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Sinnlichen und zugleich Ueberfinnlichen!" Wir würden uns freuen, wenn wir, in unserer Ansicht siegreich bekämpft, unser Urtheil zurück nehmen könnten. Bei solchen wichtigen, das tiefste Leben des Menschen ergreifenden Fragen ist es immerhin intereffant, deren geistigen Konflikt herbeizuführen, durch welchen man an das Gebiet der Wahr heit bringt. Gönnen Sie daher auch dieser Meinung einige Zeilen in Ihrem geschäßten und unparteiischen Blatte. Julius Scheele.

II.

Ich wünsche den Streit und glaube allerdings, daß nur der Kampf zur Wahrheit führen kann, habe auch Angriffe von allen Seiten erwartet, da ich mich in die Mitte zweier nach Alleinherrschaft ftrebenden Parteien gestellt habe und bei den Spiritualisten das Berufen auf empirische Erfahrung ebenso verpönt ist, als bei den Naturalisten eine Verbindung der Naturforschung mit der Philosophie. Da ich überdies kein Kompendium schreiben wollte, sondern mich an den gesunden Menschenverstand eines gebildeten Leserkreises wendete, wurde die Darstellung mitunter nicht so faßlich, als wenn das Buch Paragraph für Paragraph aufgebaut worden wäre. Wie soll ich aber mit dem Verfaffer obiger Zeilen rechten, da er in den Grundprinzipien mit mir vollkommen einig ist, da er derselben Weltanschauung huldigt wie ich und die Nothwendigkeit anerkennt, bei psychologischen Forschun gen Erfahrung und Philosophie zu Rathe zu ziehen. Wie man eine empirische Psychologie des Taglebens geschrieben hat, so habe ich eine empirische Psychologie einer zweiten, gleich wichtigen Seite unseres Seelenlebens, einer bisher gar sehr vernachlässigten, schreiben wollen. Aber ich bin dem Herrn Jul. Scheele nicht der Mann dazu. Nun, das ist Geschmackssache, über die sich wieder nicht streiten läßt, da es der Herr nicht für nöthig gehalten hat, seine Ansicht mit Gründen zu unterstüßen; da aber der verewigte Präsident der Karolinischen Akademie, unser alter Nees, mein Buch ein wirklich schönes Lehrbuch des Geisteslebens nennt und der jezige Präsident, Herr Geheimer Hofrath Kiefer, über daffelbe schreibt: „Es ist ein gewaltiges Werk, in welchem sich eine Tiefe der Erkenntniß des Lebens ausspricht, wie fie wohl in keinem ähnlichen Produkte der Neuzeit dargestellt ist. Die Gegenwart dringt unaufhaltsam zur wissenschaftlichen Erkenntniß des bisher geheimnisvollen magischen Lebens, und das Schindlersche Werk ist eine erklärende Encyklopädie dieses ganzen Reiches und muß Epoche in der Geschichte der Wissenschaften machen", so kann ich mich schon über den Geschmack des Herrn Scheele trösten. Ich kann ihn deshalb wegen der erlittenen Indigestion nur bedauern und rathe ihm zu seiner Wiederherstellung Carus',,Psyche“ und Kiefer's Einleitung in seine,,Elemente der Psychiatrik" zu lesen, wo er den von mir betretenen Weg auch von anderen Männern angedeutet finden wird, die dem Herrn Scheele vielleicht für Autoritäten gelten.

Mannigfaltiges.

Dr. Schindler.

Deutsche Literatur in Griechenland. Besonders die wissenschaftlichen Arbeiten deutscher Gelehrten finden im Auslande gerade in unserer Zeit mehr als früher eine auszeichnende und ausgezeichnete Anerkennung und werden dorthin durch Ueberseßungen verpflanzt. So ist z. B. das zuerst im Jahre 1839 erschienene, seit dem aber mehrfach aufgelegte,,Lehrbuch der Inftitutionen des römischen Rechts“, von Marezoll in Leipzig, nachdem es schon früher ins Französische übertragen war, in das Neugriechische, unter dem Titel: Пon wμaïxy voμodeola", von Professor Phrearitis in Athen, Πολιτικὴ ρωμαϊκὴ νομοθεσία”, übrigens unter klarerer Darlegung der Rechtsbegriffe und Nachweis fung der betreffenden Stellen der griechischen und römischen Schrift Heller, Philosophen und Redner überseßt worden, und gegenwärtig wird davon, wie wir hören, eine walachische Uebertragung in Belgrad vorbereitet. Das Lehrbuch des römischen Rechts" von Mackeldey hatte Rallis in Athen schon früher überseßt. Ein anderer Profeffor an der Universität Athen, Makkas, der besonders mit der klinischen Heilkunde und speziellen Nosologie, auch mit der Veterinärkunde sich beschäftigt und mit der diesfallsigen Literatur Deutschlands c. wohle vertraut ist, hat eine Pathologie der Organe des Blutumlaufs und des Athmens bearbeitet und dabei das „Handbuch der Pathologie" von Wunderlich in Leipzig besonders benugt. Die,,Makrobiotik" von Hufeland ward schon früher ins Neugriechische überseßt (Huaκροβιότης, οὗ ὑγιεινῆ τῶν ἀνθρώπων”), bagegen neuerbings erft bag Buch des geschmackvollen und gelehrten Hellenisten Krüger: „Von den Dialekten der griechischen Sprache, namentlich vom epischen und jonischen", nach der dritten Ausgabe deffelben vom Jahre 1853.

Kymrische Alterthümer. Ein wallifischer Geistlicher, der Rev. John Williams, Archidiakonus von Cardigan, hat eine Reihe

von,,Effays über verschiedene Fragen aus dem Gebiete der Philologie, Philosophie, Ethnologie und Archäologie, in Bezug auf die vorhistorischen Urkunden der civilisirten Nationen des alten Europa's, namentlich des Volksstammes, der zuerst Großbritannien ofkupirte,"") veröffentlicht, die von vielseitiger Gelehrsamkeit und emfiger Forschung, aber auch von jenem übertriebenen Patriotismus zeugen, der die Vertreter etwas heruntergekommener Raçen zu charakerisiren pflegt. Dem ehrwürdigen Archidiakonus zufolge haben die Kymri schon lange vor dem trojanischen Krieg alles Material der Kultur nach Britannien gebracht, darunter sogar das Kadmäische Alphabet, dessen achtzehn (sechzehn) Buchstaben mit den uralten britischen und irischen Schriftzügen übereinstimmen. Ihre Civilisation reicht bis weit über den Anfang der profanen Geschichte hinaus; fie haben in den ältesten Zeiten mit Asien und Afrika Handel getrieben, alle Völker der damals bekannten Welt mit Zinn und Erz aus den von ihnen bearbeiteten Gruben versorgt, und die Kenntniß ihrer Sprache und der in der selben enthaltenen literarischen Schäßen bietet der gelehrten Welt die einzige Aussicht dar, die vorhistorischen Annalen unserer Erde, soweit sie nicht in der Bibel verzeichnet sind, auf einer authentischen Basis wiederherzustellen. Daß bei einer so hohen Meinung von den Vorzügen der alten Briten die angelsächsischen Eindringlinge sehr schlecht wegkommen, versteht sich von selbst; in der That verdankt, nach der Ueberzeugung des gelehrten Verfassers, der. heutige Engländer nur der starken Vermischung mit keltischem Blut „die hohe Auszeichnung“, daß er nicht ein Holländer von Nieder- oder ein vichischer (brutish) Sachse von Ober-Deutschland ist!"

"

Der Erzgießer Burgschmied in Nürnberg. Eine seit etlichen Jahren in Madison eingebürgerte Deutsche schreibt dem Unterzeichneten Folgendes, d. d. 10. Mai.,,Ich las neulich in den NewYorker,,Familienblättern" den Tod des Erzgießers Bürgschmied in Nürnberg, meiner lieben Vaterstadt. Er war nicht nur mein Landsmann, sondern ein geehrter Bekannter von mir. Mit meinem Vater (einem Goldschmied) war ich oft in seinem Atelier und bewunderte die beweglichen Figuren, an denen er damals arbeitete, und als intimer Freund meines Vaters, war er auch oft in unserem Hause. Um so schmerzlicher überrascht mich jezt die Nachricht seines Todes. ich einmal von diesem Manne spreche, will ich Ihnen noch mittheilen, durch welchen Zufall er sein erstes Geschäft, die Drechslerei, erlernte, und um der kleinen Anekdote das komische nicht zu nehmen, muß ich die Nürnberger Mundart, in welcher alles gesprochen wurde, und die Sie ja kennen, beibehalten.

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Da

Als Waisenknabe von ungefähr zwölf Jahren mußte er wöchentlich zweimal Zeitungen von seinem Inspektor zu einem Drechslermeister tragen, wobei er jedesmal der Arbeit desselben aufmerksam zusah. Einmal verweilte er ungewöhnlich lange. Endlich sagte er: ,,Glabens mers, Master, su a Ding wullt' ich a mach'n". Schweig, Dummkopf, und mach daß d' weiter kummft"". Doch er ging nicht und sagte auf's neue: Ja, gewis, Master, su a Ding wullt ich mach'n". Da kam der Meister in Harnisch, riß seine Arbeit herab, schraubte ein neues Stück auf und schnaubte:,,,,Gah her, verdammter Lausbu, und mach's; das sog i der ober, wennst mer mei Sach' verderbst, werf' i dich zur Thür' naus, daß d' um und um kugelst"". Ohne sich von dieser Drohung einschüchtern zu laffen, ging der Knabe ans Zeug. Der Meister, welcher kein Auge von ihm verwandte, konnte während der Arbeit sein Erstaunen und freudiges Zittern kaum verbergen und zurückhalten, und als er den ziemlich gelungenen Gegenstand abnahm, war er ganz versöhnt und sagte:,,Du Sakrementsmalifitsbu du, wilst a Drechsler wär'n?" "Ja gern, Master, wenn's sein könnt'"". -,,Gut, ich lern' dich, du wirst mei Lehrbursch, sog's dein' Herr Inspektor". Während nun der Knabe Freudensprünge machte, kam die Meisterin in's Feld gerückt und sagte: ,,Ober, Alterle, was redste da, host's nich unsern Hannes versprochen, daß d'n lernen willft?"-,,,,Schweig, Frau, der dau muos a Drechsler wär'n, und das bei mir, und wenn ich's zehn Hannes'n versprochen hätt'. Dabei bleibt's, basta.""

Und dabei blieb's. So hat er es später meinem Vater felbft erzählt, mit rührender Dankbarkeit für den guten Meister. Er war ein schlichter, einfacher und bescheidener Mann und hat seine Nüraberger Sprache beibehalten. Es war ihm ganz gleich, ob er mit dem E. K-r. fönig per mit jemanb 2lnberen fprad).

*),,Essays on Various Subjects &c." By John Williams, A. M., Archdeacon of Cardigan.

Böchentlich erscheinen 3 Rummern. Bras jährlicha Thlr. 10 gr., Halbfährlich i Shlr. 20 Sgr, und vierteljährliæ 25 gr., wofür' das Blatt im Julaube, portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 74.

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Literatur des Auslandes.

England. Ein Beitrag

Berlin, Dienstag den 22. Juni.

zur Erziehungs-Geschichte der Jugend in England. Bon einem Deutschen in England.

In dem gewaltigen Häuser- und Straßenmeere - London gegiebt es unter Anderem und was gäbe es nicht in Longewiffe Büreaus, deren Geschäft darin besteht, Schullehrern Stellen zu verschaffen. Zur Zeit der Quartal-Abschlüffe, Ostern, Johannis, Michaelis und Weihnachten, find diese Büreaus oft bis zum Erdrücken mit Supplikanten angefüllt, die daselbst ihre Anliegen vor bringen. Engländer, Deutsche, Franzosen, Italiäner; Sprachlehrer, Mathematiklehrer, Singlehrer, Fecht- und Tanzlehrer, kurz, alle Sorten von Lehrern treffen da zusammen, und die Clerks haben alle Hände voll zu thun, diese Träger der Wissenschaft gehörig zu klassi fiziren und zu kategorisiren. Ein Jeder giebt den oder die verEin Jeder giebt den oder die verschiedenen Unterrichtszweige an, denen er vorzustehen beabsichtigt, unterzeichnet sodann einen Revers, worin er fich verpflichtet, nach erlangter Bestallung fünf Prozent seines Jahrgehaltes als Kommissionszahlung zu entrichten, und erhält dafür gewöhnlich eine ganze Lifte voll Namen und Adressen solcher, die sich an das Büreau behufs der Herbeischaffung eines also qualifizirten Individuums gewendet haben. Auf jener Lifte figuriren die Namen von Vorstehern allerhand großer und kleiner, öffentlicher und privater Erziehungs-Anstalten in der Stadt wie auf dem Lande, vor Allem aber wimmelt dieselbe von Reverends, d. h. „ehrwürdigen“ Geistlichen, die ihr kleines Einkommen durch das in England sehr einträgliche Erziehungs-Geschäft zu vermehren bemüht find. Der Supplikant hat dann weiter nichts zu thun, als sich schriftlich oder mündlich an jene Adressen zu wenden, und erhält dann in der Regel von ihnen die Weisung, entweder seine Zeugnisse, Em.pfehlungen 2c. 2c. einzusenden oder und dies ist das Gewöhnlichere → sich an einem bestimmten Tage und zu einer bestimmten Stunde behufs einer mündlichen Besprechung im Büreau wieder einzustellen. Diese Rendez-vous ermangeln nicht des Interesses, obgleich fie etwas stark an unsere deutschen Gesindemärkte erinnern. Die Herren Pädagogen mußtern hier mit scharfsichtigen Blicken die verschiedenen ihnen zur Disposition gestellten Kandidaten, dabei nicht selten die sonder barsten Proben ihrer Menschenkenntniß an den Tag legend. Wer sich als Lehrer der franzöfifchen Sprache zu verdingen wünscht und keinen schwarzen Schnurrbart trägt, der braucht sich keine weitere Mühe zu geben, der scharfsichtige Blick des mußternden Pädagogen sieht ihm die Unfähigkeit zu solcher Leistung gleich an der Nase an, und wenn der Betreffende wirkliches Mitglied der Pariser Akademie wäre. Wer alte Sprachen oder philologische Wissenschaften zu doziren gesonnen ist, muß dagegen fehr glatt rasirt sein und ein möglichst langweiliges und gelangweiltes Geficht zu schneiden verstehen, er kann dann mit Zuversicht darauf rechnen, den Kennerblick irgend eines Pastors zu feffeln. Diese äußerlichen Bedingungen des Gelingens find über dies wenigstens allen denen bekannt, die nicht zum ersten Male jene Büreans befuchen, und es fucht deshalb ein Jeder die erforderliche Firma aufzustecken. Der Fechtlehrer, den rechten Fuß leicht und natürlich vorgestreckt, streicht sich den Schnaußbart und sieht etwas verwegen in die Welt hinein; der Tanzmeister, den Frack eng zu geknöpft, wechselt oft seine Position und entwickelt Beweglichkeit und Grazie in feinen Bewegungen; der Mathematiklehrer schaut sehr ernst und gemessen darein und spricht äußerst langsam und deutlich. Vorzugsweise verstehen es die Franzosen, die ihnen innewohnende FachWissenschaft auch äußerlich kundzugeben, und gewöhnlich laufen fie daher auch dem Deutschen den Rang ab, der in dieser Beziehung noch etwas zu lernen hat, häufig etwas linkisch und schüchtern aussieht und zu fehr spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Indeffen giebt es auch mitunter recht erfreuliche Ausnahmen. Ich habe selbst bei einer solchen Gelegenheit neben einem anderen Landsmann geftanden,

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1858.

der für franzöfifche Sprache notirt war, er hieß Frédéric Hausman, wußte, wie er mir selbst vertraute, außer der Speisekarte kein franzöfifches Wort auswendig, trug aber einen famosen pechschwarzen forgfältig kultivirten Schnauß- und Backenbart und entging dem scharfsichtigen Blick des Direktors einer Erziehungs-Anstalt nicht, der ihn sofort mit 50 Pfund Sterling jährlichem Gehalt engagirte. Mein Landsmann, dem, beiläufig gesagt, das Messer ein Bischen an der Kehle stand, da er wie er meinte feit länger als einer Woche schon gänzlich auf dem Trockenen size und nicht wisse, wie er seine Gasthofsrechnung bezahlen solle, seßte mich in nicht geringes Erstaunen, als er ganz kaltblütig bemerkte, er müsse, ehe er acceptiren könne, noch eine Bedingung machen. Er sei ein starker Raucher und verlange in dieser Beziehung plein pouvoir: Der Pädagog rümpfte zwar anfänglich etwas die Nase, meinte aber doch endlich, daß er nichts dagegen einwenden wolle, wenn Monsieur auf seinem Zimmer eine Cigarre oder Pfeife rauchen wolle. Monsieur verneigte fich lächelnd, den schwarzen Schnurrbart zärtlich streichend und mich dabei von der Seite anblickend, und jezt schmaucht er seine Pfeife in Brigh ton, der dort heranwachsenden Generation Britannia's die zum alltäglichen Leben unentbehrlichsten Dinge, als: potage, gigot, mouton, boeuf etc. etc., in der Mundart Frankreichs einpaukend. Ich gratulirte dem wackeren Schwaben von Herzen und wünschte uns ein paar Millionen mehr solcher Deutscher. Wir wären wenigstens sicher dabei, etwas weniger ins Hintertreffen zu kommen, den Briten und Franken gegenüber, die sich so unverschämt auf platter Erde entwickeln.

-

Meine Besuche in den betreffenden Büreaus und ich frequen tirte deren einen ganzen Monat hindurch nicht weniger als acht → blieben lange Zeit erfolglos, und ich fing schon an, ernstlich an die Acquisition des unfehlbaren Talismans — eines schwarzen Schnauz bartes und einer dito Perrücke zu denken, als endlich das milde Auge eines Landgeistlichen auf meiner germanischen Physiognomie haften blieb. Der Mann hatte Bunsen's,,Zeichen der Zeit" in einer englischen Nebersehung gelesen und besaß eine große Vorliebe für meine Landsleute, von deren neuester Literatur er eine so um faffende Kenntniß erlangt hatte. Meine Empfehlungen erschienen ihm vollständig genügend, ich unterschrieb einen Revers, worin ich mich zur Beobachtung der Hausordnung und zur Uebernahme des französischen, geographischen, historischen und Gott weiß was noch alles für Unter richtes verpflichtete und dagegen Kost, Wohnung und die baare Summe von 35 Pfund Sterling jährlich zu beanspruchen habe. Rach. Verlauf von vier Wochen find die Weihnachtsferien zu Ende, und dann hoffe ich, Sie bei mir zu sehen“, meinte mein Paftor im Weggehen, und ich war demnach wohlbestallter Haus- und Hülfslehrer bei einem englischen Geiftlichen.

Vier Wochen Ferien in London, wenn man mit der Kasse nicht beffer bestellt, als mein Freund, Monsieur Frédéric Hausman, sind eben kein beneidenswerthes Loos, und ich wünschte mich manchesmal zurück in die nordamerikanischen Urwälder, die ich erst vor wenigen Monaten verlassen hatte und woselbst der Mangel des Geldes doch zum mindesten durch die gänzliche Unmöglichkeit, daffelbe ausgeben zu können, in etwas kompenfirt wird. Ich schlug mich indeß, so gut es ging, durch die Kalamität hindurch, die vier Wochen gingen vorüber, ja sogar noch zwei andere dazu, um welche die Ferien verlängert worden waren eines Scharlachfiebers in seiner Familie wegen, wie mir der Herr Pastor brieflich mittheilte, und am Morgen des 1. Februar stieg ich endlich in den Dampfzug, der in die östlichen Grafschaften Englands hineinbraufte, bald die unermeßliche Nebelwolke hinter mir lassend, die Englands Metropole einhüllt.

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Norwich! brüllte der Conducteur, als wir nach sechsstündiger Fahrt die hundert Meilen zurückgelegt hatten, die Norfolks Hauptstadt von London trennt.,,Hôtel de l'Univers, Sir?"-,,No, Sir, British Hôtel!" - Here you are, Sir, Norwich House, Sir! first rate, Sir!". Cab, Sir?" Where are you going, Sir?"Luggage, Sir? — and hundert ähnliche Fragen, von einigen Dugend dienst

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befliffenen Kellnern und Droschkenkutschern hastig ausgestoßen, amüsir ten mich nicht wenig, obgleich ich sie schon zu verschiedenen tausend Malen in der alten wie in der neuen Welt vernommen hatte. Sollte der fromme Paftor nicht an sein Schaf gedacht haben? fragte ich mich und musterte prüfend die in Batterie aufgefahrenen zahllosen Kutschen und Karren. Richtig, da stand ein magerer Pony, und der Mann, der ihn am Zügel hielt, firirte jeden neuen Ankömmling mit prüfenden Blicken. Du bist mein Mann, dachte ich, auf John Bull zuschreitend, und ihm auf die Schultern klopfend, fragte ich ihn: „From Mr. David in Shinderford-Hall?",,All right, Sir!" meinte der Ponybändiger, lud meinen Koffer auf, half mir in den Karren, knallte dem mageren Pony, der etwas unwillig mit dem Kopfe schüttelte, die Peitsche um die Ohren und fort ging es, so schnell, als der Pony laufen wollte. — Wir fuhren zuerst ein wenig in der Stadt herum, woselbst mein Fuhrmann allerhand Einkäufe zu machen hatte, die er endlich mit dem Ankauf einer Flasche Whisky und eines Viertelpfundes Rauchtabak schloß. „Ist das für Mr. David?" fragte ich ihn.,,Oh dear me, no Sir, that's only for me, don't mention it at all to Mr. David!" Und weiter ging es auf hartgefrorener Chauffee an kahlen Feldern und fahlen Wiesen vorüber, auf denen noch der Rauchfrost des kalten Wintermorgens lag. Wir mochten etwa eine Stunde gefahren sein, als Shinderford mit seinen sechs oder acht Häufern vor uns lag. Vor einem der lezteren standen ein paar junge Männer Brüder, wie es schien die mich mit neugierigen Blicken musterten, und als der Pony dicht hinter dem Chauffeehause von der Straße ab rechts in einen Nebenweg einbog, der direkt nach der Hall führte, hörte ich hinter mir ein schallendes Gelächter. Ich wandte mich um, die Heiteren waren die beiden Brüder, die sich beide den Bauch vor Lachen hielten: der Gegenstand ihrer Heiterkeit aber war offenbar ich, was ich zur Zeit ganz und gar nicht begreifen konnte. In der Hall kam uns die Geistlichkeit entgegen und geleitete mich in die mir angewiesenen Apartements, welche in einer Bodenkammer bestanden, die ein Bett, ein Stuhl und ein etwas gebrechlicher Waschtisch so ziemlich ausfüllte. Ich war hier eben nothdürftig mit meiner Toilette zu Stande gekommen, als die Klänge einer großen Glocke die Bewohner der Hall zu Tische riefen. Diese nämlich Mr. Da vid, Mrs. David, Miß David und noch eine andere junge Dame, Mik Calf, nebst meiner Wenigkeit die jungen Gentlemen waren noch nicht eingetroffen versammelten sich in der Schulstube, die gleichzeitig als Speisezimmer diente, und hier hatte ich Gelegenheit, meinen neuen Prinzipal etwas sorgfältiger ins Auge zu fassen. Der Mann war noch jung, höchstens 32 Jahre, aber ganz so mild sah er nicht aus, wie er mir beim ersten Anblick erschienen war. Das spiße Kinn, die hervorstehenden Unterkiefer, die dünnen Lippen geben dem unteren Theile des Gesichtes einen ziemlich gemeinen Ausdruck, während die kurze Stirn auf der oberen Hälfte desselben nicht gerade viel Einnehmendes verlieh. Das Haupthaar erregte dagegen meine volle Bewunderung, es war auf das sorgfältigste gescheitelt, frisirt und pomadifirt. Miß David, ein kleines, ramassirtes Frauenzimmer, war sein leibhaftiges Konterfei und schien weit eher aus einer Rippe ihres Bruders geschaffen, als deffen Frau, die wenig Aehnlichkeit mit ihm hatte, der aber die Landluft gut zu bekommen schien, denn ihre Backen sahen so roth aus, wie eine Stange Siegellack Prima-Qualität. Von Mik Calf vermag ich jest, nachdem ich zwei Monate lang täglich zweimal neben ihr bei Tische geseffen habe, nicht mehr zu sagen, als an dem Tage, wo ich sie zum ersten Mal erblickte. Sie ist und bleibt mir ein Räthsel. Sprechen habe ich sie nie gehört, außer in der Kirche, wo sie die Gebete sehr laut und vernehmlich nachsprach. (Fortseßung folgt.)

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Piazzi Smyth's astronomische Reise nach Teneriffa.
(Schluß.)

Am 10. Juli eilten Profeffor Smyth und seine Frau nach Drotava, in die dem Pik zunächst gelegene Stadt, während die Jacht um die Insel gesegelt war, um mit ihnen zusammenzutreffen und die wissenschaftlichen Instrumente zu landen. Zwei Männer von der Schiffsmannschaft, William Real und William Corke, die als Gehülfen bei den vorzunehmenden Arbeiten dienen sollten, stiegen gleichfalls aus. Herr Goodall, der englische Vice-Konsul, und Andere erHärten, daß die Kisten und Kasten, worin jene Juftrumente verpackt waren, für die Bergbesteigung schlechterdings ungeeignet seien; doch der Profeffor beschloß nichtsdestoweniger einen Versuch anzustellen, und nachdem er eine Menge von Maulthieren und Maulthiertreibern für einen zeitigen Aufbruch gemiethet, durchstreifte er die Stadt. Kaum war er funfzig Schritte gegangen, als er am Ende einer mit Basalt gepflasterten Straße einen 70 Fuß hohen vulkanischen Auswurfstegel sah. Er hatte seinen photographischen Apparat bei sich, den er sofort aufstellte, und nachdem er eine Kollodium-Platte hineingescho

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ben - schlagen wir an, feuern und haben sofort den Regel und die elf fernen Hügel festgehalten, mit Wolkenüberhängen und mit Gården an ihren Seiten besegt, während wir außer den spanischen Hütten und dem Basaltpflaster im Vordergund, ein neugieriges Mädchen mit erwischt, das aus der hangenden Fallthür eines der hölzernen Fenster hervorblickt."

Schlagen wir nun das dem Buche beigebundene Stereograph auf, so sehen wir mit Hülfe des tragbaren ,,Buchstereostopes" ein facsimile der ganzen, von dem Verfasser beschriebenen Scene die weißen, flachgedeckten Häuser mit den spanischen Mädchen, die aus den Fenstern lügen, abgeschloffen durch den Regel mit all seinem Lichte und Schatten und dem deutlich sichtbaren Krater.

Am 14. Juli bei Tagesanbruch verließ die ganze Gesellschaft, die zwanzig Maulthiere und Pferde mit sich führte, Orotava, um Guajara zu erreichen, den geeignetsten Ort zu Beobachtungen am äußeren Krater des Vulkans. Nachdem man über Holftern ausgebrannter Kohlen und Ebenen gepulverten Bimssteins hinweggekommen und an einer schlammigen Quelle Halt gemacht, um sich zu erfrischen, wobei man im Vorübergehen einen Blick auf den großen Pik, „den Eruptionskrater" selbst, erhaschte, kamen sie bei einbrechender Nacht auf dem Haltepunkte am Gipfel von Guajara,,,dem Elevationskrater“, an. Die spanischen Maulthiertreiber laden ab und eilen den Berg hinunter, die kleine Gesellschaft allein laffend, die aus Profeffor Smyth, seiner unerschrockenen Frau, zwei titanischen" Seeleuten, dem Neffen des Vice-Konsuls und zwei spanischen Führern bestand. Sie suchten sich nun auf dem nackten Boden des Berges, 9000 Fuß über der Meeresfläche, so gut als möglich einzurichten. Glücklicher Weise war die Nacht still, und der Mond ging auf, zwei Zelte waren bald errichtet und die Gesellschaft nahm einen erfrischenden Thee ein. — Jeßt kam Jupiter zum Vorschein und erschien dem an den nordischen Himmel gewöhnten Profeffor so hell und glänzend, wie er ihn noch nie gesehen so verschieden war der wirkliche Jupiter Ammon afrikanischer Breite von dem des,,modernen Athen" (Edinburg).

Mit dem Bivouac von Guajara endet der erste Theil des Buches; der zweite enthält die zu Guajara gemachten Beobachtungen und sonstigen Begebenheiten während des Aufenthaltes daselbst. Es gab sehr viel zu thun: die Zelte mußten gegen die in Aussicht stehenden heftigen Orkane durch dicke Wände von Lavastücken geschüßt und die astronomischen und sonstigen Instrumente ausgepackt und aufgestellt werden. - Dennoch wurde dieses Alles ohne besondere Schwierigkeiten, wenn auch mit beträchtlicher Anstrengung, vollbracht, und obwohl der Orkan kam und gegen die gebrechlichen Wohnungen blies, so hatten doch die spanischen Führer und die englischen Seeleute ihr Werk so geschickt vollzogen, daß kein Unfall von Bedeutung sich ereignete. Der übelste Feind war die Hiße und die Trockenheit der Atmosphäre, welche Kisten von feftem Mahagoni zum Plazen und Sprin gen brachte, als ob es grünes Weidenholz wäre, und Licht hereinließ bei astronomischen und photographischen Arbeiten, die in undurchdringlicher Nacht hätten geschehen sollen. Zwei photo-stereographische Illustrationen bringen die Lavafelsen, die Steinwände, die gebrechlichen Zelte, das gigantische Teleskop und die kleine Gesellschaft, die vor des Lesers Augen in dasselbe hineinsieht.

Nun beginnen die astronomischen Beobachtungen und rechtfertigen vollständig die Erwartungen, die man von den Vortheilen einer hohen Dertlichkeit und gleichmäßig klaren Luft sich gemacht hatte. Hier ist Profeffor Smyth's Bericht über seine erste Beobachtung:

Ein Photograph, spät Nachmittags genommen, zeigt das Aequatorial-Teleskop aufgestellt und annähernd in richtiger Stellung. Seine Unterstüßung, in der Gestalt eines hohlen Holzpfosten, der mit Steinen ausgefüllt ist, um ihn schwer zu machen, giebt die Hoffnung, daß fie dem Winde widerstehen wird. Die beiden Matrosen fißen unter den Kisten und sehen sehr ermüdet aus. Eines von den Halteseilen des Zeltes kreuzt den Vordergrund, und in der Entfernung ist der prächtige Pik de Teyde, der seinen zuckerhutförmigen Kegel hoch in die Lüfte streckt. Am Fuße des Kegels, d. i. in einer Erhöhung von 11,700 Fuß, ist noch ein Rest vom Schnee des leßten Winters, und unter ihm beginnen beiderseits die Ströme von Lava und Bimsftein, verschieden an Farbe, aber durch die Entfernung zu einer guten Haltung für den Hintergrund eines Gemäldes abgedämpft.

"Wir sind ergößt und erstaunt, sagt unser astronomisches Tagebuch, 8 Uhr diesen Abend, über die wunderbar schöne Abgränzung aller im Teleskop gesehenen Sterne; sie haben alle so vollkommene Scheiben und Ringe mit einer vergrößernden Stärke von 150, etwas, das ich zu Edinburg nie mit diesem Juftrumente erprobt hatte."

Doch wir können uns auf Einzelheiten hier nicht einlassen; es genügt, zu bemerken, daß der Verfaffer seine Erwartungen in astronomischer Hinsicht vollkommen befriedigt fand; die Untergänge der meisten, selbst kleinen, Sterne waren scharf und klar, zwar prismatisch gefärbt, aber weder durch die heißen Dünfte des Piks noch durch andere atmosphärische Einflüsse getrübt. Außerdem wurden eine Menge

Beobachtungen in Bezug auf den Erhebungskrater, die Mondfelfen (lunar rocks), bie Sonnenfirahlung, Wirbelwinde, Zodiakallicht, die Mondwärme, die Frauenhoferschen Linien u. f. w. angestellt und genau aufgezeichnet, so daß jedenfalls der Wissenschaft hieraus nicht unbedeutender Vortheil erwachsen dürfte. - Wir können nicht umhin, hier noch eine intereffante Stelle anzuführen, welche über die geoLogische Formation des berühmten Piks von Teneriffa handelt:

Warum gewiffe tonangebende Geologen so hartnäckig der Erde jede ftätige Veränderung absprechen, die ihre periodischen Bewegungen überspringt und durch sie hindurchgeht, wenn wir, von der Höhe der physikalischen Aftronomie herab bis zu dem Sieden eines Theekeffels, gewahr werden, daß jede langdauernde Wirkung ftets mit anderen von furzer Dauer verbunden ist das wäre in der That schwer zu fagen. Doch dieser Pik von Teneriffa, d. h. der Hauptkegel oder Ausbruchsfrater in der Mitte des ungeheuren Erhebungskraters, der später ausführlicher in Betracht gezogen werden wird, - zeigt un zweifelhaft gleichzeitig stätige und zeitweise erfolgende Eigenschaften. „Eine Untersuchung der Ströme, die innerhalb Menschengedenken ausgeworfen wurden, könnte wenig Aufschluß über das ftätige Fort schreiten geben; denn sie brechen fast nur jedes Jahrhundert ein Mal aus; der leßte Auswurf fand 1798, der vorlegte 1703, statt und es ist deshalb, wie wir auch gethan haben, nothwendig, vorgeschichtliche Erscheinungen zu befragen. Diese Methode feßt uns zu gleicher Zeit in Stand, eine weit festere Stellung einzunehmen; denn welch eine ungeheure Zeit muß verstrichen sein, um allein die Laufende von schwarzen Strömen zu befaffen, die jeßt den Kegel auf allen Seiten um fäumen, und da wir deren viele finden, die, über alles Menschengedenken hinausgehend, unberührt sind von jedem orydirenden Einfluß, fo find wir geneigt, zu erstaunen über die Myriaden von Zeitaltern, die ferner vorübergegangen sind, um die dunkelrothen und gelben Zerfeßungen hevorzubringen, die auf der Oberfläche der noch früheren Ströme erschienen. Denn ihre Blöcke sind im Innern schwarz und in chemischer Composition den zulezt ausgeworfenen Substanzen sehr ähnlich."

Hieraus schließt der Verfaffer, daß die früheren Ströme stärker, flüffiger und heißer waren und sich allmählich verschwächt haben.

Nicht zufrieden mit der Höhe von Guajara, stieg Professor Smyth noch höher hinauf und gründete eine neue Stätte der Beobachtung auf dem Punkte Alta Vista, 10,700 Fuß über dem Meeresspiegel. Höher hinauf ließ sich das Aequatorial-Teleskop nicht bringen. Das Lokal wird als äußerst wild und romantisch, mit den seltsamsten Felsengebilden ausgestattet, beschrieben. Einige spanische Dons aus Orotava statteten einen Besuch ab und verwunderten sich höchlich über die Instrumente und die ganze Zurüftung. - Die aftronomischen Beobachtungen gelangen über Erwarten: Sterne der 16ten Größe waren ohne Schwierigkeit erkennbar; selbst im Morgen-Zwielicht, einer sonst für Aftronomen wenig genehmen Zeit, konnte man deutlich die feine Trennung des äußeren Saturnringes unterscheiden, und die Streifen an dem Jupiter löften sich in Wolkenregionen auf. Professor Smyth beftieg zuleßt die höchste Spiße des Piks selbst und nahm dort sogar eine Photographie auf, die dem Buche vorgedruckt ist.

Der vierte und leßte Theil des Buches ist einer Untersuchung über die physischen Eigenthümlichkeiten des Unterlandes der Insel gewidmet. Bis zum Jahre 1835 machte der Weinbau ihren Hauptreichthum aus; doch als in diesem Jahre der Brand und eine Hungersnoth großes Unheil angerichtet, verlegte man sich mehr auf die Cochenille-Erzeugung, die bereits einige Zeit vorher eingeführt worden war. Der Kermeswurm ist die Rettung von Teneriffa gewesen; die Insel gewinnt hierdurch unendlich mehr als durch den Weinbau; immer legt man mehr Kaktuspflanzungen an, auf denen das Insekt sich bekanntlich nährt, und fast jede Hausfrau hat ein paar Kaktusstöcke im Winkel des Gartens stehen, um sich einen kleinen Nebenverdienst zu verschaffen,

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Noch zu erwähnen ist eine gefeierte Merkwürdigkeit der Insel, der uralte Drachenbaum im Garten des Marquis von Sauzal, der bereits uralt war, als Alonzo del Lugo und seine Konquistadoren 1493 nach Teneriffa tamen. - Er ist 60 Fuß hoch, 4 Fuß im Umfange; Herr Smyth hat zwei Photographieen davon aufgenommen, da frühere Abbildungen sehr unvollkommen und durch fortwährendes weiteres Abzeichnen sehr verschlechtert sind.

Am 26. September trat der gelehrte Forscher die Rückreise an von Orotava nach Santa-Cruz und schiffte fich den Tag darauf in der Jacht,,Litania" nach England ein.

Frankreich.

Ein verkanntes Genie.

Unter dem Titel: „Ansichten von Paris", hat der durch seine Bio graphieen Alfieri's und Goldoni's rühmlich bekannte englische Schriftfteller Edward Copping ein Buch herausgegeben, das dem so oft ge

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schilderten Gesellschaftsleben des neuen Babylon einige neue Seiten abzugewinnen sucht.") Es ist dies keine leichte Aufgabe, und man kann nicht sagen, daß sie dem Verfasser vollständig geglückt ist; indessen enthält seine Skizzensammlung, neben vielem Unbedeutenden oder längst bis zum Ueberdruß Besprochenen, auch manche ganz anziehende Partieen. So erzählt er die Geschichte eines jener philosophischen Vagabunden, die freilich in unseren Zeiten gerade keine Seltenheit find - jener Weltverbefferer, die Alles um sich her von Grund aus reformiren wollen, aber es für überflüffig halten, mit ihrer eigenen Person den Anfang zu machen. Sein Held ist ein Philanthrop, der die ganze Menschheit mit so glühender Zärtlichkeit umfaßt, daß er ihr zu Liebe Frau und Kinder im Stich ließ, eine bescheidene, aber gesicherte Existenz opferte, der aber von der undankbaren Welt keinen anderen Lohn als Spott und Verfolgung geärndtet hat.

Jean Journet wurde in Languedoc im lezten Jahr des vorigen Jahrhunderts geboren. Als Knabe wollte er nicht viel lernen, und feine Aeltern beschloffen, ihn nach Paris zu schicken, um die Mysterien der Apothekerkunft zu studiren. Hier trieb er sich mehr in den politischen Klubs umber, als in den pharmazeutischen Offizinen, und die Theorie der Revolutionen wurde ihm bald so geläufig, daß man ihn nach Spanien abfertigte, um sich auch in ihrer Praris zu vervollkommnen. Unglücklicherweise fand die französische Armee, welche unter dem Herzog von Angoulème zur Herstellung der Ruhe und Ordnung ——wie man jest zu sagen pflegt in Spanien eindrang, den eifrigen Zögling in den Reihen der Feinde. Eine solche Entdeckung hätte ihm das Leben kosten können; aber Jean war nicht ganz auf den Kopf gefallen er gab vor, nur mit der Sorge für die Verwundeten beschäftigt zu sein, und kam so noch sehr gnädig mit zweijähriger Einsperrung davon.

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Etwas enttäuscht durch den Ausgang dieses ersten Kampfes gegen die bestehenden Autoritäten, bequemte sich Journet auf eine Zeit lang zu dem prosaischen, aber glücklichen Leben eines ruhigen Bürgers. Er ließ sich als Apotheker in Limour nieder, heiratete, zeugte Kinder und benahm sich überhaupt so normal und anständig, daß seine Brüder, die eine große Fabrik besaßen, ihn zu ihrem Associé machten. Er war auf dem Wege, ein vermögender Mann zu werden, aber in einer unglücklichen Stunde las er Fourier's Werke über allgemeine Egalität und Brüderlichkeit; von der neuen Offenbarung entzückt, hieß er Vermögen, Weib, Kinder und Brüder zum gehen und eilte nach Paris, um zu den Füßen des Meisters T sozialistische Weisheit einzusaugen. Als er von ihr vollständig getränkt war, verkaufte er Alles, was er hatte, errichtete eine ferme modèle in der Nähe von Toulouse, und da er nichts vom Landban verstand, so war er in kurzer Zeit ein Bettler.

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Unser Philosoph befand sich jezt in einer fatalen Lage, aber er ließ sich nicht entmuthigen. Er wurde Poet, Volksredner und Misfionar. Als ein sozialistischer Don Quixote durchzog er Frankreich, das von Fourier verkündete neue Evangelium predigend. In Paris ließ er es sich einfallen, einen Haufen seiner Traktätlein in der großen Oper, am Schluffe des ersten Aktes von ,,Robert dem Teufel", unter das Publikum zu streuen ein Geniestreich, der ihn in einige Unannehmlichkeiten verwickelte. Er wurde sogleich vor einen PolizeiKommissarius geführt und einem mündlichen Verhör unterworfen. Nach Beendigung deffelben wies man ihm eine Zelle an, wo er die Nacht zubrachte. Am folgenden Morgen schaffte man ihn in dem GefangenWagen nach einem Bureau in der Nähe von Notre Dame. Hier erwartete ihn eine Prüfung, auf die er nicht vorbereitet war. Zwei Männer, die er für Gerichtsschreiber hielt, saßen, die Feder in der Hand, an einem Pult. Sie begannen mit dem Dichter in einem spaßhaften Tone zu reden und stellten ihm mehrere ironische Fragen, die er in eben so ironischer Weise beantwortete, um den Herren zu zeigen, daß es ihnen nicht gelingen werde, sich auf seine Kosten luftig zu machen. Wenn sie die Narren spielen wollten, warum sollte er es nicht auch? Er wußte nicht, wie theuer ihm das Spiel zu stehen kommen werde. Die vermeintlichen Gerichtsschreiber waren Aerzte, die den Inkulpaten examinirt hatten, um seinen Geisteszustand zu prüfen. Durch seine Antworten in der Ueberzeugung bestärkt, daß er verrückt sei, trafen sie die in solchen Fällen gewöhnlichen Anordnungen, und Jean Journet wurde nach dem Irrenhause von Bicètre gebracht“.

Ohne Zweifel suchte er seinen Kerkermeistern zu beweisen, daß im Gegentheil die ganze Welt verrückt und er und seine Genossen die einzigen Klugen wären; aber man hörte nicht auf ihn, und der verkannte Philosoph entging mit genauer Noth einer lebenslänglichen Einsperrung. Doch wurde er endlich freigelaffen, und er seßte nunmehr mit größerem Eifer als zuvor das Handwerk eines peripatetischen Apostels des Sozialismus fort, wobei er zu wiederholten Malen mit der Polizei in Konflikt kam. Selbst unter der Republik, die im Namen des Sozialismus gegründet worden, erging es ihm nicht beffer; aus Frant *) ,,Aspects of Paris". By Edw. Copping. London: Longman & Co. Berlin, . Asher & Comp. A.

reich ausgewiesen, wurde er von der belgischen Regierung nach Eng land spedirt, auf dessen nüchternem Boden der arme, überspannte, aber ehrliche Enthusiast ein trauriges Leben führte. Des Erils müde, entschloß er sich zuleßt, die Gnade des gegenwärtigen Beherrschers vor Frankreich in Anspruch zu nehmen, der ja auch nicht verschmäht hatte, für die Verbreitung sozialistischer Lehren zu wirken. Er seßte muthig über den Kanal, appellirte an die Großmuth seines kaiserlichen Kollegen und erhielt die Erlaubniß, sich in Paris niederzulassen, aber unter der Bedingung, daß er das Geschäft eines Weltverbefferers definitiv auf gebe. Er ging auf diese Bedingung ein, und der sechzigjährige Apostel begnügt sich jezt damit, recht artige Gedichte zu schreiben und seine Freunde zu versichern, daß er das ganze menschliche Geschlecht glücklich machen könne, wenn man ihm nur eine Gelegenheit dazu gönnen wolle. Von der Oeffentlichkeit ausgeschloffen und genöthigt, feiner Missionsthätigkeit zu entsagen, hält er sich möglichst dadurch schadlos, daß er feine Glückseligkeits-Theorieen privatim vorträgt und Jeden, der ihm Gehör schenkt, mit seinen abenteuerlichen Ideen inkommodirt. Müßte man nicht seine Verblendung beklagen, so könnte man die Ausdauer und Gesinnungstreue eines Mannes achten, der sein Vermögen und feine Aussichten opfert, um ein unmögliches Paradies auf Erden herzustellen. Sein Philanthropismus würde noch bewundernswürdiger erscheinen, wenn er ihn nicht dadurch bethätigt hätte, daß er die Seinigen preisgab und Weib und Kinder an den Bettelstab brachte.

Mannigfaltiges.

Militair-Literatur. Eine Reihe von vortrefflichen Auffäßen, die uns in den beiden lezten Heften der „Zeitschrift für Kunft, Wissenschaft und Geschichte des Krieges") begegnet, veranlaßt uns, auf dieses musterhaft redigirte, aber dem nicht militärischen Publikum nur wenig bekannte Journal hinzuweisen, das seine Entstehung bereits einer Anordnung des Königs Friedrich Wilhelm III. vom 14. Januar 1824 verdankt und das ursprünglich von den Generalen v. Decker und v. Ciriacy, sowie von dem Major Blefson, gegründet wurde, von welchen Lesterer, als der einzige Ueberlebende, jezt noch an der Spiße der Redaction steht.

Vor Allem nennen wir unter den Abhandlungen dieser beiden Hefte°*) einen Vortrag, den Herr Professor Dr. Preuß in der Berliner Militärischen Gesellschaft“ über die militärische Richtung in Friedrich's Jugendleben" gehalten. Es ist gewiß für jeden Bewunderer des großen Königs anziehend, dem kundigen Geschichtschreiber zu folgen, der ans auf die ersten Waffenspuren des nachmaligen Kriegshelden zurückführt, indem er uns zuerst das Kind auf dem bekannten schönen Gemälde von Antoine Pesne zeigt, wo der dreijährige Prinz, in unausfprechlicher Anmuth und Kräftigkeit, mit Stern und Band des Schwarzen Adler-Ordens geschmückt, die Trommel schlägt, hinter welcher seine älteste Schwester, Prinzessin Wilhelmine, als gelehriger Soldat, folgt; indem er uns ferner in das Feldlager des Prinzen Eugen von Savoyen (1734) führt, wo ein untergehendes glänzendes Gestirn ein im Aufgange begriffenes, noch glänzenderes begrüßte eine Scene, die ebenfalls der Verewigung durch die Hand der Kunft würdig wäre; - indem er uns sodann den Kronprinzen in seinem Masenfiße Rheinsberg, nicht blos auf den Pfaden der Dichtkunst, der Musik und der franzöfifchen Literatur, auf welchen man ihn damals ausschließlich wähnte, sondern auch als Kriegsschüler des alten Fürsten Leopold von Deffau vorführt, der dem preußischen Thronfolger unter Anderem sechzehn Belagerungspläne zum fleißigen Studium gesandt hatte, and indem der Verfaffer endlich in der Schlacht von Mollwiß den jungen König sein,,Ich hab's gewagt!" zum erstenmale ausrufen läßt.

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In demselben Hefte, in welchem diese Friedrich's-Studie_abgedruckt ist, befindet sich ein Auffah über die Zuaven der französischen Armee, diese ursprüngliche Garde des Deys von Algier, die jest größtentheils aus Pariser Kindern (den Stämmen der,,Beni Pantin" und ber,,Beni Mouffetard") besteht, und die in Folge ihrer wohl berechneten Organisation und Auswahl zu den tapfersten Soldaten der Welt gehört.

Das zweite der obenerwähnten Hefte enthält außer einem, aus der Feder eines alten Soldaten geflossenen reichhaltigen Auffaß über ,,Fähigkeiten, Fertigkeiten und Freudigkeiten eines jungen Offiziers", eine historische Skizze der Reichskriegsverfassung im achtzehnten Jahrhundert", woraus wir folgende Curiosa hier aufnehmen: Die Soldaten, namentlich des schwäbischen Kreises, waren ein zusammen

*) Jahrgang 1858. Heft IV und V. Berlin, E. S. Mittler u. Sohn, **) Von welchen drei einen Band bilden, während in jedem Jahre drei Bände (von 18 bis 24 Bogen) für den Gesammtpreis von 5 Thlrn. erscheinen.

geraffter Haufen Leute, gewöhnlich erst bei Ausbruch des Krieges gëworben. Den Stamm bildeten die Friedens-Soldaten, deren frühere Thätigkeit im Schildwache.Stehen oder vielmehr Sißen bestanden hatte. Die einzelnen kleinen Reichsstände hatten im Frieden wenig Militair; so der Graf v. Grohweiler 14, der Graf v. Grumbach 12, der Fürst v. Leiningen 22, der Fürst v. Kyrburg 16, die Freistadt Worms 16 Mann. Sie wurden von einem Korporal kommandirt, exerzirten einigemal im Frühling und wurden zwei- bis dreimal im Abfeuern von Patronen geübt. Das Militair der größeren Reichs. stände war nicht viel beffer... Der schwäbische Kreis, der 4 Infan terie- und 2 Kavallerie-Regimenter ftellte, rekrutirte durch Loos, Handgeld und Gewalt. Wen das Loos traf, der konnte einen Ausländer, Deferteur, Zigeuner, Landläufer, oder ähnliches Gesindel für sich einstellen. Bei Werbungen wurde nicht Rücksicht darauf genom» men, ob der Angeworbene jung oder alt, klein oder groß, schief oder grade war... Nach langem Mahnen kommt endlich das Kontingent zusammen, und zwar dem Anzuge nach so buntscheckig, daß es z. B. im schwäbischen Corps Regimenter und Compagnieen gab, in denen man Soldaten mit blauen und weißen Röcken, mit dunkel- und hellgelben, auch rothen Aufschlägen und Rabatten sehen konnte. Ebenso verschieden war die Armatur und das Exerziren in einer und derselben Compagnie: Einige waren mit krummen, Andere mit graden Flinten bewaffnet; diese schütteten das Pulver auf, jene nicht. Einer kehrte den Ladestock um, der Andere nicht u. f. w.

Höchst lesenswerth für Jeden, der sich für die Geschichte der Französischen Eroberungs-Gelüfte und ihrer Abwehr interessirt, ift endlich ein Aufsaß über das „Dappen-Thal". Wer kennt das Dappenthal? So fragt der Verfasser die gelehrten, militärischen Schriffteller, die deutschen Typo- und Topo-, Ethno- und Geographen. Gewiß Wenige, und doch ist diese,, vallée des dappes", auf welche kürzlich ein Schweizer, der Oberst v. Cloßmann, in einer besonderen kleinen Schrift aufmerksam gemacht, ein für das ganze mittlere Europa höchst wichtiger Punkt, falls etwa eine franzöfifche Armee wieder einmal Luft bekommen sollte, über die Alpen oder über den Rhein zu ziehen. Das Dappenthal ist ein unentbehrlicher Bestandtheil der westlichen Vertheidigungs-Fronte der Schweiz gegen Frankreich, gleichsam ein vorgeschobenes Außenwerk ihrer zweiten Courtine, die von Genf nach Neuenburg reicht, deffen Aufgeben die Stadt Genf ohne Widerstand in die Hände des Angreifers von Westen her liefern würde." Gleichwohl ist die waadtländische Regierung, der das Dappenthal gehört, schon mehreremal Verhandlungen eingegangen, um der französischen, welche rechtliche Ansprüche darauf zu haben vermeint, daffelbe ganz over theilweise abzutreten. Die Grundbefizer im Dappenthal find sämmtlich Waadtländer; aber seit zwei Jahren haben sich Einige derselben verleiten laffen, ihre Grundsteuern an die SteuerEinnehmer Frankreichs zu zahlen, weil dieses bisher die Unterhaltungskosten der Straße durch das Dappenthal allein getragen. Sollte es Europa gleichgültig sein, wenn durch die Indolenz der Waadtländer ein so wichtiger Strich Landes unversehens als franzöfifcher Boden proklamirt würde? Es scheint doch, als ob die sämmtlichen Nachbarn Frankreichs die solidarische Verpflichtung hätten, dafür aufzukommen, daß auch nicht der geringste Punkt außerhalb des französischen Gebietes, besonders aber wenn er zur Vertheidigungslinie gegen etwanige Eroberungs-Gelüfte gehört, dem gegenwärtigen Befißstand entzogen werde.

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-Agaffiz. Wie es scheint, wird der Profeffor Agassiz, troß seiner öfteren Weigerungen, am Ende doch für die Leitung des Museums der Naturgeschichte im Jardin des Plantes gewonnen werden. Es ist ein Lieblingswunsch des Kaisers Napoleon, diesen berühmten Gelehrten, dessen persönliche Bekanntschaft er in der Schweiz gemacht hatte, nach Paris zu ziehen. Er hat ihm nunmehr ein Gehalt von 25,000 Francs nebst der Senatorwürde angeboten, die mit einem Einkommen von 30,000 Francs verbunden ist, und Agaffiz ist endlich durch diese glänzenden Offerten bewogen worden, Boston zu verlaffen und sich nach Frankreich einzuschiffen, um persönlich mit der kaiserlichen Regierung in Unterhandlung zu treten.

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Das mit dem 30sten d. M. zu Ende gehende Abonnement wird Denjenigen in Erinnerung gebracht, die im regelmäßigen Empfange dieser Blätter keine Unterbrechung erleiden wollen.

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