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Böchentlich erscheinen 3 Nummern. Preis jährlich 3 Thir. 10 gr., halbjährlich 1 Ablr. 20 Sɛr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Julande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird,

No 55.

für bie

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spebiteur Neumann, Niederwallflt. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Aemtern, angenommen.

Literatur des des Auslandes.

Spanien.

Berlin, Sonnabend den 8. Mai.

Der öffentliche Unterricht in Spanien. *)

Die gegenwärtige Geschichte Spaniens bildet ein Gewebe schein barer Widersprüche; aus allen aber blickt in gleicher Weise dieselbe Erscheinung durch: die Mißliebigkeit der Neuerungen beim Volke. Der transpyrenäische Boden war der Tummelplag für Revolutionen, Aufstände ohne Zahl, Bürgerkriege, dynastische Kämpfe; in Spanien hatten drei oder vier Verfaffungen einander abgelöst, waren zwanzig Ministerien über die Bühne gegangen, bevor eine kühne Hand es wagte, an die wesentlichen Elemente des organischen Volkslebens zu rühren. Es war leichter, im Jahre 1836 die Verfassung von Cadir für einen Augenblick ins Leben zu rufen, als die öffentlichen Sitten zu verjüngen, einen neuen Geist zu schaffen, mit Einem Schlage jahrhundertalte Ueberlieferungen, eingefleischte administrative Gewohnheiten über den Haufen zu werfen. Ein bloßes Munizipalitätsgeset rief im Jahre 1840 einen Aufruhr hervor, der bald in eine Revolution überging, und das Gefeß, ein wirklicher Fortschritt, mußte bis zu einer neuen Revolution vertagt werden. Als man an der Stelle des wüften, alten Steuersystems ein rationaleres, besser ineinander greifendes einführen wollte, mußte eine Schlacht geliefert werden. Und es ift noch gar nicht lange her, daß nach zwanzig politischen Umwälzungen Auflagen aus den Zeiten Karl's V. bestanden.

Mit dem öffentlichen Unterricht, der fast gänzlich vernachlässigt oder durch widersprechende und daher unausgeführt gebliebene Gefeße geregelt worden, fing man erst seit etwa zwölf Jahren an, sich zu beschäftigen. Einer der eifrigften und kenntnißreichsten Arbeiter an diefer 1845 begonnenen Reform war Herr Gil y Zarate, ein hochbegab ter dramatischer Dichter, Verfasser eines bedeutenden Handbuches der Literatur, ein gewandter Geschäftsmann, der eine lange Zeit Direktor des öffentlichen Unterrichtes, dann Staatsrath war. Wie so viele Andere aber, wurde er als „Moderato“ von der progressistischen Umwälzung des Jahres 1854 zu dem Haufen der Cesantes (Nicht-Mitspielenden) geworfen, der nach einander die Besiegten aller Parteien aufnimmt; er verlor seine Stelle, und aus seiner Muße ist ein Werk hervor gegangen, in welchem er das so einfache und so fruchtbare Thema des öffentlichen Unterrichts behandelt. Was Gil y Zarate als StaatsBeamter gethan, das erzählt er als Schriftsteller; er zeigt in diesem interessanten und belehrenden Buche, was der öffentliche Unterricht in Spanien sonst gewesen, was er unter dem allgemeinen Verfall endlich geworden, und was man versucht hat, zu thun, um ihm neues Leben einzuhauchen.

Oberflächlich betrachtet, ist der öffentliche Unterricht, an sich der Politik fremd, eine reine Verwaltungssache; er hat, wie die Rechtspflege und das Finanzwesen, seine Regeln, seine Organisation, sein abgegränztes Gebiet, und doch reflektirt er auf jedem Schritt den erstarkten oder erschlafften Nationalgenius, der sich unter mannigfaltigen Formen kundgiebt. Aus einem Besteuerungssystem läßt sich oft eine ganze Geschichte konftruiren. Gil 9 Zarate hat das Verdienst, fich bei seinem Gegenstande nicht auf Schulfragen und statistisches Detail zu beschränken, ihn von dem Gang der spanischen Civilisation zu trennen: sein Buch ist vielmehr eine Sittengeschichte der Halbinsel. Gäbe die Zahl der öffentlichen Unterrichts-Anstalten den richtigsten Maßstab für die Civilisation eines Landes, so würde Spanien unbestritten das civilisirteste Land des Westens sein. Es hat allerdings einen Zeitpunkt gegeben, wo in Spanien zahlreiche, freigebig ausgestattete Universitäten mit glänzend beseßten Lehrstühlen aller Fächer die fremde wie die heimische Jugend anzogen. Diese Blüthe war nicht das Werk eines Tages; sie zählt mehrere Perioden. Als die Araber die Halbinsel überflutheten, brauchte Spanien, hinter den rauhen Felsen von Covadonga zusammengedrängt, Soldaten nöthiger als Studenten und Literaten, und selbst die Priester, welche die Waffen *) De la Instruccion publica en España, por Don Antonio Gil y Zarate. Madrid, 1857.

1858.

trugen, vergaßen zuleßt, was sie von der Schule her wußten. Wer Unterricht suchte, mußte nach Frankreich wandern. Andere gingen in die von den Arabern eroberten Gegenden. Auch die Juden hatten ihren Antheil an einem gewissen Anbau der Wissenschaften. Sonst beschränkten sich die Unterrichts-Anstalten auf einige bedürftige Schu len, als Anhänge der Kirchen und Klöster, durch Mönche von Cluny gegründet, die gegen das elfte Jahrhundert sich in Spanien ansiedelten. Alles ist da noch voll Verwirrung und Schlachtgetümmel; Spanien ist eine kämpfende Nation, die vollauf zu thun hat, sich zu vertheidigen und ihre Nationalität zu behaupten.

Eine neue Bewegung beginnt mit dem dreizehnten Jahrhundert, nach der Schlacht von Las Navas de Tolosa. Die erste Universität taucht in Palencia auf, die Alfons VIII. von Kastilien gründet; bald folgte die von Salamanca, die in kurzem alle anderen verdunkeln soll, und nach ihr die von Valladolid. In dem Verhältniß, wie die Spanier Boden gewinnen, entwickeln sich die Lehr-Anstalten und vervielfältigen sich in den wiedereroberten Städten, in Valencia, Sevilla, Murcia, Saragossa, Lerida, Barcelona, besonders in Aragonien und Katalonien, die, theils in Folge ihrer Nachbarschaft mit der romanischen Welt, theils von dem Unternehmungsgeist der Katalanen zur See und von einer Art dauernden Verkehrs mit Frankreich und Italien begünstigt, weniger gelitten hatten. Diese Bewegung hält an und erreicht ihren Gipfelpunkt im sechzehnten Jahrhundert, als der große Kardinal Cisneros die Universität Alcala gründet. Das traf mit dem Moment zusammen, wo Spanien, fürderhin von den Arabern befreit, durch den Kampf zum Heldenthum erstarkt, in die unselige Politik Karl's V. hineingerissen werden und in die Geschichte Europa's mächtig eingreifen sollte. Die Geburt einer großen Literatur bereitete sich vor. Die Halbinsel zählt nicht weniger als 40 Universitäten, die in ihrer Entstehung, wie in ihrer Entwickelung, die wesentlichen und uranfänglichen Elemente der spanischen Civilisation aufweisen: Individuelle Anbahnung, praktisch unabhängige Ausführung, königliches Patronat, kirchliche Sanction. Bischöfe, Granden, Gemeinden gründeten Schulen aus religiösem Antrieb oder um Geistesbildung zu fördern. Diese Schulen gruppirten sich zu einem sogenannten Estudio general; die Fürsten gaben diesen Corporationen staatliches Leben, verliehen ihnen beträchtliche Privilegien, die sich bis zur Steuer freiheit und eigenen Gerichtsbarkeit steigerten; die Stiftungsbulle vom heiligen Stuhl kam zulegt, und eine Universität mehr war fertig. Die Universitäten wirkten aber völlig unabhängig von einander: jede hatte ihre eigene Organisation, ihre eigenen Statuten und regierte sich selber. Die Lehrfreiheit bestand um diese Zeit thatsächlich in dem Sinne, daß keine gleichförmige Regel diese umfassende Bewegung leitete. Wohl hatten die Könige mitunter daran gedacht, eine Art gemeinsamer Verwaltung zu schaffen und in den öffentlichen Unterricht eine gewisse Regelmäßigkeit einzuführen es war ihnen aber nur unvollkommen gelungen. Den ersten Widerstand fanden sie in dem lebhaften Gefühl der Unabhängigkeit, das alle Universitäten beseelte. Ein zwiefaches Band knüpfte diese an einander: der allgemeine Schuß der Krone und das bei weitem mächtigere, der kirchliche Glaube, überall derselbe und überall gleich glühend. Die wirklichen Leiter des spanischen Unterrichtswesens waren demnach die Päpste und deshalb suchten die Könige, wo sie nur konnten, die Vorrechte der weltlichen Gewalt geltend zu machen. Im Schoße selbst der vollkommenften katholischen Einheit regte sich der ewige Kampf dieser beiden Gewalten.

Nicht umsonst bezeichnete man die Universitäten mit dem Namen Republiken. Salamanca nahm diesen Titel in seine Statuten auf, und in der That war es ein kleiner Freistaat. Werfen wir einen Blick auf das Regiment dieser Universitäten. Die obersten Würdenträger waren der Kanzler und der Rektor. Die erstere Würde bekleidete meist, obgleich das nicht als durchgehende Regel galt, ein hoher Prälat, und wo sie an den Bischofsstuhl geknüpft war, wählte der Bischof gewöhnlich einen Delegirten. Der Kanzler, für Lebenszeit ernannt, bildete die Spize; er vertrat den Papst und den König; er übte die bürgerliche und strafrechtliche Gerichtsbarkeit im Gebiete der Universität. Der

Rektor hatte die besondere Leitung der Studien und besaß daher, obgleich in einer anscheinend untergeordneten Etellung, eine große Macht im Innern der Schulen. Außer in Barcelona, wo er, gleich dem Kanzler, für seine ganze Lebensdauer ernannt wurde, führte er an allen Universitäten sein Amt nur einige Jahre. Bemerkenswerth ist noch, daß er öfters wirklich durch Abstimmung gewählt wurde, an welcher Wahl die Studirenden selbst theilnahmen. An einigen Universitäten mußte der Rektor Kanonikus oder Doktor sein; bei anderen war schon der bloße Baccalaureus wählbar. Der Dritte in der vorstehenden Behörde war der sogenannte Konservator. Es war ein Mann von hoher Geburt oder großem Einfluß, der bei Hofe lebte und hier im Nothfall die Intereffen der Universität wahrte. Dem Rektor zur Seite, für die ökonomische Verwaltung der Universität, ftand ein Rath oder ein Kapitel, in welchem alle Doktoren Siß und Stimme hatten. Gewöhnlich aber übertrug diese, gewissermaßen repräsentative Versammlung ihre Funètionen einem engeren Ausschusse, einer Junta, zu der man wiederum Studirende zuzog.

Studenten, die ihre Leiter und Lehrer wählen das würde heutzutage als sehr demokratisch und höchst abnorm erscheinen; im Mittelalter fiel es gar nicht auf. Das läßt sich vielleicht besonders aus einem Umstande erklären, welcher der damaligen Zeit eignet: die Universitäten waren ebenso Akademieen wie Schulen. Die Stubien fingen viel später an und dauerten vie! länger als heutzutage. Nicht selten traf man hier auf Studenten, die längst über das Jünglingsalter hinaus waren, und sie verließen die Universität oft, um die ersten Stellen in Kirche und Staat einzunehmen. Es war daher natürlich, daß solche wissenschaftlich gereifte Männer nicht als bevormundete Schüler behandelt wurden.

Zu den zahlreichen Privilegien, die den spanischen Universitäten verliehen wurden, gehörte folgendes: mit dem erlangten Doktorgrad war der Adel verbunden; die Studenten durften nicht verhaftet, ihre Habe durfte nicht verkauft werden; die Wohnungen der Doktoren, Lehrer øder Schüler waren jeder gerichtlichen Haussuchung verschlossen; die Studenten zahlten von den Gegenständen, die sie zu ihrem Lebensbedarf brauchten, keine Steuer; ja diese Abgabenfreiheit erstreckte sich auf alle Personen, die irgendwie mit der Universität in Verbindung standen. Es gab eine Zeit, wo in Salamanca nicht weniger als 18,000 Perfonen als eximirt verzeichnet waren. Mit Recht sagt Zarate, die Unis versitätswelt habe eine besondere Gesellschaft in der bürgerlichen Gefellschaft gebildet. Alle diefe Schüler verbreiteten sich über die Städte, theilten sich in Rotten, hatten ihre Häuptlinge und Abgeordnete, waren stets schlagfertig und übten einen überwiegenden Einfluß ihrer Neigungen und Sitten.

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Der demokratische Charakter der spanischen Universitäten zeigte fich in mannigfaltigen Erscheinungen von tief sozialer Bedeutung. Elementar-Schulen und Gymnasien in dem heutigen Sinne gab es damals nicht; die Universitäten umfaßten Alles; durch Stipendien aber und Freitische ftanden sie den ärmsten Kindern des Volkes offen. Zu mancher Zeit lebten über fünfhundert arme Studenten an der Universität Alcala. Es gab zwei Kategorieen von Studirenden: die einen, in den zahlreichen zur Universität gehörenden Schulen, zeichneten sich durch eine eigenthümliche Kappe (la beca) aus; diesen Namen führte auch das Stipendiat, aus dem sie Unterstüßung bezogen. Die freien Studenten hießen Manteistas, von dem Manto, dem langen Rock von braunem Wollenzeug, den sie trugen, und das höhere Alter dieses Kleides war eine Auszeichnung für den Studenten, der feine Anciennität nach den Löchern in seinem Mantel zählte. Seidene Zeuge waren ftreng untersagt, sowie Alles, was an einen vornehmeren Stand erinnern konnte. Unter der Studentenkappe verschwand jede Bevorzugung des Standes und der Geburt. Die Manteistas wohnten in besonderen Häusern, und Viele waren, um an der Universität bleiben zu können, genöthigt, durch andere Arbeiten, selbst als Bediente, ihren Unterhalt zu bestreiten. Die Begünstigtesten fanden eine Pagenstelle bei einem Bischof oder sonst einem Hochgestellten, in dem sie sich einen Beschüßer gewannen, der ihnen eine Laufbahn eröffnen konnte. Andere, zu unfügsam und zu arbeitsscheu, begnügten sich mit den Speise-Austheilungen in den Klöstern; sie hießen daher los estudiantes de la sopa (die Suppenstudenten). Dieses wandernde Zigeunerleben hatte felbft für Söhne aus wohlhabenden Familien, die beffer leben konnten, einen eigenen Reiz. So wurden die Studien wohl oder übel getrieben; die Kurse begannen mit dem 18. Dt. tober, dem St. Lucastage, wurden aber durch häufige Ferien unterbrochen.

der Zug in Bewegung. Die ganze Stadt nahm an dem Feste Theil; die Frauen auf den Balkonen wehten mit ihren Taschentüchern. An das gemeine Volk würde Geld vertheilt. Die Feier schloß mit einem großen Gelage und Stiergefechten. Der arme Doktor, der die Kosten dieser Herrlichkeit zu bestreiten hatte, ungerechnet die drei Paar. Hühner nebst einer Kifte eingemachter Zitronenschalen, die er noch vor der Aufnahme jedem seiner Eraminatoren als Geschenk überreichen mußte, sah am Abend nach dem Feste in einen leeren Beutel. Viele Studirende, die zu so kostbaren Ehren nicht gelangen konnten, blieben bloße Baccalaureen oder gar Licentiaten.. bloße Baccalaur duo

Salamanca konnte sich mit vollem Recht zu den Hauptsigen geistigen Lichtes in Europa zählen; es hielt gleichen Schritt mit Paris, Orford und Bologna. Die Universität prangte, eine Matrone der Wissenschaften und der Literatur, mit ihren 27 Schulen, 27 Klöstern, 7000 Studenten, ihren berühmten Professoren, gleich Luis de Leon, dem poetischen Doktor, der, von der Inquisition verfolgt, nach fünfjähriger Kerkerhaft seinen unbeseßt gebliebenen Lehrstuhl bestieg und seinen Vortrag wieder aufnahm, als wäre er den Tag zuvor unterbrochen worden, mit den Worken: Ich sagte euch gestern..." Die Univerfität Alcala, jünger zwar als die von Salamanca, und vom Kardinal Ximenes de Cisneros so zu sagen zum zweiten Mal gegründet, gab ihr an Glanz nichts nach. Sie hatte 42 Lehrstühle: sechs für Theologie, sechs für kanonisches Recht, vier für Medizin, zwei für Anatomie und Chirurgie, acht für die Künste, einen für Moralphilosophie, einen für Mathematik, vierzehn für Sprachen, Grammatik und Rhetorit. Sie zählte 3000 Studenten. Der Kardinal begnügte sich nicht damit, sie auf das freigebigste zu dotiren, er beschüßte sie mit besonderer Vorliebe; ihr vertraute er die Trophäen aus der Eroberung Orans; in ihren Räumen wollte er sein Grab haben. Nach Salamanca und Alcala reiheten Valladolid, Sevilla, Valencia, Saragossa, Barcelona, Santiago, Lerida. An allen diesen Universitäten lehrten hervorragende Männer als Theologen, Juristen, Mediziner, Literaten und Aftronomen. Das Galliläische System, in Italien verfolgt, fand ein freundliches Asyl in Salamanca. Wunderbare Zeit! Neben seinen Kriegern, die Europa durchzogen, und seinen Staatsmännern besaß Spanien Gelehrte, in alle Sprachen eingeweiht, Doktoren, wie Luis Vives, der Vorgänger Bacon's auf dem Wege der philosophischen Beobachtung. Der Mathematiker Ciruelo war als Professor von Salamanca nach Paris berufen worden. Woher nun der Verfall dieser geistigen Blüthe? (Schluß folgt.)

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Nord-Amerika.

Unglücks-Kalender eines Jahres in den Vereinigten Staaten.

Als ein Kuriosum theilen wir nachstehenden Kalender des Jahres 1854 mit, den ein Schweizer in Amerika, Franz Joseph_Egenter,®) zusammengestellt und unter seinen, im,,Magazin" bereits erwähnten, amerikanischen Aktenstücken herausgegeben hat. Daß er das Passiren der Nebraska-Bill und des „wahnsinnigen“ Temperenz-Geseßes von New-York für ein ähnliches Unglück betrachtet, wie die verheerenden Feuersbrünste, die zahlreichen Schiffbrüche 2c., zeugt freilich von einer etwas exaltirten Partei-Ansicht. Gleichwohl ist dieser Kalender mit seiner Nachschrift aus der Feder eines Angehörigen der republikanischen Schweiz ein merkwürdiges Charakteristikum für die amerikanische Union und ihre Bewohner:

Januar.

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zerstört.

15. Ashbrook's großes Schlachthaus in St. Louis durch Fener Die Stunde des Doktorats, die für den Begünstigtesten erst nach 16. Zwei Hamburger Paketschiffe verlieren an der sogenannten einem sieben bis achtjährigen Aufenthalt an der Universität schlug,,,Schiffs-Cholera", das eine 41, das andere 20 Passagiere. war eine große Stunde. Die Feier der Aufnahme dauerte mehrere 18. Eisenbahn-Rebellion in Erie. Rasende Weiber verbrennen Tage. Unter großem Gepränge überreichte der Kanzler dem Kandi- die Brücke über den Harbor Creek. baten den Doktorhut, den Ring, die weißen Handschuhe, den Degen und die vergoldeten Sporen; dann feßte sich unter Glockengeläut, flatternde Fahnen, Stabträger, Alguazile und Pedelle an der Spize,

*),, Amerika ohne Schminke." Eine Quellensammlung zur Darstellung des amerikanischen Lebens in der Wirklichkeit. Zürich, Ch. Beyel, 1857.

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19. Die Gebäude der sogenannten,,Neuen City-Hall" in NewYork durch Feuer zerstört.'

September.

6. Aufruhr der amerikanischen Protestanten und irischen Katho

20. Ein rasender Orkan zerstört die Orte Brandon und Mount_liken in Newark, New-Jersey: Vernon, Ohio.

21. Verheerendes Feuer in Rochester, Staat New-York.

:. 23. Senator Caß erniedrigt sich zum Schußredner des Schinders von Ugo Bassi. Abermals Douglas und seine Schandbill. - Erdbeben in Hillsboro, Ohio. — Orkan auf dem Ohiofluß und Zerstörung von 55 Kohlenschiffen. Ein fünffach schwarzer Tag, dieser 23. Januar, ein rabenschwarzer Montag.

26. Einsturz des eisernen Daches der großen Eisengießerei in Yonkers. Mehrere Menschen getödtet und viele schwer verwundet.

27. Ungeheure Theurung. Für das Bushel Weizen werden 2 Doll. 50 C. bezahlt, der höchste Preis, der je im Handel bezahlt wurde. Das Faß Mehl kostet im Großhandel 9 Doll. 50 C.

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3. Jm Senat passirt die „Nebraska - Bill“.

5. Verheerendes Feuer in der Spruce Street New-Yorks.

7. Erdbeben in Lexington, Kentucky.

8. Entfeßlicher Orkan in Charleston, Savannah und Umgegend. Schaden von mehreren Millionen. Dazu die verheerende Pest des gelben Fiebers.

11. Schrecklicher Aufruhr zwischen Eingebornen und Irländern in New-Orleans.

16. Ein furchtbarer Orkan zerstört die Stadt Matagorda und viele Plantagen in Texas.

21. Die Cholera wüthet in Pittsburg, Pennsylvanien, und for dert an Einem Tage 109 Opfer.

27. Untergang des Arctic". Von 480 Menschen nur 87 gerettet.

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24. Kollifion der ,,Kanada" mit dem Dampfer,,Ocean" bei

9. In der New-Yorker Legislatur passirt ein wahnsinniges Tem- Boston; 3 Personen getödtet und viele verwundet. perenz-Gesez.

13. Explosion des Dampfers,Reindeer" auf dem Mississippi. 20. Erdbeben zu Macon, Georgia.

22. In der New-Yorker Assembly passirt das tolle Temperenz-Gesez.

April.

8. Explosion des Dampfers,,Gazelle" im Oregon-Gebiete. 15. Das Auswanderer-Schiff,,Powhattan" geht an der Küste von New-Jersey mit über 300 Menschen, meistens Deutschen, zu Grunde.

23. Verheerendes Feuer zu Warrenson, Georgia.

29. Erste Wahl in Kansas. Der Sklavenhalterfreund Whitfield wird von bewaffneten Banditen aus Missouri zum Kongreß-Delegaten gewählt.

Dezember.

11. Erdbeben in den Neu-Englandstaaten. Der demokratifche" Senator Adams von Mississippi verlangt eine Aenderung der Naturalisations-Gefeße im Sinne der Fremdenverfolger.

20. Feuersbrunft in den City Assembly Rooms New-Yorks. Ein Feuermann getödtet und ein Polizeimann schwer verwundet.

,,Jezt denke man sich zu diesen Zahlen noch den täglichen Klein

25. Abermals verheerendes Feuer, Nr. 231 Broadway, New- und Stillkrieg des Loafer- und Rowdie-Lebens, zu Land und zu York, wobei 11 Feuerleute ihr Leben verlieren.

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Waffer, wo nicht der zehnte Theil der Vergehen und Verbrechen zur polizeilichen Anzeige kommt; die Handthierungen mit Gift, Meffer, Dolch, Pistole, Ziegelstein, Faust und Knüttel; Naub- und Mordanfälle, Verführungen, Nothzucht, Preisborereien, Feuermanns-Schlachten, besoffene Matrosen-Metten, Bluthochzeiten u. f. w.; Feuerlegen und nächtliche Erfäufungen, Lug, Betrug und Prellerei in allen denklichen Materien und Weisen; dazu das unzählige Settengeschmeiß, das geldhungrige Krämergesindel; Raufer, Diebe und Mörder, in Amt und Ansehen,,polizeilicher Schußwächter", mit dem Galgenvolk der amerikanischen Advokaten und Justizpfaffen Hand in Hand; am Ende noch Sklavenhalter und Sklavenmärkte, Sklavenfänger und Bluthundsgeschichten: dann ist man ungefähr im Stande, sich einen Begriff zu machen von dem amerikanischen Freiheits-Paradies" in seiner nackten Natürlichkeit!”

Belgien.

Vlaemische Sagen, von Coster.

Die kürzlich in französischer Sprache erschienenen, in die,, Collection Hetzel" aufgenommenen ,,Vlaemischen Mährchen“, von Ch. de Cofter, in Anschauung, Ton und Färbung, des Mittelalters gehalten, sind von einem tief nationalen Sinn durchwebt, und ihre Tendenz ist wesentlich patriotisch. Die Erinnerung an die spanische Tyrannei, der Haß der Flamänder gegen Philipp II., dieses Gespenst des Eskurials, diesen unheilvollen Vertreter der Inquisition, find darin mit der Kraft und der Tiefe entfaltet, die ihnen der populäre Ausdruck in seiner anscheinenden Naivetät giebt. Man urtheile aus folgender Probe (es ist das lezte Mährchen in der Sammlung):

Der Schmied Smetse Smee hatte dem Teufel seine Seele verschrieben, dafür sollte er sieben Jahre die schönste Schmiede in Gent besigen, die feinsten Weine trinken und die leckersten Gerichte schmausen. Der lezte Tag des fiebenten Jahres kommt und mit ihm des Teufels

"

Büttel,,mit aufgesperrtem Rachen, herausgestreckter Zunge und einem zerlumpten Kittel am Leibe." "Bettelpack!" (gueux) entschlüpft ber Frau Smetse bei seinem Anblick. Was, Bettelpack!" schreit der Teufel,,,das bin ich nicht und war es im Leben nicht. Tod dem Bettelpack! An den Galgen mit dem Lumpenpack!"*) "Frau“, fagte Smetse,,,betrachte dir diesen Gast, und du wirst sagen können, du habest Meister Jacob. Heffels, den größten Keßer-Mähder, gesehen..... Ha, Meister, wie viel verdanken wir euch: Den Zehnten, den Ihr dem Kaiser Karl in die Ohren geblasen, das Urtel der Herren Egmont und Horn, das Ihr mit Eurer schönen Hand geschrieben habt; durch Euer Zuthun sind mehr denn zweitausend Menschen durch Feuer, Schwert und Strick umgekommen."

Dank dem Gelübde, das Smetse gethan und das der heilige Joseph zu erfüllen verheißen hatte, muß der Teufelsbote unverrichteter Sache und wohl durchgebläuet abziehen, nachdem er dem Schmied eine Frist von sieben Jahren bewilligt hat. Nach sieben Jahren wiederholt sich das ähnliche Spiel. Diesmal ist der Abgeordnete der Hölle Herzog Alba in Person, geschmückt mit dem goldenen Vließ und einer schönen, rothen Schärpe. Es ergeht ihm, wie Jacob Heffels, und nachdem er Smetse einen weiteren siebenjährigen Aufschub bewilligt,,verging er in einem röthlichen Dampf, wie verdunftendes Blut, und die Schmiedegesellen hörten Tausende von lustigen und hohnlachenden Stimmen:,,Geschlagen der Blutherzog! Zisch dem Herrn vom Beil! Ausgepfiffen der Fürft vom Scheiterhaufen! Flandern für immer! Und tausend Hände klatschten Beifall, und der Tag brach an.“

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Der dritte Höllenbote erscheint, gehüllt in einen Königsmantel, die Krone auf dem Kopfe; unter dem Mantel aber zeigt sein nackter Körper die schwärenden, von Würmern angenagten Glieder. In seinen Kazenaugen lauern Heuchelei, Grausamkeit und tückischer Groll. ,,Aufgepast, Smetse" riefen die Gesellen ,,der Blutkönig ist drinnen!" Wirklich ist das Gespenst kein Anderer, als der König von Spanien, Herzog von Burgund und Brabant, Pfalzgraf von Holland und Seeland, Philipp II. Stark in dem Vertrauen auf die verheißene Erfüllung seines Gelübdes, verlangt Smetse gebieterisch die Rückgabe seines Pakts mit dem Teufel; Philipp verweigert es: Ah", schreit er,,,wenn ich noch meine Macht hätte, ich würde Flandern verwüsten und entvölkern und auf diesem Kirchhof ein schwarzes Kreuz mit der Inschrift pflanzen: Hier liegt das kezerische Flandern, Philipp von Spanien hat es niedergeworfen!"— Kaum ist das lezte Wort „kalt", als Smetse und seine Gesellen mit ihren schweren Hämmern über ihn herfallen und jeden Schlag mit dem Zusaß begleiten: Das für unsere verlegten Grundrechte! Das für deine gebrochenen Eide! Das für den Grafen Egmont! Das für deinen Sohn Karl, der ohne Krankheit starb." So zu einem Mus von Knochen und blutleerem Fleisch zerklopft", giebt der Teufelskönig dem Schmied Smetse Smee seinen Pakt zurück.

"

Mannigfaltiges.

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Homerische Studien von Gladstone. Der berühmte Freund Sir Robert Peel's und des Freiherrn von Bunsen, der Right Honourable William Ewart Gladstone, hat ein sehr gelehrtes und umfassendes Werk über Homer herausgegeben, und zwar ist es aus der klassischen Presse der Universität Oxford hervorgegangen, welche leßtere der hochkirchliche Dr. jur., Herr Gladstone, bereits seit länger als einem Jahrzehend im Parlamente vertritt. "") Die drei Bände,,Studien über Homer und deffen Zeitalter", die er soeben hat erscheinen laffen, sind, wie das Athenaeum sich ausdrückt, ein wahrer ,,Dombau von Gedanken und Gelehrsamkeit" (a cathedral of thought and learning). Bisher hatte das gelehrte Parlamentsmitglied für Oxford auf literarischem Gebiete sich nur durch einige politische Schriften im Sinne der Tory-Partei und durch seine berühmten Briefe an Lord Aberdeen" in Bezug auf die Behandlung der politischen Verurtheilten in Neapel bemerklich gemacht. Durch sein jeßiges Werk liefert er den Beweis, daß er noch zu der Zahl der guten alten Zöglinge der Schule von Eton und des College von Christ-Church in Oxford gehöre. Seit Blackwell, deffen,,Enquiry into the Life and Writings of Homer" von Joh. Heinr. Voß überseßt worden und diesem unftreitig bei seiner klassischen Uebertragung der „Iliade" und "Odyssee" treffliche Dienste geleistet, ist in England kein ähnliches Werk über Homer erschienen. Der Verfaffer hat hauptsächlich die Ethnographie der Alten, sowie die Ethik, die Religion, die Politik und die Kunst

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*) Daß gueux (Gensen) der Parteiname der verbündeten Patrioten war, und die Veranlassung dazu, wiffen unsere Leser wahrscheinlich aus Schiller's ,,Geschichte des Abfalls der Niederlande."

**) Studies on Homer and the Homeric Age. By the Right Hon. W. E. Gladstone, D. C. L., M. P. 3 vols. Oxford, University Press.

im Zeitalter Homer's, zum Gegenstande seiner Studien gemacht und in dieser Beziehung ebenso interessante als neue Gesichtspunkte er öffnet. Weniger beschäftigt er sich mit den urpoetischen Elementen des Vaters der Dichtkunst, weniger mit dem Homer der begeisterungsund schwungvollen Jugend, als mit dem Lehrer der Völker und Menschen, die in seinen beiden großen Epopöen Stoff zum Nachdenken für alle Lebensalter schöpfen können. Nicht unbemerkt wollen wir lassen, daß Herr Gladstone dabei auch Alles kennt und anerkennt, was deutsche Autoritäten, von Friedr. Aug. Wolf bis Mar Müller, über Homer und sein Zeitalter erforscht und der gelehrten Welt mitgetheilt haben.

- Der Thonbildner Minton. In den ersten Tagen des April starb zu Torquay der ausgezeichnetste unter den neueren engli schen Keramikern, Herbert Minton. Wie Palisfy und Wedgewood, war er ein Genie in seinem Fache, und sowohl in der Londoner als in der Pariser Ausstellung haben seine Werke gezeigt, daß der Unternehmungsgeist eines einzigen Mannes es mit der subventionirten Staats-Industrie nicht allein aufnehmen, sondern dieselbe sogar überflügeln kann. In der Mannigfaltigkeit ihrer Erzeugnisse that die Fabrik Minton's zu Stoke-upon-Trent es den kaiserlichen und königlichen Instituten in Sèvres, Meißen, Wien und Berlin zuvor; in ihrer Fayence, ihrer Majolika, ihren Musiv-Arbeiten und ihren enkauftischen Ziegeln ist sie unvergleichlich; nur in dekorativem Porzellan wird sie von Sèvres übertroffen. Minton erbte das Geschäft von feinem Vater und erhob es durch seine Thätigkeit und Geschicklichkeit zu dem ersten Rang unter den Töpfereien Europa's. Er besaß in hohem Grade die zähe Ausdauer, die einen so hervorstechenden Charakterzug seiner Landsleute bildet. Viele Jahre hindurch arbeitete er an der Verfertigung von Pflasterziegeln und Mosait durch Maschinerie, ohne sich weder durch die fast unüberwindlichen Schwierigkeiten des Unternehmens, noch durch den enormen Kostenaufwand abschrecken zu lassen. Endlich wurde seine Beharrlichkeit durch den vollständigsten Erfolg belohnt, und das neue Parlamentsgebäude in London, das Haus der Repräsentanten in Washington, die meisten neuen Kirchen in England und mehr als ein Palast auf dem europäischen Kontinent. sind mit seinen Ziegeln gepflastert. Minton gehörte zu den Erften, die den Gedanken auffaßten, der großen Ausstellung vom Jahr 1851 einen internationalen Charakter zu geben. Er unterstüßte aus eigenen Mitteln die Kunstschule in Stoke, und war überhaupt ein ebenso freigebiger Beförderer der Künfte und Wissenschaften, als tüchtiger Geschäftsmann. Außer Schulen baute er auf seine Kosten auch Armenhäuser, schenkte beträchtliche Summen an mildthätige Anstalten und pflasterte unentgeltlich eine Anzahl von Kirchen in allen Theilen Englands. Er rühmte sich dessen, daß er Alles, was er verdiene, sofort auch wieder ausgebe, daß er kein Geld in Ländereien, in Staatspapieren oder Actien anlege und daher auch keine Sorgen habe. Mehrfache Einladungen, in's Parlament einzutreten, wurden stets von ihm abgelehnt. Er war dreimal verheiratet, hinterließ aber keine Kinder; die großartigen, von ihm gegründeten oder erweiterten Etablissements find auf seine Neffen übergegangen.

Wöhler's Lehrbuch der Chemie in Frankreich. Eine französische Ueberseßung dieses Lehrbuchs der anorganischen und organischen Chemie ist kürzlich in Paris erschienen.") Herr Ch. Drion sagt darüber Folgendes in der trefflichen Revue de l'Instruction publique:,,Wir haben hier das Werk eines der berühmtesten Meister der Wissenschaft vor uns. Der europäische Name dieses Nachfolgers von Berzelius, der außerordentliche Ruf, den er sich durch seine schönen Entdeckungen und durch seinen ausgezeichneten Unterricht erworben, flößen uns, die wir das Buch hier anzeigen sollen, vor unseren eige nen schwachen Kräften ein gerechtes Mißtrauen ein.... Der Unterricht in der Chemie auf den Universitäten und Schulen Deutschlands weicht in mehr als Einer Hinsicht von dem in unseren Fakultäten und Lyceen ab: er ist vor Allem ein Unterricht im Laboratorium. Der Profeffor lebt und arbeitet mitten unter seinen Zuhörern, die, nachdem fie seine Vorlesungen gehört, die Fähigkeit besigen, die Erperimente, denen sie beigewohnt, sofort nachzumachen. Hieraus nun läßt sich ein Schluß auf den außerordentlichen, praktischen Nußen ziehen, welchen solche Vorlesungen, wie die des Herrn Wöhler, bei unseren gelehrten und fleißigen Nachbarn in weiten Kreisen schon verbreitet haben.“

*) Eléments de Chimie inorganique et organique, par M. F. Woehler, traduits de l'Allemand, par M. Louis Grandeau. Paris et Nancy, 1858.

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Frankreich.

Guizot's Memoiren.")

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Auslandes.

Berlin, Dienstag den 11. Mai.

Von dem eben erschienenen ersten Bande dieser im,,Magazin“ (Nr. 44) bereits angekündigten Memoiren geben wir heute einige Proben, die unsere Lefer in den Stand sehen werden, sich über Gehalt, Ton und Tendenz dieses wichtigen Beitrages zur Zeitgeschichte ein Urtheil zu bilden.

Ueber die Gründe, die den Verfaffer bewogen, diese Memoiren zu schreiben, äußert sich Guizot in der Einleitung:

"Ich übergebe meine Memoiren der Oeffentlichkeit, während ich noch hier bin und das, was ich schreibe, vertreten kann. Ich schreibe nicht, weil der Ueberdruß an Unthätigkeit, oder der Wunsch mich dazu drängt, anstatt der jezt geschloffenen weiten Arena einen eng abgesteckten Plaß für alte Parteikämpfe zu eröffnen. Ich habe viel und eifrig gerungen während meines Lebens; Alter und Zurückgezogenheit haben, soweit es meine persönlichen Gefühle betrifft, ihre Friedensdecke über die Vergangenheit gebreitet. Aus heiterem Himmel blicke ich zurück auf den sturmvollen Horizont. Ich habe mein Herz bis auf den Grund untersucht und kann hier nichts finden, was meine Erinnerun gen vergällt. Die Freiheit von Haß gestattet mir die unbefangenfte Offenheit. Persönlichkeit nur entstellt oder verfälscht die Wahrheit. Da es mein Wunsch ist, mein Leben und die Zeiten, in denen ich gelebt, zu besprechen, so will ich es lieber am Rande, als aus der Tiefe meines Grabes thun"...,,Denen, die mir etwa nachfolgen und ihre Schule durchzumachen haben werden, möchte ich etwas von den Erfahrungen, die ich aus meiner Schule gewonnen, so gern mittheilen. Ich habe abwechselnd die Freiheit gegen den Absolutismus und die Ordnung gegen den revolutionairen Geist vertheidigt beide bilden in der That nur Ein Lebenselement, denn ihre Trennung führt zum Tode beider. So lange sich nicht die Freiheit von dem Geifte der Revolution und die Ordnung von der absoluten Gewalt kühn losmacht: so lange wird Frankreich von Krisis zu Krisis, von Irrthum zu Irrthum hin- und herwogen.“

Ueber Napoleon I. lautet sein Urtheil:

1858.

thum zu viel Uebergriff der Gewalt, zu viel Mißachtung des Rechts, zu viel Revolution und zu wenig Freiheit."

Während aber Guizot die ungeheuren Dienste, die Napoleon der gesellschaftlichen Ordnung geleistet, unbefangen würdigt, verfällt er dabei doch nie in den Mißverstand der kleinen und seichten Schriftlinge, die auf die großen Männer der Revolution schmähen und die Zeit von 1789 verwünschen.

"Mit Vergnügen", sagt er,,,komme ich auf die Erinnerungen jener bezaubernden Gesellschaft zurück. Herr v. Talleyrand äußerte eines Tages gegen mich:,,Wer nicht um das Jahr 1789 gelebt hat, der kennt die Freuden des Lebens nicht." Es konnte in der That keine höhere Luft geben, als die große geistige und gesellschaftliche Bewegung, die, ohne die Einrichtungen der Welt zu unterbrechen oder zu stören, sie dadurch belebte und veredelte, daß sie ernste Gedanken mit heiterem Scherz mischte; die, noch nicht zu Leiden und Opfern aufgefordert, den Augen eine blendende und entzückende Fernsicht eröffnete. Das achtzehnte Jahrhundert war, ohne Frage, vor allen Jahrhunderten versuchend und verführerisch; denn es versprach, zugleich der Stärke wie der Schwäche der menschlichen Natur zu genügen; es spannte und entnervte die Seele zu gleicher Zeit; es schmeichelte abwechselnd den edelften Gefühlen und niedrigsten Neigungen; es berauschte mit überschwenglichen Hoffnungen und sättigte mit verweichlichenden Zugeständnissen. So erzeugte es im wüsten Durcheinander Vaterlandstrunkene und Selbsüchtlinge, Skeptiker und Fanatiker, Enthusiasten und glaubensleere Spötter, unterschiedene Sprößlinge eines und desselben Stammes; Alle aber von der Zeit fortgeriffen, fröhnend der gemeinsamen Trunkenheit am Vorabend des nahenden Tohuwabohu.“

Von seiner ersten Einführung in die Pariser Gesellschaft und seinen Beobachtungen über sie sagt Guizot:

,,Frankreich, der Irrthümer und Maßlosigkeiten müde, wieder nach Ordnung und gesundem Sinn verlangend, fiel in das alte Geleis zurück. Ueber dem Einfluß dieser allgemeinen Reaction hielten sich jedoch die getreuen Erben der Salon-Literatur des achtzehnten Jahrhunderts; fie allein bewahrten zwei der edelsten und liebenswürdigsten Vermächtnisse ihres Zeitalters: einen lauteren Sinn für Geistesgenüffe und eine warme Theilnahme für Sittenveredelung und frei erörterndes Wort, das den gesellschaftlichen Verkehr mit Mannigfaltigkeit und Anmuth schmückt. Ich für meine Person schöpfte aus diesen Quellen eine ersprießliche Erfahrung. Jung, unbekannt, trat ich in den erwähnten Kreis, mit keinem anderen Anspruch als dem, zu welchem einiges Talent, einige Schulbildung und ein feuriger Sinn für edlere Genüffe, für Literatur und gute Gesellschaft berechtigen. Ich brachte keine Ideen mit, die mit den hier vorgefundenen harmonirten. In Genf äußerst freisinnig, aber sittenstreng und religiös erzogen, standen meine Ueberzeugungen in einem zu schroffen Gegensaß zu der Philosophie des achtzehnten Jahrhunderts, um in ihre Werke und Bestrebungen bewundernd einzustimmen. Während meines Weilens in Paris waren deutsche Philosophie und Literatur mein Lieblingsstudium: ich las Kant und Klopstock, Herder und Schiller fleißiger, als Condillac und Voltaire, Suard, Abbé Morellet, Marquis Boufflers. Die Stammgäste in den Salons der Damen Houdetot und Rumford, die mich mit großer Freundlichkeit aufnahmen, lächelten und gähnten mitunter bei meinen chriftlichen Traditionen und meinem germanischen Enthusiasmus. Troß aber der Meinungsverschiedenheit, fand ich in ihrem Kreise nur Theilnahme und Gunft.“

"Seitdem ich an der Regierung von Land und Leuten Theil nahm, lernte ich gegen den Kaiser gerecht sein. Er war mit einem unvergleichlich thätigen und gewaltigen Genie begabt; bewundernswürdig in seiner Abneigung gegen Unordnung, in seinem tiefen Herrscher-Instinkt, in seiner energischen Raschheit, womit er an den Aufbau des gesellschaftlichen Werkes ging. Aber sein Genius erkannte keine Schranke, mochte sie von der Natur oder von Menschen her rühren, für seine Wünsche und seinen Willen an, und so blieb er revolutionair, während er die Revolution bekämpfte; wohlbekannt mit den allgemeinen Bedingungen der Gesellschaft, verstand er doch nur unvollkommen die moralischen Forderungen der menschlichen Natur; bald befriedigte er sie mit gesundestem Urtheil, bald wieder verleßte er fie rücksichtslos mit empörendem Stolze. Wer mochte glauben, daß der felbe Mann, der das Konkordat schloß und die Kirchen in Frankreich wieder eröffnete, den Papft von Nom entführen und in Fontainebleau gefangen halten würde? Das ist doch zu weit gegangen, Philosophen und Chriften, Vernunft und Glauben in gleicher Weise zu mißhandeln! Wohl war Napoleon unter den großen Männern seiner Kategorie der nothwendigste für seine Zeit. Denn Keiner außer ihm hätte es vermocht, so rasch und so wirksam die Ordnung an die Stelle der Anar chie zu bringen; Keiner hätte sich aber auch so sehr über die Zukunft getäuscht: denn, Herr Europa's und Frankreichs geworden, ließ er sich von Europa sogar aus Frankreich jagen. Sein Name ist größer und dauernder, als seine Thaten, deren glänzendfte: seine Eroberungen, jählings und für immer mit ihm verschwanden. Seinen erhabenen Eigenschaften huldigend, bereue ich es gleichwohl nicht, fie erst nach Auch zu Frau von Staël trat Guizot in freundlichen Verkehr. seinem Tode gewürdigt zu haben. Für mich gab es unter dem Kaiser-,,Ich wandte mich“, erzählt er, „brieflich an Frau von Staël und

*) Mémoires pour servir à l'histoire de mon temps.

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Die Märtyrer" von Chateaubriand, die bei ihrem Erscheinen aus politischen Gründen in Frankreich so heftig angegriffen wurden, vertheidigte Guizot in dem,,Publizisten“, und diese Vertheidigung führte die Bekanntschaft der beiden Schriftsteller herbei und gründete in der Folge eine gegenseitige Freundschaft.

bat um die Ehre, fie besuchen zu dürfen. Sie lud mich zu Tische nach Cluchy bei Lausanne, wo sie damals wohnte. Sie ließ mich

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