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ihn, anzunehmen, daß die Existenz des Menschen über die historischen Zeiten hinaufreicht, und daß die Race, die in der vorgeschichtlichen Zeit in dem Lande lebte, dem allgemeinen Typus nach dieselbe war, wie die, welche zur Zeit der Entdeckung Amerika's durch die Europäer das Land bewohnte. Unter den Thierknochen befanden sich Knochen von der gegenwärtigen Pferdeart, die zur Zeit, als die Europäer SüdAmerika entdeckten, den Bewohnern unbekannt war. Das Pferd lebte damals nicht mehr in Amerika, aber es hatte vor Zeiten dort gelebt. Man kann also auf den Gedanken kommen, daß, während das Pferd in Amerika unterging und nicht wieder ersezt wurde, der Mensch, der damals in Amerika lebte, am Leben blieb und aus einer geologischen Periode in die andere überging. In Bezug auf den Hund sind die Paläontologen geneigt, eine solche Annahme zuzulassen. Die gegen wärtigen zahmen Hunde laffen sich von keiner gegenwärtig existirenden wilden Spezies herleiten, weder vom Fuchs, noch vom Wolf, noch vom Schakal. In der der gegenwärtigen vorhergehenden geologischen Periode haben mehrere Arten existirt, die dem zahmen Hunde ́näher verwandt find, als der Wolf, der Schakal und der Fuchs. Herr Pictet wirft die Frage auf, ob nicht diese wilde Spezies die Ueber schwemmungen, welche, den größten Theil von Europa begrabend, die lezte geologische Periode beschlossen haben, überlebt haben könnten, und ob nicht die ersten Menschen, welche unseren Kontinent bewohnt haben, diese Gattung, die wahrscheinlich einen geselligeren und fans teren Charakter gehabt hat, als der Wolf, gezähmt haben könnten.

Es sind nicht blos in Amerika Menschenknochen ausgegraben wor= den. Auch in Deutschland hat man Schädel aufgefunden, die mit denen der gegenwärtigen Bewohner dieses Landes nichts gemein haben. Diese Schädel haben eine bedeutende Abplattung, wie die Schädel der Wilden, unter denen die Gewohnheit herrscht, diesen Theil des Schädels platt zu drücken. Die Schädel, die man in der Umgegend von Baden, in Desterreich, ausgegraben, zeigen große Aehnlichkeiten mit den Schädeln der Neger-Raçe, während die an den Ufern des Rheins und der Donau gefundenen große Aehnlichkeiten mit denen der Karaiben und der alten Bewohner von Chili und Peru darbieten. Die Einwürfe, die man diesen Aufstellungen entgegengesezt hat, sind folgende: die fossilen Ueberreste der Menschengattung sind selten; es ist ungewiß, ob sie ursprünglich der Erdschicht angehören, wo man sie gefunden; viele zufällige Umstände können bewirkt haben, daß sie in Schichten gekommen, die vorhistorisch zu sein scheinen. Diese Einwürfe verbieten ein entschiedenes Urtheil; aber sie nöthigen uns nicht, jeden Gedanken an eine Menschengattung, die vor der gegenwärtigen eristirt, mit Bestimmtheit zu verwerfen. Die Thatsache, daß die ausgegrabenen Schädel denen der heutigen Bevölkerung Europa's nicht ähnlich sind, läßt sich nicht in Abrede stellen. Freilich können diese Menschen vor den Kelten in Europa gewohnt und doch der historischen Periode angehört haben; sie können untergegangen sein, ohne Erinnerungen und Spuren zu hinterlassen. Aber die Formen, welche die Schädel haben, sind nicht eine vereinzelte Erscheinung; sie sind denen der Neger- oder Karaiben-Schädel ähnlich. Dies beweist, daß zur Zeit, wo diese Menschen gelebt haben, die Formen, um die es sich hier handelt, nicht blos in Afrika oder in Amerika, sondern auch in Europa heimisch waren. Die Verbreitung so nahe verwandter Organisationen über eine so große Strecke des Erdbodens deutet darauf hin, daß damals die klimatischen Verhältnisse ganz andere gewesen, als in der gegenwärtigen Periode.

Der Fund des Herrn Spring, Profeffors an der medizini schen Fakultät zu Leiden, bietet Ungewißheiten derselben Art dar. Eine Grotte mit Knochen in der Provinz Namur, dreißig oder vierzig Meter über dem Flußbett der Maas, barg zahlreiche Menschenknochen, die einer von der unsrigen verschiedenen Raçe anzugehören scheinen. Herr Spring beschreibt einen der hier gefundenen Schädel folgendermaßen: „Dieser Schädel ist überhaupt sehr klein und besonders auch im Verhältniß zu den Kinnbacken; die Stirn ist zurückweichend, die Schläfe abgeplattet, die Nasenlöcher groß, die Backen knochen stark hervortretend, die Zähne schräg gegen einander gerichtet; der Gesichtswinkel kaum 70 Centimeter groß. Nach der Größe der Beinknochen zu urtheilen, muß der Wuchs sehr klein gewesen sein, höchstens fünf Fuß groß, wie der der Grönländer und Lappländer“. Es befanden sich in dieser Grotte auch viele Knochen von Thieren: von Hirschen, Elennthieren, Auerochsen, Hafen, Vögeln. Diese Knochen, vermischt mit Menschenknochen, bildeten, durch Kalkmaffe verbunden, Stücke, von denen ein einziges von der Größe eines gewöhnlichen Pflastersteines fünf Menschen-Kinnbacken enthielt. In einem anderen. Stück fand man einen Vorderhauptsknochen, mit einem durch ein scharfes Werkzeug bewirkten Bruch. Das Werkzeug wurde in demfelben Stück gefunden: es war ein rohgearbeitetes Beil ohne ein Loch zu einem Stiel. Zum Beweise, daß die Menschen, die, wie Herr Spring vermuthet, in dieser Höhle ein kannibalisches Mahl gehalten haben, nicht vorhistorische seien, hat man auf die Asche und die Kohlen, die sich in der Höhle vorgefunden haben, hingewiesen. Aber warum

sollten die vorhistorischen Menschen nicht das Feuer gekannt haben? Die Zeit, in welcher diese Raçe Belgien bewohnt hat, gehört sicherlich einer sehr fernen Vergangenheit an. Wer sollte, solchen alten Zeugen gegenüber, nicht einsehen, daß der Geschichte der Menschheit bis jezt ein viel zu geringer Zeitraum gegeben wird!

Außer den im Vorstehenden mitgetheilten Beobachtungen haben wir noch andere Gründe zu der Annahme, daß auch schon vor der leßten geologischen Epoche, mit der unsere gegenwärtige Welt begonnen hat, Menschen auf der Erde existirt haben.

Man ist heutzutage darüber einverstanden, daß alle die Spuren, aus denen folgt, daß in einem gewissen geologischen Zeitalter eine Gattung existirt hat, ebenso wichtig sind, wie die wirklichen Bruchstücke von Thieren der Gattung. In Bezug auf den Menschen werden also Geräthschaften, Werkzeuge, turz Alles, was als ein Werk der Menschenhand anzusehen ist, zum Beweise dienen, daß der Mensch dagewesen ist. Forschungen in dieser Richtung hat zuerst Herr Boucher gemacht. Einige Kieselsteine, die in der Tiefe des Erdbodens gefunden waren, schienen ihm von Menschenhand bearbeitet zu sein; er sammelte solche Stücke; je mehr er suchte, desto mehr fand er. Durch eine gründliche Forschung überzeugte er sich, daß die Erdschicht, in welcher sich diese von Menschenhand bearbeiteten Kiesel. steine vorfanden, der vorhistorischen Welt angehörte. In der Vorrede zu seinem Buche) heißt es:

"Herr Boucher hat alle Sorgfalt und Mühe darauf verwendet, den Beweis zu erlangen, den er suchte. Seine Nachforschungen, auf einer ausgedehnten Fläche angestellt, haben zehn Jahre lang gedauert. Die Anzahl diluvischer Sandbänke, die er in den Departements der Somme, der Seine und der unteren Seine hat durchsuchen lassen, ist sehr beträchtlich. Die Brücken- und Chauffeebauten, die Untersuchungen des Terrains behufs Anlegung von Eisenbahnen sind ihm sehr zu Statten gekommen. Das Ergebniß ist auch befriedigend gewesen. Zwar hat er in den Schichten, die er durchsucht, keine Me schenknochen aufgefunden, wohl aber, was eben soviel werth ist, inmitten fossiler Uebereste von Elephanten und Mastodonten Spuren von Menschen: Waffen, Geräthschaften, Alles von Stein, nicht an einer Stelle blos, sondern an vielen, und man kann annehmen, daß in allen Erdschichten, in denen fossile Reste großer Säugethiere enthalten sind, wenn man mit Ausdauer danach sucht, solche Spuren einer noch in den ersten Anfängen sich befindenden Industrie werden aufgefunden werden."

Die Behauptungen des Herrn Boucher wurden natürlich zuerst da sie der herrschenden Ansicht widersprachen, mit großem Mißtrauen aufgenommen. Aber bald ließen sich mehrere Gelehrte für dieselben gewinnen, unter Anderen der vor kurzem als korrespondirendes Mu glied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres gestorbene Dr. Rigollot. Derselbe bekämpfte zuerst entschieden die Ideen Boucher's. Aber als man ihm mittheilte, daß zu Saint-Acheul bei Amiens in einer Erdschicht, welche fossile Knochen und Zähne von Elephanten enthielt, auch Beile aus Kieselstein gefunden worden seien, begab er sich an Ort und Stelle und stellte sich, nachdem er mit eigenen Augen die Richtigkeit der Mittheilung bestätigt gefunden, auf die Seite Boucher's. Alle diese von Herrn Rigollot beschriebenen Kiesels stein-Geräthschaften sind auf dieselbe Art gearbeitet, und zwar mit einer Geschicklichkeit, die in Erstaunen seht; Waffen oder Werkzeuge, haben sie alle die Form, die für den Zweck, dem sie haben dienen sollen, die geeignetste ist. Die meisten find platt-eiförmig und haben Schneiden und Spißen, so scharf, wie man sie bei Kieselsteinen, wenn man die Kunst des Schleifens und Polirens nicht kennt, nur irgend machen kann; das der Schneide entgegengeseßte Ende ist ganz roh und unbearbeitet. Andere sind einem Dolch ähnlich; noch andere haben die Gestalt einer dreieckigen Pyramide; die Kanten an diesen find ziemlich stumpf und ungenau. Die durchschnittliche Größe dieser Steine ist 10 bis 12 Centimeter in ihrem größten Durchmesser; manche aber sind nur 8, einige 24 Centimeter lang. Die Fläche“, sagt Herr Rigollot, „auf welcher diese Steingeräthschaften gefunden worden, ist nicht sehr groß. Die große Anzahl solcher bearbeiteten Kieselsteine, die hier täglich aufgefunden wird, seßt in Erstaunen. Vom August bis zum Dezember hat man mehr als 400 gesammelt Diese große Anzahl führt auf die Vermuthung, daß die Stelle, we sie gefunden werden, eine Werkstätte für solche Kieselstein - Arbeiter gewesen sein mag“. (Schluß folgt.)

Rußland.

Zur Erinnerung an Ulibischeff. Von F. v. H.

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Durch den am 5. Februar d. J. erfolgten Tod des berühmten Kunstkritikers Ulibischeff verlor Rußland einen seiner besten Köpfe.

*) Antiquités celtiques t antediluviennes, 1849.

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Die künstlerische Welt ist erst vor kurzem wieder durch sein treffliches, tiefsinniges Werk über Beethoven sich bewußt geworden, was sie an ihm besessen. Die deutsche Musik war sein Lieblingsstudium, die Blume in seinem Leben, das er mit ernster Stirn den Wissenschaften und dem Wohle seines Vaterlandes widmete. Ulibischeff war eine jener höhern Naturen, beren geistiger Aufschwung die kleinliche am Boden klebende Menge lehrt, wie auch sie sich ein wenig zu erheben vermag. Ohne die zeitweilige Erscheinung solcher Persönlichkeiten würde der Menschheit das Bewußtsein ihrer Würde und Bedeutung verloren gehen. Ulibischeff war nicht blos eine Größe im Vergleich zu der geistigen Kleinheit seines kulturfernen Vaterlandes, er war ein Geist von universeller Bildung und wesentlich aus den Einwirkungen unserer deutscher Intelligenz hervorgegangen. Er hat seine lernbegierige Jugend auf deutschen Schulen zugebracht und seine Künstlerseele mit deutschen Kunstblüthen geschmückt. Eine Lebensgeschichte des bedeuten den Mannes wird binnen kurzem erscheinen; bis dahin geben wir zur näheren Charakteristik desselben einen Auszug aus einem französisch geschriebenen Brief, den er wenige Monate vor seinem Tode an uns gerichtet hat.

,,Nehmen Sie meinen aufrichtigsten Dank für Ihren Brief und den Artikel über mein neuestes Werk,°) womit Sie ihn gütigst be= gleiteten. Ich bin um so dankbarer für Ihre Lobsprüche, weil ich erwartete, in Deutschland ganz anders beurtheilt zu werden. Es giebt in Ihrem Vaterlande sehr viele Fanatiker, und der Kultus, welchen man großen Männern schuldet, verwandelt sich dort oft in eine blinde Anbetung; man ist unduldsam und feindselig gegen jede abweichende Meinung. Da ich nun Beethoven mit der ganzen Aufrichtigkeit meiner Seele und mit der Freimüthigkeit meiner musikalischen Ansichten beurtheilt hatte, da ich seine Irrthümer und seine Verirrungen ebenso offen dargelegt hatte, wie ich seinem erhabenen Genius huldigte, so konnte ich wohl mit Recht eher auf verdammenden Tadel, als auf Lob mich gefaßt machen. Uebrigens bitte ich, es mir aufs Wort zu glauben, daß ich als Autor sehr gleichgültig gegen Lob und Tadel bin. Die Eigenliebe beunruhigt mich niemals, noch weniger die Sorge um pekuniären Vortheil. Und es ist dies vielleicht ein Hauptgrund, weshalb, meine Werke einigen Erfolg gehabt haben. Ich glaube, daß die Liebe zur Wahrheit und der Wunsch, mir selbst zu genügen, ein Wunsch, der bei einem gewissenhaften Menschen mehr werth ist als die strengste Kritik, mehr zu diesem Erfolge beigetragen haben, als mein Talent. In der Zeit, worin wir leben, ist es eine große Neuheit, wahr und aufrichtig zu sein, und eine bewunderte Originalität ist es nicht an das Geld zu denken! Man hat mich deshalb vielleicht für originell gehalten, in dieser Beziehung wenigstens, aber das Verdienst ist klein für Jemand, der seit siebenundzwanzig Jahren der Welt entsagt hat und ein großes Vermögen besigt. Als Literat bin ich also in einer völlig exceptionellen Lage, die mir gänzliche Freiheit des Geistes läßt und mir gestattet, ohne Furcht Alles zu sagen, was ich für recht und wahr halte; darin liegt gewiß der einzige Vorzug, den ich vor anderen Schriftstellern habe.

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Wie schmeichelhaft mir auch Ihr Beifall ist, gnädige Frau, die Sympathie, welche Sie für meine Landsleute, besonders für unsere unerschrockenen Soldaten an den Tag legen, erfreut mich unendlich viel mehr und macht mich für immerdar zu Ihrem Schuldner. Sie haben mich errathen, ohne mich zu kennen! Ja, ich liebe mein Vater land mit einer glühenden, beinahe schmerzhaften Liebe. Sie könnten sich davon überzeugen, wenn Sie die anderen Werke kennen lernten, deren Verfasser ich bin. Aber Sie werden diese niemals lesen, aus zwei Gründen: erstens sind sie in russischer Sprache geschrieben; zweitens sind sie nicht gedruckt und werden es noch lange nicht sein, denn die Zeit ist noch nicht da! (Lezteres deutsch im Text). Das musikalische Europa mag mein Buch über Beethoven aufnehmen, wie es Luft hat; ich werde mich dennoch freuen, es geschrieben zu haben, weil es mir Ihr Wohlwollen und Ihre liebenswürdige Kritik eingebracht hat. Mit dieser Versicherung gestatten Sie mir, Sie zu bitten, immerdar zu glauben an die Gefühle der Dankbarkeit und Hochachtung für Sie, womit zu zeichnen die Ehre hat Ihr ergebenster Diener

Griechenland.

A. Ulibischeff."

Neugriechische Werke über Epirus, Suli und Parga. Gene ber widtigften grovingen bei alten Griegenland if Epirus (heutzutage Albanien), mit dem der neuen Geschichte angehörenden, viel fach interessanten Gebirgslande Suli und mit der neuen Stadt Parga. Ueber die neue Geschichte von Epirus von Chr. Geb. an bis zu unseren Tagen hat es bisher an ausführlichen Darstellungen gefehlt, und namentlich über die türkische Zeit mangelte eine zusammenhängende Geschichte des Landes, deffen Bewohner und deren Schicksale. Die

*) Es war ein Aufsaß im „Magazin“ (Nr. 40, 1857) über Ulibischeff.

sem Mangel ist durch ein in Athen (1856 und 1857) in zwei Theilen erschienenes Werk:,,Xqovoɣqayla τñs 'Hлɛíqov”, abgeholfen worden. Der Verfasser desselben, Arabantinos, wie unter der Vorrede zu lesen ist, hat dabei die vorhandenen, gedruckte und handschriftliche, Quellen, auch mündliche Ueberlieferungen und Mittheilungen, benugt, und er gewährt darin ein ziemlich vollständiges, historisches Gemälde, welches namentlich für die türkische Zeit der Wichtigkeit und dem Interesse des Landes entspricht. Auch für die Geographie und Statistik deffelben bietet es interessante und gehaltvolle Aufschlüsse, die auch zugleich dem kulturgeschichtlichen Interesse entsprechen, welches gerade an Epirus vor allen anderen Theilen Griechenlands für die neuere und neueste Zeit sich knüpft. Von Epirus aus ging das Licht einer geistigen Wiedergeburt des Griechenstammes am frühesten auf, und die Strahlen beginnender Aufklärung und wissenschaftlicher Bildung, die in dem opferfreudigen Patriotismus der epirotischen Griechen ihren Ursprung ünd ihr Ziel finden, scheinen hellleuchtend in die Wirklichkeit der Gegenwart herein. Sie begründet zugleich gewisse Hoffnungen jenes Patriotismus auf eine politische Wiedergeburt von Epirus (in Verein mit Thessalien), und auch von dieser Seite kommt jene „Geschichte von Epirus" ebenso einem äußeren Bedürfniffe als einem gewissen inneren Intereffe entgegen. Dieses Lestere gilt jedenfalls auch von der Geschichte von Suli und Parga" (Isogía Zovλλíov xaì Пágyas), die, bereits in zweiter, verbesserter und berichtigter Ausgabe, in Athen 1857 in zwei Theilen erschienen ist und den Griechen Perrävos zum Verfasser hat. Dieser Lestere, der noch in Athen in hohem Alter lebt und für seine Verdienste um Griechenland, besonders während des Freiheitskrieges, den Titel eines GeneralLieutenants (Yлoorgarnyós) erhalten hat, hat an den Begebenheiten selbst, die er beschreibt, nämlich an den legten Kämpfen der Sulioten und deren späteren Schicksalen, wenn auch nur in untergeordneter Weise, Antheil genommen.

Um so lebendiger ist die Darstellung, bei welcher auch sonst gute Quellen und mündliche Nachrichten benußt worden sind. Dabei theilt der Verfasser manches interessante Detail, auch einige neugriechische Volkslieder mit, die einzelne hervorragende Klephthen und geschichtliche Thatsachen zum Gegenstande haben. Als eine besonders interessante Notiz führen wir an, was der Verfasser erzählt, daß er zur Zeit der lezten Kämpfe der Sulioten mit Ali Pascha von Jannina, die mit der Uebergabe ihres Gebirgslandes an Lezteren im Jahre 1803 endigten, mit einem Schreiben der Kriegsobersten in Suli an Napoleon nach Paris gesendet worden, worin sie denselben um Kriegsmunition baten, und daß sie auch diese Unterstüßung im April 1802 von Frankreich erhielten. Diese Thatsache ist ein neuer Beleg für die Beziehungen Napoleon's zu den freien Bergbewohnern Griechenlands (Sulisten und Mainoten) und zu deren Befreiungsplänen gegenüber der türkischen Regierung und ihren Statthaltern, den Pascha's.

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Der Grieche Alexander Sutsos.

Dieser ungebändigte Dichter" des neuen Griechenland, der, namentlich als glücklicher Satiriker, in Deutschland schon früher bekannt war, ehe Friedrich Thiersch in seinem Werke: „De l'état actuel de la Grèce" (1833), auf ihn und feinen Bruder Panagos besonders aufmerksam machte, hat später und bis in die neueste Zeit durch die Politik in Griechenland und gegen Griechenland vielfach Gelegenheit gehabt, ebenso seiner beißenden Satire als seinem Patriotismus Luft zu machen und gegen jene ungerechte und ungriechische Politik mit aller Entschiedenheit offen sich zu erklären. Er hat die Gelegenheit, die ihm besonders die neueste Behandlung der orientalischen Frage gewährte, treulich benußt und in Prosa und in Poesie die scharfe Geißel seines Patriotismus geschwungen. Im Jahre 1853, zur Zeit der neuesten Verwickelungen im Oriente und des Beginnes des orientalischen Krieges, ließ er in Athen eine leidenschaftliche Broschüre: „H áânýñý páσis rov ȧvarolixov Zytýμatos” (die wirkliche Beschaffenheit der orientalischen Frage), drucken, in welcher er die Pfeile seiner Rede gegen die falsche, ungerechte und unchristliche Politik Englands und Frankreichs in Ansehung der orientalischen Frage richtete und eine offene Kreuzzugspredigt für die Griechen hielt. Hatte Sutsos grundsäglich vollkommen Recht, so ging er doch in der blutigen Geltendmachung dieses Rechts, wozu die Schrift aufforderte, offenbar über die Gränzen der Klugheit und der christlichen Geduld. Neuerdings sind von demselben Alexander Sutsos: Алоμvημovεúμаra ποιητικὰ ἐπὶ τοῦ ἀνατολικοῦ πολέμου” (Yveti[\e Dentwürbigteiten während des orientalischen Krieges), Athen 1857, und zwar schon in zweiter Ausgabe, erschienen. Er stellt hier in dichterischer Form das Thatsächliche der drei Jahre jenes Krieges zusammen, betrachtet die Ursachen und Wirkungen der Begebenheiten, knüpft daran seine Urtheile, Erwägungen und Wünsche, und stellt die vielfach in der Preffe über jenen Krieg verbreiteten Lügen und Verleumdungen, dieselben berichtigend und zurückweisend, an den Pranger. Der Dichter verleugnet hierbei nirgends die ungezähmte Leidenschaft seines Patriotis

mus, der man nur insoweit Unrecht geben kann und muß, als ihn das Feuer feines Patriotismus zu weit führt und als es hier mit dem römischen Dichter heißt: Facit indignatio versus! Das Ganze ist, wie er selbst sagt, eine Protestation der gemordeten Menschheit gegen ihre Mörder.

Der neugriechische Dichter Solomos.

In Nr. 79 des,,Magazin" von 1857 ward eine kurze Biographie dieses im Jahre 1857 verstorbenen Dichters und zugleich Einiges über deffen Dichtungen mitgetheilt. Derselbe gilt, obgleich bisher nur Weniges von lesteren ins Publikum gekommen war, als einer der ersten Dichter des neuen Griechenland, und sein Tod machte in dieser Beziehung die kühnften Erwartungen und Hoffnungen rege. Es mag billig dahingestellt bleiben, ob und inwiefern nach den schon früher bekannt gewesenen Proben des poetischen Talents des Solomos auch andere Griechen diese Erwartungen und Hoffnungen hätten theilen mögen, da schon die Sprache seiner Dichtungen, der gemeine Dialekt der Jonischen Inseln, gerechte Bedenken erregen mußte. Es mag auch hier etwas an dem sein, was das Sprüchwort sagt: Volkes Stimme ift Gottes Stimme! In jener Beziehung kommt den Erwartungen und Hoffnungen eine kleine Sammlung Solomonischer Dichtungen (Пonuara Zoloμov) entgegen, die in diesem Jahre in Athen erschienen ist; aber es ist die Frage, ob sie jene Erwartungen und Hoffnungen erfüllen wird. Denn die Sammlung enthält, außer dem schon früher bekannt gewesenen „Yμvos eis tηv Elev&ɛqlav”, nur ein längeres Gedicht auf den Tod Byron's, einige Bruchstücke aus einem größeren Gedichte: 0 Adμлqоç", und mehrere kleinere lyrische Dichtungen. Sie beurkunden einen Reichthum an erhabenen Ideen und tiefen Gefühlen, hohen Schwung der Phantasie und seltene Bilderfülle, allein in einer Sprache, die des Inhalts und des Gehalts nicht würdig ist.

دو

Mannigfaltiges.

Der Freiherr vom Stein. Zur Gedächtnißfeier des hundertsten Geburtsjahres Stein's ist vor kurzem ein kleines Se riftchen:,, Lebensumriß des Ministers Freiherrn vom Stein", von Dr. Wiesmann (Münster, 1857), erschienen, das zugleich einen Beitrag zum Besten der Denkmalstiftung abgeben soll. Es kann Jedem empfohlen werden, der mit Stein's Leben, deffen äußeren Schicksalen und Verdiensten, sowie mit deffen Eigenthümlichkeiten, nicht schon aus dem Werke von Perz oder anderswoher bekannt ist. Der Verfaffer, welcher Arzt ist und dem Verstorbenen in den lezten Jahren seines Lebens in dieser Eigenschaft nahe stand, führt daher auch den Leser nicht blos in das äußere, vielbewegte und verhängnißvolle Leben des Mannes auf der großen Bühne der Welt, sondern namentlich in die Geschichte seines Privatlebens und seiner PrivatTugenden ein. War auch Stein nicht frei von einer gewissen Ungeduld, Reizbarkeit und Heftigkeit, was der Verfaffer selbst zugesteht, so lag dies doch vielleicht in gleichem Grade an den Zeitverhältnissen, als an ihm selbst, und er erinnert dadurch an einen anderen deutschen Mann einer früheren Zeit, der das große Werk, zu dessen Ausführung die göttliche Vorsehung des Mannes sich bedient hat, mit Geduld und Nachgiebigkeit auch nicht hinausgeführt hätte an Luther. Freilich hat Stein von dem, was er in der einen Richtung wollte und erstrebte, kaum einen geringen Theil ausgeführt, und auch eines Luther, wie eines Stein, möchte selbst unsere Zeit noch bedürfen: aber nur um so mehr mögen und sollen wir das Andenken an die großen Männer in treuem Gedächtniß bewahren, die unserer Zeit doppelt fehlen!

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Kardinal Wiseman über die vier lezten Päpste. Aus der fruchtbaren Feder des Kardinals Wiseman ist schon wieder ein neues Werk, und zwar ein dicker Band von 532 Seiten, geflossen, in welchem der hochwürdige Verfasser uns seine,,Erinnerungen an die vier leßten Päpste" mitzutheilen die Güte hat. ) Das Bild, das er von ihnen entwirft, ist ein echt chinesisches ohne Schatten, was der Herr Kardinal auch in seiner Vorrede halb zugiebt und damit entschuldigt, daß er in Rom überhaupt keine andere als tugendhafte Leute kennen gelernt hat. Seine Helden sind in der That wahre Tugendhelden, deren unfehlbare Weisheit sie vor den Gebrechen schüßt, die sonst für das unvermeidliche Loos der schwachen Menschennatur gelten. Pius VII., Leo XII., Pius VIII. - Alle sind gleich vortrefflich, gleich makellos, gleich ehrfurchtgebietend, und für Gregor XVI. nährt Herr Wiseman noch außerdem ein Gefühl besonderer Zärtlichkeit, wie es selten außerhalb des engen Kreises gefunden

*) Recollections of the Last Four Popes and of Rome in their Times. By H. E. Cardinal Wiseman. London: Hurst & Blackett. Berlin, A. Asher & Comp.

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wird, der die häuslichen Bande einschließt". Es bleibt", fährt er fort,,,noch eine Empfindung der Hingebung und Anhänglichkeit übrig, welche Einem gebührt, über den ich mich aller Lobsprüche enthalten muß und hinsichtlich deffen ich aufrichtig bete, daß ich seiner niemals als einer Erinnerung an die Vergangenheit zu gedenken haben möge" woraus hervorzugehen scheint, daß man auf die Hoffnung wird verzichten müssen, Memoiren über Pius IX. von derselben beredten Feder zu erhalten, die seine Vorgänger so glänzend verherr licht hat. Wir glauben kaum, daß die Welt hierdurch allzuviel ver lieren wird, obgleich das vorliegende Werk gewiß auf einen zahlreichen Leserkreis rechnen darf und auch wirklich als Beitrag zur Zeitgeschichte nicht ohne Werth ift. Jedenfalls ist es vor dem Schicksal sicher, das einige andere,,Geschichten der Päpste" getroffen hat es wird nicht auf den Index expurgatorius gestellt werden.

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- Dr. Mordtmann über die leßte Eroberung von Konftantinopel. Bekanntlich ist dieser gelehrte Kenner orientalischer Sprachen, orientalischen Lebens und orientalischer Dinge seit mehr als zehn Jahren, und zur Zeit noch, hanseatischer Konsul in Konstanti nopel, und er hat diesen Aufenthalt und die ihm vergönnt gewesenen Mußestunden dazu benußt, um über die Eroberung Konstantinopels durch die Türken am 29. Mai 1453 so viele Daten als möglich einzusammeln, in Folge wiederholter Besichtigung der Dertlichkeiten die Berichte der Zeitgenossen zu prüfen und die unbeglaubigte Sage von der durch Augenzeugen bestätigten Thatsache zu sondern. Die auf diesen Studien, namentlich auf der Benuhung der Originalquellen, beruhende Arbeit ist kürzlich unter dem Titel:,,Belagerung und Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453", bei Cotta erschienen und muß als eine ebenso fleißige, wie interessante Darstellung eines der bedeutendsten und einflußreichsten Ereignisse der neueren Geschichte angesehen werden, deffen fortdauernder Einfluß in unserer Gegenwart mächtiger noch und weit drohender ist, als viel leicht damals, da das Ereigniß eintrat. Der Verfasser selbst betrachtet es von dieser Seite und bringt die welthistorische Bedeutung Konftantinopels mit der europäischen Politik unserer Zeit und mit den leßten Dingen des Türkenreiches in genaue Verbindung. Dieser Zusammenhang bedingt vornehmlich das besondere Intereffe des Buches, nicht sowohl für die Vergangenheit, sondern für die Gegenwart und für die nächste Zukunft der Türkei und deren gegenwärtiger Hauptstadt. Ueber die Quellen, welche der Verfasser dabei benußt hat, spricht er sich in der Einleitung ausführlich aus, und er behandelt sodann seinen Gegenstand nach den wesentlichen Rubriken: „Vorspiel des Kampfes“, des Kampfes", -,,Tagebuch der Belagerung",,,Einnahme der Stadt", -,, Nach der Eroberung", in klarer und anregender Weise. — In den Schlußbetrachtungen über das Ereigniß weist er die gewöhnlichen absprechenden und selbstgefälligen Urtheile über das,,wohlverdiente" Schicksal des byzantinischen Reiches mit Ernst und Nachdruck zurück, und er findet vielmehr den Grund eben so sehr in der fehlerhaften europäischen Staatenpolitik" als in inneren Verhältniffen des byzantinischen Reiches. In einem besonderen Anhange stellt er alles Sagenhafte und Unbeglaubigte über das Ereigniß zusammen. Das Buch kommt gerade jezt, wo sich die Schicksale der Türken in Europa, dieser Wecker und Zuchtmeister der Christenheit, erfüllen zu sollen scheinen, zur rechten Zeit, und es tritt, wenn man den verständigen Sinn und den Gedanken des Verfaffers richtig zu erfaffen versteht, gewissen liebäugelnden Sympathieen und zornfunkelnden Antipathieen zürnend und strafend entgegen.

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Ein Liebesbrief an Robespierre. Vor kurzem wurde in Paris eine Sammlung von Autographen verkauft, unter denen sich folgendes an Robespierre gerichtetes Schreiben befand, welches nicht geringes Interesse erregte:,,Seit dem Anfang der Revolution habe ich Sie geliebt, Bürger! Aber ich war verheiratet und wußte meine Leidenschaft zu beherrschen. Heute bin ich frei - mein Gatte ist in der Vendée gefallen; ich mache Ihnen diese Erklärung vor dem Angesicht des höchsten Wesens. Es ist keine leichte Aufgabe für eine Frau, ein solches Geständniß abzulegen; aber das Papier ist geduldig - Sie sind meine höchste Gottheit, und außer Ihnen kenne ich keine auf Erden. Ich betrachte Sie als meinen Schußengel und will nur unter Ihren Gesezen leben. nur unter Ihren Gefeßen leben. Wenn Sie frei sind, will ich auf Lebenszeit die Ihrige sein. Ich bin zweiundzwanzig Jahr alt und habe eine gefühlvolle Seele; ich biete Ihnen als Mitgift die Eigen schaften einer echten Republikanerin und 40,000 Livres Rente. Jch erwarte Ihre Antwort. Witwe Jacquin in Nancy, poste restante. Ich schreibe poste restante, aus Furcht, daß meine Mutter mich wegen meines Leichtsinns schelten werde." Welchen Ausgang dieser Liebeshandel genommen hat darüber schweigt die Geschichte.

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1858.

Diese Resultate sprechen eine beredte Sprache und müssen Jeden zufrieden stellen, dem die Fortschritte unserer Industrie und die Bilanz unseres auswärtigen Handels am Herzen liegen. Die lebens frische Bewegung in unseren Beziehungen zum Auslande springt in die Augen; nicht nur hat sie sich in einer zwanzigjährigen Periode verdreifacht, sondern sich vornehmlich beim Schluß dieser Periode sehr bedeutend gesteigert.

In seinem Werke: Statistik der französischen Industrie", hat es der bekannte französische Statistiker, Moreau de Jonnès, unternommen, die Data, die ihm die auf Anlaß der Regierung nach der Pariser Weltausstellung in vier Quartbänden veröffentlichten Unter- Was nun die Bewegung des Binnenhandels betrifft- und fie suchungen an die Hand gaben, zusammenzufassen und Plan, Ergeb. giebt ja ganz besonders den Maßstab für den Wohlstand eines Landes, niß und Zweck derselben darzustellen. Wie mangelhaft und lücken- Wie mangelhaft und lücken-so läßt sich ihr Grad aus verschiedenen Anzeichen ermessen. Vor Allem voll auch jene Data sind, so ist der Arbeit des Verfassers das Ver- ist die Ziffer der indirekten Steuern als das Thermometer zu be dienst nicht abzusprechen, einen interessanten Gesammtüberblick zu geben fragen: Wenn sie einen Wachsthum der Consumtion anzeigt, so beund in dem Leser den Eindruck einer wahrheitgetreuen Darstellung weist sie dadurch das Leben in der Production und den Fortschritt des hervorzurufen. öffentlichen Wohlstandes. Diese Steuern in runden Zahlen betrugen: 1835 578 Millionen 1855 958 Millionen 590

Läßt sich auch nicht mit Sicherheit feststellen, daß z. B. die Leinenproduction, die 1788 neun Fr. auf den Kopf betragen hatte, 1850 bis dreizehn Fr. gestiegen sei; daß die Baumwollenproduction sich vervierfacht, die Eisenproduction sich versechsfacht habe°) — will man es auch nicht als streng wahr zugeben, daß die Produkte aus dem Mineralreich von 7 Fr. auf den Kopf im Jahre 1788, auf 16 Fr. im Jahre 1812, auf 241 Fr. im Jahre 1850, ja, mit Einschluß der Pariser Fabrication, auf 33 Fr., gestiegen seien; daß die Produkte aus dem Pflanzenreich von 12 Fr. bis zu 36 Fr. hinaufgerückt seien, während die aus dem Thierreiche in demselben Zeitraum sich blos verdoppelt haben wenn man, sagen wir, auf diese so scharf bestimmten Angaben auch nicht schwören will, so ist es doch nichtsdestoweniger erlaubt, aus diesen Zahlenprämissen den Schluß auf einen a priori festgestellten Fortschritt zu machen.

Ueberdies erscheinen in der Nomenklatur der Industrieen, die die,,Statistik der französischen Industrie" aufführt, völlig neue Namen: Production und Raffinerie des inländischen Zuckers, die sich seit 60 Jahren an Werth verfünffacht hat; die Steinkohlen, die Tolosan mit keiner Silke erwähnt; das Gas, ein Geschöpf von gestern her, das noch zu einer großen Entwickelung berufen ist; die Maschinen, die so lange nur bei unseren Nachbarn ihre ausschließliche Heimat hatten; die chemischen Erzeugnisse endlich, die in der Fabrication eine so überwiegende Rolle spielen. Andere Industrieen, wenn sie auch nicht neu sind, haben doch eine solche Ausdehnung gewonnen und werden zu so mannigfaltigem Gebrauch verwendet, daß man sie als neu ansehen kann. So unter Anderem die Eisen-Industrie, deren Fortschritte sich im Allgemeinen seit dreißig und Betreffs des Eisenbahn-Baues im Besonderen kaum seit zwanzig Jahren herschreiben. Aus den Rechenschafts-Berichten der Bergwerks-Behörden geht her vor, daß in dem Zeitraum von 1819-1845, troß der politischen Störungen, die Production des Gußeisens sich verdreifacht, des Schmiedeeisens sich vervierfacht hat. Wenn nun auch in Betreff der Seiden-, Leinen- und Hanf-Industrieen die Gegenwart keinen auffallenden Vorsprung vor der Vergangenheit aufweist, so läßt sich dagegen in allen anderen Industriezweigen ein unermeßlicher Fortschritt konstatiren. Der Werth der Gesammtproduction Frankreichs wurde 1788 von Tolosan auf 931 Mill., 1812 von Montalivet auf 1400, von Chaptal auf 1800 Mill., 1850 von Moreau de Jonnès auf 4037 Mill. geschäßt. In diesem Totalwerthe sind die Rohstoffe mit mehr als die Hälfte, die allgemeinen Kosten und der Verdienst mit einem Viertel, die Arbeitslöhne mit weniger als einem Fünftel vertreten...... In Bezug auf den auswärtigen Handel giebt die Statistik folgende Nachweisungen:

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1836

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1856 1026

1857 1059

Um dem Beweis, der aus diesem so beträchtlichen Wachsthum hervorgeht, noch größere Ueberzeugungskraft zu geben, erinnere man sich, daß er mit dem Erwachen der industriellen Thätigkeit, die in den Jahren nach der Februar-Revolution so sehr daniederlag, genau zusammenfällt.

Ein Ueberblick der Operationen der französischen Bant fann ebenfalls einen Begriff von dieser Thätigkeit und einen neuen Vergleichungspunkt geben; allein, wenn auch die Entwickelung der Dis konto-Geschäfte diese Handelsbewegung ziemlich richtig darstellt, so ist doch nicht zu vergessen, daß die Geschäfte, periodischen Krisen unterliegend, Wechselfällen einer übertriebenen Entwickelung und nothwendig eintretender Einschränkungen ausgefeßt find. Um zwei Perioden mit einander zu vergleichen, müffen die Geschäfte dieser beiden Perioden in ähnlicher Situation sein; unvergleichbar sind sie, wenn z. B. die eine in die Zeiten kühner und nicht ungünstiger Speculation fällt, die andere auf einen jener Momente unglücklicher und ge= zwungener Liquidirungen stößt. Man hat bemerkt, daß der Diskonto eine Reihe von gewöhnlich 6 bis 7 Jahren hindurch einen regelmäßig aufsteigenden Gang einhält, so daß er endlich die drei- oder vierfache Ziffer des Ausgangspunktes erreicht, er bleibt dann etwa zwei Jahre ftagnirend, nimmt einen ungeheuren Aufschwung im Momente der Krisis, um jählings auf seinen ersten Stand zurückzusinken. So z. B.: 1832 beträgt das Diskontogeschäft.... 150 Mill. 1835 steigt es bis zu bis 1845 schwankt es zwischen

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445 700

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u. 1000 Mill.

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256

900,

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1847 (das Jahr der Krisis) hebt es sich auf 1300 1849 finkt es zurück auf . . . . bis 1853 hebt es sich wieder auf von da bis 1856 schwankt es zwischen 1000 und 1100, um zuleht 1857 in Paris allein mit der Ziffer von 1817 Mill. zu kulminiren; da tritt die Krifis ein. Im Journal des Economistes giebt Herr Clément Inglar eine Uebersicht dieser Krisen seit der Gründung der französischen Bank bis auf unsere Zeit. Gleichlaufend mit diesen wechselnden Phasen, die durch ein stetes Gefeß die Situation des Diskonto regeln, läßt sich sogleich eine andere aufsteigende Bewegung verfolgen, die unseren aufgestellten Sag begründet. Während nämlich von dem Ausgangspunkte bis zum Ankunftspunkte der auf- und absteigende Gang in den verschieden Perioden derselbe bleibt, so unters scheiden sich diese Punkte selbst wesentlich unter einander. In dem kritischen Jahre 1847 erreichte der Diskonto in Paris die Höhe von 1300 Mill., im Jahre der Krisis 1856 übertraf er, wie wir gesehen, die Ziffer 1800 Mill.

Fügt man zu diesen Zahlen noch diejenigen, welche die Filialen der Bank liefern, so zeigt sich ein noch rascherer Fortschritt: 1855 betrug das Diskontogeschäft der Filialen 2500 Millionen, 1856 gar an 3000 Millionen. Ein Vergleichungspunkt in den entsprechenden Perioden läßt sich jedoch nicht auffinden, da die Gründung der Filialen eine noch sehr iunge Schövfuna ift und früber das Kreditgeber

an Handel und Industrie Sache der Privatbanken war, deren Operationen nicht an die Oeffentlichkeit kommen.

Als ein weiteres Förderungsmittel der industriellen und kommerziellen Operationen sind, als eine andere Art Diskonto, die Vorschüsse anzusehen, die Privatleuten auf Rentenbriefe und Werthpapiere, auf Barren und Münzscheine gemacht werden. Oft freilich thaten diese Vorschüsse gewissen Speculationen Vorschub; nichtsdestoweniger kom men sie auch dem Handel zu Hülfe: 1855 stieg die Gesammtsumme dieser Vorschüsse auf 903 Mill., 1856 auf 1061 Mill. Zwanzig Jahre früher lieh die Bank auf Schiffsgut, das in den Kanälen lagerte, auf Barren und Goldscheine der Münze höchstens 80 bis 100 Mitt. Auf welche Ziffer werden die Diskonto- und Vorschußfäge hinabgehen, wenn die Krisis aufgehört hat? Das ist schwer vorauszusehen...

Von dieser Bewegung können noch einige Thatsachen seit zwan zig Jahren einen Begriff geben. Nach den in den Kanzleien der Handels-Tribunale in den Departements abgegebenen Erklärungen haben sich 14,723 Gesellschaften mit Kollektivnamen, 2786 als eine fache Kommanditen, 2781 als Actien-Kommanditen gebildet.

Das Kapital bei den Gesellschaften

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der Industrie und des Handels in Anschlag gebracht werden, die ihrer Natur nach in den obigen Zahlenreihen keinen Plaß finden.

Aus all diesen Berechnungen läßt sich indessen kein sicherer Schluß ziehen. Konnte man auch die Bewegung der Börsenspeculation ziemlich genau bestimmen, so läßt sich der Fortschritt des Handels und der Industrie nicht mit derselben Schärfe angeben und der Gang der Agiotage und der Arbeit in parallelen Linien zeichnen. Dennoch bietet die industrielle Thätigkeit in Frankreich seit zwanzig Jahren Resultate, die Allen Muth und Vertrauen einflößen dürfen, welche sich nicht mit Worten und vorgefaßten Empfindungen abfinden lassen; neben der Speculation, die einen sichtbaren Anlauf zum Besseren nimmt, haben fich die reellen Geschäfte in einem solchen Umfange entwickelt, daß sie jenen nicht nur das Gleichgewicht halten, sondern auch, wie die Zahlen bezeugen, ihr bei weitem den Rang ablaufen.

Aus dieser Gegenüberstellung der Speculation und Industrie ist nicht nur ein Argument herzuleiten gegen die Verdammungsurtheile derjenigen, welche die befruchtende Bewegung der Geschäfte mit dem unfruchtbaren und sträflichen Börsenspiel zusammenwerfen es mußte auch bewiesen werden, daß die Industrie, bei der Entwickelung einer so großartigen Thätigkeit, ihre Kräfte nicht überspannt habe und von gesunden Prinzipien und edlen Antrieben ausgegangen sei. Welches ist der Charakter der neuzeitigen Industrie? Man will über fie, als eine blos andere Form der eigentlichen Speculation, den Stab brechen.

Zu diesen Zahlen kommen nun die des Seine - Departements nach Beide, heißt es, haben daffelbe Ziel, leichten und raschen Gewinn, følgender Rubrik:

Von 1836-1845 bildeten sich

im Auge, das sie mit gleicher Gier und Haft verfolgen. Es ist etwas Wahres in diesem Vorwurf; es ist nicht zu leugnen, daß nicht alle

4854 Gesellschaften 1. Kateg. mit einem Gesammtkapital von 231 Mill. industriellen Unternehmungen ernstlich überdacht und geführt werden.

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6152 Gesellschaften 1. Kateg. mit einem Gesammtkapital von 233 Mill. großartige, vielleicht zu hastig

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In diesen beiden zehnjährigen Perioden weist die zweite, namentlich in der Kategorie der Actien-Kommanditen, die höchsten Zahlen auf, und das, troß der Geschäftslauheit, die auf das Jahr 1848 folgte. In dem Berichte des Herrn Langlais an die Legislative über den Gefeßentwurf Betreffs der Gesellschaften mit Actien-Kommanditen wurde dieser Fortschritt mit großer Ueberzeugungskraft hervorgehoben. Der ehrenwerthe Deputirte erinnerte, daß die Auseinanderseßung der Motive zu dem Gefeßentwurf über denselben Gegenstand im Jahre 1836 den Kapitalwerth der während der vorhergehenden zwölf Jahre gegründeten Gesellschaften auf beiläufig tausend Millionen angeschlagen, und machte bemerklich, daß das Journal général d'affiches in dem Zeitraum vom 1. Juli 1854 bis zum 30. Juni 1855 allein die Verhandlungen von 457 Kommanditen-Gesellschaften, wovon über die Hälfte auf Actien gegründete, angezeigt habe.

Ein Vergleich des beweglichen Kapitals im Jahre 1836 mit dem im Jahre 1855 würde auf das überzeugendste darthun, welchen Fortschritt die Industrie in Frankreich während dieser Periode gemacht habe. Es ist zu bedauern, daß diesem Vergleich sich große Schwierigteiten entgegenstellen. Es läßt sich aber, wie es scheint, bemerken, daß viele neue Industrieen, die von Zeit zu Zeit erstehen, ein beträchtliches Kapital darstellen, ohne daß die früheren Industrieen etwas von ihrer Wichtigkeit verloren hätten. Diese Thatsache konstatirt demnach keine Verschiebung der Kapitalien, sondern die Schöpfung eines neuen Kapitals und einen ungeheuren Anwachs beweglichen und industriellen Reichthums. Nehmen wir z. B. die Eisenbahnen: mit Ausnahme einiger kleinen Linien des Departements Rhone und Loire sind alle Unternehmungen neu. Nun aber betrug im November 1851 ihr UmLaufskapital an Actien 1406 Millionen, an Obligationen 1260 Millionen, macht zusammen: 2666 Millionen; was aber in Folge der Blüthe dieser Unternehmungen und des höheren Courses dieser Papiere über 4000 Millionen repräsentirt. - Die Kreditgesellschaften haben ein Kapital von 560 Mill. Die Assekuranz-Vereine sind mit einem Kapital von 287 Mill. gegründet worden, und ihre Actien haben einen Cours von bedeutender Höhe erreicht. Die Gas-, Wasser-, Schiff fahrts-, Bergwerks, Spiegel-, Zucker-, Hüttenwerks-, TelegraphenCompagnieen, die Immobiliar-Versicherungs-Gesellschaften, die während der lezten Jahre ins Leben traten, mit denen, die von vor 1836 datiren, vertreten ein Total von 4000 Millionen Fr. in 13 Mill. Actien und 1432 Millionen in drei Millionen Obligationen. In dieser Gesammt ziffer, wovon beinahe 2000 Millionen auf 351 anonyme Gesellschaften kommen, ist jedoch der Antheil der Vergangenheit sehr schwach vertreten, so daß 6000 Millionen Emissionswerth der Actien und Obligationen dieser verschiedenen Kommanditen - Gesellschaften fast ganz als wirklicher Zuwachs des vaterländisch-industriellen Reichthums anzusehen sind. Um sich aber einen vollständigen Begriff von diesem Zuwachs zu machen, müßten auch noch die Privat-Unternehmungen

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Die Lage der öffentlichen Finanzen in einem großen Theil der europäischen Staaten, das Defizit in dem Staatshaushalt, die Zahl der Anleihen, die nicht nur in Folge politischer Ereignisse, sondern auch für großartige, vielleicht zu hastig begonnene Arbeiten aufgenommen worden, sie haben schon einen sehr mißbehaglichen Zustand bekundet, der bei eintretenden neuen Verwickelungen leicht in eine bedenkliche Situation umschlagen könnte. Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß ganz Europa, Staaten und Privatleute, darauf bedacht sein müßten, von all den Unternehmungen, die mehr angebahnt als ausgeführt find, eine scharf bestimmte klassifizirende Uebersicht zu gewinnen. Andererseits aber, wenn auch die Industrie nicht, gleich der Lanze Achill's, die Wunden heilt, die sie selber schlägt, sind ihre Fortschritte der Art und haben diese eine so unendliche Dehnkraft, daß wir noch eine lange Bahn zu durchlaufen haben, bevor wir an das Ziel kommen, wo uns Halt zugerufen wird. Die Eisenbahnen, die Telegraphendräthe lassen bis jezt die Wunder nur ahnen, die sie heraufzubeschwören berufen sind; die Länder schicken sich an, durch ihre Räume Straßen zu eröffnen, die den kühnsten Völkern des Alterthums unbekannt geblieben; die bisher verschloffenen Reiche sehen ihre Mauern fallen und die fernsten Gegenden scheinen zu zittern vor dem heraunahenden Genius der modernen Civilisation. Welche Reichthümer verheißen sie, nicht dem gieren Gelüsten der Spekulanten, sondern der redlichen Arbeit, der Industrie! Wo solche Aussichten in die Zukunft locken, ist ein etwas zu rascher Gang wohl zu entschuldigen, obgleich er sich in Frankreich in einem weit mäßigeren Schritt gehalten hat als sonstwo. Es wäre ungerecht, die mit Billigkeit und Freifinn verbundene Klugheit der französischen Industrie und des französischen Handels zu verkennen, wenn man auf ihre Haltung in der gegenwärtigen Krisis einen Blick wirft; wenn es konstatirt wird, daß das Loos der Arbeiter sich unbestreitbar verbessert hat, daß die Beziehungen zu den benachbarten Nationen immer inniger werden, wenn man in Betracht zieht, wie Frankreich in allen Unternehmungsarten, unter denen die Anlage von Eisenbahnen in erster Reihe steht, dem Auslande die Mitbewerbung frei läßt.

Der eben gebrauchte Ausdruck: Freifinn der Industrie, führt den französischen Verfasser zu folgender Schlußbetrachtung: „Nein“, ruft er in patriotischem Feuer,,,nein, das moderne Frankreich in seiner Gesammtheit betet nicht das Gold um Gold an! Es sucht nicht lediglich einen leichten und sofortigen Gewinn in dem wüsten Treiben des Spiels und der Speculation; es strebt nach wirklicher Arbeit, es ringt nach der Verwirklichung grundfefter Geschäfte, ja solcher Geschäfte, die der Imagination schmeicheln und großherzige Gefühle befriedigen. Das bestimmte Ziel, das es in der Heimat, wie in der Ferne verfolgt, ist stets das Ziel der Verjüngung und des Fortschrittes, der materiellen Freilassung, wenn das Wort erlaubt ist, für die Klaffen der Gesellschaft, die noch in den Fesseln der Dürftigkeit liegen, für die Völker, die mit den Wohlthaten der Civilisation spärlich bedacht sind. In diesen vielfachen Bestrebungen scheint es unserem Lande weniger um den Gewinn, als um die Ehre zu thun, einen neuen Gedanken gefaßt und ihn in Handlung gesezt zu haben. Diese Stimmung der fran= zösischen Industrie ist so offenkundig, daß man sogar unter uns eine Art Sekte oder Schule industrieller Philosophie bezeichnen kann, die mehr den Ruhm als das Gold im Auge hat, mehr mit ihren Ideen,

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