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glänzendem Stil; aber wahres Gefühl und Philanthropie findet sich nur in den Werken, die feiner Jugend angehören, einer Zeit, wo der Autor, noch der idealen Welt lebend, nicht auf irdisches Glück sein Augenmerk gerichtet hatte. In seinen späteren Werken waltete bittere Satire auf alle menschlichen Verhältnisse in dem Maße vor, daß man versucht ist, den Autor der Menschenverachtung und Herzenstälte zu beschuldigen.

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„Bemerkenswerth ist, daß Klinger selbst, als Kurator des Dorpat schen Lehrbezirks und Mitglied der Schul-Kommission, beim Ministe. rium der Volksaufklärung auf das Verbot seiner Werke in Rußland wirkte, um seinen Gegnern die Mittel vorzuenthalten, ihm schaden zu können. In späterer Zeit, als ich Klinger's Bekanntschaft gemacht und seine Gunst erworben, hatte ich Gelegenheit, feinen ungewöhn lichen Verstand und die Unerschöpflichkeit seiner Sarkasmen und Epigramme zu bewundern; zugleich aber auch mich davon zu überzeugen, wovon ich schon in meiner Kindheit hörte, nämlich, daß er Rußland nicht liebte. Nach seinen eigenen Worten lebte er leiblich in Rußland, geistig in Deutschland. Den beiden deutschen Schriftstel. lern Seume und Musäus, die nach Rußland kamen, ihr Glück zu machen, widerrieth er, bei uns zu bleiben, als er erfuhr, daß sie ihre schriftstellerische Thätigkeit nicht aufgeben wollten. Hier muß man nur ein guter Magen sein“, sprach Klinger, der gute Kopf gehört nach Deutschland!“ Wenn er von der Menschheit sprach, schied er die Ruffen stets aus, und ich selbst hörte ihn fagen:,,Die Men schen und auch die Ruffen" u. s. w. Klinger hielt die Ruffen für eine besondere Raçe, aus asiatischer Barbarei und oberflächlicher europäischer Civilisation entstanden, und wie sehr ich mich auch abmühte, ihn in unseren lebhaften, ja heftigen Disputationen eines Anderen zu überführen, konnte er nie zu der Ueberzeugung gelangen, daß das russische Volk mit ungewöhnlichen Eigenschaften begabt und zu allem Großen befähigt sei. Obgleich Klinger sehr gut französisch sprach, so konnte er doch die den Deutschen verrathenden Härten nicht überwinden; russisch aber sprach er bis zu seinem Tode schlecht, und wiewohl er dag Russische recht gut verstand, las er doch nie ein russisches Buch. Weder das Innere Rußlands, noch das Volk selbst irgend kennend, beurtheilte er ersteres nur nach einigen seiner schwachen Seiten. Obgleich felbst einer der Priester der Aufklärung, war er doch nie bemüht, sie in Rußland zu fördern, behauptend, das, was da sei, sei schon mehr als genug! In ihm zusagender Gesellschaft und in freundschaftlichen Gesprächen war Klinger, wenn überhaupt bei guter Laune, außerordentlich angenehm und intereffant, aber im Dienst und seinen Untergebenen gegenüber kalt wie der steinerne Gast im „Don Juan“. Klinger hatte bei hohem Wuchse und regelmäßigen Gesichtszügen eine starre Physiognomie. Nie hat ihn Jemand im Corps lächeln sehen. Er war streng im Strafen und verzieh nie. Mit den Kadetten unterhielt er sich nie und behandelte nie einen der felben mit Herablassung. Nur dann richtete er Fragen an die Kadetten, wenn er erfahren wollte, ob sie die von ihm befohlene Stra fen erhalten. „Haben Sie Ruthen bekommen?“ lautete die Frage gewöhnlich. Hab' sie bekommen war die Antwort!,,Ha ben Sie tüchtig bekommen?" - "Tüchtig!"" "Ift gut!" Damit war die Unterhaltung abgethan. Nur wenn der Kadett französisch oder deutsch sprach, fand man Klinger milder gestimmt; dann hörte er sogar Klagen und Bitten an, und man konnte erkennen, daß, wenn sein Herz auch väterlicher Zärtlichkeit für uns ermangelte, er doch nach Gerechtigkeit strebte".

Mannigfaltiges.

Raphael's,,Disputa". In Dresden, im Lokale des Kunft vereins, fesselt gegenwärtig ein Kupferstich die Aufmerksamkeit des kunstverständigen Publikums. Es ist die Disputa“ Raphael's in den Stanzen des Vatikans, gestochen, im Auftrage des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen, vom Prof. J. Keller in Düsseldorf. Die Bildfläche wird, den Architekturrand ungerechnet, auf 34 Zoll Breite und 24 Zoll Höhe angegeben. Die Behandlungsweise des Stiches nähert sich der plastischen Strenge der älteren Stechweise, dabei jedoch, ohne sich an einen bestimmten Meister anzulehnen, original bleibend. Ein Bericht im,,Dresdener Journal" sagt Folgendes über den Gegenstand dieses bekanntlich auch von Volpato gestochenen Bildes, sowie über die Bedeutung der Raphaelschen sogenannten „Loggie" überhaupt:

,,Die Bezeichnung dieses Raphaelschen Gemäldes mit,,Disputa" wird jest so ziemlich allgemein als unrichtig angesehen, da hier keines weges eine Erörterung, wie z. B. die über die unbefleckte Empfängniß Mariä, oder, wie man ebenfalls oft angenommen hat, ein Streit über das Dogma der Transsubstantiation dargestellt ist. Man sieht auf

dem Bilde nirgends, over höchstens in einer Ecke deffelben, Gestalten, welche im Streite begriffen scheinen. Die Kirchenväter, welche zunächst am Altare sißen, sind in rahigem Gespräch oder still finnend darges stellt. Die anderen Gestalten auf der Erde sind meist aufgefaßt, als ob sie zuhörten, oder sie haben den Ausdruck der Theilnahme, oder des lernbegierigen Eifers. Mit einem großen Gegenstand find fie alle beschäftigt, allein nichts berechtigt zu dem Schluffe, daß dieser Gegenstand die Transsubstantiation in dem Sinne sei, in welchem dies Dogma nur der römisch-katholischen Kirche angehört. Karl Schnaase führt sogar in einer geistreichen, scharfsinnigen Erklärung dieses Bil des (,,Korrespondenzblatt des rheinischen Kunstvereins", 1845) einen sehr bestimmten Grund gegen eine solche Annahme an. Da die be treffende Druckschrift nur in die Hände einiger Wenigen gelangte, so wollen wir in Folgendem diese nach unserer Meinung richtige Auslegung des berühmten Bildes in der Kürze hier mittheilen. Bekanntlich war Raphael's Aufgabe bei den Frescomalereien in der Camera della Segnatura, in welcher sich auch dieses Gemälde findet, die Darstellung der vier Fakultäten oder Disziplinen des höheren geistigen Lebens, der Theologie, der Philosophie, der Kunst und der Rechtswissenschaft. An der Decke zeigt er diese Functionen, jede in einer Personification, an den Wänden in der Thätigkeit ihres Lebens unter den Menschen. Das Leben des Rechtes macht er durch Gesezgeber und Vollstrecker der Geseze, das der Kunst durch Versammlung bekannter, lorbeergekrönter Künstler um den Parnaß, das der Weisheit durch reiche Gruppen lehrender, sprechender, lesender Philosophen und Mathematiker an schaulich. In ähnlicher Weise zeigt nun auch das Gemälde das Leben der Theologie, der Religion in ihrer rein geistigen, wissenschaftlichen Thätigkeit. Die Lehrer der weltlichen Einsicht mußten sich in kunstreich geschmückten Hallen versammeln; das Gebäude ihrer Lehren ist menschlich. Die Kirchenlehrer müssen den Himmel über sich geöffnet haben; ihre Lehre kommt von oben. Wir sehen, wie sie zu ihnen gelangt. Hoch oben über Aller Häupter schwebt der Vater aller Weisheit und alles Lebens, er, sich allein genügend, nur von den unzählbaren Schaaren anbetender, lobfingender Engel umgeben, nicht ganz und nur in heller Gestalt uns sichtbar. Unter ihm thront Christus in ganzer Gestalt, zwar in göttlicher Strahlenglorie, aber uns menschlich zugänglich; Johannes ist neben ihm, der Wegweiser des Lichtes, und Maria, die Mutter des Herrn, welche bei ihm das milde, verföhnende Prinzip vertritt. Und im weiten Halbkreise umgeben ihn die Männer des alten und neuen Testamentes. Sie alle gehören nicht der irdischen, streitenden Kirche an; ihr Werk ist vollbracht, auf Wolken sigen sie im himmlischen Reiche. Von Christi Throne geht der Quell des Lichtes zur Erde; wir sehen die Taube, das Zeichen des heiligen Geistes, mit geöffneten Flügeln abwärts gewendet und daneben die Evangelien von geflügelten Knaben zur Erde getragen. Beachtet man namentlich diese Gruppe, so kann man über die Bedeutung dieses ganzen oberen Theiles des Bildes nicht zweifelhaft sein; es ist symbolische Darstellung der gesammten Offenbarung, das Her> absenken der göttlichen Wahrheit zur Erde. Hiernach erklärt sich denn auch die Bedeutung des unteren Theiles völlig. Wir sehen hier in der Mitte vier Kirchenväter, dann andere Geistliche, Päpste, Bischöfe, Mönche, alles bekannte oder bezeichnete Gestalten solcher Männer, welche um die Durchforschung der heiligen Schriften fich namhafte Verdienste erworben haben. Im weiteren Kreise Laien und andere Geistliche, meistens namenlose Gestalten, nur einzelne an bekannte Denker und Dichter erinnernd. Sie zeigen nach oben, sind im beschaulichen Sinnen oder im Lesen der heiligen Bücher vertieft oder drängen fich als eifrige Jünger zu den Meistern heran. Es ist keine Frage, wie øber das Ausströmen, ist hier das Empfangen und Verarbeiten der Offenbarung in menschlicher Wissenschaft dargestellt. Selbst zufällig scheinendes Beiwerk unterstüßt diese Auslegung, denn im Hintergrunde sehen wir auf der einen Seite den beginnenden Bau einer Kirche, auf der anderen alte Fundamente, auf welchen noch weiter gebaut werden kann. Ja, sogar ein antikes Relief fehlt nicht, und daneben steht eine kräftige Gestalt in griechischer Tracht, darüber beugt sich ein Araber, zum Zeichen, daß auch die alte Kunst und die Wissenschaft der Ungläubigen der chriftlichen Weisheit beisteuern müssen. Daß nun in der Mitte der Kirchenlehrer die Monftranz erscheint, darf nicht befremden; denn damit die menschliche Disziplin der gött lichen Offenbarung treu bleibe, muß die Lehre des Heils unter den Menschen praktisch geübt werden, muß im Sakramente des Abendmahls der Bund erneuert und die Gegenwart des Herrn auch dem Einzelnen fruchtbar werden. Daß dadurch nicht auf das Dogma der Transsubstantiation hingedeutet ist, ergiebt sich namentlich daraus, daß Chriftus nicht in unmittelbarer Verbindung mit der Monftranz steht. Raphael faßte ohne Zweifel die Bedeutung der Monftranz fo auf, wie sie in der katholischen Kirche herkömmlich war."

Böchentlich erscheinen 3 Rummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., halbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 gr., wofür bas Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 64.

für die

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Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Sonnabend den 29. Mai.

Motley's, Geschichte des Abfalls der Niederlande“. Von diesem ausgezeichneten Werke, das 1856 in England erschien und seitdem schon mehrere Auflagen erlebt hat, liegt uns der erste Band einer Uebersehung vor, die wir dem Publikum auf das angelegentlichste zu empfehlen wünschen.") Das während der leßten Dezennien maffenhaft angewachsene Material zur Beurtheilung des in dieser Schrift dargestellten großartigen Ereignisses und der bei ihm betheiligten Personen, die Veröffentlichung zahlreicher Staatsschriften und sehr unterrichtender Briefe, die zum Theil ausgezeichneten Arbeiten der Niederländer zur Aufklärung der denkwürdigen Epoche, in welcher der Freistaat geboren ward, ließen eine durchgreifende Ausbeutung und tüchtige Verarbeitung der reichhaltigen Quellenschriften und Hülfsmittel im höchsten Grade wünschenswerth erscheinen. Mit hervorragendem Talent hat Motley diese große und lohnende Aufgabe gelöst. Er hat nicht nur über das bereits gedruckte Material eine vollständige Herrschaft gewonnen, sondern auch, namentlich in den Archiven von Brüffel, eine Reihe von Manuskripten durchstudirt, die ́ ihm zur Belebung seines historischen Gemäldes eine Fülle von detaillirten Angaben und charakteristischen Zügen dargeboten haben und zum Theil so reichhaltig und belehrend zu sein scheinen, daß man ihre vollständige Veröffentlichung lebhaft wünschen muß.

Unter den handschriftlichen Aufzeichnungen heben wir besonders ein Manuskript der königlichen Bibliothek im Haag hervor: ,,De la guerre civile, par Pontus Payen". Der Verfaffer war ein strenger Katholik und stand mit vielen hervorragenden Personen seiner Zeit in so genauer Verbindung, daß er fast immer gut unterrichtet war und aus den Kreisen, in denen er sich bewegte, namentlich eine aus gebreitete Personalkenntniß schöpfen konnte. Er theilt eine Fülle von Einzelnheiten mit, welche auf die Charaktere der leitenden Personen, auf ihr Verhältniß zu einander, auf die persönlichen Motive, die ihrer politischen Thätigkeit und ihren politischen Grundsäßen einen mehr oder min der scharf ausgeprägten Impuls verliehen, ein oft überraschendes Licht werfen. Viele Züge in der Charakteristik Granvella's, Egmont's, Oranien's, Brederode's verdankt Motley diesem aufmerksamen Beobachter. Pontus Payen spricht über Egmont mit nackten Worten daffelbe Urtheil aus, welches Granvella durch die Art und Weise, wie er ihn behandelte, an den Tag legte: er nennt ihn einen verwegenen Soldaten, sonst aber einen ziemlich ungebildeten Mann, einen ungeschickten und kurzsichtigen Politiker. Pontus Payen berichtet uns den bedeutsamen Vorfall, daß Egmont, eitel und leidenschaftlich wie er war, nach der Schlacht von Gravelingen, von der Alba ernstlichst abgerathen hatte, sich nicht enthalten konnte, diesem erfahrenen General, deffen Feldherrntalent von seinen Zeitgenossen faft eben so hoch wie von ihm selbst angeschlagen wurde, einige triumphirende und höhnische Anmerkungen über seine strategische Weisheit ins Gesicht zu sagen Bemerkungen, die der stolze Herzog nie vergaß und nie vergab. Sehr beachtungswerth ist das Urtheil deffelben Schriftstellers über Oranien, von deffen Wesen wir uns nach seinem Beinamen „,,der Schweigfame" nur zu sehr geneigt sind, eine falsche Vorstellung zu machen. Ihm zufolge war Oranien im persönlichen Umgänge ein überaus leutseliger, gesprächiger Herr, von einem alle Welt gewinnenden Benehmen. Er hatte eine ungemeine geistige Lebendigkeit, aber nie kam ein unvorsichtiges oder hißiges Wort über seine Lippen, wie es bei Egmont so oft der Fall war; er schoß nicht, wie Egmont, mit den Bürgern nach dem Vogel, aber bei seinen glänzenden Banketten, bei denen die ganze Liebenswürdigkeit seines Wesens fich aufthat, wurden auch Perfonen niederen Ranges mit derselben Freundlichkeit behandelt, die den Prinzen überall unwiderstehlich machte, wo man nicht seine bedeutende Persönlichkeit und politischen Projekte zu fürchten Ursache hatte.

*) „Der Abfall der Niederlande und die Entstehung des holländischen Freistaats". Aus dem Englischen des John Lothrop Motley. In drei Bänden. Erster Band. Dresden, N. Kunge. 1857.

1858.

" Niemals", sagt Pontus Payen, der eifrige Katholik und Anhänger Philipp's,,,niemals kam ein anmaßendes oder unartiges Wort aus Oranien's Munde. Er äußerte niemals Zorn über seine Diener, wie schwer sie sich auch vergangen haben mochten, sondern begnügte sich mit einer gnädigen Verwarnung, ohne sie zu bedrohen oder zu beleidigen. Er besaß eine freundliche und angenehme Zunge, mit welcher er alle Herren am Hofe leiten konnte, wie es ihm beliebte. Er war von aller Welt geliebt und geehrt". Pontus Payen macht die überraschende, aber keinesweges an sich unglaubwürdige Angabe, daß Oranien von Natur furchtsam gewesen; da der Prinz sich inmitten der Gefahren und Nachstellungen, an denen seine Laufbahn überreich war, mit einem ganz seltenen moralischen Muth, mit nie getrübter Ruhe bewegt hat, so liefert jene Angabe einen neuen Beweis für seine bedeutende geistige Begabung und die Stärke feines Willens, die eine physische Schwäche theils ganz zu überwinden, theils zu einem unschäßbaren Gut, zu der auf einer gefahrvollen Laufbahn unerläßlichen Vorsicht zu verklären im Stande war. zu verklären im Stande war. Auch für die Thatsache, daß Oranien dem von Philipp in den Niederlanden unterhaltenen Spionirsystem ein ähnliches System in Madrid entgegenzusehen und sich so in das labyrinthische Intriguenspiel seiner Gegner Einsicht zu verschaffen wußte, führt Pontus Payen einige bestimmte Zeugnisse an. Mit demselben offenen Auge hat dieser Schriftsteller auch die anderen niederländischen Großen betrachtet; namentlich zur Charakteristik des ercentrischen, zechluftigen Brederode (personnage escervellé si oncques en fut) liefert er einige drastische Züge, und das Bild des niederlän dischen Adels im Allgemeinen, seines Lurus, seiner tumultuarischen Gelage, seiner Verschuldung, feiner lüfternen Blicke auf das Kirchengut ist von ihm nicht ohne Bosheit, doch für uns sehr lehrreich ausgemalt worden. Auch bei der Schilderung mancher wichtigen Begebenheit ist Pontus Payen so anschaulich und ausführlich, daß Motley ihm mit Vortheil gefolgt ist. Namentlich scheint er über die Angelegenheiten des Kompromisses, über die Scenen, welche bei Ueberreichung der Bittschrift an die Statthalterin vorgingen und ihr unmittelbar folgten, genau unterrichtet gewesen zu sein. Pontus Payen versichert auf das bestimmteste, daß Berlaymont es gewesen, der durch sein höhnisches „, ces gueux!" zu dem Namen der Geusen den Anlaß geboten hat.

Außer diesem reichhaltigen Manuskript hat Motley noch einige andere benut, von denen wir die für den vorliegenden Band der Ueberseßung wichtigsten, wenigstens dem Namen nach, anführen wollen. Zu ihnen gehört eine Schrift des Präsidenten von Artois, Renom de France, über die Zeit von der Abdankung Karls V. bis zum Tode des Prinzen von Parma (1555–1592), - ein Manuskript von fünf Foliobänden in der Bibliothèque de Bourgogne zu Brüffel, ebenfalls aus der Feder eines eifrigen Katholiken, der unter Anderem die Einwirkung der politisch-religiösen Zustände auf den niederländischen Gewerbfleiß, auf die Uebersiedelung desselben nach England in bestimmten Zügen gezeichnet hat; ferner ein Manuskript des königlichen Archives zu Brüffel, von Pasquier de la Barre, General-Prokurator in Tournay, dem Motley interessante Angaben über die Ereigniffe bei Tournay, z. B. über das Aufreten des Predigers Ambrosius Wille, entlehnt hat; endlich eine anonyme Geschichte der Ereignisse in der Grafschaft Valenciennes vom Ausbruch der Unruhen bis zum Jahre 1621, dem Motley namentlich bei der Darstellung der Ereigniffe folgt, welche sich an das Auftreten der Geiftlichen Faveau und Mallard knüpften. Die Benußung dieser handschriftlichen Quellen macht Motley's Werk auch für den Geschichtsforscher beachtenswerth; sein Hauptvorzug besteht aber in der ebenso glänzenden wie gründlichen Verarbeitung des bereits bekannten Materials.

Und in dieser Beziehung stellt sich uns Motley als ein Geschichtsschreiber ersten Ranges dar, so daß man, selbst in England, keinen Anstand genommen hat, ihn mit Macaulay zu vergleichen. Zwar den lebendigen, beweglichen Geist, den durchdringenden Verstand, den schlagenden Wiß, die in einer absoluten Herrschaft über die Sprache wurzelnde Schärfe des Ausdrucks, die Macaulay in so seltenem Grade

auszeichnen, besißt Motley nicht; aber es ist auch bekannt, daß diese hervorragenden Gaben für den, gefeierten Historiker oft zu einer gefährlichen Mitgift geworden sind, daß sie ihn oft verleitet haben, sein Urtheil zu scharf zuzuspißen und um einer glänzenden Pointe, um einer scharfen Antithese willen zuweilen über die Gränzen historischer Gerechtigkeit hinauszugehen. Fehlt Motley dieser strahlende Glanz des Geistes, so besigt er dagegen andere Eigenschaften, die unserer Ueberzeugung nach für den Historiker schwerer wiegen. An Klarheit und Bestimmtheit des Urtheils steht er Macaulay nicht nach, aber er ist gewissenhafter und sorgsamer in der Prüfung und Begründung deffelben. In der Charakteristik liefert er höchst lebendige, fein ausgeführte Portraits, doch ist er im Allgemeinen frei von der Neigung,– in's Genrehafte zu malen. Seine Darstellung ist nicht so stark gewürzt, daß sie auch einen blafirten Kopf aufregen und fortreißen könnte, aber vielleicht gerade deshalb von einer gediegeneren Schönheit, der zur Vollendung nichts als hin und wieder eine Milderung des Ausdrucks, hin und wieder eine Abschwächung der apologetischen Fär bung zu Gunsten des rein erzählenden Tones fehlt. Motley besist in fich alle Eigenschaften eines großen Historikers, und wir würden es sehr beklagen, wenn er, statt seiner eigenen Natur zu folgen, sich verleiten ließe, Macaulay in den Aeußerlichkeiten der Darstellung nach zuahmen; wo er es im vorliegenden Bande zu thun scheint, will es uns bedünken, daß er darin nicht besonders glücklich gewesen ist.

(Schluß folgt.) Italien.

Ein italiänischer Satiriker des sechzehnten Jahrhunderts.

(Schluß.)

Sehr bitter äußert sich Boccalini über das Gebahren der Regenten seiner Zeit, indem er sich bei dieser Gelegenheit eines Gleich nisses bedient:

Der Krämer, welcher auf der großen Straße einen Laden, zu den beiden Kronen genannt, hatte, wurde vor einigen Tagen von den Schergen festgenommen. Sie warfen ihm flugs einen Mantel über den Kopf, schleppten ihn nach dem Hafen und schmiedeten ihn an eine Galeere. Der gesammte Parnaß verwunderte sich hierüber, denn der Unglückliche war, ohne daß ihm der Prozeß gemacht wurde, verurtheilt worden. Es verbreitete sich jedoch bald das Gerücht, daß dies auf Veranlassung der größten Monarchen der Welt geschehen wäre, die jener Krämer allzuschwer beleidigt hätte, weil er öffentlich blauen Dunft (fumo fino) feilbot, eine Waare, die nach der Ansicht der Potentaten nie von einem Privatmann verkauft werden dürfte. Durch das an dem Krämer statuirte Exempel sollten Andere abgeschreckt werden, sich mit Dingen zu befassen, die nicht ihres Amtes wären. Wenn nun gleich die Dummköpfe vermeinten, daß eine so harte Strafe in dem vorliegenden Falle ungerecht wäre, so entgegneten diejenigen, welche die Interessen der großen Monarchen tiefer durch schauten, daß sie den Krämer noch viel ärger behandelt haben würden, da der blaue Dunst den Fürsten nur zu häufig statt baarer Münze dienen müßte und selbst deren allerreichste Schazkammern erschöpft werden würden, wenn sie genöthigt wären, ihre Schulden dem Pöbel in baarem Gelde zu zahlen.

Wie Boccalini über den Adel des sechzehnten Jahrhunderts dachte, mögen folgende Auszüge aus den ,, Ragguagli" darthun:

Apoll verbot den Hirten, fernerhin Schweine zu mästen. Da erscheinen vor ihm einige klassische Schäfer und bitten ihn in ihrem und im Namen ihrer Genossen, von solcher Neuerung abzustehen und ihnen, sowie ihren Familien, nicht die Fettschnitten und das so angenehme Schweinefleisch entziehen zu wollen. Obgleich nun Apoll hierauf erklärt, daß er Bauern und Hirten bei weitem mehr als den Adel liebe, so nimmt er troßdem die Verorduung nicht zurück, denn die habgierigen Edelleute hätten aus der so nugbringenden Gewohnheit der Bauern, die Schweine im Herbst zu mästen, um sie im Winter zu schlachten, eine überaus verwerfliche politische Lehre ent

nommen.

Ein Marquis läßt sich eine Geschichte seines Hauses anfertigen. Die sorgfältigsten Nachforschungen ergeben, daß seine Familie bereits länger als hundert Jahre diesen Rang besaß. Der Erfte, welcher denselben erwarb, war ein kaiserlicher Hauptmann, der Sohn eines Arztes. Dieser Arzt hatte zum Vater einen Notar, zum Großvater einen Quacksalber, deffen Vater, ein Sbirre, wegen Schurkereien gehängt wurde. Der Sbirre war der Sohn eines Matraßenmachers, und dieser der Sohn eines favoyischen Edelmannes, der wegen einer Verschwörung gegen seinen Fürsten im Gefängniß hingerichtet worden war. Der Fürst hatte den Sohn verbannt, welcher von einem Matragenmacher als Lehrling und später an Kindesstatt angenommen wurde. Der Edelmann war der Sohn eines hochberühmten Grafen, deffen Familie länger als dreihundert Jahre die Grafschaft beseffen hatte. Unter seinen Vorfahren war einer dadurch zum Besiß dieser Graf

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schaft gelangt, weil er, obgleich der Sohn eines getauften Juden Salomon, der größte Liebling seines Fürsten war. Dieser Salomon, nach der Taufe Arnold genannt, stammte von der Insel Rhodus, und es blieben alle Nachforschungen über feine Vorfahren ohne Erfolg.

Die Gelehrten des Parnaß hatten sich zum Theil bei Gelegenheit einer Disputation darüber, ob Duelle zu rechtfertigen wären, dahin ausgesprochen, daß allerdings zwischen Soldaten, wie unter anderen Personen, Streitigkeiten möglich wären, die nur mit gewaffneter Hand entschieden werden könnten. Apoll ließ Alle, die diese Meinung abgegeben hatfen, an die Galeeren schmieden, und waren alle Ulebrigen über eine solche Execution in Staunen gerathen, so erregte das Benehmen der Gerechtigkeit noch mehr ihre Verwunderung, da dieselbe bei dieser Gelegenheit ihren tiefsten Unwillen gegen die Verurtheilten kundgab, während sie sonst in ähnlichen Fällen sich nicht von der Leidenschaft hinreißen ließ. Allein die Weisesten des Hofes konnten der Göttin hieraus keinen Vorwurf machen, denn sie mußte aufs höchste durch die Behauptung beleidigt werden, daß es unter den Menschen Streitigkeiten geben könnte, die welche Gerechtigkeit nicht zu entscheiden vermöchte.

..

Wie die Duelle, so waren auch die Kriege, die damals zumeist vermittelst geworbener Soldaten geführt wurden, dem Boccalini verhaßt.

Franz Sforza hatte vergeblich die Aufnahme in den Parnaß nachgesucht, denn Apoll fürchtete, daß eine solche einem Soldaten widerfahrene Ehre den Menschen das Kriegswesen lieb und angenehm machen könnte, wie sie ja wegen eines einzigen Schiffes, welches glücklich den Hafen erreicht, Lust zur Schifffahrt bekommen, anstatt sich dieselbe durch die vielen Tausende von Schiffbrüchen verleiden zu lassen. Endlich gelingt es Sforza jedoch, seinen Wunsch durchzusehen, es dürfen aber nur diejenigen seiner Soldaten an dem Einzug auf dem Parnaß theilnehmen, die unter ihm übel zugerichtet wurden oder elend umgekommen sind. Menschliche Augen haben nie ein bejammernswertheres Schauspiel als diesen Einzug zu sehen bekommen. Man sah eine große Schaar von Jünglingen, denen das väterliche Haus alle Annehmlichkeiten dargeboten hatte, die aber vor Hunger oder unter Entbehrungen aller Art in scheußlichen Hospitälern, an Gräben oder auf offener Landstraße umgekommen waren; unzählige Andere waren ertrunken, oder die Hunde hatten sie aufgefressen; noch Andere erschienen mit zerfesten Leibern oder waren von Pferden geschleift und zertreten worden, Andere endlich als Straßenbettler, weil die Fürsten, um derenwillen sie ihr Blut vergossen, ihr Leben tausend Gefahren ausgesezt hatten, ihnen nicht soviel als Lohn zu gewähren vermochten, daß sie in ihre Hütten hätten zurückkehren können.

Auf Veranlassung Apoll's wurde ein Streit zwischen Gelehrten und Soldaten darüber, ob die Waffen den Vorzug vor den freien Künsten verdienten, dahin entschieden, daß der Krieg eine freie Kunst und Wissenschaft genannt werden könnte. Da erschienen die Fleischer aus der ganzen Welt und verlangten, daß auch ihr Handwerk diesen Ehrentitel erhielte. Denn wenn das Plündern, des Zerstören der Städte, der Menschenmord, das Verwüsten der Welt, das Umkehren des Mein und Dein vermittelst des Degens in der Faust eine Wissenschaft genannt würde, um wie viel mehr verdiente da ihr Handwerk diesen Namen, da sie ja nur Kälber schlachteten, um die Menschen zu ernähren. Hierauf erklärte das Hofgericht einstimmig, daß das Kriegshandwerk, wenngleich vielfach nöthig, doch so scheußlich und unmenschlich wäre, daß'man ihm einen ehrlichen Namen nicht beilegen dürfte..

Die Staatsbedürfnisse stiegen bereits in damaliger Zeit von Tage zu Tage, und es konnte daher auch nicht an der Plusmacherei fehlen. Ein geldgieriger Potentat ersuchte einen Plusmacher, ihm von den Unterthanen Geld zu verschaffen, ohne daß diese es merkten und unwillig wurden. Dieser gab nun folgenden Rath: der Fürft sollte das Gerücht aussprengen lassen, daß ihm Gefahr drohte, von seinen Feinden unversehens überfallen zu werden. Man müßte daher die Residenzstadt befestigen und, um ein so nöthiges Werk zu Stande zu bringen, eine Steuer erheben, zu der sich das Volk aus Furcht, Leben, Vermögen und Ehre zu verlieren, gern verstehen würde. Man müßte darauf eifrigst mit den Bauten vorgehen, im zweiten Jahre könnte man etwas nachlassen und im dritten Jahre ganz aufhören, denn in den beiden vorangegangenen würde sich das Volk bereits an die neue, schwere Last gewöhnt haben. Der Plusmacher rieth ferner: den Lurus mit Kleidern, Juwelen und Ausstattungen zu verbieten, im Wege der Gnade jedoch gegen eine erhebliche Abgabe, die man Kanzleigebühr nennen könnte, denselben zu gestatten. Apoll ließ diefen abscheulichen Menschen von Hunden zerreißen.

Auch der Zustand der Wissenschaften wird von Boccalini nicht unberücksichtigt gelassen. Er erzählt::

Bercits ist die Aerndte vorüber, und die Früchte befinden sich in den Scheuern der Herren. Nach Verschiedenheit des Bodens und der Aussaat fiel sie verschieden und im Allgemeinen dürftig avts, denn

auch die Geister der Menschen find ebenso unfruchtbar geworden wie die Luft und die Erde.

Diejenigen, welche Juristerei ausfäeten, haben sich zum Theil an ihrer Aerndte bereichern können, besonders die, welche ihre Felder in der Nähe der Höfe hatten, haben das funfzigste Korn, geärndtet. Silvestro Aldobrandini (Vater des Papstes Clemens VIII) und Marcantonio Borghese (Vater des Papstes Paul V.), welche auf den äußerst fruchtbaren Feldern des römischen Hofes mit großen Unkosten und mit unendlicher Arbeit die Juristerei ausgefäct und mit ihrem Schweiß begossen haben, füllten ihre Scheuern mit den reichsten Schäßen an, und auch ihre vortrefflichen Söhne, welche sich gleichfalls mit diesem Zweige der Landwirthschaft beschäftigten, haben Fürstenthümer für ihre Angehörigen und göttliche Würden für sich selbst geärndtet.

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Diejenigen, welche das Studium der Medizin aussäeten, können gleichfalls mit ihrer Aerndte zufrieden sein, ob sie gleich nicht mit der der Juristen verglichen werden kann, da sie nur das zehnte Korn gab,

Die, welche Poesie anbauten, sahen im Frühling ihrer Jugend die Felder in größter Herrlichkeit und konnten mit gutem Grund auf eine reiche Aerndte hoffen; als aber die Körner anseßen sollten, sahen fie nur Halme und Blumen. Vergeblich hatten sich die Dichter gequält, daher ist denn auch dieser Zweig der Landwirthschaft in Abgang gekommen.

Auch etwas griechische Sprache ist ausgefäet worden, man darf jedoch gegenwärtig kaum hoffen, daß sie einigen Ertrag bringen wird. Freilich war das Brod, das aus diesem Korn gebacken wurde, einst die tägliche Nahrung einer sehr zahlreichen Nation, allein jest wollen es die schwachen Magen nicht mehr gut verdauen. Einige gescheidte Köpfe föeten daher etwas fürs Haus in ihren Gärten, allerdings mehr aus dem Grunde, daß man sie nicht für unwissend halte, als um mit ihrer Gelehrsamkeit zu prunken; fie wollen etwas zu Saamen übrig behalten, können aber an einen Handel mit dieser Waare gar nicht denken.

Der Saamen der hebräischen Sprache ist fast ganz verloren gegangen; Niemand kümmert sich um dieselbe, was allerdings höchst schimpflich für die Menschheit ist, da Gott selbst in dieser Sprache geredet und sie dadurch zu großem Ansehen gebracht hat.

Diejenigen, welche Philosophie anbauten, haben sogar den Saamen verloren, weshalb sich auch die Welt um diese Waare nicht kümmert, mit der sich nur die scharfsinnigsten Geister befassen können. Es erheischt große Mühe und Arbeit, die Saat auf und zur Reife zu bringen, und wenn dies auch hin und wieder gelang, so ärndtete man nur wenig Frucht, und diese fand selten Käufer.

Die Akademieen beschwerten sich bei Apoll darüber, daß der Eifer, durch den sie sich anfangs auszeichneten, bald nachließe, und daß sie daher in Abgang kämen. Apoll beschied sie dahin, daß sie sich darüber nicht wundern dürften, da selbst die schönsten, zierlichsten Schuhe mit der Zeit Schlappfohlen würden.

Auf einer Fastnacht, welche Apoll den Bewohnern des Parnasses veranstaltet, läßt er die köstlichsten Bibliotheken eröffnen, damit sich Jeder an den herrlichen Schriften der berühmtesten Autoren erlustigen könne. Alles ist fröhlich und guter Dinge, berauschend wirkt der Wein der freien Künfte, nur die Juristen hängen die Köpfe, denn sie wissen sich nicht zu unterhalten, da die Zankläden geschlossen sind. Schon vor langer Zeit hat Apoll diejenigen, welche nichts weiter als Juristen find, für pure Esel erklärt und ihnen den Genuß der Philosophie, Poesie und der übrigen 2.senschaften verboten, da sich derselbe nur für erhabenere Geister zieme.

teu den Abgeordneten ihrer Völker, daß sie durchaus nicht gemeint wären, den öffentlichen Säckel zum Besten ihrer Unterthanen zu beeinträchtigen.

Den Geist, in welchem Boccalini, vielleicht unterstügt von hochgestellten Männern, schrieb, werden die mitgetheilten Proben genugsam darthun. Eine weitere Mittheilung über die von ihm verfaßte General-Reformation der ganzen Welt behalten wir uns vor. August Geyder.

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Süd-Amerika.

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Diktator Rosas in einem spanisch-amerikanischen Roman.*) Ein anschauliches, lebendiges Bild hat der Verfasser von Zustän den geben wollen, die gewiß eigenthümlich genug sind, um nicht nur das Interesse derer in Anspruch zu nehmen, die persönlich darunter litten, sondern gewiß eines Jeden, dem sie klar vor das Auge geführt werden. Ein Gemälde will er vor unseren Augen entfalten von je ner Schreckenszeit in Buenos-Aires, da Rosas mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln den Kampf auf Leben und Tod mit seinen Gegnern führte und mächtiger denn je aus demselben hervorging. Die merkwürdige Persönlichkeit dieses Mannes, die unglaubliche Feigheit derer, die er beherrschte, die thörichte Eifersucht derjenigen, die gegen ihn auftraten, während nur Einer den Anderen hinderte, die bekanntesten in die Begebenheiten dieser Zeit verflochtenen Persönlichkeiten will der Autor in Form einer Novelle uns vorführen.

In Buenos Aires, am Schauplah dieser Ereignisse, hat er damit großen Beifall, den Ruhm eines großen Dichters sich erworben. Kein Wunder! Fast Keiner fragt, ob die Novelle als Novelle gut ist, genug, daß sie ihn in jene Zeit versegt, daß er aus eigener Anschauung die genannten Hauptpersonen kennt, daß er dies und jenes an ihnen geschildert findet, was er selbst gesehen, daß Anekdoten, die damals verstohlen von Mund zu Mund gingen, hier offen schwarz auf weiß zu lesen und in jedem Buchladen zu haben sind. Der unbefangene Leser, der sich erst aus dem Buche ein Bild jener Zeit gestalten will, muß freilich anders urtheilen. Das Buch hat zu wenig Ursprüngliches oder, so zu sagen, es hat, statt einer spanisch-südamerikanischen, eine nachgeahmt französische Färbung. Es ist ganz nach dem Muster der Romane von Alexander Dumas u. s. w. geschrieben, so sehr, daß, wer mehrere von diesen gelesen hat, fast lauter bekannte Figuren, denselben Ton des Dialogs, dieselbe Manier der Intriguen und dergleichen wie in den erwähnten Novellen hier wiederfindet.

Statt den Kampf in jener Zeit in seinen Tiefen aufzufassen, statt die merkwürdigen Gegensäge, die durch das plögliche Eindringen einer modernen Kultur in ein zum großen Theil halbwildes Land bedingt sind, darzustellen, statt uns aus der langweiligen, halbcivilisirten Stadt jener Zeit in die weiten Steppen mit ihren halbwilden Bewohnern zu führen, deren rohe, brutale Naturgewalt, in Rosas verkörpert, die nur von außen stammende Macht der Civilisation in ihrer Ohnmacht und Erbärmlichkeit vor aller Welt Augen stellte, statt zu zeigen, wie mit Abwerfen eines fremden Joches, bei allem Reden von Freiheit, doch der knechtische Sinn nicht gleich abgeworfen wird, statt alles dessen müssen wir immer in der schmußigen Stadt bleiben — höchstens einmal ein kleiner Ausflug nach dem ebenso rechtwinkligen und schmuzigen Montevideo wird gemacht — führt uns der Verfasser durch allerlei armselige Intriguen, Thee- und Kaffee- Gesellschaften, kleinliche Verschwörungen hindurch, blos um dabei Gelegenheit zu haben, alle Halsabschneider und umgekehrt alle hochherzigen glorreichen Patrioten kennen zu lernen, die sich aber theils verkriechen, sobald der

Die sozialen Gebrechen seiner Zeit wußte Boccalini auf das Tiger knurrt, theils sich gar erhebend mit einander zanken. Jedenfalls schärffte zu rügen, z. B.:

Die Völker, welche den auf dem Parnaß residirenden Fürsten unterworfen waren, gelangten zu der Einsicht, daß der Lurus und die Eitelkeit in den Kleidermoden neuerdings zugenommen haben. Wo reicht jezt noch ein Vermögen aus, um der Pugsucht der Weiber, der Thorheit der Männer genügen zu können? Die Lust, zu prunken, kennt keine Gränzen mehr, und selbst mit dem größten Heiratsgut vermag man nicht die Juwelen zu beschaffen, welche eine Braut verlangt, weshalb denn auch so viele Mädchen sigen bleiben müssen. Auch das Schlemmen kennt weder Maß noch Ziel; die jungen Praffer vergeuden, was der alte Sparmund zusammengescharrt hat. Daher sandten die Völker Abgeordnete an ihre Fürsten und baten dieselben, ihrem gänzlichen Ruin vorbeugen zu wollen. Die Fürsten erließen auch sofort Verordnungen, durch welche sie den Lurus und Schwelgereien jeder Art verboten. Allein am Abend vor der Bekanntmachung dieser Verordnungen erschienen die Zollpächter und stellten vor, daß die von Neapel eingeführte Seide, die Florentiner Goldborten, die pracht vollen Mailändischen Tücher und dasjenige, was aus fremden Ländern für die wohlbefeßten Tafeln bezogen würde, den Hauptertrag der Zölle lieferten. Da wurden die Fürsten anderes Sinnes und erklär

sind seine eigentlichen Helden unsäglich abgeschmackte Phantasiegestalten, vor Allen die himmlische Amalia. Die Halsabschneider sind doch wenigstens wirkliche, zum Theil ganz gut gezeichnete Menschen.

Um jedoch nicht ungerecht zu sein, muß man von dieser Novelle sagen, daß sie jedenfalls so lesenswerth und interessant ist als tausend andere, daß sie, wenn auch, als Kunstwerk betrachtet, nicht viel werth, dennoch dem, der es nicht scheut, neun nicht zu starke Bände durchzulesen, einige Stunden Unterhaltung verschaffen kann, und daß sie endlich eine Ueberseßung so gut verdient als hundert andere. So vor= sichtig man sein muß, nicht etwa ein verschobenes Bild zu schnell für ein klares Spiegelbild einer Persönlichkeit oder eines Zustandes der Gesellschaft zu halten, so gewiß hat man doch dergleichen an den mannigfach eingewobenen Aktenstücken aus jener Zeit, und diese sind dann für den Referenten auch das eigentlich Interessante in diesem Buch gewesen. Es folgen hier zwei Episoden, die vielleicht ein befferes Bild jener Zustände geben, als eine lange, ausführliche Schilderung. Zuerst die Beschreibung eines Festes zu Ehren Nosas”, be

*), „Amalia“.^`Historische Novelle aus der Zeit der Herrschaft des Tiftators Rosas. Von Marmol. Buenos-Aires, 1857.

schrieben in einer damaligen Zeitung von Mariñano, einem Anhänger des Rosas (Nr. 4891 ber Gaceta).

„Die zur Kirche führende Straße war ganz mit Olivenzweigen und schönen Fahnen geschmückt. Die Fahnen wurden von den Bewohnern gehalten, und diese beugten ihre Kniee und senkten ihre Fahnen, als das Bild (des Diktator Rosas) vorbei getragen wurde. Einen wahrhaft gewaltigen Eindruck machte das Geläut der Glocken, das Aufsteigen von Raketen aller Art und das Vivatrufen der unermeßlichen Volkemenge, die dort versammelt war. Angelangt am Atrium der Kirche, nahmen der Herr Friedensrichter und Herr Maestro das Bild und gingen damit in die Kirche, an deren Thür der Herr Cura und sechs andere Priester im sobre pelliz das Bild geleiteten, bis es an den für dasselbe bestimmten Plag gelangt war. Während die Begleitung sich zurückzog, weil die kirchliche Feier noch nicht begonnen, blieben zwei tenientes alcaldes (Polizei-Lieutenants) als Ehrenwache des Bildes zurück................. Am Schluß der Feier nahm die Begleitung ihren Plaz wieder zur Seite des Bildes ein und erwartete den Herrn Cura und die übrigen Priester, die im sobre pelliz herauskamen und das Bild wieder bis zum Atrium geleiteten, wo es der Herr Richter erster Instanz, Don Lucas Gonzalez Peña, in Empfang nahm....

......

„Nach der Feier vereinigte sich ein Theil der Einwohner in dem naheliegenden Haufe des Friedensrichters, wo in Fülle carne concuero (mit dem Fell am Spieß gebratenes Fleisch) gereicht wird. Nach Beendigung des Mahles vereinigten sich alle Anwesenden im Patio (Hofraum) des Herrn Friedensrichters zum föderalften und republikanischsten aller Tänze, der media caña, wozu das Musikcorps des Restaurators (das ist Rosas) spielte. Von diesem Tanz, dem einzigen, den man tanzte, schloß sich Keiner aus, ja, da Alle in seine Verschlingungen verwickelt wurden, sah man keinen Unterschied des Standes mehr. Die Señorita Doña Manuelita de Rosas, würdige Tochter unsers erlauchten Restaurators, und die verehrte Familie Sr. Excellenz verherrlichten die Feier mit ihrer Gegenwart."

Das war das Fest von San Miguel. Es folge noch die Beschrei bung eines ähnlichen, des Festes der Kathedrale (Gaceta Nr. 4866):

,,Am Eingang der Kirche drängte sich eine zahlreiche Menge, und als der Priester-Senat an die Thür herauskam, ward das Bild Sr. Excellenz von denselben Generalen, die es bis dahin getragen, in den Tempel gebracht. Die Function ward mit majestätischem Pompe begangen. Unser verehrter und würdiger Mitbürger, der hochwürdige Diözesan - Bischof von Buenos Aires, Dr. Don Mariano Medrano, umringt von allem Glanz und Pomp, mit dem der Kultus der katholischen Kirche an den hohen Festen prangt, fungirte bei dem hochwichtigen Akt des Dankgebets. Ein herrliches Orchester begleitete den Gesang einiger Künstler und Dilettanten. Nach beendigter Messe ward das Te Deum von dem hochwürdigen Prälaten angestimmt; dem Volk ward dies durch Anschlagen der Glocken und einer ArtillerieSalve verkündet. Danach ward das Bild Sr. Ercellenz auf den Triumphwagen zurückgebracht. (Es war ein besonderer Wagen zum Herumfahren dieses Bildes gebaut worden.) Sobald der Herr General-Inspektor das Zurückbringen des Bildes angeordnet, begann der Marsch in derselben Ordnung, indem die Begleitung durch den erwähnten Haupt-Triumphbogen und von da durch die Straße de la Reconquista bis zum Haus Sr. Excellenz zog........ Schon beim Herausfahren des Wagens aus dem Fort nach der Kirche hin beeiferten sich die Damen, das Bild Sr. Excellenz fortbewegen zu helfen, indem sie mit an dem Wagen zogen, den die Generale und Chefs der Begleitung mit ihren Händen fortbewegten. Die Damen zeigten den zartesten und dabei lebhafteften Enthusiasmus, und wir sahen mit unbeschreiblichem Vergnügen die distinguidas Señoras (folgen die Namen) unter denselben u. s. w. u. f. w.“

Wir fügen keine Betrachtungen zu diesen erhebenden ZeitungsArtikeln, die vor etwa 15 bis 16 Jahren hier geschrieben und gedruckt, aber, wie man sagt, dem erlauchten Restaurator keinesweges enthusiastisch genug waren. Dergleichen authentische Dokumente, sowie viele Notizen, die unzweifehaft wahr sind, kann man in der,, Amalia" finden, und so die Zeit, die man auf das Lefen dieses in BuenosAires, aber vielleicht auch eben nur hier, so berühmten Buches verwandt hat, doch nicht als ganz verloren betrachten. Buenos-Aires.

Mannigfaltiges.

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Humbug und Taktlosigkeit. Ein junger deutscher Autor, der sich Eugen Hermann nennt, hat sich soeben einen literarischen Humbug erlaubt, der eines Yankee ganz würdig sein würde. Um

seine in Leipzig bei Chr. E Kollmann erscheinenden „Gesammelten (?) Novellen und Skizzen" dem Publifum durch ein anlockendes Aushängeschild zu empfehlen, nannte er nämlich die erste dieser Novellen: „Ein Sohn Alexander's v. Humboldt, oder der Indianer von Maypures“. Der sehr triviale Stoff dieser Novelle besteht darin, daß ein Indianer vom Orinoco, Namens Humbug, der nach Berlin verschlagen wird, wo ihn der Verfaffer auf der Kunft-Ausstellung vor dem Bilde Alex. v. Humboldt's kennen lernt, sich für einen Sohn des großen Deutschen hält, weil ihm seine Mutter Tibeima erzählt hat, daß zur Zeit, als der berühmte Gelehrte am Orinoco gewesen, ihr von dem Manne, der die Meß-Instrumente der Expedition getragen und der doch wohl der große Gelehrte selbst war, etwas stark die Cour gemacht worden sei. Auf diese abgeschmackte Erfindung gründet der Verfaffer eine Tagebuchs-Geschichte, deren Handschrift jener Indianer dem Herrn Eugen Hermann mitgetheilt, welcher sodann seine kostbare Novelle danach fabrizirt hat. Und dieses Machwerk hatte der Verfaffer die Naivetät, an Alexander v. Humboldt mit einem Schreiben einzusenden, auf welches, nach einer Mittheilung der ,,Spenerschen Zeitung", die nachstehende Antwort erfolgt ist:

,,Wenn, wie ein neunundachtzigjähriger, alter Mann es wohl um so mehr hätte erwarten dürfen, als er mit Ihnen in derselben Stadt wohnt, Sie mich vor dem Drucke des ersten Bandes Ihrer gesammelten Novellen befragt hätten, so würde ich dem, was Sie selbst in Ihrem Briefe eine mir bereitete Ueberraschung nennen, gern entsagt haben. Jegt bleibt mir nur übrig, Ihnen freimüthig zu sagen, daß diese Ueberraschung, troß des vielen Schmeichelhaften, das die OrinocoNovelle für den Reisenden enthält, denselben doch zu ernsten Betrachtungen über die Unzartheit deutscher literarischer Gewohnheiten in der neuesten Zeit angeregt hat.“

Mit Bezug auf die leßten Worte, fügt das Leipziger „Börsenblatt für den deutschen Buchhandel" dem Briefe Humboldt's auch noch die folgende Bemerkung bei:,,Diese Unzartheit deutscher literarischer Gewohnheiten dürfte wohl nicht allein den Autoren vorzuwerfen sein. Auch der Buchhandel sollte es sich zur Ehrensache machen, daß der Name eines Mannes, wie Alexander v. Humboldt, nicht zu einer so gewöhnlichen Speculation gemißbraucht werde."

Ritter Neukomm. Ueber diesen kürzlich in seinem achtzigsten Lebensjahre verstorbenen deutschen Komponisten brachte das Londoner Athenaeum vom 17. v. M. einen Nekrolog, in welchem der Verstorbene, der einen großen Theil seines Lebens in England zugebracht hatte, als der musikalische Ehrengast par excellence in den Häusern der englischen Großen dargestellt wird, wo man sich seine fremdartigen Manieren, seine die englische Lebensweise nicht immer achtenden Gewohnheiten gefallen ließ - blos um ihn als Hausfreund zu genießen. Siegismund Neukomm war in Salzburg geboren und erhielt den ersten musikalischen Unterricht von Michael Haydn; nachmals ward er ein Lieblingsschüler Joseph Haydn's, der ihn mit väterlichem Wohlwollen behandelte. Frühzeitig bereits wurden ihm Anstellungen auf musikalischem Gebiete in Rußland, Deutschland und Frankreich zu Theil. Im Auftrage des Fürsten Talleyrand komponirte er ein Requiem auf Ludwig XVI., das während des Wiener Kongresses zur Aufführung kam. Später ging er im Gefolge der ersten Gemahlin des Kaisers Dom Pedro I. nach Brafilien, wo er vier Jahre lang lebte. Von da endlich kam er vor etwa dreißig Jahren nach England, und hier nahm er nun seinen beständigen Wohnsiz. Bei einem Musikfeste in Derby brachte er sein Oratorium: „Der Sinai“, zur Aufführung und ebenso in Birmingham seinen „David“, die beide in England großen Beifall fanden. Dem Geschmacke der Engländer waren auch die von ihm komponirten Psalmen, sowie zahlreiche Orgel-Konzerte, angepaßt, doch scheint seine Beliebtheit nur von kurzer Dauer gewesen zu sein, da jezt in England nichts mehr von seinen größeren Compositionen aufgeführt wird. Mehr bekannt sind heutzutage noch seine englischen Lieder, namentlich diejenigen nach Terten von Barry Cornwall. Das Athenaeum sagt, daß Neukomm noch bis zu seinen legten Lebenstagen komponirt und wahrscheinlich auch noch zahlreiche unedirte Arbeiten hinterlaffen habe. Der Abgang Bunsen's von England, in deffen gaftfreundlichem Hause der Ritter Neukomm eine den zahlreichen Fremden, die dasselbe besuchten, wohlbekannte Persönlichkeit war, hatte den Greis so geschmerzt, daß er es in der leßten Zeit ebenfalls nicht mehr in England aushielt und nach Paris ging, wo er sein Grab gefunden hat.

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