampfplage erschien.

Als die Angriffe, welche die Mariniers und die Pontonniere der königl. Garde unter dem tapferen Guilleminot auf der Hauptstraße ausführten, fehlschlugen, als auch die Division Delzons' uns vergebens eine Gaffe zu machen versuchte, wollte der Vicekönig den Verfuch mit freiwilligen Offizieren und Soldaten aus jedem Regimente erneuern. Del Fante erhielt das Kommando über diese kombinirte Schaar, welche von 2 Geschüßen der Garde begleitet wurde. Diese Tapfern legten hierbei Proben von Heroismus ab, welche selbst von russischen Schriftstellern laut anerkannt wurden. Doch alle Opfer waren umsonst; wie hätte auch eine solche Handvoll Tapferer ein ganzes Heer zurückdrücken können! Del Fante erhielt zwei tödtliche Kugelwunden; der größte Theil seiner Begleiter ward getödtet oder verwundet, die Kanoniere der Garde auf ihren Geschüßen von de Reiterei zusammengehauen, und der blutende Ueberreft vermochte mit Mühe seine Regimenter wieder zu erreichen.

Der polnische Offizier, dessen Sie Erwähnung thun, ohne seineu Namen anzuführen, der bei dem klug angeordneten nächtlichen Rückzug des Vicekönigs über Krasnoi die russischen Posten, auf die er unterweges stieß, zu täuschen wußte, war der Oberst Klisky. Er ritt dem 4. Corps voran und wurde von mir mit einer Abtheilung leichter Reiterei eskortirt. Unmittelbar hinter uns kam der römische Sergeant Cortaldi mit allen Tambours der königl. Garde, welche die Tête der Kolonne bildeten. Die Instruction, welche mir der Prinz mündlich gab, lautete dahin: ich solle, wo ich einem ernsten Widerstande begegne, sogleich von allen Tambours Sturm schlagen lassen und mich blindlings auf den Feind werfen, worauf die ganze Armee zum Angriff nachrücken werde.

Da in Smolensk die aus den Spitälern entlassenen Mannschaften, viele Marodeurs und ein Bataillon des 3. leichten von Wilna kommenden Regiments, welches sich am 14ten auf dem Wege von Smolenst nach Krasnoi unter den Augen des Kaisers mit Ruhm bedeckt hatte, wieder zu dem 4. Corps stieß, so zählte es am 16. November über 6000 Mann. In Orsza aber waren es nur noch 4000.

Zur Entschuldigung Napoleon's und des Vicekönigs glaube ich noch nachstehende Anekdote erzählen zu sollen. Am 27. Rovember war es dem Vicekönig gegen 9 Uhr Abends nach unendlichen Anstrengungen gelungen, seine drei kleinen Divisionen über die BerefinaBrücke zu führen. Um den Lässigen und Saumfeligen mehr Muse zum Anschließen zu geben, mußten die Divisionen in Zwischenräumen von je einer halber Stunde aus dem Lager aufbrechen und einander

folgen. Nachdem der Prinz mit der königl. Garde die Brücke passirt hatte, wandte er sich mit den Worten an den General Teodoro Lecchi: ,,Lassen Sie den Adjutanten Major Laugier hier, er soll meinen anderen drei Divisionen den Weg nach dem niedergebrannten Hause zeigen, den wir jegt einschlagen, hier zur Linken den Fluß entlang und dann auf der ersten Straße zur Rechten weiter". Ueber eine Stunde blieb ich allein auf der verlassenen Brücke stehen, die viel leicht bis Tagesanbruch in diesem Zustande blieb, so daß ein ganzes Heer Zeit genug gehabt hätte, fie gemächlich zu pafsiren, wofern alle die zahlreichen Marodeurs jene Tapfern nachgeahmt hätten, die in Mitten namenloser Drangsale ihrer Fahne und Pflicht stets getreu blieben und sich niemals von ihren Regimentern getrennt hatten.

Welcher Unglückliche aber wagte es, Ihnen die lügenhafte Dar. stellung (Bd. 4.) der Ereignisse zu Pleszenice am Morgen des 29. November aufzubinden? An ihr ist lediglich Alles unrichtig, Held, übrige Schauspieler, Drama. Ich lasse hier die wahrheitsgetreue Dar ftellung mit den eigenen Worten des Generals Pino folgen, wie fie von mehreren ausgezeichneten Offizieren als Augenzeugen beftätigt wurde.

,,Seit dem 28. November hatte der Admiral Tschitschagov einen Theil seiner zahlreichen Kavallerie zu einer besonderen Verwendung bestimmt und zu dem Ende den. General Lanskoi mit 20 Schwadronen und einem Kosakenregiment entsendet, um unserer unglücklichen Armee vorauszueilen und ihr alle Mittel und Wege zum Entrinnen zu versperren. Am 29. gegen Mittag, und lange vor Ankunft der Reste des italiänischen Herres zu Pleszenice, war plößlich Lanskoi dort erschienen. Nachdem er Alles in dem Orte unter einander gebracht, die unglücklichen Marodeurs niedergefäbelt und den polnischen General Kaminski nebst einigen Fourieren, welche hierher vorausgeeilt waren, um Quartiere für den Generalstab des Prinzen Eugen zu machen, zu Gefangenen gemacht hatte, marschirte er an der Spiße seiner Kavallerie vor dem Hause eines Hebräers auf. Ein eisernes Gitter versperrte den Weg zu demselben und war von einer Doppelschildwache, zwei Caras biniers vom 3. leichten italiänischen Regimente, bewacht. Wenige Augenblicke vorher war nämlich General Pino mit den Generalen D'Anthouard, Fontana und anderen verwundeten Generalen und Offizieren, worunter Oberst Varese, die Capitain-Adjutanten Fontana, Migliorini ze. hier eingetroffen und hatten sich in jenes Haus einquartirt. Zehn Karabiniers vom 3. leichten italiänischen Regimente bildeten unter dem Kommando des Lieutenants Catilinich seit Malojaroslaweh die Bewachung und das Geleite der in jener Schlacht verwundeten Generale. Sobald die beiden Schildwachen am Gitterthor die russischen Schwadronen erblickten, riefen sie zu den Waffen, gaben Feuer, tödteten einen feindlichen Reiter und verwundeten mehrere. Die übrigen Carabiniers eilten nun gleichfalls herbei und stellten sich entschlossen hinter das Gitter. Lanskoi glaubte anfangs, es mit einer zahlreichen Truppenabtheilung zu thun zu haben und zog sich daher einen Augenblick zurück. Der Marschall Oudinot, welcher, von einer frischen Bruftwunde gequält, sich mit seinen Adjutanten in einem nicht sehr fernen Hause befand, suchte nun in der Wohnung der Italiäner Schuß, wohin auch mehrere Marodeurs von jeder Waffe und Nation, die sich eben im Orte befanden, flüchteten. Da sich Lanskoi inzwischen überzeugt hatte, daß er nur eine ganz kleine Abtheilung vor sich habe, die einen franzöfifchen Marschall und mehrere Generale beschüßte, so kehrte er wieder um und stellte sich von neuem vor Pino's Quartier auf, den er auffordete, sich zu ergeben, widrigenfalls er Alles über die Klinge springen lassen werde.

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Dieser ließ den Marschall Oudinot auf ein gutes Strohlager legen und versicherte ihn, daß er mit seiner Handvoll Italiäner eher fterben, als ihn in die Hand des Feindes fallen lassen werde. Dann begab er sich zu seinen 10 Carabiniers und verbot ihnen, ohne seinen ausdrücklichen Befehl Feuer zu geben. Allen Anderen aber gebot er das strengste Stillschweigen. Lanskoi fuhr unterdessen fort, mit Lod und Verderbniß zu drohen.. Da er aber durch das Gitter den zahl reichen Haufen der im Hofe versammelten Marodeurs erblickte, und das tiefe Schweigen im Innern des Hauses wahrnahm, ward er schwankend. Endlich befahl er, das Gitter umzureißen. Allein so oft sich ein Mann zu diesem Zwecke näherte, empfing er von den schweigenden unerschütterlichen Carabiniers den Tod.

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Jest zog sich Lanskoi wüthend auf die Anhöhe zurück, welche, den Ort dominirte, und beschoß von dorther mit seinen kleinen Ka nonen jenes hölzerne Haus, das für ihn eine unbezwingliche Feste geworden war. Verschiedene Späne, welche die Kugeln von dem Ge bälte abriffen, verwundeten den Marschall Oudinot, den Genaral Pino und Andere. Lanstoy hatte 10 Todte und 20 Verwundete sowie einen Gefangenen, der dem Vicekönig später durch den Capitain, Aide-de-Camp Migliorini, vorgestellt wurde. Als gegen Abend. die königl. italiänische Garde und die geringen Ueberreste des italiänischen Heeres mit dem Bicekönig erschienen, verschwand Lanskoi. Marschall Dudinot aber überhäufte den General Pino und seine 10 Carabiniers:

mit Lobsprüchen und Danksbezeigungen und trat hierauf seine Weiterreise gegen den Niemen an“.

Sie sehen, geehrter Herr Thiers, wie sehr diese Schilderung von Ihrer flüchtigen Erzählung abweicht. So könnte ich auch noch andere Stellen (denn ab uno disce omnes) durch unzweifelhafte Dokumente berichtigen. Ich wage mir zu schmeicheln, daß Sie mir meine Kühnheit in Anbetracht der Gerechtigkeit und der Heiligkeit des Zweckes großmüthig verzeihen werden. Der Gelegenheiten gab es leider wenige, wo die Italiäner militärischen Ruhm erwerben konnten. Kamen sie aber, so haben wir sie gierig ergriffen, um zu beweisen, daß die antike Tapferkeit im Herzen der Italiäner noch nicht erlofchen sei. Zum Ruhm unseres Vaterlandes haben wir Blut und Schweiß reichlich vergoffsen. Ist es deßhalb billig, daß die Geschichte davon schweigt, ja, nicht nur schweigt, sondern in Folge eines unabsichtlichen Irrthums eines renommirten Schriftstellers, das Verdienst derselben Anderen zufchreibt? Unicuique suum!

Haben Sie die Gewogenheit, hochgeschäßter Herr, mich mit Ihrer Nachsicht zu beehren, unseren Reclamationen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und gestatten Sie mir, mich zu zeichnen

Ihren gehorsamen Diener und Bewunderer
Graf Cefare Laugier de Bellecour,
General - Lieutenant a. D.“

Florenz, 5. Oft. 1857.

Finnland.

Finnische Volkspoesie.

Nach Dr. Julius Altmann.

Die Finnen haben nach ihrer ganzen Organisation natürliche Anlagen für die Poesie, und die reichen pittoresken Schönheiten ihres Landes haben diesen Anlagen schon frühzeitig die mannigfaltigste Entwickelung dargeboten. Der deutsche Literator Morhof gab 1682 die erste Probe finnischer Volkspoesie in der deutschen Ueberseßung eines Bärenliedes, Herder theilte in seinen „Stimmen der Völker“ einige esthnische und livische Volkslieder (die Efthen und Liven gehören zumfinnischen Volksstamme) und Goethe in seinen lyrischen Gedichten ein höchst charaktervolles finnisches Liebeslied mit; v. Schröter war jedoch der Erste, welcher 1819 eine eigene Sammlung finnischer Runen (Rune ist bei den Finnen: Gedicht) im Originale und in deutscher Uebersehung herausgab. Dr. Lönnrot ward für Finnland ein zweiter Macpherson, nachdem bereits Dr. Zopelius mit der ersten größeren Sammlung finnischer Volkslieder (1822-1826) hervorgetreten war und namentlich brachte Ersterer, indem er Finnland und die von Finnen bewohnten Strecken des Archangelschen Gouvernements durchwanderte, ein National-Epos von dem Umfange des Offian zu Stande. Dieses National-Epos, jedenfalls aus alter heidnischer Zeit, ist die (im,,Magazin" bereits vielfach erwähnte),,Kalewala", und der Gegenstand desselben ist Finnland selbst (Kalewala ise der alte Name für Finnland von dem Stammvater der Finnen, Kalewa, also genannt), und es feiert auf dem Boden alter Sagengeschichte des Landes, die es darlegt, die Poesie und den Gesang. Auf den hohen Werth dieser Dichtung machte besonders Jakob Grimm die Deutschen aufmerksam. Die erste Ausgabe des Dr. Lönnrot erschien 1832, und in derselben hatte das Epos 32 Gesänge und über 12,000 Verse; dagegen war leßteres in der zweiten Ausgabe vom Jahre 1849 so sehr an Umfang gewachsen, daß es daselbst in 50 Gesängen über 22,000 Verse enthält. Anton Schiefner überseßte die Kalewala (Helsingfors 1852), und fie verdient in dieser gelungenen Verdeutschung das nämliche Intereffe, welches Gudrun, Parzival und das Nibelungenlied bei den Deutschen gefunden haben, namentlich um der Einfachheit, Gemüthlichkeit und Natürlichkeit willen, die sich darin in den lieblichsten Bildern, neben den ausschweifendsten, ins Ungeheuerliche gehenden Phantasieen, kund giebt und die alle Schilderungen der einzelnen Lebensverhältnisse des einfachen Naturvolks in anmuthiger Weise durchdringt.")

In anderer Weise sind die,,Runen finnischer Volkspoesie", nämlich Sinnsprüche und Gnomen voll tiefer Weisheit, die eine ewige Geltung haben und nur selten eine lokale Färbung an sich tragen, in hohem Grade anziehend und von befonderem Reiz. Dr. Julius Altmann hat 721 solcher Sinnsprüche in seiner Sammlung mitgetheilt, die theils der epischen Gattung angehören und auf die finnische Götter- und Heldengeschichte sich beziehen, theils lyrische Sentenzen über Liebe, Ehe, häusliches Leben, Jugend und Alter u. dergl., theils in didaktischer Weise allgemeine Wahrheiten, Lebenserfahrungen, moralische Aussprüche und sprüchwörtliche Redensarten enthalten. Diese leßteren beiden Gattungen von Sinnsprüchen und Gnomen gewähren im Allgemeinen tiefe Blicke in die Anschauungsweise und in das Gefühlsleben des finnischen Volkes, wie jene und dieses noch gegenwärtig sich äußert und kund giebt. Wir theilen einige dieser

*) Ueber die Schiefnersche Version des Kalewala vergleiche man die kritie fchen Bemerkungen Ahlqvist's in Erman's,, Archiv“, Bd. XVI, ff.

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D. R.

Runen von allgemeinem Inhalte, deren Sinn und Bedeutung keiner weiteren Erklärung bedarf, mit:

Angeritten kommt die Krankheit

Aber fort geht sie zu Fuße.

Jahre sind die Todtengräber

Unsrer Freuden, unsres Jammers.

Leichter ist das Haus der Freundschaft Abgebrochen, als gezimmert.

Feige rühmen ihre Manneskraft,
Männer find's, die sie bewähren.

Freude naht wie eine Schwalbe,
Wie ein Habicht kommt das Unglück.
Munterer Beginn des Werkes
Ift des Werks vollbrachte Hälfte.
Nicht das Amt ist's, welches ehret,
Ehre bringt des Anits Verwaltung.
Ruhm ererbst du nicht vom Vater,
Ruhm erwirbst du nur durch Thaten.
Baue nicht den Grund mit Marmor,
Fehlt zum Dache dir der Ziegel.

Leicht ins Auge kommt die Reue,
Schwer die Beß'rung in die Seele.

Gott giebt Acker, giebt nicht Pflüge,
Gott giebt Quellen, giebt nicht Becher,
-Gott giebt Kühe, giebt nicht Gelten,

Gott giebt Flachs, giebt nicht das Linnen;
Gott giebt Gin'ges, giebt nicht Alles.
Selbst mit eigner Kraft muß schaffen,
Selbst mit eignem Sinn muß walten,
Selbst mit eignem Geist muß wirken,
Selbst mit eignem Kopf muß denkeu
Jeglicher auf dieser Erde.

Schön ist's, bei dem Klang der Schwerter
In den vordern Reih'n zu kämpfen,
Sei's, die Brust, durchbohrt, zu fallen,
Sei's, als Sieger heimzukehren,
Hold begrüßt von Weib und Kindern,
Und bekränzt von werthen Freunden!
Was ist Leben dem Besiegten?
Was das Dasein ohne Ghre?
Leben giebt allein die Freiheit,
Nur der Ruhm verleiht dir Freude!
Sorgen mußt du für die Schneeschuh,
Gh' der Winterschnee gefallen.
In dem Bienenkorb des Glückes
Wird gar bald der Honig sauer.
Armuth, nur aus deiner Brüst wird
Der Gesundheit Milch gesegen.

Ohne Süßigkeit ist Honig
Jedem, der ihn ißt mit Thränen.

Nicht aus jedem Mehl gebacken
Wird ein süßer Hochzeitskuchen.
Aus dem Bienensteck des Fleißes
Bricht man leicht des Reichthums Honig.

An des Glückes grüner Eiche
Wächst des Stolzes graue Flechte;
Aus des Reichthums tiefem Sumpfe
Schwingt der plumpe Frosch des Hochmuths.

Honig ist der Bienen Ehre,
Liebe ziert die Menschenseele.
Wenn der Bräutigam im Kahne
Ueber'n See am stillen Abend
Rudert: selbst am stillen Abend
Ist er einsam nicht: sein Mädchen
3ft mit ihm, fei's in dem Kahne,
Oder sei es in dem Herzen.

Werther ist die sanfte Dirne
In dem schlichten Linnenhemde,
Als das eigensinn'ge Fräulein
In dem schmucken seid'nen Rocke.

L

Wer die Wahl hat, freie Jene, Freie Jene, meide Diese.

Ehre stets, o Mann, die Gattin, Wie du sie als Braut geehrt hat.

Giebst du Liebe deiner Gattin, Wird sie Treue dir gewähren.

Bräute lispeln, Weiber kreischen,

Wie verändert ist die Stimme!

Bräut'gam streichelt, Ch'mann geißelt,

Wie verwandelt sind die Hände!

Mannigfaltiges.

Historische Kuriositäten. In der Hofbuchdruckerei zu Altenburg ist soeben ein Werk des Staatsministers Edler von Braun erschienen, das eine reiche Auswahl historischer Merkwürdigkeiten aus den diplomatischen Verhandlungen des westfälischen Friedens-Kongresses darbietet. Der gelehrte Verfasser hat es sich zur Aufgabe gestellt, die Wirksamkeit des Altenburgischen Gesandten, Herrn Conrad's v. Thumshirn, ans Licht zu ziehen, und sind ihm zu diesem Zwecke die LandesArchive geöffnet worden. Seine Hauptquelle waren wohl die sechs Foliobände der Acta pacis Westphalicae publica.

Das Ergebniß seiner Studien wird jeden Geschichtsfreund intereffiren, weil sich darin ein besonderer Scharfblick für das Charakteristische der Zeit bekundet. Die Ceremonial- Zweifel und Rangstreitig keiten waren ein Hauptmerkmal des westfälischen Friedens-Kongresses. Herr von Braun erzählt mit vielem Humor die weitläufigen Verhandlungen über den Ercellenzstreit, der uns jest, wo fast jeder General oder höhere Beamte Ercellenz betitelt ist, sehr komisch vorkommen muß. Aber im siebzehnten Jahrhundert hatte man noch keine Ahnung von der Steigerung der Ehren-Prädikate, wie sie im neunzehnten gebräuchlich geworden. Damals wurde sogar eine unvermählte Erzherzogin in den gesandtschaftlichen Verhandlungen nur,,kaiserliches Fräulein" betitelt und einen Herzog von Sachsen nannten seine eigenen Diener nur Eure fürstlichen Gnaden. Ja sogar dem Herrscher des mächtigen Frankreichs wurde das Ehrenprädikat Majestas vom kaiserlichen Hofstil nicht ohne Bedenken beigelegt. So hatte denn auch die Anrede Excellenz bis dahin nur den kaiserlichen und königlichen Bevollmächtigten gebührt; auf dem westfälischen Friedens-Kongreß verlangten aber zuerst die Gesandten der Republik Venedig diesen Titel und dann auch die der Kurfürsten, worüber die heftigsten Debatten entstanden. In Münster haderten die Franzosen mit den Kur-Brandenburgischen Gesandten, weil ihrem Könige ebenfalls vom Kurfürsten der Titek Majesté nicht beigelegt worden war. Der Kurfürst verstand sich endlich dazu, jedoch unter der Bedingung, daß die Franzosen ihn fortan Altesse Sérénissime nennen sollten.

Ein Bericht des französischen Gesandten beklagt sich über die deutsche Bevölkerung mit folgenden überhebenden Worten: ;, ils sont rudes en ce pays, fort mal affectionnés envers la France; c'est pourquoi il a été besoin de les civiliser et instruire, pour les obliger du moins au respect, si on ne peut avoir leur amitié". Der Aufenthalt der Franzosen in Münster und Osnabrück gehört überhaupt zu den historischen Kuriositäten, und es wäre besonders intereffant, wenn die geistvolle und humoristische Feder des Herrn von Braun diefelben zur Darstellung brächte. F. v. H.

- Lewes Goethe in englischer Sprache. Der erste Band der in Deutschland gedruckten, zweiten rechtmäßigen Ausgabe von Lewes Werk über Goethe's Leben und Schriften ist kürzlich bet F. A. Brockhaus in Leipzig erschienen.") Wir hatten erwartet, der Verfasser werde diese, von ihm durchgesehene zweite Ausgabe mit einem Vorworte versehen, worin er fich namentlich über die Aufnahme seines Buches in Deutschland äußern würde, doch ist dies nicht ge= schehen. Gewiß wird den des Englischen kundigen Lefern dieser Abdruck sehr willkommen sein, der allerdings nicht so vornehm ausgestattet ist, wie die bei D. Nutt in London erschienene Original-Ausgabe, welcher unter Anderem zwei Bildnisse Goethe's in seiner Jugend und seinem Alter beigegeben sind. Dafür kostet aber auch der deutsche Abdruck nur ungefähr die Hälfte des englischen. Um das Buch was es leicht hätte werden können indeffen auch zu einem Lesebuch, für Englischlernende in Deutschland zu machen, müßte der Band nicht zwei, sondern nur Einen Thaler hier kosten.

**) The Life and Works of Goethe, with Sketches of his Age and Contemporanies from published and unpublished sources. By G. H. Lewes. Second edition, revised by the Author. Vol. I. Leipzig, Brockhaus, 1858.

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 gr., wofür das Blatt im Inlande portefrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 81.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlyng ́(in Berlin bef Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Reumann, Niederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Uemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

England.

Zur Geschichte der Botanik.

Robert Brown.")

Berlin, Donnerstag den 8. Juli.

Robert Brown, der ausgezeichnete Botaniker, ist im fünfundachtzigsten Jahre seines Lebens gestorben. Obwohl als Mann der Wissenschaft dem Publikum weniger bekannt, als viele seiner Zeitgenoffen, wird Brown von denjenigen, deren Studien sie in den Stand gesezt haben, seine Arbeiten zu würdigen, im Ganzen genommen für den ersten Naturforscher unseres Jahrhunderts erklärt. Dieser Ehrenplaß gebührt ihm nicht so sehr in Folge feiner umfassenden Untersuchungen über den Bau und die Eigenschaften der Pflanzen, als wegen der philosophischen Einsicht, die er besaß, und der Fähigkeit, die er entwickelte, die beglaubigten Thatsachen eines einzigeu Falles zur Beleuchtung zweifelhafter Erscheinungen einer gänzen Reihefolge anzuwenden. Bis zu seiner Zeit kann man kaum sagen, daß die Botanik eine wissenschaftliche Grundlage hatte. Sie bestand aus einer großen Anzahl mangelhaft` beobachteter und schlecht geordneter Thatsachen. Durch den Gebrauch des Mikroskops und das Hinweisen auf die Nothwendigkeit, die Entwickelung der Pflanze zu studiren, um ihre wahre Struktur und Verhältnisse zu erkennen, bewirkte Brown eine vollständige Revolution in der Botanik. Er fand Leben und Bedeutung, wo man bisher nur Erstarrung und Zwecklosigkeit gesehen hatte. Sein Einfluß machte sich in jeder Richtung fühlbar; das Mikroskop wurde ein unentbehrliches Instrument in den Händen des philosophischen Botanikers und die Geschichte der Entwickelung war die Grundlage, auf welcher man das Classifications-System der Pflanzen fort baute. Von der vegetabilischen Welt ausgehend, erstreckte sich dieser Einfluß auch auf das Thierreich. Die durch Brown's Untersuchungen angeregten Beobachtungen Schleiden's über die Pflanzenzellen gaben Veranlassung zu den ähnlichen Forschungen Schwan's über die animalischen Zellengewebe, und wir können den gegenwärtigen Stand der thierischen Physiologie unmittelbar auf den wunderbaren Einfluß zurückführen, den die Entdeckungen Brown's auf die Erkennung der Gefeße des Organismus ausübten. Sogar in der Zoologie läßt sich die Einwirkung Brown's in dem Interesse nachweisen, das sich in allen ihren neueren Classifications-Systemen für die EntwickelungsGeschichte bemerkbar macht. Brown hatte in der That zu Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts die großen Ideen des Wachsthums und der Entwickelung erfaßt, welche jezt als die Wahrzeichen aller Forschungen der biologischen Wissenschaft in dem Pflanzen- wie in dem Thierreich erscheinen.

Während aber sein Einfluß so mächtig war, hatten seine Werke nichts an sich, was ihnen allgemeine Popularität erwerben konnte. Sie sind in den Verhandlungen der gelehrten Vereine Englands, in den wissenschaftlichen Appendices zu Entdeckungsfahrten und ReiseBeschreibungen und in lateinischen Monographieen über die Klassen, Gattungen und Arten von Pflanzen enthalten. Die Theilnahme sei ner Landsleute für diese Arbeiten hat nie dazu genügt, eine Wieder Auflage derselben zu ermöglichen, obgleich man in Deutschland eine gesammelte Ausgabe seiner Schriften in fünf Bänden veranstaltet hat.") Brown war von einem bescheidenen, zurückhaltenden Charakter, vermied Alles, was einer Schaustellung ähnlich schien, und suchte der öffentlichen Aufmerksamkeit möglichst auszuweichen. So kam es, daß einer unserer größten Naturforscher unbemerkt dahinschied und daß Viele seinen Namen zum erstenmale mit der Anzeige seines Todes gehört haben werden. Sein Ruf aber wird unsterblich sein und sich in dem Maße vermehren, als man die große Wissenschaft des organi schen Lebens näher studiren und erkennen lernen wird.

Robert Brown war der Sohn eines Geistlichen der schottischen Episkopalkirche und wurde zu Montrose am 21. Dezember 1773 ge

Nach dem Athenaeum.

Uebersezt von Nees v. Esenbed. Nürnberg, 1827-1834.

.

1858.

boren. Seine erste Bildung empfing er im Marischal College auf der Universität Aberdeen und studirte nachher die Medizin in Edinburg, wo er im Jahre 1793 seinen Kursus vollendete. In demselben Jahre erhielt er die Anstellung als Wundarzt-Gehülfe und SubalternOffizier in einem schottischen Miliz-Regiment, welches er nach Island begleitete, wo er sich bis Ende 1800 aufhielt. Durch seine Vorliebe für die Botanik hatte er die Bekanntschaft Sir Joseph Banks' gemacht, auf deffen Empfehlung er zum Naturforscher bei der Entdeckungs-Expedition des Capitain Flinders nach Neu- Holland ernannt wurde. Auf dieser Reise umsegelte man das ganze Festland von Australien und besuchte mehrere Theile der Küfte, bis das Schiff, das die Reisenden trug, im Jahre 1803 als unseetüchtig in Port Jackson kondemnirt wurde. Brown verweilte noch eine Zeitlang in NeuHolland, machte Ausflüge 'nach verschiedenen Punkten der Kolonie Neu-Südwales und nach Van Diemens-Land und kehrte endlich 1805 nach England zurück. Auftralien war damals eine unerforschte Fundgrube botanischer Schäße, und Brown brachte gegen 4000 PflanzénSpezies mit nachhause. Er wurde bald darauf zum Bibliothekar der Linnean Society ernannt. Hier untersuchte er ruhig seine Pflanzen und arbeitete mit philosophischer Vorsicht und Geduld jene Aufstellungen aus, welche bestimmt waren, einen so tiefen und nachhaltigen Eindruck auf die naturwissenschaftlichen Studien hervorzubringen. Eine seiner frühesten Abhandlungen wurde in den „,Transactions" der Wernerian Society in Edinburg veröffentlicht und beschäftigte sich mit der Pflanzenfamilie, die er Asclepiadae nannte. Bereits in dieser Denkschrift ist die Geistesrichtung des Verfassers sichtbar. Er hatte das Mikroskop gebraucht, den Entwickelungsprozeß beobachtet, eine neue Reihe für die Geseße der Reproduction wichtiger Thatsachen entdeckt und eine neue Pflanzen-Ordnung hergestellt. Von dieser Art waren die meisten feiner ferneren Mittheilungen an die Linnean und Royal Society. Dies war auch der Charakter seines großen Werkes über die Pflanzen Neu-Hollands, welches er im Jahre 1810 unter dem Titel: „Prodromus Florae Novae Hollandiae et Insulae Van Diemen", herausgab. Dieses Werk enthielt nicht allein eine Beschreibung der von ihm selbst in Australien gesammelten Pflanzen, sondern auch der von Sir Joseph Banks auf der ersten Reise Cook's gemachten Collectionen. Das Buch stroßte von neuen Resultaten und neuen Pflanzenfamilien; ein zweiter Band, den der Verfasser folgen lassen wollte, ist jedoch leider nicht erschienen. 3u jener Zeit waren die englischen Botaniker noch gewöhnt, die Pflanzen nach der künftlichen Methode Linne's zu ordnen, und Brown's,,Prodromus" war das erste englische Werk, das eine wissenschaftliche und rationelle Claffification der Pflanzen darbot. Obgleich das Linnésche Claffifications-System die Veröffentlichung dieses Werkes eine Zeitlang überlebte, verschwand es endlich vor jenen Eintheilungs-Prinzipien, die von Brown in so meisterhafter Weise durchgeführt wurden und deren Bedeutsamkeit schon John Ray, Adanson und sogar Linné felbft geahnt hatten.

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Im Jahre 1814 gab Flinders die Beschreibung seiner Reise heraus, welche Brown mit einem Anhange unter dem Titel: „Allgemeine geographische und systematische Bemerkungen über die Botanik des Austral-Landes", bereicherte. In den folgenden Jahren erschienen mehrere wichtige Abhandlungen in den Transactions of the Linnean Society", z. B.,,über die natürliche Ordnung der Pflanzen, genannt Proteacae",,,Bemerkungen über die natürliche PflanzenFamilie, genannt Compositae" und ,,Bericht über ein neues Pflanzengeschlecht, genannt Rafflesia". Im Jahre 1828 veröffentlichte er in einem besonderen Abdruck: Mikroskopische Beobachtungen über die in den Pollen der Pflanzen enthaltenen Atome und über das Vorhandensein thätiger Moleculen in organischen und anorganischen Körpern". Er war der Erfte, der auf diese Bewegungen hinwies, deren volle Bedeutung bis jezt noch nicht erkannt ist und denen man auf dein Kontinent den Namen die,,Brunonischen" gegeben hat. Er ist auch Verfaffer der botanischen Anhänge zu den Berichten über die Reisen von Roß und Parry nach den Nordpol-Ländern, von Tuckey's

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Expedition nach dem Congo und von Oudney's, Denham's und Clapperton's Explorationen in Central-Afrika. Im Verein mit Bennett hat er ferner die seltenen Pflanzen beschrieben, die von Dr. Hors field während seines Aufenthaltes in Java gesammelt wurden.

Nach dem Tode Dryander's, im Jahre 1810, erhielt Brown die Aufsicht über die Bibliothek und die Sammlungen des Sir Joseph Banks, der sie ihm auf Lebenszeit vermachte. Mit seiner Bewilligung wurden fie im Jahre 1827 dem British Museum einverleibt, an welchem Institut er zum Kustos der botanischen Abtheilung ernannt wurde. Die Royal Society nahm ihn 1811 unter ihre Mitglieder auf, die Universität Orford verlieh ihm 1832 den Grad eines Doktors der Rechte, und die franzöfifche Akademie der Wissenschaften erwählte ihn 1833 zu einem ihrer acht auswärtigen Genossen. Im Jahre 1839 erkannte ihm die Royal Society die Copley-Medaille zu, als Lohn seiner Entdeckungen in Bezug auf die Pflanzen-Befruchtung. Während der Verwaltung Sir Robert Peel's wurde ihm in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Verdienste eine Pension von 200 Pfund Sterling ausgefeßt. Endlich empfing er die Decoration des höchsten preußischen Civil-Ordens, Pour le mérite, dessen Kanzler sein Freund Alexander von Humboldt ist, der ihn im Alter von neunundachtzig Jahren überlebt. Humboldt nannte ihn schon längst ,,Botanicorum facile princeps", ein Ehrennamè, den ihm alle wissenschaftlich, gebildeten Botaniker gern zugestehen.

Er starb, umgeben von seinen Sammlungen, in dem Zimmer, das einft als Bibliothek Sir Joseph Banks' gedient hatte. In seinen Privat-Beziehungen wurde Brown von einem weiten Kreise aufrichtig ergebener Freunde wegen der seltenen Gründlichkeit seines Urtheils, der Einfachheit seiner Sitten und der Güte seines Herzens allgemein bewundert. Seine irdische Hülle ist am 15. Juni, unter Begleitung eines zahlreichen Gefolges von Fachgenossen und persönlichen Freunden, im Friedhof von Kensal-Green beigefeßt worden.

Nord-Amerika.

Betrug und Unordnungen in der öffentlichen Verwaltung der Vereinigten Staaten.

(Schluß.)

Im Jahre 1856 bewilligte der Kongreß dem Staate Wisconsin 2,150,000 Acres Land zur Förderung des Baues von Eisenbahnen. Die Staats- Gesetzgebung von Wisconsin hatte im vorigen Jahre diese Schenkung unter die verschiedenen Eisenbahn-Gesellschaften zu vertheilen, welche alle Mittel der Bestechung anwendeten, um einander den Rang abzulaufen. Die Milwaukee - Lacrosse-Eisenbahn trug den Sieg davon. Sie stellte Schuldscheine auf sich aus, die jezt aller dings nur einen Cours von 15 haben, aber in Masse vertheilt wurden. Jest soll sich nun ergeben haben, daß mit Ausnahme von vier Abgeordneten alle Mitglieder der Staats-Gefeßgebung, sowie die Behörden und Richter, welche jener Eisenbahn die Schenkung vers schafften, bestochen waren. Es sollen zu diesem Zwecke erhalten haben: der Gouverneur. .

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50,000 Doll. 10,000. 10,000 5,000 10,000

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zusammen

255,000

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G. R. Sharpstein, von den Milwaukee News.
Rufus King, von dem Blatte Sentinel.,

die Beamten der Gesellschaft, Mäkler und Agenten, 1 zusammen

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236,000 Summa 872,000 Doll.; Unter den bestochenen Abgeordneten werden vier Deutsche, Berger, Greulich, Vogniß und Wagner, genannt. Die Bestochenen sind im Allgemeinen Mitglieder aller Parteien, so daß bei dieser Gelegenheit keine Partei der anderen etwas vorzuwerfen hat, während sonst die Republikaner die Demokraten und die Demokraten die Republikaner der Corruption beschuldigen. Europäische Blätter, welche amerikanie sche Parteiblätter benugen, mögen sich daher hüten, in dieser Hinsicht auf die Vorwürfe der einen oder der anderen Partei einzugehen. Es ift in allen Parteien daffelbe. Käuflichkeit und Bestechung scheint der republikanische Geist in den Vereinigten Staaten zu sein, während man denselben sonst in einer starken fittlichen Kraft zu suchen pflegt.

Ebenso scheint die Freiheit, Verbrechen möglichst ungestraft zu begehen, ein hauptsächlicher Bestandtheil der amerikanischen Freiheit überhaupt zu sein. Eine Republik, die so hohe Ansprüche auf eine Stellung unter den civilifirten Staaten macht, kann nicht einmal die Sicherheit des Lebens und des Eigenthums, welche zu den ersten Grundlagen aller Civilisation gehört, insoweit herstellen, um in diesem Punkte über dem Niveau von Staaten zu stehen, die man als barbarische bezeichnet; ja, man kann annehmen, daß in manchen dergleichen barbarischen Staaten Leben und Eigenthum sicherer sind, als in der Republik der Anglo-Amerikaner.

Die oben angeführten Fälle des Betruges und der Corruption bleiben aber selbst für die neueste Zeit nicht isolirt, und ich müßte die Geduld der Leser auf eine starke Probe stellen, wollte ich z. B. nur den Betrug beim Verkauf der Ländereien von Fort Snelling (wobei der Kriegsfecretair stark verdächtigt ward) oder die Astounding Disclosures (fchrecklichen Enthüllungen) in ihren Hauptpunkten anführen, welche in ellenlangen Spalten Blätter vom 28. Mai aus dem Bericht eines Untersuchungs-Comité's brachten, das vom Repräsentantenhause in Washington ernannt war, behufs der Untersuchung der von der Firma Lawrence Stone & Comp. in Boston zu dem Zwecke gemachten Verausgabung von 87,000 Dollars, um die Passirung des Tarifs von 1857 in Washington zu bewirken, oder die Rede, welche kürzlich Herr Sharman von Ohio über die Finanzen und das Steigen der Abgaben in Washington hielt. Damit aber alle Klaffen der Beamten ihr Theil haben, so ist neulich auch der Thürhüter des ReprässentantenHauses in Washington der Unredlichkeit angeklagt worden. Wollte ich aber diese und ähnliche Gegenstände nur einigermaßen ausführlich behandeln, so müßte ich die Spalten dieser Blätter auf Wochen hin in Anspruch nehmen.

Solchen Thatsachen gegenüber bilden die Schilderungen, wie sie früher, und noch vor wenigen Jahren, über den öffentlichen Geist in den Vereinigten Staaten, nach Deutschland gelangten, einen grellen Kontrast, z. B. folgende Stelle in Dr. Morih Wagner's und Dr. Karl Scherzer's Reisebeschreibung:') „Das volle Recht, das die StaatsGeseze in Amerika jeder Gemeinde zugestehen, sich zu konstituiren und zu regieren und ganz nach eigener Einsicht und Bedürfniß ihre Angelegenheiten zu ordnen, erzeugt jene bürgerlichen Tugenden, über deren Mangel man in Deutschland soviel klagen hört, den Sinn und das Intereffe für das öffentliche Wohl, die Opferfähigkeit für das Allgemeine, die wahrhafte Vaterlandsliebe". Liest man so etwas in Amerika, so ist man versucht, es für Ironie zu halten, ersähe man nicht aus dem Zusammenhange, daß es ungesalzener Ernst sein soll. Diese Stelle aber ist aber keinesweges eine vereinzelte, sondern das Buch enthält eine Menge ähnliche und ist reich an Unwahrheiten und Verschrobenheiten, wie z. B. die Phrasen über die äußere Macht der Vereinigten Staaten, S. 29, 30 und 31 a. a. D., °) oder die Phantafieen über die Größe und das politische Uebergewicht des künftigen

*) „Reisen in Nord-Amerika in den Jahren 1852 und 1853“, ven Dr. Mos ris Wagner und Dr. Karl Scherzer. Leipzig, Arnoldische Buchhandlung, 1854. Erster Band, S. 18.

**) Dieselben sind für diese Art von Schilderung charakteristisch und mögen hier Plas finden:,,Auf starkem Granitgestell, zwischen zwei Weltmeeren, freht der Koloß fertig und fest, dehnt gewaltig seine hundert Riesenarme aus und scheint im vollsten Bewußtsein seiner Kraft, Zweifler, Neider und Gegner sehen mit Gefühlen, in welchen das Erstaunen sich mit dem Schrecken paart, wie der Koloß wächst und immer dräuender sich geberdet. Man fürchtet nicht nur, daß er den Dreizack wider den Gegner schwingen und den Blig in dessen brennbares Wohnhaus schleudern, sondern am Ende gar noch auf seinen Granitbeinen sich bewegen und über den Ocean schwimmen könne. Es ist eine so riesige, so fatale Erscheinung! Man kann ihren Anblick nirgends mehr los werden, mag man sich drehen und wenden, wohin man will, und die Schlafmüße noch so tief über die Augen ziehen. Die Erscheinung spukt über das Erdrund hinüber und macht selbst die Chinesen wanderlustig. Leider kann man auch die Massen nicht hindern, sie zu sehen. Weder durch Sonnenfinsterniß, noch durch Dunstwolken, noch durch Gaukelspiele können ihre Augen abgewendet werden von dem Kolos, in welchem Einige den Meffias, Andere den besen Genius zu erkennen glauben, Viele aber die kommende Nemesis der alten Welt hoffen und fürchten. Wenn alles Verderben und Anschwärzen nichts hilft und ein atlantischet Titan, von dem mancher ferne dunkle Grofleck das wärmende und leuchtende Element zu empfangen hofft, immer furchtbarer über die Wasserwüste blickt, wäre es da wenigstens nicht rathfam, jeden Verkehr mit ihm abzubrechen? Sollte man nicht eine chinesische Mauer um das europäische Festland ziehen und die Auswanderung nach Amerika geradezu vers bieten? Das würde in der That höchst zweckmäßig scheinen, wenn es nur politisch ausführbar wäre. Um mit offener Gewalt der Union zu troßen, dazu ist diese bereits zu mächtig. Am allerwenigsten wäre es in diesem Augenblick rathsam, wo eben Poseidon-Pierce aus seines Vorgängers schüchterner Hand das Sternenbanner mit dem Dreizack in die kühne demokratische Faust genommen und feierlichst erklärt hat: Jeder Bürger der Vereinigten Staaten möge eins gedenk sein, daß auf dem Kapitol von Washington der Mann wohne, bereit und stark, jede Unbill gegen Amerika zu rächen.“ Braucht man in Amerika gewesen zu sein, oder die Unfähigkeit des Präsidenten Pierce historisch erfahren zu haben, um die Hohlheit dieser Phrasen zu durchschauen? Freilich findet man fich durch solchen Wortschwall leichter, ab, als durch wahre Darkellung der Flotte und Armee der Vereinigten Staaten mitgetheilt, worans man auf die Thatsachen. Ich habe in Nr. 16, 19 und 20 des Magazin" eine Sfizze der wirkliche Macht der leßteren schließen kann. Uebrigens foll nach den neuesten einen Gehalt von 124,812 Tonnen bestehen. 28 Fahrzeuge werden als seeuntüchtig bezeichnet, so daß noch 50 dienstfähige übrig bleiben, was im Ganzen von meinen früheren Angaben wenig abweicht. 15 Änm. d. Eins.

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Je Vereinigten Staaten Marine-Registers die Flotte aus 78 Fahr

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