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monarchie untauglich gemacht, während die Herrscher im Osten trocke nen Fußes nach allen vier Weltgegenden gehen und ein unüberseh bares Festland unter ein Scepter bringen konnten. Sy find denn auch die jezigen Zustände Europa's eigentlich nur Folgen davon, daß mit der Vergeistigung des Westens gleichzeitig eine Verkörperung des Dftens stattgefunden hat, und daß die Ergebnisse dieser beiden Haupt bewegungen der neueren Zeit einander unversöhnt gegenüberstehen. Die rohe Kraft hat sogar Vortheile über die moralische errungen, indem, während der Westen in bildungsgeschichtlicher Beziehung immer größer wurde, der Often ihm in politischer viel zu nahe gekommen ists wie denn die Politik der Zaren überhaupt darin besteht, weniger den leuchtenden Abend dem nebligen Morgen näher zu bringen, ats im Gegentheil den Morgen dem Abend.

mit seiner starken Leibesbeschaffenheit eingefunden hat, würden hat, würden seine Fürsten viel

5) Troß des Uebermuthes, der sich bei Rußland mit seiner

leicht doch nicht in den Wahn verfallen sein: sie hätten die Aufgabe, den europäischen Geißtesstrom mit Ruthen wieder zurückzufegen, um dessen Heimat in heilig gewordenen Wellen zu tränken, wenn Ruß land nicht wirklich mit seiner Religion einen Theil seiner Bildung aus dem byzantinischen Südosten empfangen hätte, und wenn inners halb feiner ganz eigenthümlichen Zustände, die selbst nur Geburten aus einer mißtrauisch vollzogenen Ehe zwischen Natur und Kunst sind, nicht ein Vorurtheil großgezogen worden wäre, das auf seine Geschichte bis zu deren jüngsten Ereignissen herab den entscheidendsten Einfluß ausgeübt hat.

Während Peter der Große, von dessen Wirken sich Rußlands neuere Laufbahn herschreibt, die abendländischen Staaten als Lehrling besuchte, nahm er daselbst Eindrücke der entgegengeseßtefren Art in sich auf. Er bemerkte neben einem großen Treiben, dem er noch lange nachzujagen sich verurtheilt sah, auch ein eitles, genußsüchtiges, gegen welches die einfachere Sitte feiner Völker ihm vortheilhaft abzustechen schien. Die Ausartung an den damaligen Höfen, die blutige englische Staatsumwälzung konnten ihn in dem Glauben bestärken, daß die europäische Gesellschaft, troß ihrer großen Erzeugnisse, innerhalb faul sei; er sah, und dies liegt in der innersten Natur eines jeden Schuldners, mehr die Fehler als die Vorzüge deffen, von dem er borgen mußte, Da das Urtheil seiner Nachfolger, und das der Russen überhaupt, aus denselben Ursachen bestochen war, da echter und falscher Religionseifer die natürliche Kälte ihres Verstandes erhißte, so schlugen fie die Lebenskraft des Westens zu niedrig an und trauten um so mehr der ihrigen einen höheren Beruf zu. Spätere Ereignisse im Abendlande, namentlich die große französische Revolution, unterhielten in Rußland das Vorurtheil von der Morschheit der europäischen Zuftände, und sobald man einmal gewöhnt war, daran zu glauben, sah der Hof, auch wenn ihm von Zeit zu Zeit Zweifel aufstiegen, in diesem Wahne ein zu passendes Mittel zur Ermunterung des russis schen Volkes, als daß er irgend Anstrengungen hätte machen sollen, ihn zu widerlegen. Im Ganzen war es mehr eine falsche Gefühlsals eine Verstandesrichtung der Slaven, was bei ihnen die Ideen über ihren Beruf zur Weltherrschaft genährt hat.

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6) Um diese Zeichnung der Grundlinien des neueren europäischen Bildungsganges möglichst zu vervollständigen, müssen wir hier noch der Türkei, der dritten Macht, die über den bereits angedeuteten Völkerdamm gebietet, erwähnen. Die Slaven des füdöstlichsten Stückes von Europa hätten durch ihre Berührung mit dem griechischen Kaiserthume vielleicht der geistige Mittelpunkt der ganzen Slavenwelt werden können, wenn die Herrschaft der Türken in Europa nicht alle Lebensverhältnisse des Orientes von Grund aus verändert hätte. Die in der Levante wohnenden Christen haben seit dem Untergange von Byzanz ein doppeltes Recht auf die Theilnahme des Abendlandes, denn abgesehen davon, daß dieses das oströmische Reich im Augenblicke der höchsten Gefahr ohne allen Beistand gelassen hat, find auch durch die zerstreuten Kräfte des leßteren neue Bildungskeime nach dem Westen geweht worden, der also nur eine alte Schuld bezahlt, wenn er jeßt für ein freieres Dasein der Brüder im Morgenlande seinen Einfluß geltend macht. Frankreich hat zwar schon seit Jahrhunderten ein Schußrecht über seine im Oriente sich aufhaltenden Glaubensgenossen zu erwerben gewußt; allein die Mehrzahl der dortigen Christen, die sich zu der griechisch-altgläubigen Kirche bekennt, sieht ihre natürliche Schußmacht immer in Rußland und hat von ihm so gar ein endliches Besiegen des Türkenthums in Europa erwartet.

Während nun die gesellschaftliche Bewegung in den türkischen und zum Theil selbst in den österreichischen Slavenvölkern Rußland immer mehr zu stärken trachtete, hat die politische Bewegung in den westlichen Nationen, aus Gründen, die wir später entwickeln werden, dessen Schwächung angestrebt, so daß wir hier aufs neue jene Kraft gewahr werden, welche, unter den verschiedensten Formen wirkend, einem mehr naturwüchsigen Treiben die bildende Arbeit des Geistes entgegenstellt. Strenger als in diesem weiteren Sinne ist die Politik diesesmal wirklich die Künstlerin gewesen, welche, nachdem sie die Ele

mente des Oftens in ihr Bereich zurückgewiesen hat, sie durch Zucht zur Veredlung zwingt. Diese jüngste politische Bewegung, deren Einfluß auf den europäisch-asiatischen Bildungsgang unmittelbarer sein wird, als der Einfluß aller früheren Ereignisse der Art es war, müssen wir, nachdem wir jenen Bildungsgang im Allgemeinen angegeben haben, hier näher betrachten.

7) Rußlands Süden hat sich seit einem Jahrhunderte durch wichtige der Türkei entriffene Theile abgerundet. Diese Eroberungen hatten an und für sich weder etwas Unnatürliches, noch etwas im höheren geschichtlichen Sinne Ungeregtes, Die Herrschaft der Türken in Europa war eine Schmach für die gesammte Christenheit. Das nun, nachdem das Abendland aus kleinlichen Rücksichten das morgenländische Kaiserreich seinem Schicksale überlassen hatte, diejenige Macht, welche dem alten Byzanz ihre Religionen ausgeübt hat, läßt sich vor welche dem alten Byzanz ihre Religion und einen Theil ihrer Bildung verdankt, Vergeltungsrecht an verdankt, Vergeltungsrecht an den Türken

dem Urtheil der Geschichte wohl rechtfertigen. Man kann sich Umstände denken, unter denen Europa einem seiner Staaten für eine solche That zu Dank verpflichtet wäre und ihn zur Fortsetzung des begonnenen Werkes sogar auf das kräftigste unterstüßen würde. Aber die politischen Verhältnisse sind so, daß Europa schon seit vielen Jahren mißtrauisch und ängstlich auf die orientalischen Bestrebungen der Zaren hinschaut und sich dem weiteren Eindringen Rußlands in die Türkei widerseßt. Diese immer bestimmter gewordene Widerstandspolitik beruht auf folgenden Hauptgründen: Rußland hat jest schon einen solchen Umfang, daß es dem ganzen nicht zu ihm gehörigen Europa zweimal auf seinem Gebiete Plag geben könnte, und seine Vergrößerung wird daher als eine allgemeine Gefahr angesehen. Seine fünfundfunfzig Millionen Slaven stehen mit den sechs Millionen Slaven der Türkei und mit den funfzehn Millionen Oesterreichs theils in einem zu nahen Religions- theils in einem zu verwandten Geschlechterverhältnisse; die Türkei ist als Durchgangspunkt zwischen Europa und Asien zu wichtig in staatswirthschaftlicher Hinsicht, als daß man sie Rußland überlassen könnte, und der bloße Gewinn von Konstantinopel allein müßte diesem in der Folge ein entschiedenes Uebergewicht über, alle anderen Staaten, geben.

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Diese Seestadt würde für Rußland nicht allein das feste Schloß zur Bewachung seiner füdlichen Gränzen sein, sondern sie würde ihm auch großen Einfluß auf die politischen und Handels-Verhältnisse der Staaten an der Donau, am Schwarzen, Mittelländischen, Adriatischen, ja selbst am Indischen Meere verschaffen. Wenn Rußland dann durch den Besiß des Sundes auch das Schloß feiner nördlichen Gränzländer gewänne, so könnte es allerdings seine Träume von Weltherrschaft verwirklichen..

8) Zu diesen allgemeinen Interessen, welche die europäische Welt gegen Rußlands Stellung zum Oriente. hat, kommen die besonderen der einzelnen Staaten. Am feindlichsten, in rein politischem Gesichtskreise, steht dem Zaren - Reiche England gegenüber. Es kann zu tieferen Betrachtungen, einladen, daß schon mehr als vierhundert Jahre, bevor die Slaven die Normannen in ihr Land riefen, die alten celtischen Briten ebenfalls ein germanisches Volk, die Angelsachsen, aus Schleswig und dem heutigen Norddeutschland, als Helfer hatten zu sich kommen lassen; daß später England vollends von Normannen überschwemmt wurde, daß ferner nicht allein Rußland, sondern auch Großbritannien ein Herrschergeschlecht normännischen Ursprunges erhalten hat, welches, wie das Rurik's, heute noch den Thron besezt hält und, gleich der Zaren-Linie, zuleßt deutschen Blutes geworden ist, fo daß im neunzehnten Jahrhunderte die größte Land- und die größte Seemacht der Welt von Fürsten germanischer Abstammung und deutscher Ahnenschaft regiert werden. Ebenso merkwürdig ist es, daß normannisches Volk, nachdem es sich, theils geradezu von Skandinavien, theils von der französischen Nordküfte kommend, mit anderen auf den britischen Inseln ansässigen Germanen, namentlich Angelsachsen, gemischt hat, nunmehr als englische Nation nicht allein durch sein geistiges Wirken zur Bildung Afiens in weftöftlichem Zuge beiträgt, sondern daß es das von der europäischen Seite schwer durchgängliche Morgenland auch durch ein oftwestliches Vorwärtsdringen lichtet, und daß selbst sein nordamerikanischer Zweig, in welchem die Eifersucht sich wie ein treibender Saft bewegt, zu einem ähnlichen Durchbruch Aftens veranlaßt wird. Die Krittelei, daß die Söhne der Normannen auch bei dem Gange nach Indien ihre alte Seeräubernatur nicht verleugnet. und neben dem Aufklärungs-Geschäfte noch andere gemacht haben, ändert nichts an dem bildungsgeschichtlichen Ergebniß ihres riesigen Unternehmens; Großbritannien hat durch dasselbe den Weg zu einem Zusammentreffen des westlich und des östlich-europäischen Stromes in den Gebieten Persiens und der Türkei angebahnt. In diesen Weg ist nun Rußland, wo das normannische Element auf trocknen Boden gekommen war, wie ein Keil getreten, indem es vorläufig den Einfluß auf Iran, wie aber die Zukunft zeigen wird, den Besiz deffelben, zum Gegenstande des Zankes zwischen sich und England gemacht hat. Rußlands Ausbreitung in Persien oder in der Türkei

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125 Die St. James Hall. Physioge Das neue Opernhaus. Die St. James Hall. - Physiog nomie der Haymarket-Gegend und die Moral davon. 1.: Das nach viermaligem Abbrennen neuerbaute große Opernhaus, an der Königin Geburtstag eröffnet, habe ich natürlich auch einmal gesehen, und zwar mit der früher schon abgedrofchenen, zur Eröffnung und dann in infinitum wiederholten Hugenotten-Oper. Zwei große Opernhäuser, außerdem Opern in allen zehn größeren Theatern, aber teine neue. Aber zunächst muß es das neue Haus und die Gesellschaft mit mehreren berühmten, männlichen und weiblichen Zug"Pferden thun. Die Engländer find, wie gewöhnlich, ftolz auf dieses Opernhaus und halten es für das prächtigste und größte in der Welt. Es ist, wie fast alle modernen Opernhäuser, zu prächtig und blendend in der Ausstattung außerhalb der Bühne, so daß diese hinten in ungeheuer geschwollenem Halbkreise oft wie ein kleines bunkeles Loch erscheint und selbst die prächtigsten Scenen sich abblassen, schon wegen des Ungeheuers von Kronleuchter. Er ist aus 120,000 Prismen geschliffenen Glases zusammengeseßt und glüht in verschiedenen Eta gen mit 700 Gasflammen. Außerdem brennen in den Logen und Korridoren noch 1000 andere Gasflammen. Wie prächtig erschien mir gegen diesen Glanz die alte dunkele Reitbahn mit einigen trüben Dellampen in den Winkeln, in welcher ich zum ersten Male eine Oper fah. Wie schön strahlte da der Morgen hier am Geftade nach trüber Nacht! Da wußte man die Lichter auf der Bühne zu schäßen, wo über uns, jenseits schmußiger Balken, das baare Dach und an den Seiten die ungeschmückten Pferdestallwände dunkelten! Zwischen der blendenden Weiße und dem Golde dieser Logen und Säulen aber, hinter drei Etagen Gasflammen, 18 Fuß hoch, 14 Füß im Durchmesser und 60 Centnern Glas, die in Tausenden von Ecken und Winkeln funkeln, strahlt kein Morgen auf der Bühne, dunkelt keine Nacht und werden selbst die echten Diamanten auf den Häuptern der Primadonnen eine armselige Affaire. An die Decke hat man ein ungeheures Rad gemalt, nicht gerade ein Mühlrad oder Wagenrad oder Dampfschiff-Schaufelrad, aber doch ein Rad, das etwas Aehnlichkeit mit allen Arten von Rädern hat. An den Bogensäulen hinauf schei. nen alle mögliche Sorten goldener Figürchen und Ungeheuerchen in bas große Rad oben hinaufklettern zu wollen, um durch Studien an Ort und Stelle zu entziffern, was dieses Rad eigentlich bedeuten soll. Die goldenen Bilder erinnerten mich genau an die goldenen Blättchen mit rohgedruckten Figuren, die uns Kindern der Lumpensammler für alte Hemden und dergleichen zugab, nachdem er mit bleiernen Ringen, Zwirn und Nadeln bezahlt hatte. Aber das Opernhaus ist doch das prächtigste und größte in der Welt. Viele Organe der Presse behaupten es dreift und sagen, es übertreffe auch La Scala in Mailand. Zufällig habe ich aber die Notiz gelesen, daß die Bühne in Mailand 51 Fuß in der Oeffnung habe, das Londoner Opernhaus nur 50, die Bühne in Moskau sogar 70 Fuß Oeffnung bei 112 Fuß Tiefe und 1 Fuß Breite. Der Londoner Kunsttempel liegt außer dem in einer schauderhaften Umgebung zwischen engen, gemeinen Straßen, in denen die herrschaftlichen Equipagen oft stundenlang bis nach der Mitte der Oper warten müssen, ehe die Leute aussteigen können. Um die eine Seite wenigstens etwas heiter zu machen, hat man angefangen, einen Krystall-Palast daneben aufzubauen, in wel chem man Blumen ausstellen und verkaufen will. and med Eine andere architektonische Kunstgröße, die in diesem Frühjahre vollendet und eröffnet ward die St. James Hall - zwischen den beiden notabelsten Straßen Piccadilly und Regentstreet, da, wo sie bald zusammenstoßen, versteckt und verbaut, dürfte eher auf Eigenheit und Originalität Anspruch haben, wenn man das Wunderwerk nur von außen sehen könnte. Es ist aber in seiner Situation_nur ein ungeheures Hintergebäude von einigen Dußend Häusern. Inwendig giebt es › mehrere Prachtsäle. Die große Konzerthalle ist vielleicht der schönste und geräumigste Tempel für solche Zwecke, von Owen Jones, einem Aesthetiker und Architekten des Krystall-Palastes, entworfen und nach seinen Zeichnungen ausgeführt. Das Neue und Eigenthümliche bei dieser ganzen Schöpfung sind die großartigen Restaurations und Gesellschaftsfäle, die sich anschließen und stets den ganzen Tag für wählerische Feinschmecker und Herrschaften bei Kaffe geöffnet sind. Ich habe einmal einen Shilling an eine Taffe Kaffee im Gesellschaftszimmer riskirt, um zu sehen, ob die Engländer in diesen à la française eingerichteten Räumen sich entsprechend geniren und parliren lernen. - und wie! Aber sie sprechen nicht Englisch, sondern Deutsch, Französisch, Spanisch, Rusfisch, Ungarisch u. s. w, und waren denn

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auch, auf den ersten Blick, durchaus keine Engländer. Alles Foreigner bei der Kaffe und sehr oft mit emanzipirten Damen in Sammet und Seide und Gold, wie es unter diesem Breitengrade Londons Mode ist. #Einige Engländer faßen auch verloren in Winkeln, staunend und ,,staring". Sie waren offenbar blos gekommen, um sich diese fremde babylonisch-kosmopolitische Wirthschaft einmal anzusehen und dann in ihrem Klub davon zu erzählen. Jeder höchste, höhere und anständige Engländer ist Mitglied eines Klubs, wo kein Fremder und nicht eins mal die eigenen Frauen und Töchter jemals Zutritt haben, in welchen auch der höhere echte Engländer nur nach der strupulösesten geheimen Abstimmung mit weißen und schwarzen Kugeln, und nach Eintrittsgeld von 10 bis 50 Guineen aufgenommen wird und oft eine einzige schwarze Kugel Jahre lange Bemühungen um Aufnahme › vereitelt. Diese heiteren, schwazhaften, musikalischen und tanzenden, „rauchen. dew" Lokale um Haymarket und Regents Circus gehören der höheren Lüderlichkeit, dem Kosmopolitismus, den Fremden, den Juden, Polen, Franzosen, Griechen, Ruffen, Spaniern und importirten Hetären aus Deutschland und Frankreich. Nur die,, fast young men" Englands schließen sich an, spielen aber ftets eine untergeordnete Rolle, und das kostet ihnen nicht selten binnen 2-3 Jahren ein ungeheures, ererbtes Vermögen. Die dummen Jungen werden mit 21 Jahren mündig und. kriegen dann nicht selten, nachdem sie hypokritisch und steril erzogen sind, 10-20,000 Pfund zur vollen Disposition. Damit eilen fie nach London, nach Leicester Square und Haymarket und lassen sich in zwei bis drei Jahren von Roßtäuschern, Hundehändlern und alten durchtriebenen : Hetären (nicht einmal jungen) Alles abnehmen, ohne je eigentlich Spaß dabei gehabt zu haben. Dies fieht sehr komisch aus von ferne, hat aber einen furchtbar trüben Hintergrund, der in erster Instanz in der englischen Erziehung wurzelt. Ich schicke Ihnen ein treues, erlebtes, individuelles Bild derselben, geschrieben von einem jener unzähligen deutschen Lehrer in englischen Pensions-SchulAnstalten. Lesen Sie es und urtheilen Sie dann selber, was dabei für einundzwanzigjährige selbständige Engländer daraus hervorgehen können.

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Bulwer-Lytton und Disraeli,

Es ist in England nichts Ungewöhnliches, ausgezeichnete Schriftsteller in hohen Regierungs-Aemtern zu sehen, aber mit Ausnahme Addison's war bei den meisten derselben die Schriftstellerei nur eine Nebenbeschäftigung, und dem Kabinet Derby war es vorbehalten, zwei Individuen unter seinen Mitgliedern zu zählen, die sich nicht so sehr durch ihre staatsmännischen Leistungen, denn als Hauptrepräsentanten der neueren Roman-Literatur bekannt gemacht haben. In der lehten Zeit sind Bulwer und Disraeli allerdings von Dickens und Thackeray in den Schatten gestellt worden; aber es gab eine Periode, wo man, besonders im Auslande, von englischen Tages-Novellisten nur diese Namen kannte. Ihre Laufbahn hat in mancher Beziehung Aehnlichkeit, troß der verschiedenen Phasen, die sie durchgemacht haben, che sie sich in demselben Ministerium vereinigten. Beide traten zuerst mit sogenannten,,fashionablen“ Romanen auf, der Eine mit „Pelham", der Andere mit,,Vivian Grey" und ,,The Young Duke"; Beide wandten sich allmählich der Erörterung sozialer Fragen zu, die sie im Gewande der Fiction behandelten, ohne ihnen die reale Seite abgewinnen zu können, durch welche die Verfasser von „Bleak House” und „Vanity Fair” ihren Gebilden ein neues und tieferes Intereffe zu verleihen wußten. Auf dem Boden der Wirklichkeit fühlen sich in der That weder Bulwer noch Disraeli recht heimisch; ihre Perfonen find idealisirt, felbft wo sie nach der Natur gezeichnet zu sein scheinen, und die späteren, zur Verherrlichung des toryistischen` „, Jungen Englands" geschriebenen Partei-Romane Disraeli's sind noch phantastischer, als die weniger tendenziösen Arbeiten seiner Jugend.

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Sowohl Bulwer als Disraeli begannen ihre politische Carrière als Radikale; Leßterer ging wohl nur deshalb zu den Konservativen über, weil diese Partei seinem Ehrgeiz einen größeren Spielraum darbot; Ersteren hingegen scheint die Erbschaft eines großen Vermögens mit dem Bestehenden ausgesöhnt und gegen Neuerungen gleichgültig gemacht zu haben, bei denen er persönlich nur noch verlieren konnte. Während aber Disraeli bereits seit Jahren die schöne Literatur an den Nagel gehängt und sich in die Politik vertieft hat, spinnt Bulwer noch heute in den Monatsheften von Blackwood's Magazine einen langathmigen Roman fort; während Jener sich im Unterhause einen hervorragenden Plaß erkämpfte und sich zum Haupt einer großen Partei aufschwang, vermochte Dieser niemals einen bemerkbaren Einfluß im Parlamente zu erringen und blieb fogar mehrere Sessionen hindurch ohne Mandat. Als öffentlicher Redner ist auch Disraeli ungleich bedeutender als sein Kollege, schlagfertiger, gewandter, effektvoller, lecker, unverschämter, wenn man will; die Reden des Baronets von Knebworth find alle „set speeches", während „Coningsby ““

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mehr durch rasche Improvisationen glänzt, als durch mühsam eins Studirte Haranguen. Unter den Verhältniffen, in welchen Disraeli geboren wurde, hätte Bulwer sich schwerlich zu der Stellung em porgehoben, welche Jener einnimmt; von den äußeren Umständen begünstigt, welche Bulwer zu statten kamen, würde es Disraeli leicht geworden sein, eine noch weit glänzendere Rolle zu spielen, als diejenige, zu der er, ohne Konnexionen, ohne das in England fo mächtig wirkende Präftigium eines altadeligen NamensTM und großen Landbefißes und troß des Vorurtheils, das sich an seine Herkunft fuüpft, gelangt ist. Bulwer wäre an Disraeli's Stelle ein bloßer Literat geblieben, wogegen für Disraeli die Litera tur nur ein Mittel war, fich im Publikum einzuführen und die erfte Staffel der sozialen Leiter zu ersteigen. So sehr ihm Bul wer denn auch als Redner nachsteht, ebenso sehr überragt ihn dieser als Schriftsteller; er ist vielseitiger, mehr durchgebildet, feine: Schils derungen find wahrer, gedankenvoller, sein psychologischer Blick ist ficherer, feine Kenntniß des menschlichen Herzens genauer. Beide schreiben einen blendenden, aber nicht ganz korrekten Stil, Beide lieben das Gesuchte, Paradore, aber in allen Uebertreibungen Bulwer's liegt ein Körnlein gesunden Verftandes, während fie bei Disraeli mitunter die Gränzen des höheren Blödsinns" erreichen. Sicherlich aber hätte man in keinem von Beiden bei der Lektüre ihrer Werke den künftigen Finanzminister des größten Geldstaates und den fünftigen Verwalter des unermeßlichsten Kolonialreiches unserer und aller Zeiten vermuthet.

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Pikant ift übrigens der Umstand, daß Bulwer, der Er-Radikale und gegenwärtiges Mitglied eines Tory-Ministeriums, sein Portefeuille dem Rücktritt Lord Ellenborough's zu verdanken hat- desselben Staatsmannes, den er vor einigen dreißig Jahren in seinem „Paul Clifford" unter dem Namen Ned Pepper als Spießgesell einer Räuberbande figuriren ließ, zu deren Portraits ihm das damalige Tory Ministerium sizen mußte.

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Mannigfaltiges.

+e.

Belgien unter Maria Theresia.*) Maria Theresia ist in Belgien eine kaum minder populäre Persönlichkeit, als Karl V. Obgleich sie ihre österreichischen Niederlande" nie selbst besucht hat, war doch die Zeit ihrer Regierung eine so glückliche für diese bis dahin so furchtbar heimgesuchten Provinzen, daß der Tod von „Oos Keizerin", wie sie genannt wird, noch vor wenigen Jahren in den Volksliedern beklagt wurde, welche man zur Weihnachtszeit in den Straßen der vlaemischen Städte singt. Diese Epoche nun hat ein junger vlaemischer Schriftsteller, Lodewyk Mathot, der sich nach seinem Wohnort van Ruckelingen nennt, zum Gegenstand ernster historischer Forschungen gemacht und sie in anziehender Weise für das allgemeine Lesepublikum dargestellt, um das belehrende Geschichtswert zugleich zu einem Unterhaltungsbuch zu machen. In dem ersten Ka pitel giebt der Verfaffer ein flüchtiges Bild der Niederlande seit den Kriegen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts bis zur Thron befteigung Maria Theresia's. Das zweite Kapitel schildert die da maligen politischen Constitutionen der österreichischen Niederlande, deren Verwaltung im sechsten behandelt wird. In dem dritten und vierten Kapitel finden wir eine ausführliche. Beschreibung der fran zöfifchen Feldzüge in Belgien während der Jahre 1745 bis 1748, Das fünfte Kapitel stellt den Zustand des Landes in Bezug auf Ackerbau, Handel und Industrie während des Friedens dar. Das fiebente Kapitel hat das Unterrichtswesen, das achte die Künfte und Wissenschaften zum Gegenstande. Im neunten Kapitel find die leßten Jahre unter Maria Theresia's Regiment geschildert. Der Anhang ent hält einige der wichtigsten Dokumente, welche der Verfaffer zur Abfaffung seines Werkes benußt hat. Frhr. v. R.-D.

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"Die Schamlosigkeit". Von Don Manuel Breton de los Herreros.") Die Spanier haben noch Humor, die „Scham losigkeit" ist ein scherzhaftes Gedicht in zwölf Gesängen, das einen moralischen Hintergrund, die fittliche Entrüftung über das Elend der Zeit, hat. Der Verfasser ist ein bekannter und beliebter Dichter. Er schildert die heutige spanische Gesellschaft, und zwar in einer Reihe von Bildern (cuadros morales), die man leichter aufzählen, als ana lyfiren kann. Es ist eine geistreiche und pikante Satire auf die Sit ten und Laster der Zeit, die sich durch Unparteilichkeit und Unabhän gigkeit auszeichnet. Kein persönlicher Tadel, sondern allgemeine, aus

*),, Belgie onder Maria Theresia", door L. van Ruckelingen. Antwerpen, 1858. gr. 8. 196 S.

**) La Desverguenza, Poema joco-serio, de, Don Manuel Breton de los Herreros. Madrid, Mellado. (Vgl. Revue de l'instruction publique vom 13. Mai.)

der Menge aufgegriffene Wahrheiten, die Jeder fich zu Gemüthe führ ren kann. Der Dichter zeigt scherzend, daß die Scham entschwunden sei und ihren Plaß der Schamlosigkeit abgetreten habe, daß der Schwindel Alles beherrsche. Im Eingange fagt er alles erdenkliche Schlimme von den Frauen; aber im weiten Gefange nimmt er es zurück und thut Widerruf; im dritten hechelt er das Klickenwesen durch, im vierten und fünften die Diplomatie und die Politik, indem er ben Saß durchführt: Jede Regierung ist gut wenn sie regiert (todo gobierno es bueno si gobierna). Dann kommen ber Handel, die Literatur und die schönen Künfte, die in Zukunft nur einen Industriezweig bilden werden (sehr gut!). Die folgenden drei Gefänge, find dem Muthe, der Ehre und der Tugend gewidmet, wäh rend der leßte Gesang ein Durcheinander von tausend Gegenständen behandelt, die der Dichter nur sfizzirt. Zum Schluß: fagt er:

Y diran que soy vate pessimista!....
Aun lo dirian, ay! con maz razon
Si, venciendo el temor con que batallo,
Cantara la mitad de lo que callo.

Man sagt vielleicht, ich dichte reffimistisch;
Nun, sagt es nur: ja wohl, ihr hättet Recht,
Wenn ich, durch Scham im Kampfe minder feige,
Das halb nur sänge, was ich jest verschweige.

Das Gedicht ist gut durchgeführt und gut geschrieben, troß des epischen Stiles, in dem es verfaßt ist. Der Dichter entschuldigt sich deshalb in seiner sehr kurzen Vorrede und einem prächtigen Prologe, der Luft macht, das Uebrige zu lesen; jedenfalls ist es ein Zeichen, daß es in Spanien noch Leute giebt, die einer edlen Entrüftung fähig find. Auch bei uns macht man Anläufe dazu; aber doch nur schüchterne; denn wir find optimistisch, und die Catone spielen eine traurige Rolle.

Neuestes von Dr. J. A. Roth in Palästina. Von_diesem trefflichen Reisenden liegt uns ein interessantes Schreiben, datirt ,,Jerufalem, 4. März 1858“, vor, in welchem er sich hauptsächlich über die bisher dunkel gebliebene Gegend der Wasserscheide im Wady El Arabah ausspricht. Gleichzeitig erfahren wir, daß Roth auf den Vorschlag Alexander v. Humboldt's den weiteren Auftrag erhalten hat, das Basalt-Felsenthal von Aden, die Basalt-Jufel Perím, die Insel Peral mit den Obsidian-Strömen, Zobayer und Farfan, den Vulkan Djebel-Tair und den Vulkan von Medina zum Zweck geologischer Forschungen zu bereisen. (Petermann's Mitth.)

Der afrikanische Reisende Ladislaus Magyar. Ueber diesen schreibt Herr Johann Hunfalvy in Ofen: „Wahrscheinlich ha= ben Sie es schon aus den österreichischen Zeitungen erfahren, daß unser Landsmann, Ladislaus Magyar, den ersten Band seiner Reifen in Afrika in ungarischer Sprache auf dem Wege der portugiesischen Regierung nach Ungarn geschickt und daß die Ungarische Akademie den Beschluß gefaßt, das Werk auf ihre Kosten drucken zu lassen, und mich mit der Korrektur des Manuskriptes und der Besorgung des Druckes betraut hat. In einem Jahre gedenkt er selbst nachhause zu kommen und wird die folgenden zwei Bände mit sich bringen. Das ist der Inhalt der Briefe, die vom 1. März 1857 datirt sind. Dem Briefen und der Vorrede zufolge, soll das ganze Werk folgende drei Theile enthalten. Im ersten Band werden die Kimbunda-Länder zwischen dem 8. und 15o füdl. Br. und 11. und 19o öftl. L. in physischer, politischer, ethnographischer und statistischer Beziehung ges schildert; im zweiten Bande die Mun-ganguella-Länder zwischen dem 3. und 11° südl. Br. und 19. und 27° öftl. L. (von Greenwich); im dritten Bande endlich die verschiedenen Mombuella-Länder zwischen den erwähnten Längegraben bis zum 20° südl. Br. Jm vorliegenden ersten Bande werden in den folgenden Abschnitten geschildert: 1) Benguela und Umgebung, die Mundombe u. f. m.; 2) die Reise nach Bihe, die in vier Abschnitten die verschiedenen dazwischen liegen. den Länder schildert; 3) seine Niederlassung in Bihe und Beschrei bung des Landes; 4) allgemeine Schilderung des Kimbunda-Volkes und seiner Gebräuche (fehr detaillirt); 5) spezielle geographische Beschreibung der Kimbunda-Länder; 6) einige Bemerkungen, über die Sprache der Kimbunda-Völker. Das Ganze ist in zehn Abschnitte eingetheilt und wird gegen 20 Druckbogen ausmachen. Außer eini-, gen ethnographischen Zeichnungen ist eine sehr detaillirte Karte bei gelegt, welche die Küstenländer zwischen dem 9. und 144° füdl. Br. und zwischen dem 12 und 19° öftl. L. darstellt, welche Länder der Fluß Koanza in einem Halbkreis im Osten und Norden begränzt.“ (Petermann's Mitth.)

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Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 Sgt., belbjährlich 1 Lblr. 20 Sgr. und viertelfährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Julanbe portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 72.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwaliftr. Nr.21), sowie von allen königl.Boft-Wemtern, angenommen,

Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Donnerstag den 17. Juni.

Korrespondenz - Berichte aus London.

Ausländische und englische Literatur. Asien und
Amerika.

Es wird immer handgreiflicher, daß England vor lauter Ausland nicht zu sich selbst kommen kann. Ohne uns hier auf die Nemesis der oft bewunderten auswärtigen englischen Politik einzulassen, suchen wir dem Handel und den Händeln Englands mit aller Welt eine erfreuliche Seite abzugewinnen. Diese besteht hauptsächlich in einer literarischen, denn die Handels- und Civilisations-Verbreitungs-Vortheile, welche die Welt dieser auswärtigen Politik Englands verdanken zu müssen glaubt, hätten sich unstreitig auf andere, vielleicht durchweg entgegengesette Weise der englischen Praxis beffer und sicherer und dauernder erreichen lassen. Die literarische, erfreuliche Seite besteht in ethno- und geographischen, touristischen, ferne Länder und Leute schildernden Originalschriften, die denn auch überhaupt die grünen Blätter und goldenen Früchte der neuen englischen Literatur ausmachen. Aus sich selbst schöpft und schafft dieser alte Literaturbaum eigentlich gar nicht mehr, so reich und mannigfaltig auch stets neue Bücher auf den Markt strömen. Man reproduzirt ehemals Produzirtes in tausenderlei Weise. Selbst Dickens, der originellste und produktivste englische Schriftsteller, schafft nicht mehr, sondern macht schon Produzirtes zu Gelde. Er las mehrere seiner Schriften in Auszügen neulich in St. Martins-Hall Abends vor einem Entree zahlenden Publikum vor, das ihn schon kennt und liebt. Wir wollen darüber durchaus nicht mißliebig urtheilen, wie mehrere englische Blätter, sondern fanden in dem einen Vortrage, den wir mit genoffen, den erfrischendften Beweis, daß ein Schriftsteller von Dickens' Persönlichkeit und Popularität nächst dem Produziren nichts Schöneres thun kann, als seine Produkte durch persönlichen Vortrag noch verständlicher, noch schöner, noch populärer zu machen. Dickens hat eine herrliche, gedrungene, energische Persönlichkeit. Er liest nicht, er dramatisirt und bringt durch Stimme, Ton, Miene und Gesticulation die feinsten, verborgensten Züge seiner Personen und Intentionen plastisch, handgreiflich zu Tage, zur Anschauung, beinahe zur Personification. Er hat das feinste, dramatische Talent, das ich jemals in England wirken sah, für das Komischste und ihm Eigenthümlichste, wie sich von selbst verfteht, aber auch für das Tragische und lächelnd Rührendste, wie es so oft aus den Herzen seiner Figuren herausquillt. Also allen Respekt vor solchen Reproductionen, wenn auch gegen Billets für Geld, das Dickens in fürstlichen Quantitäten selber braucht und für leidende Genossen verwendet. In lezterer Beziehung scheint er sich freilich auch nicht von dem allgemein menschlichen, besonders englischen Fehler freizuhalten, daß man dem giebt, der da hat, Empfehlung, Ruhm, Ehre, Geld u. f. w. hat, und das stille Verdienst aus Mangel an Fonds abweist.

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Ich habe hier besonders zwei, Dickens persönlich betreffende Fälle vor Augen. In dem einen Falle wurde ihm ein edler, alter, aber wenig bekannter französischer Dichter, von dem in Paris Tragödien aufgeführt wurden, der später eine zu ihrer Zeit sehr be rühmt gewordene phrenologisch-physiologische Schule und Erziehungs Anstalt in Lüttich etablirte, daraus aber von der Jesuitenpartei vertrieben und ausgewiesen ward, so daß er jegt in London lebt und leidet, empfohlen, ob sich nichts für ihn durch literarische UnterstüßungsGesellschaften 2c. thun lasse. Zugleich sandte dieser einen Beitrag für die Household Words ein. Der Unter-Redacteur antwortete, daß der Beitrag sich nicht eigene, ihm aber jeder paffende Beitrag willkommen sein werde. In Bezug auf die anderweitige Empfehlung kein Wort. Derselbe Dickens aber gehört zu den hohen Herren, die, wie Bulwer-Lytton, Lord John Russell und andere Lords, sich öffentlich erboten haben, Beiträge zu pekuniärer Sympathie für Lamartine anzunehmen. Die Presse, und mit besonderer großthuerischer, ge

1858.

wohnter Nichtswürdigkeit die Times, schlug darüber den ekelhaftesten Lärm: Seht, was wir für eine großherzige Nation sind. Wir sind Herrn Lamartine nichts schuldig, obwohl wir uns über seine noblen Proclamationen von 1848 sehr freuten. Aber er ist und bleibt ein Franzose. Die Franzosen lassen ihn im Stiche. Wir Engländer wollen ihm helfen, und zwar, wie es nur Engländer thun können. Viel Geld soll und wird er haben von uns, vielleicht auch noch mehr Leitartikel und Berichte über Wachsthum und Höhe der gesammelten Beiträge. Gut, Alles sehr nobel. Nur sollte man darüber nicht selbst und nicht in diesem Tone krähen. Nur sollte man in wahrer Sympathie mit den Leiden von noblen Verbannten und Gefallenen, die nicht mit Stiefelwichse und Schwefelhölzchen handeln können, um zu leben, sich nicht auf Namen beschränken, bei denen man diesen Profit herausschlägt, daß man sich des hohen Namens und der hohen Summe öffentlich rühmt. Wie lange haben die Herren des Literary Fund von der Heldenthat gelebt, daß sie einst Chateaubriand unterstüßten! Nun muß Lamartine neues Kapital liefern, womit sie als großherzige, reichste, nobelste Nation wuchern. Niemand denke, daß wir eine einzige Silbe Unehrenhaftes für den noblen Dichter und ehemaligen poetischen Staatsmann einfließen laffen wollen; aber da wir hier an seine öfter zur Sprache gekommenen finanziellen Verlegenheiten erinnert werden, braucht es unter diesen Umständen auch nicht verschwiegen zu werden, daß es Lamartine bisher immer noch in seiner Gewalt gehabt hat, sich gegen die kleinen Misèren des Lebens zu schüßen, daß er aber von dieser Gewalt und respektiven Pflicht nie rechten Gebrauch gemacht hat und seine Liebhaberei für Hunde z. B. nicht beschränken zu wollen scheint. Sein Vermögen ist größtentheils durch 30 Hunde auf den Hund gekommen, die er besser pflegen soll, als der Großtürke seinen Harem. Lehterer macht „Ausverkauf", wenn es ihm schlecht geht. Und ohne Hund kann der Mensch zur Noth auch noch ganz anständig leben oder sich wenigstens mit Einem begnügen. Ich kenne sogar Leute, z. B. mich selbst, die bereits vierzig Jahre alt geworden sind, ohne je Herr und Eigenthümer eines Köters gewesen zu sein.

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Aber das ist eine Richtung von „, Literary Gossip", auf die ich gar nicht anlief, so daß ich umlenken und in die vorgenommene Bahn einlenken muß. Ich hatte die ethno-geographisch-touristische LiteraturBlüthe im Auge, zunächst das neueste Werk über Birmanien von Capitain Yule. Die Engländer nennen es jest, nachdem sie dieses Reich um seine besten Provinzen am Meere beraubt haben, blos Königreich Ava. Sie haben an Indien mehr als genug; der jeßt au Krücken in London umherhinkende Lord Dalhousie meinte aber als General-Gouverneur von Indien, daß es sehr „nüßlich“ sei, zuweilen zu,,anneriren". So annexirte er das Königreich Dude, die Hauptqual Englands, und so wurde Birmanien seiner besten Provinzen beraubt. Lord Dalhousie wollte aber hernach mit dem Beherrscher von Ava Freundschaft schließen, um auf freundschaftliche Weise herauszuschlagen, was mit Gewalt nicht gekommen war. So fandte er den Capitain Yule an den Hof von Ava, um sich „Verträge" zu erbitten. An diesem Hofe wurde er sehr anständig und nobel aufgenommen, aber in Bezug auf Verträge wollte man gefälligst nichts wissen. Wer keine Verträge hält, wenn er Kraft und Luft spürt, Gewalt zu gebrauchen, mit solchem Kunden ist kein sicheres Compagnie-Geschäft zu machen. Aber der König von Ava war sehr höflich und ließ den Capitain alles Mögliche sehen und genießen. Darüber schrieb er ein Buch,°) das unter allen Umständen den Vorzug hat, daß es uns mit einem Land und Leuten bekannt macht, die noch nicht von Touristen ausgebeutet sind und das Interesse des Fer. nen, Fremden und hinter-asiatisch Eigensten bieten. Die Regierungsform, der Hof, die Höflinge, die Stadt Ava, die Bauten, Industrie und Handel, religiöse und wissenschaftliche Zustände und Ansichten, animalische, vegetabilische, ländlich-sittliche Kuriositäten u. f. w. geben

*),,A Narrative of the Mission sent by the Governor General to the Court of Ava in 1855, with notices of the Country, Government, and People". By Captain Yule. London: Smith & Elder. Berlin, Asher & Co.

im Ganzen ein interessantes Buch, obwohl die strikte Wissenschaft ihm auf keinem Gebiete Vortheile verdanken wird. Unter den Kuriositäten nimmt eine im Gesicht total behaarte Familie großen Raum ein, bes sonders ein aus lauter Demokratenbart bestehendes Kindergesicht, dem nur ein Barnum fehlt, um die Welt damit in Erstaunen und Befteuerung zu verseßen. Anderweitige bemerkenswerthe Geschichten find zu lang und verflochten, um mit Vortheil zitirt werden zu können. Ich registrire das Produkt blos als eine Blüthe der blühendsten englischen Literatur und will es damit Intereffenten empfohlen haben. (Schluß folgt.)

Türkei.

Die orientalische Frage der Gegenwart und Zukunft.
(Schluß.)

Wir verlassen hier unseren Autor, der in den folgenden Thesen auf rein politische Erörterungen seines Thema's eingeht, um erst bei der These 56 wieder zu dem kulturhistorischen Standpunkte, von dem er ausgegangen war, zurückzukehren. Und hier nehmen wir den Faden unseres Auszuges wieder auf:

56) Verlaffen wir nun diese mehr oder weniger nationalen Standpunkte, um wieder zu der allgemeineren Seite unserer Betrachtung zurückzukehren und anzudeuten, in wiefern das weftöftliche Zerwürfniß den oben beschriebenen westöstlichen Bildungsgang gefördert hat. Wer sieht nicht, daß der Krieg Rußland, so sehr dessen politische Stellung auch gelitten haben mag, ebenso wie der Türkei, neue Wege gebahnt, neue Ziele vorgesteckt hat? Die Probe geistigen Ueber gewichtes ist von dem Westen glänzend abgelegt worden: er hat bewiesen, daß die europäische Bildung nicht, wie Frömmler ihr vor geworfen haben, die edelsten Naturkräfte auflöst, sondern daß sie alle ursprünglichen Begabungen der Gesellschaft naturgemäßer entwickelt, als dies eine rohe Welt jemals thun kann. Eben die ersten und vorzüglichsten Eigenschaften des Menschen: Muth, Tapferkeit, Ausdauer, Aufopferung, Hochherzigkeit, haben unter den neuen Künsten keinesweges gelitten; sie lehrten vielmehr die Kriegsheere menschlich führen und pflegen; Mars und sein furchtbar angewachsenes Gepäck zu Schiff und zu Wagen mit Dampfesgewalt nach den entferntesten Ländern zu schleppen, Befehle, Wünsche und Klagen in einer Minute Tausende von Meilen weit zu senden, Milliarden in wenig Tagen in den Staatsschaß zu schaffen, wenn auch Mißärudte und Seuchen kurz vorher Land und Leute geplagt haben. So ist es denn auch das größte und erfreulichfte Ergebniß dieses Krieges, daß der Widerstand, den der westliche Bildungs-Zug bisher besonders in Rußland gefunden hat, gebrochen wor. den ist, und daß dieses weite Reich, in welchem ja, wie anderwärts, Millionen edler Herzen schlagen, des Segens einer höheren Bildung und eines größeren Wohlstandes theilhaftig werden wird. So manches Gute aus dem Westen, das die Zaren, trogig und ängstlich zugleich, von ihren Gränzen ferngehalten haben, ist mit den Bomben Frank reichs und Englands tief in das russische Gebiet hineineingeschleudert worden. Der Kosak, der jezt am häuslichen Herde fißend den Seinigen die Thaten aus der Krim erzählt, streut in der dunkeln Hütte den Samen einer freieren Denkweise aus; mag der Pope über die Heiden aus dem Westen predigen, soviel er will: kein Russe ist so verdummt, die Tapferkeit seines Feindes nicht anzuerkennen, keiner so undankbar, sich nicht der Pflege zu erinnern, die er in den KrankenAnstalten dieser Heiden gefunden hat. Doch dies ist nur der dünnste Samenstaub der Bildung, der bis über den Rücken des Urals hinaus geweht worden ist. Die Politik Rußlands selbst wird in Folge der Lehre, die es aus dem jüngsten Kampfe gezogen hat, eine menschen freundlichere Richtung annehmen; das russische Kaiserhaus wird, wenn auch nur, um später mit erhöhten Kräften streiten zu können, der inneren Entwicklung seiner Länder mehr Sorgfalt zuwenden als bisher; ein neues Eisenbahnneß, dessen Anlage ohne diesen Krieg wohl noch lange aufgeschoben worden wäre, wird das Herz Europa's Rußlands entferntesten Gegenden näher bringen. Der Dampf wird die östlichen Zollschranken sprengen, und die Erzeugnisse des westlichen und mitteleuropäischen Gewerbes werden nicht mehr bloße Aufwand-Artikel der höheren Klaffen Rußlands bleiben, sondern, zu allgemeinerem Verbrauche eingeführt, Geschmack und Wohlleben der Slaven fördern, bis es ihnen, was bei ihrer angeborenen Nachahmungs-Gabe vielleicht nicht lange dauern wird, gelingt, sich die zu diesem Wohlleben gehörigen Gegenstände selbst anzufertigen. Auch die Levante wird, mag sie bestehen oder die Grundlagen neuer Staaten abgeben, durch die Gewerbekünfte des Westens eine bequeme Leiter zum großen Morgenlande werden.

57) Unmerklich, aber desto sicherer, führen Bildung und Menschenliebe unser Jahrhundert neuen, bisher ungekannten Zuständen entgegen. Als Staatenverkörperungen können die Menschen sich noch lange be kriegen; als Glieder der Gesellschaft rücken sie einander immer näher. Wo hat man je eine solche Ineinanderschlingung von Unternehmungen,

von Rohmaterial der Barbaren und geistigem Gute der entwickelteren Völker gesehen! Der Engländer und Franzose zahlt Steuer, mit der man den Kriegsschat zum Kampfe gegen Rußland füllt, und dann kauft er Actien, um Lehterem seine Eisenbahnen zu bauen. Marschall Pelissier schießt Bresche in Sebastopol und öffnet damit den Pariser und Londoner Bankherren den Weg nach Petersburg. Bildungsgeschichtlich ist es bedeutungsvoll, daß Frankreich und Großbritannien, nachdem sie innerhalb zweier Jahre sechstausend Millionen Franken zur Schwächung Rußlands verausgabt haben, doch noch reich genug find, unmittelbar nach dem Kriege Geld zum Bau seiner Eisenbahnen herzugeben; politisch ist das aber eine ironische Erniedrigung für Rußland. Der Bildungsstrom rollt diesmal in baarer Münze nach dem Often und ist sich seiner Kraft zu bewußt, um sich darum zu fümmern, ob er Rußland durch die Eisenbahnen nicht gerade die Mittel giebt, die demselben bisher noch zur Erreichung seiner Zwecke gefehlt haben. Untersucht man dieses Verhältniß in Bezug auf die besondere Lage der Dinge, so findet man die englische Regierung bestrebt, die Ruffen von den Gränzen Indiens fernzuhalten, und die Engländer nicht minder wie die Franzosen bereit, ihnen zu den Eisenbahnen, die sie mehr oder weniger unmittelbar dahin führen sollen, Geld zu leihen.

Kaiser Nikolaus hatte sein stilles Vergnügen an dem westlichen Actien-Schacher und glaubte ein guter Wirth zu sein, wenn er, anstatt sein Geld für Eisenschienen auszugeben, es in der Festung von St. Petersburg zu vermeintlichen größeren Zwecken aufhäufte; aber die allerdings beklagenswerthen Erscheinungen des Papier-Schwindels und des Haschens nach Reichthum, die sich seit dem Beginn des Eisenbahnbetriebes so weitgreifend entwickelt haben und die, beiläufig gesagt, in kleineren Verhältnissen immer und in anderer Form auch in Rußland vorhanden waren, konnten die Wirkung jener großartigen Unternehmungen nicht stören, denen schließlich der Hauptantheil an der Niederlage Rußlands zugeschrieben werden muß. Nächst der Ueberlegenheit, welche die westlichen Heere ihrer freieren und ge= lenkeren Einrichtung verdanken, war es Geld und Dampf, was den örtlichen Sieg über Rußland entschieden hat. Diese Wahrheit kann den moralischen Sieg nicht schmälern, denn die bisher ganz ungekannten riesigen Verhältnisse, nach denen man bei diesem Kriege Zeit und Dampf angewendet hat, beweisen, daß diese keine rohen Kräfte, sondern das Ergebniß einer ungeheuren geistigen und materiellen Arbeit waren, hinter welcher Rußland fast gänzlich zurückgeblieben ist.

58) Die Geschichte lehrt uns, daß die Scythen, von denen die Sarmaten oder Slaven abstammen, auf der taurischen Halbinsel, der jeßigen Krim, ihren Siß gehabt haben. Schon in den ältesten Zeiten stand dieser Volksstamm einer sittlicheren Welt schroff gegen= über, und griechische Dichter haben uns die schöne Sage von der wunderbaren Errettung Iphigeniens im finstern Taurien, wo man Menschen opferte, aufbewahrt. Dieser barbarische Brauch seßte Dianens Priesterin in Gefahr, ihren Bruder zu tödten und also, symbolisch genommen, die Handlung des Krieges zu begehen, in welchem die Menschen, die doch alle mit einander verwandt sind, sich gegenseitig hinschlachten, weil sie sich nicht kennen. Das blutige Opfer, das unlängst auf Taurien gehalten wurde, ist aber noch wunderbarer als das Jphigeniens, denn es hat die Besiegung desselben scythischen Geistes zur Folge gehabt, der dort schon vor Jahrtausenden unter anderen Formen waltete.

59) Edel ist im Grunde das Trachten der Slaven, einen eigenen Bildungszustand herzustellen; doch ihr Streben, die Idee des Panslavismus zu verwirklichen und in Europa das Hauptvolk zu werden, ist ein selbstsüchtiges. Indem wir hier als Deutsche gegen dieses Streben auftreten, geschieht es nicht, weil wir uns oder anderen Nationen die Herrscherrolle zuschreiben wollen, sondern weil wir uns selbst nur als dienende Werkzeuge des einen und allein möglichen Bildungsgeistes betrachten, welcher nun einmal zu den Jdealen der Vernunft den hoffnungsvollsten Flug genommen hat.

Als die Bildung nur das Ergebniß eines mehr oder minder verfeinerten Naturdienstes war, der sich den körperlichen und geistigen Bedürfnissen der Völker anschmiegte, als sie noch keinen Mittelpunkt hatte, sondern, wie die zerstreute Naturkraft, an verschiedenen Punkten der Erde emporblühte, ja selbst als das bei weitem geistigere Judenthum in einer heidnischen Welt eingemauert war, da konnte sehr wohl von mehreren Bildungsarten die Rede sein. Vereinzelt, wie sie waren, knüpften sich auch die Namen der einzelnen Völker an sie, welche sich durch feinere Sitten ausgezeichnet hatten. Seit dem Christenthume aber wurzelt die Bildung nicht mehr im Dienste der Natur, sondern in dem des Geistes, und darum ist sie auch wie dieses bei aller Viel fältigkeit einfach geblieben, so daß es jezt eigentlich keinen englischen, französischen und deutschen, sondern nur einen allgemeinen europäischen Bildungszustand giebt, in welchem Wissenschaft und Erkenntniß, deren Endziel nicht doppelt sein kann, sowohl Zweck wie Mittel ist. Welcher Art soll nun der Bildungszustand sein, den die Slaven in Europa

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