Billeder på siden
PDF
ePub

erwähnten Vertrage ist als Maximum des Wergeldes für die Tödtung eines Gesandten, eines Priesters oder einer Geißel zwanzig Griwen Silber bestimmt: der Mord eines Kaufmanns wurde, wie schon aus den von Karamsin mitgetheilten Urkunden erhellt, mit einer Buße von zehn Griwen geahndet. Auf die Verlegung der weiblichen Ehre feßt die Russkaja Prawda teine Strafe; dieses Vergehen unterlag bei den alten Ruffen bem, geiftlichen Gericht, indem es bei der Rohheit der damaligen Sitten nur für eine Uebertretung der firchlichen Geseße, nicht für eine Rechtswidrigkeit galt. Die Deutschen aber, die in der bür gerlichen Entwickelung höher standen als die Ruffen, bestraften diese, wenn sie bei ihnen sich eines solchen Vergeheng schuldig machten, wo nach die Russen begannen, dasselbe Prinzip auch auf die Deutschen anzuwenden. So ist in dem Vertrage vom Jahre 1228 (bei Karamsin Bd. HI, Anm. 248) ein Wergeld von zehn Griwen Silber für die einem Frauenzimmer freien Standes angethane Gewalt festgestellt; in dem vorliegenden Dokumente aber find die hierauf bezüglichen Verfügungen viel genauer und ausführlicher. Wer ein freies Mädchen oder eine verheiratete Frau entehrte, mußte vierzig Griwen zahlen; eine Sklavin, der man Gewalt angethan, erhielt die Freiheit. Wahr. scheinlich wurde sie auf Kosten des Verbrechers von ihrem Herrn los gekauft, obwohl dies nicht ausdrücklich gesagt wird. Jene vierzig Griwen wurden in Ledergeld (wetchimi kunami) erlegt, was natürlich einen viel geringeren Werth hatte als Silber, da sonst die Gewalt mit einer viermal höheren Buße bestraft worden wäre, als eine Bestimmung, die gegen den Geist der altrussischen fofford verstoßen würde. Unter den für Verlegungen der weiblichen Ehre angedrohten Strafen findet sich auch eine, die auf eine Handlung Bezug hat, welche noch jezt in Rußland unter dem gemeinen Volke zu den schwersten Kränkungen gerechnet wird, deren man sich gegen eine Frauensperson schuldig machen kann. Wer", heißt es,,,einem Weibe oder einem Mädchen den Powoi (ein um den Kopf gefchlun genes Tuch) abreißt, so daß sie barhaupt dasteht, der zahlt sechs Griz wen für die Schmach.“

Ein zweites bemerkenswerthes Altenstück ist der im Jahre 1330 abgeschloffene Handelstraktat zwischen Polozk und Riga. Er beginnt mit einer Bestimmung über die Richtigkeit der Maaße und Gewichte, die indeß kürzer ist, als in einem späteren Vertrage zwischen den beiden Städten vom Jahre 1407 (in den Akten der archäographischen Kommission Bd. 1). Dann folgt ein höchst wichtiger Punkt: wenn ein Kaufmann,,uureine Waare" einführt (z. B. Wachs mit Talg vermischt), so kann er mit seiner Waare in die Heimat zurückreisen, wo er für den Betrug von seinem eigenen Landesherrn gerichtet wird. Es ist dies eine Ausnahme von dem in allen anderen Fällen aufgestellen Jurisdictionsprinzip, nach dem der Schuldige immer an dem Ort zur Verantwortung gezogen wurde, an welchem er sein Verbrechen begangen hatte. Der Rechtshandel über eine Kirchenglocke" wird vor dem Fürsten von Smolensk von dem Deutschen Birel gegen den Russen Armenowitsch geführt; der Leßtere wird verurtheilt und mit seiner ganzen Familie dem Kläger ausgeliefert! Bei diesem Prozeß finden fich die ersten Spuren eines Mischgerichtes, indem neben dem Fürsten von ruffischer Seite vier Bojaren und von deutscher vier Kaufleute als Richter fungirten. lim

:

1

Der Hauptzweck aller von den beiden Nationen geschloffenen Ueber. einkünfte bestand darin, für die Sicherheit und Ordnung der gegensei tigen Handelsverbindungen zu sorgen. Schon in den zwei von Karamsin veröffentlichten Verträgen Novgorods und Smolensk's mit Riga und Gothland sind diese Beziehungen recht anschaulich dargestellt. Ihre Hauptbestimmungen sind folgende: Die Düna ist auf ihrem ganzen Lauf frei für die beiderseitige Handelsschifffahrt; der Handel in Waaren jeglicher Art ist völlig frei und keiner Steuer unterworfen; an gefähre lichen Stellen (bei dem Wolok) werden den Kaufleuten Führer gegeben; die deutschen, Gäste" bilden in Novgorod und Smolensk eine Ge meinde, die ihre Händel selbst schlichtet und ihre eigenen Behörden ernennt, ebenso wie die Novgoroder und Smolänen in Riga; im Falle eines Streites zwischen Deutschen und Ruffen entscheidet die Landesbehörde, doch kann der Angeklagte nicht während des Prozeffes verhafter wetu.*, rven, wenn die Aeltesten seiner Gemeinde für ihn Bürg schaft leisten; die Kaufleute sind vom Kriegsdienst im fremden Lande erimitt; in Konkurssachen wird der fremde Kaufmann vor dem eineximirt; in Konkurssachen wird der fremde Kaufmann vor dem ein heimischen befriedigt und genießt auch andere Freiheiten, indem er 3. B. das Gottesurtheil zurückweisen kann; die deutsche Faktorei (gostiny dwor) ift mit Rechten ausgestattet, die fast der Exterrito rialität gleichkommen, nur der fürstliche Gesandte darf sie betreten, und selbst Verbrecher finden in ihr eine Freistätte.

Auf solchen internationalen Prinzipien war der Verkehr der westruffischen Städte mit der Hansa gegründet. Beide Theile erkannten

[ocr errors]
[blocks in formation]

Deutsche Literature in Italien. Die trefflich redigirte Mailänder Zeitschrift 11 Crepuscolo, von welcher jede Wochen-Num mer einen von einem wohlunterrichteten und vielseitig gebildeten Korrespondenten geschriebenen, aus Berlin datirten Bericht über wiffenschaftliche und literarische Erscheinungen in Deutschland enthält, hat jezt eine Reihefolge von Artikeln über die deutsche Literatur im neune zehnten Jahrhundert (Della letteratura germanica nel secolo XIX), unterzeichnet von Tommaso Gar, begonnen. Wir freuen uns aufrichtig, daß in der alten Hauptstadt des künstlerischen und wissenschaftlichen Italien ein Organ sich findet, das,,sine ira et studio", ohne Haß und Vorurtheil, wie sie sich nur zu häufig in die Urtheile der Italiäner über die „Tedeschi” mischen, über den Geist und die fitt lichen Bestrebungen des benachbarten Deutschlands. sich ausspricht. Als Quellen, die Herr Tommaso Gar für seine Darstellung benutt hat, nennt er vor Allen Gervinus, sowie demnächst Julian Schmidt, dem er, außer einer großen sittlichen Strenge, auch eine hohe Unparteilichkeit vindizirt, welche leßtere ihm in Deutschland keinesweges so allgemein zuerkannt wird, als Herr Gar. annimmt. Aber auch Koberstein und Rudolph Gottschall sind von dem italiänischen Berichterstatter gekannt und benußt. Sein erster Artikel beschäftigt sich mit der deutschen Literatur von Klopstock und Leffing bis zu Goethe's ,,Gög" und,,Werther", wobei natürlich auch Herber's und Kant's nicht vergessen ist. Sehr schön find folgende Worte über das Wieders erwachen der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert:

La rigenerazione della letteratura germanica procedette dalle medesime fonti, alle quali è dovuta, mediante Italia, la civiltà dell' Europa: dallo studio della classica antichità. L'iniziatore dell' éra nuova fu il Winckelmann, che vissuto e morto tra noi, inamoró dell' arte greca le menti de' suoi compatrioti.”

Dieselbe Nummer des Crepuscolo, welche diese Reihefolge von Artikeln beginnt, enthält übrigens auch aus der Feder des oben ers wähnten Korrespondenten in Deutschland eine ziemlich vollständige Uebersicht aller deutschen schönwissenschaftlichen Blätter, wobei wir dem wohlwollenden Berichterstatter für die gute Meinung, die er auch über unser Blatt und dessen Bestrebungen ausspricht, sehr verbunden find. b

[ocr errors]
[ocr errors]

Ausgrabungen in Ostia. Die römische Regierung läßt bereits seit einiger Zeit. Ausgrabungen an der Stelleveranstalten, wo die alte Stadt Ostia gestanden, ungefähr eine italiänische Meile von dem elenden Dorfe entfernt, das jezt diesen Namen trägt und deffen heutige Einwohnerschaft aus zehn Männern, vier Weibern und drei Priestern besteht. Die von den Sträflingen einer nahegelegenen kleinen Festung ausgeführten Arbeiten werden von dem Ritter Guidi geleitet, der im Laufe des vorigen Monats (Mai) eine römische Straße entdeckt hat, die in ähnlicher Weise, wie die Straßen von Pompejíz gepflastert ist. Kurze Zeit vorher hatte man große, mit prachtvollen Mosaikböden ausgestattete Bäder aufgefunden. Diese Mosaiten find ebenso merkwürdig durch die Schönheit der Zeichnung als durch die Pracht der Farben; leider haben sie jedoch an einigen Stellen, wo sich der Boden gesenkt hatte, sehr gelitten. In dem Hauptbade fand man zugleich eine ausgezeichnet schöne Marmorstatue, an welcher eine Hand fehlt. Aus einer Schriftrolle, die man unter den Trümmern gefunden hat, will man den Schluß ziehen, daß diese Bäder für den Kaiser Hadrian gebaut worden waren.

[ocr errors]
[ocr errors]

-Palästinensisches Museum in Paris. Ein solches ist seit dem 20. Mai d. J. in den Souterrains des Pantheons (der St. Genofeven Kirche) in Paris eröffnet, unter der Benennung: Musée de la Terre-Sainte." Dieses Museum, das einzige in Eu ropa existirende dieser Art, besteht aus verschiedenen, in Palästina, bei der wissenschaftlichen Expedition des Herrn v. Saulcy, in den Jahren 1850 und 1851 veranstalteten Sammlungen; ferner aus eineur großen Plan en relief von Jerufalem, deffen mathematische Genauig feit und Treue von Allen, welche die heilige Stadt gesehen haben, anerkannt wird. Für eine Eintrittskarte in diefes Museum ist ein Franc (8 fgr.) zu bezahlen.

I.

[ocr errors]
[ocr errors]

Herausgegeben und rebigirt von J. Lehmann. Im Verlage von Beit, & Comp, acup Berlin, gedrückt hei, A. W. HAYV, {*

Böchentlich erscheinen 3 RummerE, Preis jährlich s Thlr. 10 Sgt., balbjährlich 1 Ibir. 20 Sgr. und vierteljährlich 25Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

Nợ 69.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit a. Comp., Jägerstraße Rr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwallfir. Nr.21), sowie von allen königl. Post-Nemtern, angenommen,

Literatur des Auslandes.

Syrien.

Ein fyrischer Gerichtshof.

Berlin, Donnerstag den 10. Juni.

Schreiben eines Engländers aus Beirut.

Es giebt nichts, was mit europäischen Ideen in schlagenderem Gegensaß steht, als ein orientalischer Gerichtshof. Von einem gefeßlichen Verfahren ist fast keine Spur bemerkbar; man wird unwillkürlich zu der Ueberzeugung geführt, daß Alles von reinen Zufälligkeiten abhängt. Vor einigen Tagen besuchte ich das Haupt- Tribunal von Beirut. Dieser Tempel der Themis befindet sich im Serail, der Amtswohnung des Pascha, und wir nahmen unseren Weg dahin durch eine enge, schmußige, übelriechende Straße, deren Krümmungen und Windungen den Lauf der Gerechtigkeit im Osten zu symbolisiren schienen. Aus dem Hofraum des Serails gelangten wir auf einer baufälligen Treppe zu dem Vorzimmer der Gerichtsstube, in welchem die Gefangenen, ihre Freunde, ihre Ankläger, die Wachen, die Diener und das Gefolge der Richter umher standen oder saßen, rauchten und sich mit einander unterhielten. Der Lehmboden war mit WasserPfüßen bedeckt; in einem Winkel stand auf einem Kohlenbecken die unvermeidliche Kaffeekanne und in einem anderen eine Sammlung von Säbeln, Musketen, Narghile's, Pfeifenstielen und ähnlichen Geräthschaften. Durch einen Thürweg, über den ein Vorhang gezogen war, erhielt man Zutritt zu dem Gerichtshofe selbst, einem Gemach, dessen Aeußeres mit unseren Begriffen von derartigen Lokalitäten sehr wenig harmonirte. Als wir eintraten, erhoben sich die Richter mit wahrhaft orientalischer Höflichkeit und machten ihre Salâms, während der Präsident mich einlud, neben ihm auf dem Divan Plaz zu nehmen, worauf man, nach einigen gegenseitigen Komplimenten, mit den Verhandlungen fortfuhr. Bald wurden uns jedoch Pfeifen gebracht, und es erfolgten neue Salams; dieselbe Ceremonie ging beim Präfentiren des Kaffee's vor sich, und wir hatten dann Zeit, unsere Aufmerksamkeit dem auf der Tagesordnung stehenden Rechtsfalle zuzuwen den, sowie einen Blick auf unsere Umgebungen zu werfen.

Das Gemach, in welchem wir faßen, schien nebst dem Vorzimmer den ganzen Raum zu bilden, der zu gerichtlichen Zwecken bestimmt war. Ueber den Inhalt des Vorzimmers hatten wir uns schon gewundert, aber die Einrichtung der Gerichtsstube selbst stand mit ihm in vollkommenem Einklang. Es war ein ziemlich hoher Saal, mit Fenstern an drei Seiten, verziert mit Musselinlappen statt der Vorhänge, und an denselben Seiten mit Divans versehen, die etwa die Hälfte der Zimmerlänge einnahmen; ein vierter Divan mit einer Rückenlehne streckte sich bis in die Mitte des Zimmers aus und ließ nur einen Durchgang von etwa sechs Fuß Weite. Auf diesem QuerDivan hatte der Secretair des Gerichtshofes seinen Play, ein alter Herr, der mit großer Emfigkeit Akten kopirte, indem er zur Abwechse lung dann und wann seinen Turban auf die Seite schob und sich ungemein energisch und mit sehr schmußigen Fingern die Glaße kraute. Auf den anderen drei Divans saßen die Mitglieder des Tribunals und die Advokaten des Klägers und des Verklagten, d. h. wenn sie nicht im Saale umher spazierten und sich auf eine halbe Stunde oder länger entfernten, was sie durchaus nicht außer Stand zu sehen schien, über eine Sache zu entscheiden, die sie nur theilweise oder gar nicht gehört hatten.

Der Gerichtssaal war innerhalb des von den Divans eingenommenen Raumes mit Matten bedeckt. Jenseits dieses geheiligten Umkreises kam der Lehmboden zum Vorschein, und dort standen die Angeklagten und die Zeugen. Bald nach unserer Ankunft erhob sich der Präsident, nachdem er einem Delinquenten den Text gelesen, von seinem Ehrenplaß und begab sich außerhalb der Gerichtsschranken, wo er die von dem Islam vorgeschriebenen Waschungen verrichtete und, fich auf einen kleinen Bet-Teppich niederlaffend, seine Andachts-Ucbungen ganz ungenirt durchmachte, ohne sich durch das unterdessen statt findende Zeugenverhör im mindesten stören zu lassen. Sobald er

-

1858.

fertig war, kehrte er auf seinen Siz zurück, indem wir, der Etikette gemäß, Alle aufstanden und ihn grüßten, als wäre er eben in das Zimmer getreten; man brachte ihm eine frische Pfeife, reichte Kaffee herum, und während dieser ganzen Zeit wurden die Verhandlungen ruhig fortgesest, mit deren Aufzeichnung sich jetzt noch ein zweiter Schreiber beschäftigte. Zum Glück ist das Arabische eine sehr kompakte Sprache man kann viel mit wenigen Worten ausdrücken; da es jedoch schwer hält, von einem Araber eine direkte Antwort zu erlangen, so sind die Aussagen troßdem ziemlich weitschichtig, und wenn die Sache nicht eine gewisse Bedeutung hat, nimmt man sich nicht immer die Mühe, sie niederzuschreiben. Der Präsident macht keine schriftliche Notizen; dies Alles ist einem oder zwei Secretairen überlaffen, die, gleich den Uebrigen, mit gekreuzten Beinen sißen, indem sie das Papier auf der flachen Hand halten und es vermittelst eines Rohrstifts mit jener wunderbaren Nachahmung der Spur einer in Tinte getauchten Fliege — arabischen Schriftzeichen bedecken.

Die Archive des Gerichtshofes befanden sich, wie es schien, in den zahllosen Fächern eines sehr hohen Schrankes ohne Thüren, der in der Nähe des alten Schreibers stand. Oben lagen ein großes Bündel und zwei schwere Jatagane; man sagte mir, es feien die Geräthschaften des Scharfrichters. An jeder Seite der Thür waren Reihen von Pflöcken eingeschlagen, von welchen auf der einen Seite große leinene Säcke, mit arabischen Charakteren beschrieben, herabhingen, welche die Stelle der ehrwürdigen blauen und rothen Säcke in den englischen Gerichtshöfen vertraten, indem sie die auf die vorliegenden Fälle bezüglichen Dokumente enthielten. Auf der anderen Seite waren die Pflöcke mit den Flinten, Säbeln, Pistolen, Patrontaschen u. s. w. der Soldaten behangen, die beim Gerichtshofe Wache hielten, und auf einer in der Ecke des Zimmers aufgespannten Leine trockneten die Handtücher, welche die muhammedanischen Beisiger des Tribunals zu ihren Waschungen gebraucht hatten.

Der Angeklagte, der jetzt vor Gericht stand, war ein Araber, der in einem europäischen Handlungshause diente und in deffen Rechnun gen sich ein Defizit von einigen hundert Pfund Sterling vorgefunden. Da er von,, respektabler" Familie war, so gab man ihm einen Stuhl; neben ihm ließ man den Zeugen, der eben verhört wurde, Plag_nehmen, der Kläger rauchte seine Pfeife auf dem Divan zur Seite des Präsidenten, und in dessen Nähe saß der Dragoman seines Konsulats, der von Amts wegen als Mitglied des Tribunals fungirte. Das Verfahren war einfach genug. Von einer Anklage-Akte war keine Rede. Der erste Secretair fragte den Delinquenten, was er mit dem Gelde gemacht habe, worauf dieser erwiederte, daß Jemand es ihm gestohlen haben müsse, und dann stellte Jeder eine Frage oder machte eine Bemerkung, wie es ihm gerade einfiel, forderte den Verklagten auf, die Wahrheit zu sagen u. f. w. Mitten im Verhör nannte der Angeklagte einen seiner Kollegen als die Person, die des Diebstahls verdächtig sei; sogleich wurde ein Janitschar abgeschickt, um ihn vorzuladen, während die Nichter sehr ruhig fortrauchten und sich ganz offen über das Gehörte ausließen. Der angebliche Dieb rief Zeugen auf, um seine Unschuld zu beweisen; diese mußten geholt werden, und da fie von niederem Stande waren, so leisteten sie den Eid und gaben ihr Zeugniß, hinter dem alten Schreiber stehend, außerhalb der um die Divans gezogenen Schranken. Der Angeklagte, die Zeugen, die Schreiber und die Richter sprachen, wann es ihnen beliebte und zuweilen Alle auf einmal, und am Ende der ersten Tagessizung war nichts geschehen, was irgend ein Licht auf die Sache geworfen hätte; der Angeklagte verlangte nun, daß die Wohnung seines Kollegen durchsucht werde, und dieses wurde ihm auch bewilligt. Ein zweiter und dritter Tag vergingen so ziemlich in derselben Weise, aber am vierten wurde es im Publikum bekannt, daß jezt ein Urtheil zu erwarten sei, und die Glaubensgenoffen des Verklagten unter den Mitgliedern des Tribunals stellten sich vollzählig ein. Derselbe war nämlich ein christlicher Maronit, und man dachte weniger an die Frage über Schuld oder Unschuld, als an das Aergerniß, das die Verurtheilung seinen Freunden und Glaubensbrüdern verursachen würde.

Der Präsident des Gerichtshofes, der ein Türke war und klarere Anfichten von der Gerechtigkeit zu haben schien, als die Christen, äußerte sogleich die Meinung, daß der Angeklagte schuldig sei, aber unter mildernden Umständen, indem das vermißte Geld sich nicht bei ihm vorgefunden habe und man ihn also nicht direkt die Entwendung des felben überführen könne. Wahrscheinlich habe er es nur verborgt, in der Absicht, es später wieder einzuzahlen. Der Präsident glaubte mithin, daß es genügen werde, ihn zu einer Gefängnißhaft von drei Monaten und zum Ersaß der abhanden gekommenen Summe zu verurtheilen. Man fragte nunmehr den Kläger, welche Strafe er denn ver lange. Es würde ihm zu verstehen gegeben, daß, wenn er den Vorschlag des Präsidenten annähme, die christlichen Mitglieder des Tribunals auf eine kürzere Frist dringen würden; er behandelte daher die Sache wie ein kaufmännisches Geschäft, indem er ein Jahr Gefängniß for derte, um sich nachher mit den drei Monaten zu begnügen. Nach langem Feilschen kam man überein, es bei leßterem Zeitmaß bewen den zu lassen, und mit abermaligen Salâms von beiden Seiten verließen wir den Gerichtssaal, höchlich erbaut von dem ganzen Verfahren. Der Kontrast, den diese Verhandlung gegen englische KriminalProzesse darbot, war unterhaltend genug. Von Sachwaltern, von beredten Ansprachen an die Geschwornen, von juristischen Spitfindig keiten ist hier keine Spur. Wenn der Delinquent etwas zu seiner Rechtfertigung sagte, das dem Präsidenten unwahrscheinlich vorkam, so hielt ihm dieser eine Strafrede oder unterbrach ihn mit dem Ausruf: Bosh! (Unsinn!) Der Konsulats-Dragoman und der Kläger zogen den Präsidenten oft bei Seite, um mit ihm Rath zu pflegen, besonders als es sich um die Art und Weise handelte, in der man das Urtheil fällen und in Kraft sehen wollte. Eine Thatsache jedoch, die sich jedem Fremden hier aufdrängt, ist die Abneigung, die man dagegen empfindet, Schuldige jedweder Art zu bestrafen. Eine Verurtheilung ist überaus schwer zu erwirken, wenn einer von den fremden Konsuln sich nicht der Sache annimmt. Auf beiden Seiten wird mit so unerschütterlicher Dreiftigkeit durch Dick und Dünn geschworen, daß die Mitglieder des Gerichtshofes fich in der Regel mit dem Gedanken trösten, Gott allein könne am Ende wissen, wer die Wahrheit sage, und wenn daher die Schuld des Angeklagten nicht sonnenklar bewiesen wird, so kann er fast mit Sicherheit auf Freisprechung rechnen. Ist aber seine Strafbarkeit nicht zu bezweifeln, so wird gewöhn. lich darauf Rücksicht genommen, daß seine Verurtheilung auch seine Freunde und Verwandten unglücklich machen oder ihnen wenigstens verdrießlich sein würde, und dergleichen Erwägungen haben auf das Urtheil großen Einfluß. So werden wohl arme Leute mitunter streng bestraft, aber die Reichen läßt man fast immer laufen, wie es neulich mit dem Sohn des Defterdars von Beirut der Fall war. Dieser junge Mann hatte einen Zollbeamten an einem der Stadtthore nieder gestochen, und sein Verbrechen war offenkundig. Die Richter begnügten sich damit, ihn zur Auszahlung einer kleinen Summe Geldes an Die Familie des Ermordeten und zur Vertheilung eines reichlichen Vorrathes von Brod unter die in der Stadt umherirrenden Hunde zu verurtheilen. Damit war die Sache abgemacht, und der Ruf des Mörders hat, wie es scheint, in den Augen seiner Mitbürger nicht im mindesten gelitten.

Allah akbar! Wahrlich, es geschehen im Orient wunderbare Dinge! (D. N.)

Italien.

Der Buchhandel in Italien.
JII.

Der Kongreß zur Erörterung des geistigen Eigenthumsrechtes in Brüssel.

Unterdeffen ist von Brüffel (20. März 1858) ein Ausschreiben ergangen, welches stimmfähige und sonst geeignete und einflußreiche Männer aus allen Ländern zu einem Kongresse einladet, der am 27. September dieses Jahres zu Brüssel zusammentreten soll, um das geistige Eigenthumsrecht zu besprechen und möglichst zweckmäßig zu bestimmen. Hoffentlich wird es dabei auch nicht an stimmfähigen Männern aus Deutschland fehlen, welches, als das Centralland des literarischen Europa, hauptsächlich den Beruf zu haben scheint, dabei ein Wort mitzusprechen. Inzwischen bekommen wir dieses Ausschreiben zuerst in dem italiänischen Journale II Crepuscolo zu Gesicht, und da sich die Thätigkeit jenes Kongresses gerade auf einen Gegenstand bezieht, der mit dem in dem vorigen Artikel Besprochenen auf das engste und genaueste zusammenhängt, so nehmen wir keinen Anstand, ihn als innerhalb unseres Thema's fallend anzusehen und etwas näher zu besprechen.

Daß es ein geistiges Eigenthumsrecht gebe, hat man wohl seit ten Zeiten gefühlt; indessen war es erst unserem Jahrhundert vor

ter, der Musiker, die bildenden Künstler waren zu allen Zeiten stolz auf die Erzeugnisse ihres Geistes und machten, mit seltenen Ausnahmefällen, stets darauf lebhaften Anspruch, als Urheber deffen angesehen zu werden, was Andere bewunderten, sie wollten des Ruhmes und des aus der Anerkennung entspringenden edlen Selbstgefühls nicht verlustig gehen; der materielle Gewinn, den ihnen das Kunstwerk brachte oder bringen sollte, war nur Nebensache. — Die Elegieen vom Hunger und von den Entbehrungen der Künstler sind so alt wie die Weltgeschichte. - Unstreitig sind die Neueren, mit Ausnahme einiger unverbesserlichen Schwärmer, weit besonnener und verständiger ge= worden, selbst vielleicht auf Kosten ihrer Productionskraft; auch der -Schriftsteller, der Künstler, der noch soeben in den höheren Regionen geschwebt und mit den Göttern Zwiesprache gehalten hat, überlegt mit nüchterner Verständigkeit, wie es ihm doch eigentlich nicht zugemuthet werden könne, daß er das Kunststück den Leuten umsonst vormache.

Er ist nicht mehr von der Unbezahlbarkeit und Unschäßbarkeit seiner Werke begeistert, sondern mit ihrer Schäßbarkeit sehr zufrieden, und da er als anständiger Mann und Staatsbürger leben will, so wird es ihm Niemand übelnehmen, wenn er seine Arbeit so hoch zu verwerthen sucht als möglich. — Warum sollte denn ein Dichter nicht auch auf Erden heimisch sein können, warum sollte er allen Gewinn allein den pfiffigen Leuten überlassen, die ein Drama wie eine Quantität Stiefelwichse, ein Gemälde wie ein Stück Schlachtvieh nur nach dem Profite schäßen, den es ihnen abwirft? Mit einem Worte, dadurch, daß die Männer der Kopfarbeit ein Eigenthumsrecht, ein Recht auf materiellen Vortheil beanspruchen, steigen Wissenschaft und Kunst aus ihren wolkigen Höhen herab auf die Erde, um hier statt eines Exils eine Heimat zu finden; Klopstock's Gelehrten-Republik, die zu ihrer Zeit am Idealismus scheiterte, nimmt Gestalt an, die Männer des Geistes haben Aussicht, in Zukunft eine wohlfituirte Zunft zu bilden.

Man glaube ja nicht, daß wir hiermit irgend welche Ironie beabsichtigen, wir verkennen keinen Augenblick, daß das geistige Eigenthumsrecht seine vollkommene Berechtigung in der Logik wie in den Zuständen hat, in welchen wir leben; es ist nichts als das Fazit früherer Entwickelungen; vordem unmöglich, jezt ermöglicht durch die Verhältnisse und deshalb ins Bewußtsein tretend, wenn man sich auch nicht die bedenklichen Seiten verhehlen kann; denn das ist und bleibt denn doch trog Allem wahr, daß es ein trauriges Ding ist, wenn der Dichter, der Künstler sein Werk so zu betrachten sich gewöhnt, wie der Schuhmacher seine Schuhe, der Schneider seinen Rock, wenn er auf Bestellung, auf Akkord, auf Markt arbeitet und dem Publikum all seine kleinen Launen abmerkt! Dieses peinliche Wahrnehmen des Rechtes, wie man es in neuerer Zeit so häufig auf Titelblättern findet, macht, abgesehen davon, daß es oft in Lächerlichkeit ausartet, einen unangenehmen Eindruck.

Doch wir wollen uns an die Hauptsache halten und gern zugeben, daß es wünschenswerth und ersprießlich ist, das geistige Eigenthumsrecht festgestellt und allgemein anerkannt zu sehen, zumal dabei bei weitem mehr der Vortheil der Verleger als der Schriftsteller felbft in Betracht kommt; denn für diesen wird wohl zum allergrößten Theil das geistige Eigenthumsrecht eine Illusion bleiben, da es verhältnißmäßig nur wenige Autoren giebt, die ihren Verlegern positive Vorschriften machen oder ihr Recht verfolgen können. — Die Hauptfache bleibt immer ein Schuß des Buch- und Kunsthandels gegen Nachdruck — und insofern ist es interessant, daß dieser Kongreß gerade in Belgien, dem dieserhalb so verrufenen Lande, zusammentreten soll.

In dem Ausschreiben®), oder vielmehr in der Einladung zum Kongreß, wird darauf hingewiesen, daß dieser sich im Allgemeinen etwa die politischen Kongresse zum Vorbilde nehme; nicht nur habe die Erfahrung diese Art der Berathung sanctionirt, sondern auch ihre Großartigkeit und Wirksamkeit ans Licht gestellt; ohne sich in Abstractionen zu verlieren, habe sich die Diskussion durch den Zusammenfluß ausgezeichneter Männer jedes Landes, die zusammengekommen, um ihr Wissen und ihre Liebe zum Fortschritt zu vereinen, in großartiger Weise ausdehnen und erweitern können, und mehr als eine bedeutende Verbefferung verdanke man diesen internationalen Versammlungen.

Die Anreger des Kongresses haben vornehmlich die Aufgabe im Auge gehabt, die allgemeinsten Gesichtspunkte, die bei der Natur des geistigen Eigenthums in Betracht kommen, auszumitteln und von möglichst vielen Seiten in das Licht stellen zu laffen, und über die

*) Es ist unterzeichnet von Karl Faider, ehemaligem Justizminister; Bers woort, Kammer-Mitglied; Ed. Romberg, Direktor der industriellen Angelegen heiten im Ministerium; van der Belen, Direktor des Departements der Wissenschaften und Künste im Ministerium des Innern; Baron, Profeffor der franz. Literatur- Geschichte, aus Lüttich; Fetis, Adjunkt an der königlichen Bibliothef; Wilhelm Geefs, Bildhauer, von der königlichen Akademie; Portacls, Gr schichtsmaler; Stallaert, Professor der vlaemischen Sprache am Athenaeum zu Grüssel;

einzelnen Gefeßgebungen und die staatlichen Schranken hinaus einen gemeinsamen Boden zu gewinnen, auf dem jede weitere Fortbildung zu erfolgen hätte. Was bisher die einzelnen Staaten durch SonderVerträge erreicht und angebahnt, wird bereitwilligst anerkannt und nur einer Erweiterung und Verallgemeinerung anempfohlen. Man hofft auf diesem Felde einer allgemeinen Verbrüderung der Mensch heit, die sonst doch an so vielen Klippen scheitert, den Weg bahnen zu können.

Wir glauben, es hätte dieser etwas anrüchigen Redensart nicht bedurft, um eine Sache zu empfehlen, die sich gar nicht um allgemeine Verbrüderung der Menschheit, sondern um materielle Interessen, d. h. schließlich um Gelderwerb und Privatnußen, dreht.

Es ist recht verständig, klug und löblich, wenn der europäische Buch- und Kunsthandel, wenn die eigentlichen Industrie-Schriftsteller auf Mittel und Vorkehrungen sinnen, ihr Kapital zu schüßen und den Zufälligkeiten der Konkurrenz zu entziehen mit einer Verbrüderung des Menschengeschlechtes hat aber diese rein geschäftsmäßige und juridische Organisation ebenso wenig zu thun, als die englische Baumwollen-Industrie mit der Humanität und dem ewigen Frieden, obwohl auch diese Dinge häufig verwechselt werden. Man muß sich das deutlich machen, um nicht Ungehöriges in eine Frage zu bringen, die für sich selber von hinreichender Wichtigkeit ist.

Die Ausgleichung der verschiedenen Geseßgebungen über das wissenschaftliche und künstlerische Eigenthum, wie sie bereits in verschiedenen Ländern bestehen, die Vereinfachung der Formalitäten werden also einen Hauptgegenstand der Besprechungen bilden, an dem das ganze geistige Europa theilzunehmen berufen ist. Es handelt sich um ein allgemeines geistiges Marktrecht, für welches keine nationellen Schranken mehr bestehen sollen. (Schluß folgt.)

Frankreich.

Zur Vermehrung der Nahrungsmittel. Das Sorgho und die chinesische Yamswurzel.

(Schluß.)

Nach den von den Agronomen veröffentlichten Beobachtungen, folgt hier eine vollständige Reihe der Produkte, die von der SorghoPflanze zu gewinnen sind: Zucker in harter und Melassen-Form; Alkohol, Rum, Wein, Branntwein, Cider, Bier, Weinessig, Brod, Stärkemehl, Thee aus den gedörrten Saamenkörnern, Chokolade, ein Surrogat des Bienenwachses, Papier, Garn zu allerlei Geweben, Viehfutter zur Mast, Strohgeflecht-Arbeiten, in bunten natürlichen Schattirungen, offizinelle Substanzen, endlich acht Färbestoffe zum Färben der Zeuge, durch die 21 unterschiedene Farben dargestellt werden können. Ließe sich diese Maffe von Kunsterzeugnissen auch auf eine so ökonomische Weise erzielen, daß sie dem Handel oder dem Konsum überliefert werden könnten: die Sorghopflanze verdiente mit Recht den Namen, den ihr einer ihrer feurigsten Vertreter giebt: der Riese der Nußpflanzen. Leider ist dem bei dem größten Theil der aufgezählten Erzeugnisse nicht so, und auch in Bezug auf die anderen dürfte ein behutsames Vorgehen so lange zu empfehlen sein, bis man über die Hauptresultate an jeder Dertlichkeit im Klaren sein wird.

Was nun den Roh-Ertrag der Sorgho-Aerndte betrifft, so rechnet Hardy für Algerien, wo 1855 die Reife in dem Zeitraum zwischen dem 18. Mai und 15. September stattfand und wo der fruchtbare Boden Halme von 12 bis 15 Fuß Höhe trieb, auf die Hektare 83,250 kilo von den Blättern und den an Zuckergehalt armen spißenbefreiten Stengeln und 2630 Kilo Körner. Aus den Stengeln preßte man 67 pCt. Saft, der 13 pCt. Zucker ausgab. In Frankreich schäßt Vilmorin den Ertrag der Sorgho-Aerndte auf 49,300 Kilo gereinigte Stengel, die 55 pCt. oder 271 Hektoliter Saft ausgaben, von dem man 2160 Kilo krystallisirten Zucker gewinnt. Auguft Dupeyrat, Direktor einer Muster-Meierei zu Beyrin in den Landes, hat im leßten Jahre ein annäherndes Resultat erzielt: 50,000 Kilo gereinigte Stengel lieferten 5000 Kilo Zucker; ein Resultat, das bei der nothwendigen Anwendung der zweijährigen Wirthschaft einen reicheren Austrag an Viehfutter ergeben würde und günstig erschiene, hätte man nicht in gewissen Jahren die zu starken Fröste zu fürchten, denen selbst durch eine leichte Bedeckung von Strohdünger während des Winters nicht vorzubeugen wäre. Vorausgesezt nun, daß eine Aerndte in zwei Jahren zur Reife käme, schlägt Dupeyrat den jährlichen Zuckeraustrag auf 2500 Kilo an. Er wirft jedoch den wohlbegründeten Zweifel auf: ob sich bei einem Sud unter niedriger Temperatur der SorghoSaft so gut wie der Saft des Zuckerrohrs wird krystallisiren lassen". Das Ausziehen krystallisirbaren Zuckers aus dem Sorghosaft bietet in der That große Schwierigkeiten: es hängt von gewissen, dieser Pflanze eigenthümlichen Bedingungen ab. Man muß die reifen Stengel auswählen und fie unmittelbar nach dem Abschneiden in Behandlung nehmen. Und selbst nach der Reife zeigt sich in dem Verhältniß des krystallisirbaren-zu dem nichtkrystallisirbaren Zucker oder

zu anderen der Krystallisation widerstehenden Stoffen zwischen dem unteren und dem oberen Theil des Stengels ein merklicher Unters schied. Endlich bewirken die geringsten Verletzungen an den Stengeln, die Bisse von Insekten und andere noch unbekannte Ursachen in dem Faserngewebe und in dem Saft einen raschen Umschlag, der schwer auszuscheidende färbende Elemente entwickelt und einen großen Theil des Zuckers in Syrup verwandelt.

Nachdem der Verfasser noch die beträchtlichere kostspieligkeit des Materials bei der Einrichtung der Siedereien des Sorgbozuckers an Preffen, Kesseln, Verdunstungs-Apparaten u. s. w. in Anschlag gebracht, kommt er zu dem Schluß, daß die Zucker-Fabrication aus Sorgho mit der aus der Runkelrübe durchaus nicht in die Schranken treten kann, und geht nun zu dem zweiten Punkte, zu der Gewinnung des Alkohol, über. Er bemerkt zuvörderst, daß Zucker-Fabrication und Alkohol-Fabrication insofern einander ausschließen, als bei der Gährung des Sorghofaftes der Zuckerstoff, wie beim Sieden desselben der Alkohol, verloren geht. Die meisten Schwierigkeiten, die sich der Extraction des krystallisirten Zuckers entgegenwerfen, verschwinden allerdings, wenn es sich blos darum handelt, den Zuckergehalt der Sorgho-Stengel, den krystallisirbaren und nichtkrystallisirbaren, auf den gewöhnlichen Wegen der Gährung und Destillation in Alkohol zu verwandeln. Der Sorghosaft, im normalen Zustande, geräth aus freien Stücken, oder höchstens bei schwachem Zusaß eines fremden Ferments, in Gährung; die ebenso ohne Mühe auszuführende Destillation giebt einen wohlschmeckenden und leichter zu rektifizirenden Alkohol, als der von Gekörn oder Knollengewächsen gewonnene. Indessen zeigen sich hier andere ökonomische Bedenken, die ernste Beachtung verdienen.

In leßterer Zeit hat nämlich die Alkohol-Destillation, eben in dem Maße, wie die Wein-Aerndten zu einem normaleren Zustand zurückgekehrt sind, eine vollständige Umgestaltung erfahren. Wenn der Alkohol in den großen Fabrik-Unternehmungen stets ein Hauptprodukt ist, so nimmt er doch in der Agrikultur nur die zweite Stelle ein. Allerdings verschafft er dem Ackerbauer eine sehr nügliche baare Einnahme; allein dieser kann bei guter Wirthschaft ruhig zusehen, wenn der Spirituspreis selbst bis zu einem Punkte sinkt, wo der sehr ansehnliche Gewinn an den Trestern, welche die Destillation zur Viehmast abwirft, dem niedrigen Preis des Alkohols nicht mehr die Wage hält. Wir haben es daher vor kurzem erlebt, daß sich die ländlichen Brennereien hielten, als die Entwerthung der Alkohole die rein. industriellen Fabriken nöthigte, das Brennen einzustellen.

Das sind, wie begreiflich, keine lichte Aussichten in die Zukunft für die großen Sorgho-Brennereien. Die Hoffnungen, die sie auf diese neue, an Alkoholgehalt allerdings sehr ergiebige Pflanze gestellt, könnten leicht getäuscht werden. Muß man, wie erfahrene Beobachter es festgestellt haben, um den höchsten Ertrag an Stengeln, Zuckerstoff und mehlhaltigen Körnern zu gewinnen, die volle Reife abwarten: so steht zu besorgen, daß die untersten holzigsten Theile des Stengels, nachdem der Zuckersaft größtentheils herausgepreßt ist, dem Vieh eine nur sehr magere Kost bieten werden, und der geringe Werth dieses Futters würde schwerlich die Kosten des Transports aus den Brennereien bis in die Ställe der Landwirthe tragen. Schon jetzt machen sich ernste Uebelstände geltend. Der Widerstand dieser holzigen Fafern, mit dichten Zellen, von einer kieselharten Oberhaut umhüllt, macht es so schwierig, den Saft auszuziehen, daß Dr. Siccard vorgeschlagen hat, eine vorgängige Schälung vorzunehmen, ja, die um die Reisezeit zu sehr verhärteten und fast alles Saftes baaren Knoten auszuschneiden. Dazu müßte man eine eigene Maschine erfinden, und doch würden sich auf diesem Wege schwerlich ökonomische Resultate gewin..en lassen.

Die Körner des Sorgho werden wahrscheinlich eine dem Gerstenmehl ähnliche Mehlsubstanz liefern; sie ist aber viel dunkler als jenes und bisweilen von widerlich herbem Geschmack, wenn man nicht beim Auskörnen, Trocknen und Aussondern der kleinen unentwickelten Körner an der Basis der Rispen mit der größten Sorgfalt verfährt. Man sieht, daß noch viel zu thun ist, ehe man über die Zukunft der Pflanze ein entscheidendes Urtheil fällt: „das Sorgho ist noch zu jung“, äußerte ein wißiger Kopf,,,um ihm Millionen anzuvertrauen.“

Man sprach die Hoffnung aus, Liqueure, würzhafte Zukost verschiedener Art aus der Pflanze bereiten zu können; schwerlich aber dürften ihr die Konsumenten einen Vorzug einräumen, so lange der Wein, das Obst und die Gerste durch reiche oder auch nur mittelmäßige Aerndten Küche und Keller versorgen. Und was das Nahrungsmittel aus den Saamenkörnern des Sorgho betrifft, so ist Farbe und Geruch wohl nicht so einladend, um sie in den Haushalt einzuführen.

Die zähe, wachsartige Substanz um die äußere Rinde des Sorgho, die mit dem weißlichen Harz um das Zuckerrohr Aehnlichkeit hat, dürfte ebensowenig wie dieses dem Bienenwachs Konkurrenz machen, da die Kosten des Arbeitslohnes für das Ausziehen und Reinigen das Produkt zu sehr vertheuern.

Man hat vorgeschlagen, aus den Rückständen der ausgepreßten Pflanze Zwirn, Zeuge, Papier zu machen. Nun aber haben derartige Kunsterzeugnisse nur dann Werth, wenn sie aus wirklichen spinnbaren Fasern verfertigt werden; diese müssen sehr geschmeidig und zähe, mit Einem Worte, dem Lein, dem Hanf und, in zweiter Linie, der Baumwolle ähnlich sein. Kein einziges, diefem vergleichbares, organisches Element aber ist in den Sorghoftengeln vorhanden; man findet darin nar straffe Bündel, holzige Fasern und eine Art Parenchym oder Zellgewebe, die sich höchstens zur Verfertigung einer groben Pappe eignen. Die Körner der Pflanze könnten als Vichfutter mit Vortheil zu benugen sein, wenn sie sorgfältig getrocknet werden, und wenn, was wahrscheinlich ist, der Kostenpreis fich niedriger als der Preis des Roggens und der Gerste hält. Ueber den, allem Anschein nach, fehr geringen Werth des Sorghostrohes zu hübschen Handarbeiten läßt sich jezt noch kein Urtheil bilden. — Färbende Stoffe sind aller dings in den Körnern vorhanden; allein ihr Nugen wird erst dann feststehen, wenn, was bis jezt noch nicht geschehen, Versuche über ihre Anwendung zur Färberei und über ihre Widerstandskraft gegen das Licht und gegen andere atmosphärische Agentien vorausgegangen sind. Von der ganzen glänzenden Zukunft, die dieser merkwürdigen, aber noch nicht vollständig studirten Pflanze geweissagt worden, bleibt kaum etwas mehr als ihre landwirthschaftliche Verwendung zu Vichfutter im Süden, Westen und Mittelpunkt Frankreichs. Ihr rascher und üppiger Wachsthum, den man bei angemessener Düngung und Bewässerung bis zu 80,000 Kilo auf die Hektare treiben könnte, verspricht der Viehzucht reichliche und nüßliche Hülfsquellen. Der sichere Hauptnußen dieser Pflanze - von ihrer sonstigen, wie gesagt, fraglichen Verwendung abgesehen würde demnach darin bestehen, den würde demnach darin bestehen, den Viehstand auf unseren Meiereien zu vermehren.

Nun noch einige flüchtige Bemerkungen über die zweite ausländische Pflanze, die chinesische Yam-Wurzel, welche die Kartoffel erseßen will. Sind ihre Ansprüche begründeter, als die des Sorgho? Laßt uns sehen:

Die chinesische Yam-Wurzel stellt sich als ein voluminöses Knollen gewächs dar, das in einem gleichmäßig gepflegten Boden zwei bis viermal mehr Stärkemehl ausgiebt, als die Kartoffel. Jene scheint aber nicht nur die Stelle der Kartoffel, sondern auch der Bataten, der Erdbirnen, der Runkelrüben, zum Theil sogar das Getraide in jeder beliebigen Anwendung vertreten zu können; als Nahrungsmittel für Menschen und Vieh, zur Stärke-Fabrication im Haushalt und in der Industrie, zur Brennerei, zur Bereitung der Glukosen (Stärkemehl, Zucker und Syrup) und der Dertrine (gummichte Substanz) u. s. w. Quantos effundit in usus! Mit solchen Vorzügen begabt, dürfte man da noch Anstand nehmen, eine so kostbare Pflanze bei uns einzubürgern? Leider aber werden eben diese Vorzüge gar sehr bestritten.

Die neue Pflanze, 1846 von Admiral Cecille zu uns gebracht, gerieth in Vergessenheit, bis sie 1850 von Herrn Montigny von neuem eingeführt wurde. Diesmal ging sie nicht so unbemerkt vorüber; fie wurde vielmehr einem gründlichen Studium, zahlreichen Verfuchen in Frankreich und Algerien unterworfen. Herr Ducaisne gab ihr, die sich nicht nur von der indischen (dioscorea alato), sondern auch von der sogenannten japanischen Yam-Wurzel (dioscorea japo nica) wesentlich unterschied, den Namen dioscorea batatas.

Erst im lezten Jahre früher besaß man nur männliche Exemplare konnte man in Frankreich und Algerien die Blüthenund Befruchtungs-Organe beobachten. Die Herren Decaisne und Duchartre haben sie gezeichnet und beschrieben. Ihre Fortpflanzung geschieht auf die mannigfaltigste Weise: durch Saamenkörner, durch runde Knöllchen, die sich in den Blattwinkeln bilden, durch ihre Wur zeln, in kleine Stücke geschnitten, durch ihre schwachen Stengel, die niedergestreckt und mit einer dünnen Erdschicht bedeckt wird. Namhafte Botaniker haben die Entwickelung der Pflanze in ihren verschiedenen Stadien sorgfältig studirt. In mehreren unserer Garten bau-Ausstellungen prangten prachtvolle Exemplare, die unter verschiedenen Boden- und Temperatur-Bedingungen, von Straßburg bis Bordeaux und von hier bis zur spanischen Gränze, gezogen werden. Bei diesen Versuchen im Kleinen und Großen wurde die Thatsache konstatirt, daß die knolligen Wurzeln dieser Pflanze den energischen Trieb haben, sich senkrecht und tief in den Boden zu senken"), was fie einerseits zwar vor dem Frost schüßt, andererseits aber das Ausraufen sehr schwierig macht. An gewissen Orten nun, wo die Arbeitskräfte spärlich sind, würden die Kosten des Ausraufens den Werth der Aerndte erreichen oder gar überwiegen. Schon haben geschickte Landwirthe, um diesem Uebelstande vorzubeugen, es versucht, sie in reiches, aber mit festem, undurchdringlichem Unterboden versehenes

*) Die Lendenz nach vertikaler Vertiefung ist so gewaltig, daß, wenn sie auf ihrem Gange einem harten, undurchdringlichen Körper begegnet, sie sich abplattet, ausdehnt und gabelt und so bisweilen eine fingerförmige Knolle bildet.

Erdreich zu pflanzen, und manches zufriedenstellende Resultat ist auf diesem Wege gewonnen worden. Andere Agronomen hoffen Varietäten zu entdecken, die von dieser verdrießlichen Neigung frei sind. Herr Vilmorin theilte neulich seine auf eigene Erfahrung gegründete Ansicht mit, daß die kleinen Knollen zum Anbau vortheilhafter wären, als die großen. Inzwischen, bis ein praktischer Erfolg diese verschiede nen Bestrebungen krönt, wird die Kultur der Yam-Wurzel in Gärten, ja auf ausgedehnten Flächen mit Nußen verfolgt werden können, be fonders wenn man sie, nachdem man eine Furche von Einem Fuß Tiefe geöffnet hat, in dem Boden stehen läßt und sie nur nach und nach, je nach dem Bedarf des Konsums, ausrauft, so daß dabei die gleichzeitige und langwierige Beschäftigung vieler Menschen nicht nöthig ist.

Für die Wissenschaft ist die Untersuchung der beiden merkwürdigen Pflanzen, wie man sieht, von hohem Intereffe; den praktischen Rugen ihrer Einheimung in Frankreich und Algerien zu würdigen, ist aber vor der Hand ein schwieriges Ding. Das Einbürgern ausländischer Nußgewächse geht gleichen Schritt mit der stufenweisen Vervollkommnung des Ackerbaues, und im Interesse der öffentlichen Alimention ist sie nicht nachdrücklich genug der Aufmerksamkeit der Gelehrten, wie dem Eifer der Landwirthe, zu empfehlen.

Mannigfaltiges.

Aegyptische Alterthümer. Ausgrabungen in Alexandrien, die unter der Leitung des Herrn Mariette, Konservators des ägyptischen Museums im Pariser Louvre, stattgefunden, haben zur Auffindung einer großen Anzahl werthvoller Alterthümer geführt. Bereits ist ein Theil derselben, in dreißig Kisten verpackt, von Alexandrien nach Marseille abgesandt worden, wo sie täglich zu erwarten find. Unter Anderem befindet sich dabei ein Sarkophag in Rosa-Granit, aus der Zeit des Cheops, Gründers der großen Pyramide; dieser mit wohlerhaltenen Skulpturen bedeckte Sarkophag ist 2 Meter lang; ferner ein Dolch mit goldenem Griff, eine goldene Büchse mit hieroglyphischen Ins schriften und zwei auf dem Bauche ruhende Löwen von Gold, die in den Umgebungen von Theben, auf der Mumie eines den ältesten Dynastieen angehörenden, unbekannten Königs gefunden wurden; einige Statuen von Bronze und einige Basreliefs älterer Dynastieen, von denen bisher noch keine der ägyptischen Sammlungen in Europa etwas befizt. Im Ganzen sind es funfzehnhundert Gegenstände, deren Ges sammtwerth auf 200,000 Francs geschäßt wird.

Der Vicekönig von Aegypten hat soeben eine Verfügung erlassen, der das gesammte gebildete Europa seinen Beifall schenken wird. Saïd Pascha hat nämlich die Errichtung eines umfangreichen Museums in Alexandrien angeordnet, wohin aus allen Theilen Aegyptens die dort gefundenen oder noch zu entdeckenden Alterthümer gebracht werden sollen. Bereits sind die beiden Oberbaumeister der ägyptischen Regierung, die Herren de Montant und Linant-Bey, damit beschäftigt, Pläne zu diesem großen Bauwerke zu entwerfen. Auch ist Herr Mariette vom Vicekönig zum General - Konservator aller historischen Denkmäler in Aegypten ernannt und soll, als solcher, die Einrichtung des neuen Museums, sowie sämmtliche Ausgrabungen leiten, die noch veranstaltet werden sollen, und von denen man sich, ungeachtet der in den lezten Jahren von Spekulanten unternommenen zahlreichen Plünderungen des ägyptischen Bodens, immer noch eine bedeutende Ausbeute verspricht. (R. de l'instr. publ.)

-

Aus dem British Museum. Der große Katalog der Bibliothek des British Museum ist jegt bis zum Buchstaben H gediehen und umfaßt bereits 623 Foliobände, so daß auf das ganze Alphabet gegen 2000 Bände kommen dürften. Sie enthalten nur die gedruckten Bücher, indem alle Manuskripte, Karten, Journale n. f. w. eigené Kataloge haben. Nach den bisherigen Fortschritten zu urtheilen, wird man der Vollendung des Hauptkatalogs binnen etwa zehn Jahren entgegensehen können; daß alljährlich Nachträge nöthig sein werden, versteht sich von selbst. Zu den neuesten Erwerbungen des Museums gehören die,,Bentinck Papers", die für den geringen Preis von 200 Pfund Sterling angekauft wurden. Sie stammen aus den Haus-Archiven der Grafen Bentinck zu Varel bei Oldenburg, wo ein Zweig dieser Familie bekanntlich zurückblieb, als Wilhelm Bentinck, der Günftling des Prinzen von Oranien, mit diesem nach England ging und dort das herzogliche Haus Portland gründete. Wie es scheint, unterhielt die in Varel residirende Linie mit ihren englischen Verwandten eine lebhafte Korrespondenz, und es finden sich in ihren Briefen manche interessante Angaben über die damaligen Zeitverhältnisse. Eines der ältesten Dokumente ist das von Wilhelm III. ausgefertigte Patent des ersten Grafen von Portland, d. d. 9. April 1689. Die Bibliothek sten Abdrücke von Shakspeare's „, zu Varel enthielt unter anderen Merkwürdigkeiten auch einen der älteften Abdrücke von Shakspeare's,,Sonnets" (eine Quarto-Ausgabe vom Jahre 1609), welcher gleichfalls nach England gekommen ist.

8

« ForrigeFortsæt »