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neben sich seßen, fragte mich, was in Paris, woher ich kam, vorgehe, womit sich das Publikum beschäftige, was in den Salons das Thema der Unterhaltung bilde? Ich sprach von einem Artikel aus der Feder Chateaubriand's im Merkur", der im Augenblick meiner Abreise einiges Aufsehen gemacht hatte. Ich zitirte daraus wörtlich eine Stelle, die mich besonders angesprochen hatte und mir im Gedächtniß haften geblieben war:

,,,,Wenn wir in dem Schweigen der verworfensten Knechtung nur das Kettengeraffel des Sklaven und die Stimme des Anklägers hören: wenn Alles vor dem Tyrannen zittert und seine Gunft wie seine Ungnade gleich gefährlich sind: so erscheint es als Aufgabe des Geschichtschreibers, die Sache der Völker zu übernehmen.- Umsonst triumphirte Nero. Tacitus wurde geboren, wuchs unbeachtet in der Nähe der Urne des Germanicus auf, und den Händen eines Kindes der Dunkelheit vertraute die unbeftechliche Vorsehung den Ruhm des Weltbeherrschers."" Ohne Zweifel war der Ton meiner Stimme erregt und eindringlich, da ich selbst von den Worten tief bewegt und gefesselt war. Mich beim Arm fassend, rief Frau v. Staël: "Gewiß, Sie müssen einen trefflichen Tragöden abgeben. Bleiben Sie bei uns und übernehmen Sie eine Rolle in der Andromache!"" Dramatische Vorstellungen waren um diese Zeit die vorherrschende Unterhaltung in ihrem Hause. Ich lehnte die freundliche Einladung ab, und das Gespräch wendete sich wieder auf Chateaubriand und dessen Artikel, der Bewunderung, aber zugleich einige Besorgniß hervorrief. Und in der That wurde gerade auf Grund der erwähnten Stelle der Mercure unterdrückt. Der Kaiser Napoleon, Sieger Europa's und unbeschränkter Herr Frankreichs, meinte, es dürfe nicht geschrieben werden, daß sein künftiger Geschichtschreiber in seinem Reiche zur Welt kommen könnte, und hielt sich für verpflichtet, die Ehre Nero's unter seinen Schuß zu nehmen. Es war eine harte Strafe für die Größe, solche Besorgnisse zu äußern und solche Klienten zu beschüßen!"

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sich aber bald, und die übrig gebliebenen Titular-Professoren ließen sich durch arme Lückenbüßer, mitunter durch bloße Studenten vertreten. Endlich erwies sich gerade ihre Unabhängigkeit als ein Fallstrick für die Universitäten: in die Verwaltung brachte sie Wirre und Zerrissenheit, unter den Studenten nahm das lüderlich ungebundene Leben überhand und ließ keine ernste Beschäftigung aufkommen. Abgesehen von den zahllosen Feiertagen in Spanien und den damit verbundenen Ferien, hatten sich die Studenten einen wöchentlichen dia da la barba (eine Art blauen Montag) geschaffen, der dem Müßiggang geweihet war. Grade wurden noch an den Universitäten verliehen; aber der Unterricht hatte aufgehört.

Im Jahre 1771, unter der Regierung Karl's III., dachten die großen Staatsmänner zum ersten Mal daran, die Universitäten zu reformiren, und legten Hand ans Werk. Auch das constitutionelle Regime wollte bei seinem Auftreten den öffentlichen Unterricht umgestalten; allein die unzusammenhängenden, kraftlosen und stets unterbrochenen Versuche vermehrten nur die Unordnung und deckten nur die Größe des Uebels auf. Als 1845 eine ernste und entschiedene Reform begann, waren die Universitäten in dem elendesten Zustande: das Vermögen verschleudert, die Gebäude in Trümmern. Dienstjahre im Heer wurden als Universitätsjahre, theologische Studien dem Kursus in der Medizin angerechnet. Um ohne Zweifel eine Buchhändler-Operation zu begünstigen, wurde der „, Télémaque" von Fénelon als Handbuch des Rechts bezeichnet, und Zarate erzählt von einem Programm, nach welchem ein Professor in einem und demselben Kursus über Literatur, Geschichte, Mathematik, Geographie und Chemie las. Und, nicht zu vergessen, es sind noch keine zehn Jahre seit Abstellung dieser Wirthschaft in Spanien verflossen.

Die Reform hatte keine kleine Arbeit vor sich. Sie ging von einfachen, in anderen Ländern bereits erprobten und der Zeit angepaßten Ideen aus. Die alten Universitäten mit ihren Vorrechten und ihrer Unabhängigkeit wieder in's Leben zu rufen, das war unmögFreundlich gesinnte Personen wollten Guizot für den kaiserlichen lich; es blieb demnach nichts übrig, als die Erbschaft dieser todten Dienst gewinnen; über die Vereitelung des Versuches berichtet er: Anstalten dem Staate zu übertragen. Der Kirche die ausschließliche „Eine Dame, ausgezeichnet an Talent und Seelenadel, Frau v. Ré- Macht über den Unterricht einzuräumen, erschien fürderhin unzulässig; musat, die einen gewissen Grad von Freundschaft für mich gefaßt die Säkularisirung der Studien war eine Nothwendigkeit geworden. hatte, wollte mich als Auditeur in den Staatsrath bringen.... Jch. Ich. Es galt nun, eine Menge Fragen zu lösen: alle diese zersplitterten hatte eine Unterredung mit dem Herrn von Hauterive, einem frucht- und unfruchtbar gewordenen Kräfte in den Händen der Staatsgewalt baren und erfindungsreichen Kopf und wissenschaftlich gebildeten jun zusammenzufassen die Trümmer des Universitätsvermögens zu gen Männern wohlgesinnt. Als Probearbeit übertrug er mir die sammeln einen neuen Lehrkörper zu schaffen den ElementarAbfaffung einer Denkschrift über eine Frage, für die der Kaiser sehr Unterricht zu entwickelnden Gymnasial-Unterricht, der nicht vorinteresfirt war oder so erscheinen wollte: sie betraf die gegenseitige handen war oder bis dahin zum Theil nur in klösterlichen Semina= Auswechselung der Gefangenen zwischen Frankreich und England. rien und in gewissen Spezial-Anstalten existirt hatte, zu gründen Man übergab mir mancherlei den Gegenstand betreffende Dokumente. die Hochschulen neu zu gestalten. Centralisation und Säcularisation Ich verfertigte die Schrift, und in dem guten Glauben, daß es der scheinen also die schöpferischen Ideen der Reformen gewesen zu sein, Kaiser aufrichtig meine, hob ich sorgfältig die Grundsäge des Völker- die mit 1845 begonnen haben und seitdem, obgleich durch Störungen rechts hervor, die eine solche Maßregel wünschenswerth, und wies auf aller Art gekreuzt, fortgeführt worden sind. Ueberall ging bei der gegenseitige Zugeständnisse hin, welche die Durchführung dieser Maß- umgestaltenden Bewegung der erste Stoß von oben aus, und diese regel möglich machten. Meine Arbeit wurde, dem Geschäftsgange Nichtung unterscheidet die gegenwärtige, nach dem französischen Vorgemäß, dem Herzog von Bassano vorgelegt. Ich habe Grund zu dem bilde gemodelte Organisation von der alten. Wie in Frankreich, Schluffe, daß ich den Gegenstand nicht begriffen hatte und daß es durchläuft der Unterricht drei Stufen: Volksschule, Gymnasium, Unidem Kaiser, der ein größeres Gewicht auf die englischen Gefangenen versität. In wenigen Jahren wurden in Spanien über 15,000 Volksin Frankreich, als auf die französischen in England legte, und über schulen und mehr denn funfzig Gymnasien eröffnet. Musterschulen dies glaubte, die Zahl der Lehteren sei für die englische Regierung zur Bildung von Lehrern wurden eingeführt. Für die Universitätseine drückende Last, gar nicht Ernst war, der vorgeschlagenen Aus- bildung sorgten zehn Hochschulen in Madrid, Barcelona, Granada, wechselung Folge zu geben." (Schluß folgt.) Oviedo, Salamanca, Sevilla, Santiago, Valencia, Valladolid und Saragossa. Die Universitäts-Behörden haben bei weitem nicht dieselbe Gewalt, wie vordem. Der Rektor und die Profefforen werden von der Regierung berufen. Keine Vorrechte, keine unabhängige Gerichtsbarkeit. Manche Universitäten vereinigen alle Fakultäten, andere haben nur eine gewiffe Zahl.

Spanien.

Der öffentliche Unterricht in Spanien.
(Schluß.)

Denn vollständig war der Verfall, und er erklärt sich aus mancherlei Ursachen: theils aus dem Geiste der Zeit, theils aus politischen Umständen, theils endlich aus der Organisation der Universitäten. An die Spiße dieser Ursachen stellt Gily Zarate das ausschließende und unbedingte Vorwiegen des theokratischen Geistes, der sich der Scholastik bediente, Alles, Wissenschaft wie Dogma, unbeweglich zu machen. Er bildete ein furchtbares Neß, in welchem alles Leben erstickte. Jeder Gedanke starb im Keime; die Wissenschaften wurden verlassen; es blieb nur ein mechanisches Abrichten, das sich auf bloße Lectionen øder auf spißfindige, mit Formeln gespickte Argumentationen beschränkte. Als man im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts den öffentlichen Unterricht wiederherstellen wollte, antwortete Salamanca stolz mit, dem Schriftwort: Non erit in te Deus recens! (Es soll bei dir kein neuer Gott sein!) Salamanca kam aus dem dreizehnten Jahrhundert nicht heraus. Eine andere Ursache des Verfalls lag in der Organi sation des Lehramts: die Profeffur, nur auf Zeit verliehen, war keine Carrière und war überdies schlecht besoldet; oft mußten sich die Professoren um das Honorar mit den Studenten herumzanken. Unbeftritten gab es zu gewissen Zeiten ausgezeichnete Lehrer, fie verloren

Daß die Durchführung dieser Reformen, wie heilsam auch, auf manche Hindernisse und Widerstände gestoßen sei, läßt sich leicht denken. Wie viele Privat-Intereffen wurden durch sie hart berührt! Wie viele Gewohnheiten verlegt! Dazu kam das Mißtrauen der Bevölkerung, hin und wieder das schlechtverhehlte Uebelwollen der Kammern. Warum, fragte man, Beispiele im Auslande suchen, wenn man so schöne und rein nationale Vorbilder im ehemaligen Spanien hat? Zarate kann mit seinem gefunden Sinne antworten, daß ein todter Organismus kein lebendiger, und daß es eine patriotische Selbsttäuschung sei, wenn man sich an eine Vergangenheit klammert, die mehr als eine Spur französischer Nachahmung aufweist. Als der. Kardinal Ximenes die Universität Alcala umgestaltete, so geschah das, nach seiner eigenen Verordnung, more parisiensi. Eine merkwürdige Thatsache ist die Mißliebigkeit, mit welcher der öffentliche Unterricht in den Kammern oft aufgenommen wurde; man sprach sich zwar nicht unumwunden gegen ihn aus, allein, handelte es sich um das Elementar-Schulwesen, so hieß es: das sei Sache der Ortsgemeinden; sollten neue Lehrer besoldet werden, so fand man die Gehälter übertrieben. Bei jeder vorzunehmenden Verminderung der Staats-Aus

gaben dachte man zunächst an den die Schulen betreffenden Posten, und dennoch war ja der Staat, der sich das Universitäts-Vermögen angeeignet hatte, von Rechts wegen gehalten, die Kosten des Unterrichts aus seinen Mitteln zu bestreiten. Den heftigsten Widerstand fand die Reform des Gymnasial-Unterrichts; die ganz besonders gegen eine mächtige und wohlgegliederte Körperschaft, gegen die Geistlichkeit, zu kämpfen hatte. Der Plan von 1845 zielte dahin, eine Abgränzungs Linie zwischen Staat und Kirche, zwischen weltlichem und religiösem Unterricht zu ziehen. Die Universitäten allein hatten das Recht, die akademischen Grade zu ertheilen; die Schul-Anstalten vertraten die Volksbildung. Die geistlichen Seminarien wurden auf ihre ursprüngliche Bestimmung: die Erziehung angehender Geistlichen, zurückgeführt; sie sollten wieder sein, was sie gewesen: Institute, aus denen sich der Klerus rekrutirt. Zwischen den Gymnasien und Seminarien stellte sich eine offenkundige und gefährliche Feindseligkeit heraus. Die Regierung hielt anfangs standhaft zu den Gymnasien und wollte dem Geiste treu bleiben, der die neue Organisation schuf. Den ersten Stoß erhielt die Reform 1851, als das einige Jahre früher gebildete Ministerium des öffentlichen Unterrichts wieder aufgehoben und dieser Verwaltungszweig dem Ministerium der Gnaden und der Rechtspflege übertragen wurde; er gehört noch gegenwärtig zu deffen Ressort. Dabei blieb man aber nicht stehen. Einige Zeit nachher wurde die theologische Fakultät von der Universität getrennt und ausschließlich Seminarien einverleibt, die nun ermächtigt waren, die theologischakademischen Grade zu ertheilen, und die ihnen entzogene Berechtigung wiedererlangten, auch Zöglinge, die sich nicht dem geistlichen Stande widmeten, aufzunehmen. Kurz nachher strich man die Philo. sophie aus dem Lehrplan der Universität. Das war ein Uebergriff in das Extrem. Da kam die Revolution von 1854 und fiel in das entgegengesezte Extrem: fie nahm den geistlichen Instituten alles Recht des höheren Unterrichts und reduzirte die Theologie in den Seminarien auf das, was zur Führung eines Pfarramtes streng nothwendig ift. Ein neulich in Kraft getretenes Geseß aber gewährt dem Klerus wieder einen großen Spielraum.

Fragt man nun nach dem praktischen Einfluß dieser Reform und läßt die Ziffern sprechen, so geben sie über den Bildungsgrad der spanischen Bevölkerung eben keine befriedigende Antwort. In den lezten Jahren ging die Zahl der Schüler in den Anstalten des Sekundär-Unterrichts nicht über die 12,000 hinaus, und dieser Unterricht selbst ist nichts weniger als vollständig: das Griechische wird gar nicht gelehrt. Zarate versichert, daß in diesem Augenblick mit genauer Noth Profefforen für die zehn Universitäten in Spanien aufzubringen sind; eben kein vortheilhaftes Zeugniß für die Pflege der klassischen Literatur. So ist auch die Zahl der Studirenden, die sich der Juris prudenz und der Medizin widmen, in fortwährend steigender Abnahme; vor kurzem war sie bei den juristischen Fakultäten auf 3420, bei den medizinischen auf 1463 herabgegangen, so daß ein Minister sich gemüßigt sah, um dem drohenden Mangel an Aerzten zu begegnen, die Studiendauer um zwei Jahre abzukürzen. Daraus erklärt sich viel leicht die Abneigung gewiffer Personen gegen die Reform; sie vergleichen die Gegenwart mit der Epoche, wo Salamanca allein siebentausend Studenten zählte....

Das lehrreiche Werk des Herrn Gil y Zarate, obgleich es sich nur auf die Unterrichtsfrage beschränkt, öffnet uns einen weiteren Gesichtskreis und zeigt uns die ganze Situation Spaniens: eine Situation, wo Alles noch Kampf und Arbeit ist, wo überall die Gegen wart angestrengt ringt, sich von der Vergangenheit loszumachen, wo überall die vielfältigen Zeichen eines mühsamen Ueberganges sicht bar sind.

England.

Die erblichen Elemente des britischen Unterhauses.

Eine Vergleichung der Musterrolle des ,,langen Parlaments" mit dem Personal des jeßigen Unterhauses giebt dem Athenaeum Veranlassung zu intereffanten Bemerkungan über den erblichen Cha= rakter der englischen Volksvertretung, der hauptsächlich durch den Einfluß des Grundbesizes auf dieselbe bedingt wird. Seit mehr als zwei Jahrhunderten scheinen bestimmte Familien mit bestimmten Lokalitäten unzertrennlich verknüpft. Im Jahr 1641 wurde Sir Edward Deering durch die Zeitereignisse an der Veröffentlichung der von ihm als Parlaments - Mitglied für Kent gehaltenen Reden verhindert, und erst. vor wenigen Wochen haben wir einen anderen Sir Edward Deering Krankheit halber sein Mandat für dieselbe Grafschaft niederlegen sehen. Damals, wie jezt, standen die Buller in parlamentarischer Verbindung mit dem Südwesten Englands; die Evelyn faßen für Burgflecken in Surrey, dessen westliche Hälfte in unseren Tagen von einem Mitgliede derselben Familie vertreten wurde; in das lange Parlament, wie in das jeßige, hatte Wiltshire einen Herbert, Peterborough einen Fißwilliam, Staffordshire einen Littleton, Bury St. Edmunds

einen Jermyn, Rutland einen Noel, Pembroke einen Owen gewählt. Sir William Litton war Mitglied für Hertfordshire, das jezt von dem berühmten Novellisten Sir Edward Bulwer-Lytton vertreten wird, der in weiblicher Linie von ihm abstammt. Sir James Thynne war zweites Mitglied für Wiltshire, eine Grafschaft, in der sein Nachkomme, der Marquis von Bath, den parlamentarischen Einfluß noch immer mit den Herbert's (Grafen von Pembroke) theilt. Tavistock, noch heute ein pocket borough des Herzogs von Bedford, eröffnete den beiden Söhnen des damaligen Hauptes der Familie Russell die Pforten des Unterhauses, und Sir Peter Temple, ein Ahnherr des Herzogs von Buckingham und Lord Palmerston's, vertrat das von ihm abhängige Städtchen Buckingham, wie bis ganz kürzlich Lord Chandos, der einzige Sohn des Herzogs.

Ueberhaupt giebt es kaum ein zu den aristokratischen Geschlechtern des Landes oder zu der Gentry gehöriges Mitglied des langen Parlaments, deffen Name, wenn auch nicht immer für denselben Wahlbezirk, nicht in der gegenwärtigen Versammlung angetroffen wird. In beiden finden sich Seymours, Howards, Wentworths, Wyndhams, Wynne's, Suttons, Knatchbulls, Stricklands, Longs, Vivians, Vane's, Price's, Ramsdens, Annesley's, Shelleys, Sir John Pakingtons (der damalige Baronet dieses Namens war mütterlicher Vorfahr des heutigen ersten Lords der Admiralität). Das lange Parlament zählte sechs Smiths und einen Smyth; im jeßigen führt genau dieselbe Anzahl von Mitgliedern diese Namen; ob sie aber von ihren alten Homonymen abstammen, ist ebenso schwer nachzuweisen, wie die Abkunft eines Schulze oder Müller. Daffelbe läßt sich von den Brown, Jones und Robinson sagen, die sich in beiden Häusern vorfinden, obwohl gerade diese plebejischen Namen merkwürdigerweise zahlreicher in dem alten Parlament vertreten find, als in dem neuen. Dagegen haben die großen Republikaner Cromwell, Hampden, Pym, Fairfax, Ludlow in dem heutigen Unterhause keinen Namensgenoffen, ebenso wie man in den Listen des langen Parlaments einigen Familien nicht begegnet, die sich erst in neuerer Zeit aus der Dunkelheit erhoben haben als die Walpole, Townshend, Pitt, For und Canning. Bridgenorth wurde von einem Robert Clive vertreten, der aber mit dem Sieger von Plassey nichts gemein hat, ebenso wenig als das heutige irische Parlaments-Mitglied Blake mit dem berühmten Admiral der Republik.

Was jedoch das Parlament des Jahres 1642 von dem des Jahres 1857 merklich unterscheidet, ist der ausschließlich englische Charakter jener Versammlung. Sie enthielt fast keine Beimischung von schottischen oder hibernischen Namen. Unter sämmtlichen 842 Mitgliedern findet man weder einen Stewart, noch einen Stuart, noch einen Murray, noch einen Graham, weder einen O' noch einen Mac; es saß zwar ein James Campbell für Grampound, aber es giebt auch englische Familien dieses Namens. Nur von den Napiers, die das Privilegium haben, sich an allen Ereignissen von historischer Wichtigkeit zu betheiligen, nahmen auch zwei auf den Bänken des langen Parlamentes Play; indessen spielten jene Herren eine weit minder hervorragende Rolle, als die heutigen Sproffen dieses streitluftigen Geschlechts.

Zur Entzifferung der Keilschrift.

In der lezten Sigung der Londoner Syrisch-ägyptischen Gesellschaft hielt Herr G. E. Harle einen Vortrag über den Obelisken Tiglath Pileser's I., deffen Inschrift (ungefähr aus dem Jahre 1120 v. Chr.) auf Veranlassung der Trustees des Britischen Museums unter Oberaufsicht des Oberst-Lieutenants Sir Henry Rawlinson sorgfältig lithographirt worden ist, welcher sie aus vier in den vier Ecken des großen Affurtempels zu Kalah Schergat gefundenen achtseitigen Prismen vervollständigt hat. Jedes derselben ist 15 Zoll lang, jede der acht Inschriftkolumnen 24 Zoll breit, der Durchmesser beträgt 6 Zoll. Die ganze Inschrift enthält 809 Zeilen in 53 Abschnitten. Vier Gelehrte, welche sich (wie bereits im „Magazin“ ausführlich erwähnt wurde) selbständig und unabhängig mit der Entzifferung derselben beschäftigten, sendeten ihre Ueberseßung versiegelt an die Asiatische Gesellschaft und haben durch die Uebereinstimmung, welche sie in der Hauptsache erzielt haben, den Beweis dafür geliefert, daß die Richtigkeit ihrer Methode als gesichert angesehen werden kann. Die Entzifferer sind Henry For Talbot, *) Dr. Hinds, Rawlinson' und Dr. Julius Oppert.

Der Eingang der Inschrift enthält eine Anrufung der Götter, unter denen Assur der höchste scheint. Hierauf folgt eine sehr ins Einzelne gehende Aufzählung der Feldzüge des Königs, seiner Thaten

*) Dieser hatte schon im März 1857 seine Ueberseßung versiegelt an die Asiatische Gesellschaft eingesandt, und es war schon damals beschlossen worden, fie nicht zu öffnen, bis auch die anderen Gelehrten die ihrigen eingesandt haben würden, alle waren dann einer Kommission zur Prüfung und Vergleichung übergeben worden. Vgl. Athenaeum vom 4. April, 6. und 13. Juni 1857.

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und der von ihm erbauten Paläste. Es werden 16 Länder genannt, welche er durchzogen, und 23, deren Könige von ihm unterworfen worden sind. Mehrere der in §§ 27, 30, 31, 34 und 37 genannten Städte entsprechen nach Talbot's und Rawlinson's Uebersetzung Namen, welche auch in der heiligen Schrift vorkommen. Nach dieser In schrift griff Tiglath Pileser I. Palästina an und eroberte sogar (nach Talbot) Unter-Aegypten: Alle Provinzen von Musri verwüftete ich, ihre Heere vernichtete, ihre Städte verbrannte ich. Die Heere des Landes von Kumani kamen dem Lande Aegypten zu Hülfe." (§ 27 nach Talbot.) ,,Es fielen seit dem Anfange meiner Regierung bis zum fünften Jahre in meine Hände 42 Länder sammt ihren Königen von jenseits des Fluffes Zab-Ebene, Wald und Berge - bis über den Fluß Euphrat, das Land der Khatte (Hittiter) und bis an das Weltmeer des Sonnenunterganges." (§ 31 Rawlinson.) Talbot übersetzt dieselbe Stelle so:,,60 und 42 Völker und ihre Könige von dem großen Uebergang über den unteren Zab durch viele verschiedene Städte zum großen Uebergangspunkte des Euphrat in das Land Syrien und zum oberen Meere an der untergehenden Sonne, hielt ich vom Anfang meiner Herrschaft bis zum 5ten Jahre in Unterwerfung." Dagegen überseßt Hinds diese Stelle so: „In Allem unterjochte meine Hand 42 Länder und ihre Könige vom Kanal des unteren Zab und den Rändern der Räuberwälder bis zum Kanal des Euphrat zu den Khatti und zu dem oberen Meere nach der untergehenden Sonne zu, vom Anfange meiner Herrschaft bis zu meinem 5ten Jahre." Auch theilte Harle einen Brief von Hincks mit, in welchem dieser seine Ueberzeugung ausspricht, daß das Land Musri, welches Talbot für Aegypten hält, vielmehr nordöstlich von Khorsabad zu suchen und statt des Zuges nach Syrien und dem Mittelländischen Meere viel mehr an einen Feldzug nach Armenien und dem Schwarzen Meere zu denken ist. Denn wäre im Jahre 1120 ein Feldzug von einem affy afsyrischen Könige gegen Palästina unternommen worden, so müßte es auffallen, daß wir keine Erwähnung desselben in der Bibel und bei Josephus finden, während sehr genau die Niederlagen der Ifraeliten durch die Philifter nach dem Verlufte der Bundeslade berichtet werden, worauf die Erhebung des Volkes, die Befiegung der Philister und zum Andenken daran die Errichtung des Steins Ebenezer durch Samuel folgten, was auch Josephus berichtet (,,Jüd. Alterth.", B. VI, Kap. 1). Da indeß sowohl die Bibel als Josephus den Einfall Tiglath Pileser's erst in der Zeit K. Pekah's von Israel, faft 400 Jahre später, erwähnen, so hält es Dr. Hincks für wahrscheinlich, daß entweder ein Irrthum in der Chronologie oder in der Ueberseßung der Cylinder-Inschrift obwaltet.

Außerdem legte der Vortragende, Harle, die Zeichnung einer Relief platte aus dem Britischen Museum vor, welche eine Erläuterung zu Amos III, 12 enthält. (London Athenaeum.)

Mannigfaltiges.

Ein russischer Staatsmann. Von den in Nr. 132–133 des,,Magazin" von 1857 angezeigten Denkwürdigkeiten des Grafen Jakob Johann Sievers, herausgegeben vom Profeffor K. L. Blum, ift kürzlich der dritte Band erschienen.") Derselbe hat für das außer ruffische Europa insofern noch ein größeres Intereffe als die beiden ersten Bände, als er die Geschichte der zweiten Theilung Polens im Jahre 1793 umfaßt, bei welchem Ereignisse Sievers den schwierigen und undankbaren Poften eines Botschafters der Kaiserin Katharina in Warschau bekleidete. Nach dem Tode Potemkin's, deffen wilde und selbst von seiner Gebieterin nicht zu bemeisternde Natur keine huma neren Einflüsse auf die Regierung geduldet hatte, war Sievers, deffen organisatorische und schöpferische Thätigkeit im Gouvernement Nowgorod überall noch unvergessen war, wieder von seinem lievländischen Gute Bauernhoff nach St. Petersburg berufen worden, wo er durch eine Dr. donnanz der Kaiserin an das Kollegium der auswärtigen Angelegen heiten vom 25. Nov. 1792 zum „bevollmächtigten und außerordentlichen Botschafter bei dem Könige und der Republik von Polen" ernannt wurde. Auf der Reise nach Warschau hatte der neue Botschafter bereits den sehr diplomatischen Auftrag auszuführen, in Mitau die Saat der Uneinigkeit zwischen dem Herzoge Peter von Kurland und den kurländischen Ständen auszuftreuen, was ihm auch im Interesse seiner erhabenen Gebieterin vollkommen gelang. Mit gleicher diplomatischer Geschicklichkeit hatte er sich in Warschau dem Reichstage und dem bald darauf nach Grodno exilirten Könige gegenüber zu benehmen. Bereits am 6. Januar 1793 befretirte Katharina in einer geheimen Instruction an den General, Baron Igelström, das Todesurtheil

*),,Gin russischer Staatsmann" 2c. Dritter Band. Mit fünf Bild: niffen. Leipzig und Heidelberg, C. F. Wintersche Verlagshandlung, 1858.

Nuß

Polens. Diese merkwürdige Instruction, die von Blum zum ersten Male vollständig veröffentlicht wird, beginnt mit folgenden Worten: „Wir von Gottes Gnaden Katharina II. 2. 2. Es ist nicht nöthig, hier die Gründe auseinanderzuseßen, die Uns dazu bewogen, Unserem Reiche die Länder der Republik Polen einzuverleiben, die von Alters her Rufland gehörten, die von ruffifchen Großfürften gebauten Städte und die Völker, die, von demselben Stamme wie die Ruffen, zugleich Unsere Glaubensgenoffen sind; ebensowenig ist es nöthig, Unsere Rechte darauf zu erörtern. Dies Alles werden Sie aus dem zu seiner Zeit zu publis zirenden Manifefte ersehen, worin Alles ausführlich soll besprochen werden. Hier erachten Wir es eben für nothwendig, Sie in allen ben Maßregeln zu unterweisen, die zu ergreifen sind, um auf Alles bereit zu sein." Es folgt nun die Inftruction über das Einrücken der ruffi schen Armee in Polen bis an die galizische Gränze, wobei auf angeb lich dringende Forderungen Preußens Bezug genommen wird, hinter denen Rußland unmöglich zurückbleiben könne. „Der Wiener Hof", heißt es dann,,,wird in Bayern entschädigt werden." — Mit diesen militärischen Instructionen in Uebereinstimmung waren denn auch bald die diplomatischen des Grafen v. Sievers, der, obwohl er in die argliftigen Pläne Katharina's nicht so eingeweiht war wie General Igelström, doch ihre Zwecke sehr bald zu erreichen verftand. Man muß aber die Erzählung dieser Geschichte in dem Buche selbst lesen, um einen Begriff davon zu bekommen, mit welcher planvollen Arglift die Umgebung Katharina's, an deren Spize damals der an die Stelle Potemkin's getretene neue Günftling Subov stand, nicht blos die eigene Gebieterin, sondern auch die Diplomatie der anderen europäischen Mächte umgarnte, und wie fie namentlich das Schreckensbild der französischen Revolution benußte, um ihre eigenen, in einem anderen Sinne revolutionairen Zwecke zu erreichen. Dem minder eingeweihten Grafen v. Sievers wurden seine uneigennüßigen Dienste auf das schlechteste belohnt, und der vorliegende dritte Band feiner Memoiren schildert uns noch, wie, nachdem der Mohr seine Schuldigkeit gethan," er gleich einer ausgepreßten Zitrone weggeworfen und in den Koth getreten wurde.

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- Der 5. Mai 1821 und Manzoni. Wie in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung" Nr. 84 mitgetheilt wird, hat Paul Heyse in München vor kurzem einen öffentlichen Vortrag über Vincenzo Monti gehalten und dabei auch, wie zum Gericht über Monti", eine Ueberseßung von Manzoni's berühmter Ode: „Il cinque Maggio", mitgetheilt. Maggio", mitgetheilt. Wenn dabei zugleich bemerkt wird, daß diese Uebersehung,,wie eine Stimme der Geschichte, gegenüber der hohlen Schmähung oder hohlen Schmeichelei", geklungen habe, so fügen wir berichtigend hinzu, daß die Ode in der That selbst eine folche Stimme ist und bleiben wird für alle Zeiten. Die Verdeutschung Heyse's, die dort „meisterlich“ genannt wird, sollte doch auch Anderen in weiteren Kreifen gegönnt und mitgetheilt werden. Uebrigens hat auch Goethe jene Ode überseßt; allein es ist als der geringste Fehler seiner Ueberseßung zu betrachten, daß sie reimlos ist. Außer Goethe haben sich auch noch Andere (Fouqué, Giesebrecht, Ribbeck und Zeune), deren Ueberseßungen mit der von Goethe und mit der Urschrift unter dem Titel:,,Der fünfte Mai“, Berlin, Maurersche Buchhandlung, 1828, erschienen, und Gottlieb Mohnicke (,,Napoleon. Stimmen aus dem Norden und Süden", Stralsund, Löffler, 1829) versucht; allein es ist schwer zu entscheiden, welche Verdeutschung von diesen allen die gelungenere sei. Die Goethe sche ist es weil Goethe eben er selbst und nicht ein Anderer ist — nicht.

Bevölkerung von Victoria. Nach dem neulich veröffentlichten Census der australischen Kolonie Victoria, früher PortPhillip genannt, belief sich die Bevölkerung dieser jungen, aber durch die Entdeckung der Goldgruben zu schneller Blüthe gelangten Provinz Ende vorigen Jahres auf 410,766 Seelen, worunter 264,334 männlichen und 146,432 weiblichen Geschlechts. In dem Minen-Distrikt lebten 166,550 Personen, oder 37 Prozent der ganzen Bevölkerungs das Verhältniß des weiblichen Geschlechts zum männlichen war aber hier noch ungünstiger - 30,490 gegen 136,060. Es befanden sich in der Kolonie 24,233 Chinesen, sämmtlich männlichen Geschlechtes wovon 23,623 in den Minen und 650 über andere Theile des Landes zerstreut. Die Ureinwohner zählen nur noch 1768 Köpfe. Von der Gesammtbevölkerung haben 269,874 fefte Wohnungen, während 140,892 in Zelten und temporären Gelaffen ein Unterkommen fuchen, darunter 124,891 von den Bewohnern der Goldfelder. In den Jah ren 1855 bis 1857 hat sich die Volksmenge um 178,968 Köpfe, ober 73 Prozent, vermehrt.

Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 Sgr., balbjährlich 1 Thir. 20 Sgt. und vierteljährlich 25 gr., wofür bas Blatt im Inlande pertefrei und in Berlin frei tne Haus geliefert wird,

No.57.

für bie

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beitu. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Rieber wallfir. Nr.21), sowie von allen königl.Poft-Aemtern, angenommen

Literatur des des Auslandes.

Aegypten.

Berlin, Donnerstag den 13. Mai.

Chronologie und Geschichte des alten Aegyptens. Einer unserer wissenschaftlichen Mitarbeiter, dem diese Blätter manchen durchdachten und belehrenden Artikel über Hieroglyphen- und Keilschrift verdanken, Herr August Knötel, hat, nachdem er früher bereits eine in das beregte Fach schlagende Arbeit veröffentlicht, neuerdings ein Werk über die Chronologie und älteste Geschichte Aegyptens herausgegeben,*) welches die Resultate seiner Forschungen in möglichst übersichtlicher Weise darstellt und im Ganzen zusammenfaßt. Eine Ankündigung und Besprechung desselben, soweit es für das größere Publikum von Interesse ist, würde schon in der Aufgabe unserer Zeit schrift liegen, und wir glauben daher nur unserer Pflicht zu genügen, wenn wir, einer freundschaftlichen Rücksicht für unseren Mitarbeiter nachkommend, einige Mittheilungen über eine Sache machen, die von so großer Wichtigkeit ist und die neuere Wissenschaft so vielfach und ernst beschäftigt hat. Wir beschränken uns dabei auf ein einfaches Referat und wollen nur Einiges hervorheben, worauf der Verfasser, deffen erste Schrift auf eine, nach unserer Ueberzeugung, ungerecht fertigte Art angegriffen worden, die Aufmerksamkeit vorzüglich gelenkt zu haben wünscht.

Herrn Knötel's Schrift ist wesentlich positiver Art und stellt die Frucht vieljähriger Arbeiten, wie sie gewöhnlich nur in umfangreichen Werken an die Oeffentlichkeit zu treten pflegt, in einem mäßigen Bände chen zusammen, nicht als ob er die größtmögliche Genauigkeit, die Durchdringung und Sichtung alles vorhandenen Materials für überflüssig hielte, sondern weil er, wie er uns sagt, von der Ueberzeugung durchdrungen ist, daß klare Uebersicht für den Leser die Hauptsache und daß es mehr werth sei, zu wissen, wie der Verfasser dieses oder jenes kurz und bündig interpretire, als wenn sich der Leser durch ein wüftes Chaos von Zahlen, Namen u. f. w. hindurchwühlen müßte; denn in der ägyptischen Chronologie, oder vielmehr in ihren Quellen, wie fie in kläglichster Zerrüttung und der größten Verderbniß vorliegen, läßt sich, namentlich von einem gewiffen Zeitpunkt an rückwärts, eigente lich gar nichts beweisen - Alles ist zweifelhaft, Alles ist ein wüster Sumpf, in dem nur einige Steine liegen, für deren Festigkeit man keine Gewähr hat. Wenn ein überzeugender Beweis geführt werden soll, so kann dies nur dadurch geschehen, daß diefe zahlreichen Trümmer sich so zum Ganzen vereinen, daß jeder einzelne eng an den anderen einfugt und ihn trägt, indem er von ihm getragen wird. Es zeigt jedens falls von Muth und gutem Gewiffen, wenn der Verfasser, den wir durchaus nicht als Enthusiasten kennen gelernt, ein geschlossenes System der ägyptischen Geschichte und Chronologie fertig hinstellt mit der Behauptung, daß darin die Manethonischen (und anderen) Jahresangaben mit der bisweiligen Schwankung von einem Jahre aufgehen, und daß darin gewissermaßen eine Konkordanz der so abweichenden histori schen Nachrichten enthalten sei. — Es ist nicht unsere Sache, hier zu untersuchen, in wie weit sich daffelbe und ob überhaupt als haltbar erweisen dürfte. Es sei vielmehr der Prüfung derjenigen Männer empfohlen, die im Stande sind, diese wichtige Frage gründlich zu beurtheilen, und die mit ihrer Forschergabe und Gelehrsamkeit ferner die nöthige Gewissenhaftigkeit und Vorsicht verbinden, um nicht vielleicht etwas vorschnell beseitigen zu wollen, was sich doch hinterbrein zu bea haupten versteht; denn welcher Art die Zustände der heutigen Kritik find, davon giebt die dem Buche vorangeschickte Abwehr einen recht schlagenden Beweis.

Daß die Frage, wenn sie gelöst werden soll, einmal in ähnlicher, D. h. in ganz positiver Weise gelöst werden müsse, das wird Jeder zugestehen, dem die bisherigen Leistungen nicht genügen, und der den Stand der Sache kennt, auch hat dies Profeffor Wuttke in Leipzig in einem Auffage in der,,Europa" vor längerer Zeit ausgesprochen. Andererseits ist aber leicht vorauszusehen, daß ein solches Verfahren

*),,System der ägyptischen Chronologie, übersichtlich entwickelt und abz. geschlossen hingestellt, nebst einem furzen Abrisse der ältesten ägyptischen Ges schichte, wie fich dieselbe nach den Ergebnissen der Zeitrechnung gestaltet". Bon A. Knötel. Leipzig, Dyf.

1858.

bei dem heutigen Mißtrauen gegen Alles, was nicht den Charakter der allmählichen Entwickelung, d. h. das Gepräge einer bestimmten Schule trägt, leicht Antipathieen hervorrufen kann, die nicht begründet find und zu ganz falschen Schlüssen über die Fähigkeit und den Charakter des Autors verführen muß. Wenn etwa die Kürze und Bestimmtheit, mit der der Verfasser sein System der Chronologie entwickelt und hingestellt, zu solchen Schlüssen Anlaß geben sollte, so giebt er uns selbst den Schlüffel zu seinem Verfahren in die Hand: Entweder leuchtet die Nichtigkeit des Gesagten schneller ein, oder die Widerlegung wird um so leichter und einfacher. Jedenfalls wird also dem Werkchen das Ver= dienst nicht abzustreiten sein, der ganzen Frage eine andere Wendung gegeben und die ägyptische Zeitrechnung und Geschichte von einem Standpunkte aufgefaßt zu haben, auf den man bisher nicht ge= kommen war.

Wie man wiffen wird, kennt die ägyptische Geschichte eine sogenannte Hirtenzeit, die Zeit, während welcher arabisch-phönizische Hirtenstämme, die vielgenannten Hyksos, Aegypten beherrschten, bis sie durch die Thebanischen Könige, die Herrscher von Ober- Aegypten, nach harten Kämpfen vertrieben wurden. Amoses, den ersten König von Theben, der sich vom Joche der Hyksos befreite, seßt man, nach einer positiven Angabe des Klemens von Alexandrien, 345 Jahre vor das Hundsternjahr 1322, also 1667 v. Chr., und über diesen Punkt weichen die Meinungen der gelehrten Forscher nicht bedeutend von einander ab. Vor diesen Zeitpunkt fällt also die Hirtenzeit, der man, nach den darüber bei Manetho vorhandenen Angaben, mindestens 450 Jahr (in runder Zahl) zuschreiben muß. Man hat sie in deffen auch beinahe doppelt so hoch angesezt. Begnügt man sich also mit der niedrigsten Angabe, so kommen wir schon über das Jahr 2100 v. Chr. heraus, in welcher Zeit also der Einfall der Hirten stattgefunden haben, müßter Die neuere Forschung seht nun vor den Einbruch der Hirten ein altes Reich“, das Reich der zwölf Dynasticen, welche in dem ersten Buche Manetho's aufgezeichnet waren, und welches danach Tausende von Jahren umfaßte; der erste geschichtliche König, Menes, kommt z. B. nach Böckh's Kanon 5702 v. Chr. zur Regierung, während er den Anfang der Hirten. könige in's Jahr 2607-feht, was für die Dauer des alten Reiches. über 3000 Jahre giebt. Bunsen's und Lepsius' Angaben weichen mehr oder minder bedeutend davon ab, füßen aber wesentlich auf derselben. Erklärungsweise der Quellen.

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Ein so ungeheures Alter des ägyptischen Volkes hat daher nur theilweise und sehr bedingte Gläubige gefunden und, ist es nicht zu verwundern, wenn vielfach Zweifel dagegen laut geworden. Sind die. Quellen denn wirklich der Art, daß man auf ihre Autorität hin dergleichen Behauptungen gründen kann? Ist es glaublich, daß, wenn die Aegypter als Volk in der That auch so alt sein sollten, fie auch schon so unendlich früher, als andere Völker, darauf gekommen sein sollten, Aufzeichnungen zu machen und Chroniken zu schreiben? Sollten die Chroniken, selbst wenn sie geführt worden wären, sich einer stets ungetrübten und ungestörten Tradition erfreut haben und nicht vielmehr in den Gräueln der ersten Hirtenzeit und der vielhundertjährigen Fremdherrschaft untergegangen oder wenigstens verderbt wor den sein? Wie gesagt, das ungeheure Alter der Aegypter, selbst wenn es, was eigentlich nicht der Fall ist, auf ihren eigenen Behaup tungen berühte, würde gegen allen vernünftigen Pragmatismus verstoßen. Unser Verfaffer ermöglicht es, die Manethonischen Listen zu erklären, ohne daß er in solche unglaubliche Fernen zurückzugehen braucht. Er gewinnt den Schlüssel dazu, daß er den Herodot benußt und aus ihm eine Erklärung der Hirtenzeit gewinnt, die ohne Zweifel bedeutende Schwierigkeiten beseitigt. (Schluß folgt.).

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Pinselstrich, ohne sie, wie Thiers, mit einem falschen Schimmer zu umgeben, noch ihnen, wie die heftigen Republikaner, den gebührenden kriegerischen Glanz zu nehmen. So malt er den Schluß des Feldzuges von 1814:

"

Dies führt Guizot zu einer Betrachtung, in welcher die bittere Erfahrung der Revolutionen sich ausspricht:

"In weniger als einem Halbjahrhundert sahen wir viermal ge= krönte Häupter als Flüchtlinge durch ihre Reiche eilen. Verschiedene Federn haben ihre Hülflosigkeit und Verlassenheit auf der Flucht mit sichtlichem Wohlgefallen beschrieben eine gemeine und herzlose Luft, die Keiner heutzutage ein Recht zu schmecken hat. Die unfreiwilligen Abreisen Napoleon's in den Jahren 1814 und 1815 waren weder glänzender, noch minder bitter, als die Ludwig's XVIII. am 20. März 1815, Karl's X. 1830 und Ludwig Philipp's 1848. Jede hohe Stellung hatte dieselbe Herabwürdigung zu dulden; jede Partei hat daffelbe Bedürfniß der Bescheidenheit und der gegenseitigen Achtung. Die Verblendung, das Zaudern, die Schwachköpfigkeit, die Jämmerlichkeiten aller Art, aus der schrecklichen Explosion am 20. März 1815 hervor= gegangen, wirkten auf mich ganz so, wie auf alle Theilnehmer der Regierung. Sie zu wiederholen, ist kein Vergnügen und führt zu nichts. Heutzutage sind die Leute gar sehr geneigt, ihre eigene Schwäche zu verbergen, indem sie die Fehler des Königthums darüber decken." Gegen die Schriftsteller, die, wie Lamartine, in Napoleon am Ende feiner Laufbahn physische Abspannung und Abnahme der geistigen Kräfte wahrnehmen wollen, nimmt Guizot den Kaiser in Schuß.

von untergeordnetem Gewicht und hat ein blos historisches Interesse. Gewiß ist, daß von 1814 bis 1815 in der Armee und in den Ueberresten der Revolution, unter Generalen und Konventsmännern, mancherlei Pläne und heimliche Anschläge gegen die Restauration und zu „Es erschien endlich der Tag, wo der Ruhm nicht länger die Gunsten einer neuen Regierung, unter Kaiserthum, Regentschaft, Fehler gut machen konnte, die er noch immer zudeckte. Der Feldzug Herzog von Orleans oder Republik, im Schwunge gingen. Davoust von 1814, dieses durchgeführte Meisterwerk der Kriegskunst und des sagte der Kaiserpartei, Fouché allen Parteien seinen Beistand zu. Heldenthums, vonseiten des Leiters wie der Geleiteten, trug dennoch Allein, wäre Napoleon ruhig auf Elba geblieben, so würden diese redas Gepräge der falschen Berechnungen und der falschen Stellung volutionairen Entwürfe, aller Wahrscheinlichkeit nach, dasselbe Schickdes Kaisers. Er schwankte fortwährend zwischen der Nothwendig sal gehabt haben, wie die fehlgeschlagenen Soldatenaufstände der Gekeit, Paris zu decken, und der Gier, Europa wieder zu erobern; nerale d'Erlon, Lallemand und Lefèvre-Desnouettes. Die Kedheit er wollte gern seinen Thron retten, ohne seinen Ehrgeiz zu opfern: der Anzettler einer Verschwörung ist unberechenbar, und wenn der und so veränderte er jeden Augenblick seine Taktik, je nachdem Ausgang sie zu rechtfertigen scheint, so schreiben sie sich ein Ergebeine Gefahr drohte, oder ein günstiger Moment lächelte. Gott niß zu, das durch mächtigere und weit verwickeltere Ursachen, als ihre führte die Sache der Vernunft und Gerechtigkeit, indem er den Machinationen, herbeigeführt worden. Napoleon allein hat die BourGenius, der Beiden sorglos troßte, dazu verurtheilte, unter der Wucht bonen im Jahre 1815 entthront, indem er in seiner Person die fanader widerstreitenden Dinge und seiner eigenen unausführbaren Wünsche tische Hingebung des Heeres und die revolutionairen Instinkte der in Zaudern und Ungewißheit zu finken. Während Napoleon in die Volksmassen aufrief. Wie wankend auch die neuhergestellte Monarchie sem Schlußkampfe die legten Reste seines Glückes und seiner Macht sein mochte: sie zu stürzen, bedurfte es dieses großen Mannes und der verschwendete, erfuhr er von keiner Seite in Frankreich Widerstand Vereinigung dieser großen sozialen Mächte. Bestürzt und eingeøder Einwürfe, weder von Paris noch von den Departements, weder schüchtert, ließ Frankreich, ohne Widerstand und auf Discretion, den von der Opposition, noch vom Publikum im Allgemeinen. Es war aller- Ereignissen ihren Lauf. Das sah Napoleon mit seinem wunderbaren dings keine Begeisterung für seine Sache und wenig Vertrauen auf Scharfblick ein. „Sie erlaubten mir“, sagte er zum Grafen Mollien, seinen Erfolg; offen aber trat ihm Keiner entgegen. Die ganze feind-,,anzukommen, wie sie den Anderen gestatteten, abzureisen.”// felige Stimmung machte sich in einigen ungünstigen Ausdrücken, in einigen vorbereitenden Kundgebungen Luft, und hier und da machten die Leute eine Schwenkung, wenn sie einen Blick des herannahenden Ausganges erhaschten. Der Kaiser handelte in voller Freiheit, mit der ganzen Kraft, die seiner isolirten Stellung und der moralischen, wie physischen Erschöpfung des Landes noch übrig blieb. Man hat kein Beispiel von einer solchen allgemeinen Abspannung bei einer so großen nationalen Angst, von so zahlreichen Parteigängern, jeden Augenblick bereit, ihren Meister im Stich zu lassen und die ihm dennoch auf den Wink unbedingt gehorchen. Es war eine ganze Nation müder Zuschauer, die es längst aufgegeben, sich in die Angelegenheiten ihres eigenen Geschickes einzumischen, und die nicht wußten, welchen Ausgang sie für das Spiel, wo sie selbst der Einsag waren, zu hoffen oder zu fürchten hätten".....,,Noch schwebt mir der Anblick von der Straße Rivoli, die damals im Bau begriffen war, am Morgen meiner Abreise vor Augen. Da lagen Materialien angehäuft; halbaufgeführte Gebäude, aufgestellte Gerüste verlassen, in Trümmer zerfallen, weil es an Geld, an Händen oder an Vertrauen fehlte. Ueberall zeigte sich auf dem Gesichte des Volkes die Unzufriedenheit eines unbehaglichen Müßiggangs, in dem man ebenso der Arbeit wie der Erholung entbehrt. Auf meiner ganzen Reise, auf den Land. Straßen, in den Städten, auf den Feldern zeigte sich mir dieselbe Physiognomie der Unthätigkeit und Aufregung, diefelbe sichtliche Verarmung des Landes; ich sah mehr Weiber und Kinder, als Männer; hier zogen junge Rekruten traurig zu ihren Regimentern, dort wankten Kranke und Verwundete in ihre Heimat in der That, eine verftümmelte und erschöpfte Nation. Neben diesen physischen Leiden gewahrte ich auch eine große moralische Zerrissenheit, einen krankhaften Widerstreit der Gefühle, glühendes Verlangen nach Frieden und tödtlichen Haß gegen die fremden Eindringlinge. Napoleon war ein Gegenftand der Erbitterung hier, des Mitgefühls dort; die Einen klagten ihn als den Urheber aller ihrer Trübsale an, die Anderen begrüßten ihn als das Bollwerk des Vaterlandes, als den Rächer ihrer Unbille. Was mir besonders als ein ernstes Uebel auffiel, obgleich ich damals weit entfernt war, es in seinem ganzen Umfange würdigen zu können, war die scharf markirte Ungleichheit in den Gesinnungen der verschiedenen Volksklassen. Bei den Wohlhabenden und Gebildeten war das hervorstechende Gefühl das heftige Verlangen nach Frieden, der Wiberwille gegen die Forderungen und das Hazardspiel des kaiserlichen Despotismus; man berechnete schon, wie man sich nach deffen Sturz und bei der Aussicht auf ein neues Regime unter Dach bringen wollte. Die niederen Schichten dagegen erhoben sich nun aus der Erschlaffung, um der patriotischen Wuth oder den Erinnerungen der Revolution einen momentanen Ausbruch zu geben. Die Kaiserherrschaft hatte sie,: ohne sie fittlich zu verbessern, nur unter Zucht gehalten. Auf der Oberfläche war es ruhig; in Wahrheit aber konnte von den Massen, wie von den Emigranten, die Behauptung gelten: sie hätten nichts gelernt und nichts vergessen. Es war keine moralische Einheit im Lande, weder ein gemeinsamer Gedanke, noch eine gemeinsame Leidenschaft, tros des gemeinsamen Mißgeschicks, der gemeinsamen Erfahrung. Die Nation war fast eben so verblendet und völlig getrennt in ihrer Apathie, wie sie es kürzlich in ihrer Ueberreizung gewesen war." Ueber die Flucht von Elba äußert Guizot:

„Es ist viel darüber gestritten worden, durch welche Geheimbünde und Verschwörungen die Bourbonen gestürzt und Napoleon am 20ften März 1815 wieder von Elba zurückgeführt worden. Diese Frage ist

,,Selbst einige seiner wärmsten Bewunderer", sagt er,,,haben behauptet, daß um diese Periode das Genie und die Thatkräftigkeit Napoleon's zu erschlaffen begonnen haben, und sie wollten in seiner zunehmenden Wohlbeleibtheit, in den Anfällen von Trübfinn, in seinem langen Schlafe die Erklärung seines Mißgeschicks finden. Ich halte das für unbegründet. Ich kann weder in dem Geiste, noch in den Handlungen Napoleon's während der hundert Tage ein Merkmal der Schwäche entdecken; ich vermisse weder in dem einen noch in den anderen seine gewohnte Ueberlegenheit. Die Ursachen feines leßten Unglücks liegen tiefer: er wurde nicht mehr, wie bis dahin, von der öffentlichen Meinung getragen und gehalten. Durch eine ganze, große Nation wehte das Gefühl der Nothwendigkeit eines gesicherten und geordneten Zustandes; ihn dagegen trieben seine eigenen Leidenschaften und seine persönlichen Bedürfniffe zu einem unheilvollen Werke, das ebenso von der Moral und dem gefunden Sinne, wie von den wahren Interessen Frankreichs verworfen ward. Er ließ sich auf dieses rein felbftsüchtige Unternehmen mit widersprechenden Mitteln und in einer unmöglichen Stellung ein“.

Spät zu spät - machte er der liberalen Partei Zugeständniffe, in der Hoffnung, die Revolutionenmacher an seine Sache zu feffeln. Bei diesem Anlasse giebt Guizot von zwei hervorragenden Männern eine glückliche Charakterzeichnung:

,,Carnot, ein tüchtiger Offizier, ein aufrichtiger Republikaner und ein so ehrlicher Mann, wie ein Fanatiker es sein kann, mußte nothwendig ein schlechter Minister des Innern sein; denn er besaß keine der zwei wesentlichen. Erfordernisse zu dem wichtigen Poften: Kenntniß der Menschen und das Vermögen, fie durch etwas Anderes, als durch allgemeine Säße und Geschäftshandgriffe, zu inspiriren und zu leiten. Keiner wußte beffer, als Napoleon, wie Fouché das Polizeiwesen verwaltete - zuvörderft für sich und seine persönliche Gewalt, demnächst für das Staatshaupt, das ihn verwendete, uns gerade so lange, als er mehr Sicherheit und Vortheil darin fand, diesem Haupte zu dienen, oder es zu verrathen. Blos zweimal kam ich mit dem Herzog von Otranto zusammen und hatte nur zwei kurze Unterredungen mit ihm. Wie sonst bei keinem Menschen, bekam ich

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