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No 40.

für die

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Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Alexis, Graf von Tocqueville.

Berlin, Sonnabend den 3. April.

Das vortreffliche Buch von Aleris von Tocqueville,,L'ancien régime et la révolution", deffen Gegenstand und deffen Resultat der Betrachtung dem gleichbenannten Vortrage zum Grunde gelegen, den Herr Profeffor Gneist, unter allgemeinem Beifall, in einer der legten Abend -Unterhaltungen des „wissenschaftlichen Vereins" in der Berliner Sing-Akademie gehalten, ist bald nach seinem Erscheinen in einem ausführlichen Artikel von uns (Nr. 127–128 des Jahres 1856) besprochen worden. Wenn irgend ein zeitgenössischer Schriftsteller über die Strömungen der Zeit, die Quellen, denen sie entsprungen sind, ihre dermaligen Nichtungen und ihre wahrscheinlichen Folgen gründliche Forschungen angestellt und vollständige Begriffe entwickelt hat, so ist es Herr v. Tocqueville in seinen beiden Werken über die Demokratie in Amerika und das frühere Regiment in Frank reich; seine Landsleute stellen ihn darum mit Recht dem großen Erforscher des Geistes der Gefeße im vorigen Jahrhundert, Montesquieu, an die Seite.

Alexis, Graf v. Tocqueville, °) der Sohn eines eifrigen Royalisten, welcher Lettere sich als Geschichtschreiber der Ausgänge des französischen Königthums einen Namen gemacht, ist 1805 geboren und 1826 in den Richterstand eingetreten. Er wurde 1831 nach Amerika ge= sandt, um das dortige Gefängnißwesen zu studiren, und kam mit einem Werke zurück, das ihn in die erste Reihe der französischen Autoren stellte. Sein Buch:,,De la démocratie en Amérique”, das er 1834 veröffentlichte, ward 1835 von der Akademie gekrönt. In diesem Werke ist von den Abstractionen, mit denen die damaligen politischen Parteien Frankreichs fast ohne Unterschied ihre Gegner bekämpften, teine Rede; es ist ein lebensvolles, auf konkrete Detailstudien gegründetes Gemälde der amerikanischen Zustände, das zugleich über den so vielfach mißverstandenen Begriff der Demokratie wahrhaft philosophische Aufklärungen giebt. Mit einer Besonnenheit und Reife, durch welche die Kühnheit und Eigenthümlichkeit der Gesichtspunkte keinesweges ausgeschlossen werden, sind hier bereits die Grundsäge im Umriß fest gezeichnet, die später den Verfasser bei seiner Kritik der geschichtlichen Entwickelung Frankreichs leiteten.

Tocqueville hat in seinem 1834 veröffentlichten Werke die unglücklichen demokratischen Verirrungen Frankreichs im Jahre 1848 und die traurigen Ereignisse dieses Jahres vorhergesagt.,,Glaubt man", sagt er in der Vorrede seines Buches über Amerika,,, daß die Demokratie, nachdem sie den Feudalismus vernichtet und die Könige besiegt hat, vor der Bourgeoisie und den Reichen Halt machen werde? Wird sie jezt, wo sie so stark und ihre Gegner so schwach geworden, sich aufhalten lassen? Wohin gelangen wir also? Niemand vermag dies mit Sicherheit anzugeben! Das ganze Buch, das ich hier dem Publikum übergebe, ist unter dem Eindrucke einer Art religiösen Schreckens geschrieben, den ich bei dem Anblicke dieser unwidersteh lichen Revolution empfunden, welche seit Jahrhunderten, alle Hindernisse besiegend, vorschreitet und die man auch in diesem Augenblicke noch mitten unter den Ruinen, die sie geschaffen, vorrücken sieht."

Friedrich v. Gagern, der in mancher Hinsicht ein Geistesgenosse des Grafen v. Tocqueville genannt werden kann, obwohl er weit das von entfernt war, auch dessen Unbefangenheit in religiöser und nationaler Beziehung zu theilen, hat es im Jahre 1837 versucht, in einem Auffage: „Von dem Unterschied der Stände und dem aristokratischen Element", **) die Besorgniß vor dem Umsichgreifen des demokratischen

*) Die Notiz über diese persönlichen Verhältnisse entlehnen wir dem zweiten Bande der kürzlich von uns besprochenen,, Geschichte der französischen Literatur seit der Revolution 1789", von Julian Schmidt, der, wie er selbst sagt, seine Belehrungen über die Geschichte der französischen Zustände hauptsächlich dem Werke des Herrn v. Tocqueville über das ancien régime und die Revolution verdankt. D. R.

**) Abgedruckt im dritten Bande des inhaltreichen Werkes: „Das Leben des Generals Friedrich v. Gagern". Von Heinrich v. Gagern. Leipzig und Heidelberg, C. F. Wintersche Verlagshandlung, 1857.

1858.

Elementes zu widerlegen, indem er sagt:,,Diese Schriftsteller (Condorcet, Bentham, Tocqueville) halten ein Phänomen des Augenblickes für ein bleibendes Geset; sie verwechseln das Steigen und Fallen mit einem Fortschreiten zur Gleichheit. Wenn in dem Brunnen die Eimer auf- und abgehen, ist freilich ein Augenblick, wo sie sich auf gleicher Höhe befinden, aber es dauert nicht lange.“ Tocqueville stellt jedoch durch die geschichtlichen und Gesellschafts-Darstellungen seines älteren wie seines neueren Werkes in Abrede, daß ein solches abwechselndes Steigen und Fallen in Amerika und selbst in Frankreich wirklich stattfinde. Auf welchen abschüssigen Boden der Sittlichkeit und des Staatslebens der sich selbst überlassene Demokratismus die Amerikaner geführt, das brauchen wir nicht mehr aus dem Buche des Herrn v. Tocqueville, der allerdings das Verdienst hat, zuerst auf jene Erscheinung hingewiesen zu haben, sondern können wir täglich aus den Berichten ausgewanderter Europäer, wie der amerikanischen Zeitungen selbst, entnehmen. In Frankreich aber ist das in zweiter Auflage versuchte Napoleonische Unterdrückungssystem nicht blos, wie es sich selbst immer zu apologisiren pflegt, nicht gegen die in den französischen Köpfen spukenden Gleichheits-Ideen gerichtet, sondern wirkt vielmehr, wie jede gegen ein natürliches Bestreben sich richtende Spannkraft, dahin, daß in dem unvermeidlichen Augenblicke, wo die legtere ermattet, eine um so stärkere Reaction der für die Gesellschaft verderblichen Ideen einer widernatürlichen Gleichheit und der keinerlei Gesez achtenden Freiheit eintritt.

دو

Man muß in dem Buche des Herrn v. Tocqueville über das ancien régime” nachlesen, wie die Revolution von 1789 das nothwendige Ergebniß des Mangels an Staatsweisheit bei den Königen von Frankreich, des Mangels an Humanität und an Volkssympathie bei den mächtigen, aber ihre Macht nicht auf festen Grundlagen stüßenden Familien des Landes und endlich des Mangels an politischer Erziehung und Bildung bei dem dritten Stande war, um sofort die Ueberzeugung zu gewinnen, daß die überspannten Ideen von Freiheit und Gleichheit, wie sie dort durch die Revolution erzeugt wurden, durch die Staats- und soziale Geschichte Frankreichs seit der Revolution nur noch genährt und in immer weiteren Kreisen verbreitet werden mußten. Wer vielleicht, wie Friedrich v. Gagern, die Zustände Englands denen Frankreichs, um sich selbst zu beruhigen, gegenüberstellt, der vergißt, daß in England ganz andere Regierungsprinzipien auf dem Throne, eine von der französischen gänzlich verschiedene Aristokratie im Lande und endlich eine durch das self-government geförderte, große politische Bildung des dritten Standes stets geherrscht haben. In Frankreich", sagt Tocqueville,,,haben die Fürsten (jezt wie früher) nie etwas Anderes gewollt, als: Herren werden oder bleiben. Ungerechtigkeiten oder Fehler brachten die Autorität, der man keinen Widerstand leistete, um ihren Nimbus. Ja, das Beispiel der Regierung wirkte in Frankreich oft nur zu verderblich: es that der Ansicht Vorschub, daß die Politik mit der Gerechtigkeit nichts gemein habe eine Ansicht, die sich nur zu leicht unter den Menschen fest. seht... Die gedrückten, gereizten, verstimmten Gemüther sehnten sich von Tag zu Tag mehr nach einer gewissen Befreiung, von der das alte Rom, England, die Schweiz und zulezt Amerika eine dunkle Vorstellung gaben. Was zuerst nur als eine Phantasie erschienen war, schien bald möglich und später sogar leicht. Die Gewalt, mehr verachtet als gehaßt, und mehr gehaßt als gefürchtet, ward nicht mehr als unbezwinglich angesehen. Die öffentliche Meinung fühlte sich stark geworden, während die Schwäche ihrer Gegner wuchs, und über die Civilisation, von der man in der Hauptstadt sich umgeben fah, achtete man die Gefahren nicht, die der Gesellschaft durch jede gewaltfame Umwälzung drohen."

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man je auf Erden ein Volk so reich an Kontrasten, so leicht von einem Extrem zum anderen getrieben, so oft durch augenblickliche Eindrücke, so selten durch feste Grundsäge geleitet, so daß es bei allen feinen Handlungen stets sich schlimmer oder besser bewährte, als man vermuthet? Bald unter dem allgemeinen Niveau der Menschheit, dann wieder hoch über demselben stehend; ein Volk, das in seinen Grundzügen so unveränderlich blieb, daß man es noch aus Schilderungen wieder erkennt, die zwei Jahrtausendé alt sind, und zugleich so beweglich in seinen täglichen Gesinnungen und Gedanken, daß es manchmal sich selbst zu einem unerwarteten Schauspiel wird und, was es eben gethan, mit demselben Staunen betrachtet, wie das Ausland; ein Volk, das an seinem Zwecke und seinen Gewohnheiten mehr als alle anderen hängt, so lange man es sich selbst überläßt, und das, sobald man es seiner Heimat und diesen Gewohnheiten unfreiwillig entrissen hat, his an's Ende der Welt vorzubringen und Alles zu wagen vermag; seinem Temperament nach ungern gehorchend, jedoch der willkürlichen und sogar tyrannischen Herrschaft eines Fürsten lieber sich fügend, als der regelmäßigen und freien Regierung seiner angesehensten Bürger; heute ein geschworner Feind alles Gehorfams, morgen entflammt von einer Art von Leidenschaft, zu dienen, die auch von den für die Knechtschaft begabtesten Nationen nicht erreicht wird; an einem Fädchen geführt, so lange Niemand widerstrebt, unregierbar, sobald das Beispiel des Widerstandes irgendwo gegeben ist; seine Herren auf solche Weise immer täuschend, die es entweder zu sehr oder zu wenig fürchten; niemals in dem Maße frei, daß man es aufgeben müßte, es zu knechten, und nie in dem Grade geknechtet, daß es nicht seine Fesseln noch sprengen könnte; für Alles begabt, aber nur im Kriege ausgezeichnet; dem Zufall, der Gewalt, dem Erfolg, dem Glanz und Geräusch mehr, als dem wahren Ruhm leidenschaftlich ergeben; mehr mit Heldenmuth als mit Tugend, mehr mit Genie als mit gesundem Menschenverstand begabt; eher geeignet, ungeheure Pläne zu entwerfen, als große Unternehmungen nach allen Seiten hin auszuführen; die glänzendste und gefährlichste Nation Europa's, bestimmt, allen übrigen abwechselnd ein Gegenstand der Bewunderung, des Haffes, des Mitleids, des Schreckens, aber nie der Gleichgültigkeit zu werden.“

Der Roman und das Theater der Gegenwart.

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(Schluß.)

Was Herr Weiß, auf die Theater-Literatur zu sprechen kom mend, in Bezug auf Scribe sagt, wird unseren Lesern ebenfalls ein Beweis sein, daß Jener ein ebenso gründlicher, wie humaner Kritiker ist. „Nachdem man das Buch zu Ende gelesen, wird man gewahr, daß Scribe mit vier Zeilen abgethan ist. Heißt das ein Urtheil über das gegenwärtige Theater und seinen Einfluß auf die Sitten geben? Scribe ist heutzutage freilich sehr fraglich. Er kommt aus der Mode in einer Generation, in welcher Stücke, wie die Ehe im Himmel", die falschen Gutmüthigen", der Schwiegersohn des Herrn Poirier" und alle die rücksichtslosen Lebensbilder, welche man die starke Komödie nennt, keinen Anklang mehr finden. Er kommt aus der Mode, und das ist um so besser für ihn. Die Welt, deren liebenswürdiger Dolmetscher er gewesen, vergeht. Sie ist eine Gesellschaft anständiger Leute, in der man mitunter auf sehr sanften und sehr gefährlichen Abhängen ausgleitet - und welcher Mensch kann sich rühmen, nie auszugleiten! aber in der man das tiefe Versinken in den Schmuh nicht kennt. Der Sinn für den Anstand, die Feinheit, der gute Geschmack, die echt französische Gabe, Alles oberflächlich zu berühren, ohne auf den Grund zu gehen, machten ihn ebenso liebenswürdig wie er rechtschaffen war. Das Verlangen, zu gefallen, die frivolen Scherze, ein Bischen Intrigue, der man nicht gram sein konnte, erhöhten den Reiz und gaben der dezenten Anmuth das Pikante, was sie davor bewahrte, langweilig zu sein. Die Gottlosigkeit war freilich nicht geächtet, aber nur insoweit, als sie nöthig war, um Abwechselung in die Monotonie einer ganz unschuldigen Welt zu bringen; sie machte sich nie breit; sie überschritt nie die ihr durch ein gewisses Anstandsgefühl angewiesenen Schranken. Wenn das Schauspiel der Leidenschaften hier amüsirte, ohne zu verlegen, so kam dies eben daher, daß sie sich innerhalb der Schranken hielten, jenseits deren die Leidenschaft Laster wird. Man konnte diesem Schauspiel vorwerfen, daß es durch allzu große Anmuth verweichliche, aber nicht, daß es verderbe. Und wie richtig waren hier immer die Menschen aufgefaßt, weder Engel, noch Thier! Und die hier vorgeführte Welt war nicht blos eine erdichtete; sie hat auch außer balb des Theaters existirt; sie ist während einer nur zu kurzen Zeit ein beträchtliches Stück der französischep Gesellschaft gewesen. Und es ist noch nicht jede Spur von ihr verschwunden; wenn man sich die Mühe giebt, sie zu suchen, kann man sie immer noch hier und dort in kleineren Kreisen finden. Man stelle sich eine Bourgeoisie vor,

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die sich zu weltlichem Glanz emporgehoben hat, ohne die alte Ge müthlichkeit verloren zu haben, das Comtoir, welches noch nicht reich genug oder noch nicht thöricht genug ist, zu vergessen, daß es eine Boutique gewesen, das Leben in der Arbeit, dem die Erholungen und die Vergnügungen nicht fehlen, feine Salons, in denen noch ein heiterer Humor herrscht, so hat man die zugleich sehr einfachen und sehr verfeinerten Sitten, welche Scribe geschildert hat. Die mittlere Gesellschaftsschicht, aus welcher er dreißig Jahre lang seine Hauptcharaktere genommen hat, hatte ihre besonderen leicht zu erkennenden Züge in dem Ganzen der Gesellschaft.

,,Man kann wohl sagen, daß kein Dichter sich so in seine Mitwelt eingelebt hat, wie Scribe. Aber das geht Herrn Poitou nichts an; ihm ist Scribe in der Geschichte unseres Theaters eine unwesentliche Erscheinung, die man mit ein paar Worten abthun kann. Die Dramen des Herrn Dugué allein find ihm Alles."

In Bezug auf das volksthümliche Vaudeville, in welchem Herr Poitou nur eine Schule der Depravation sieht, sagt Herr Weiß unter Anderem Folgendes:

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,,Hier (nämlich auf den Galerieen in den Theatern des Boulevarð) oder nirgends kamen in der Februar- Revolution, kamen in der Zeit kurz vor 1848 diejenigen zusammen, die später eine Rolle in dieser Revolution spielten. Ich würde lügen, wenn ich sagte, daß die Stücke, in denen Nachtwächter abgeprügelt wurden, eine schlechte Aufnahme gefunden hätten. Aber ich habe es seitdem oft bewundert, welche jämmerliche Verse den Enthusiasmus meiner damaligen Nachbarn erregten, sobald darin Moral gepredigt, Sparkasse und Respekt vor dem Meister empfohlen, die Gefahren des Wirthshauslebens angedeutet wurden. Man denke an den Erfolg, den die Tirelire" und die ,,Enfants du Délire" beim Volke gehabt, an die Stücke von Achard und Bouffé, an denen zehn Jahre hindurch alle Klaffen der Pariser Bevölkerung sich ergößt haben. Wo lag in diesen Stücken das Gefährliche? Der Direktor des Theaters: ,,Lt Folies" ist vor kurzem als ein Millionär gestorben: er hat seine Million damit erworben, daß er den wenig Bemittelten zu einem billigen Preise die Moral dargeboten. Unter Ludwig Philipp zahlte er den Brüdern Coignard in jedem Jahr 12,000 Francs dafür, daß fie ihm Gesundheitsregeln und Lehren über den Umgang mit Menschen zu Vaudevilles verarbeiteten. Und wer kann in Abrede stellen, daß diese Stücke, die in den Augen des Kunstkritikers ohne allen Werth find, die aber ein moralisirender Historiker nicht unbeachtet laffen darf, dem Volke Mäßigung und gesunden Verstand für die Tage der Krisis beigebracht haben? Man hat im Jahre 1848, am Abende des 16. April dreitausend bis viertausend Nationalgardisten in Lumpen durch die Straße Saint-Jacques ziehen sehen, die einstimmig fortwährend ge rufen: Es lebe das Eigenthum!" War dieses Volk so roth von Neid? Und war die Literatur, die es gebildet hatte, ein so gefähr liches Gift?"

,,Es ist wahr: in den auf 1830 folgenden zwanzig Jahren ist eine Menge leidenschaftlicher und verworrener Werke zutage gefördert worden. Ihre Zufluchtsstätte ist mehr das Feuilleton als das Theater gewesen. Hier wurden Schauderscenen vorgeführt; da stellte eine Reihenfolge häßlicher Charaktere ihre Laster zur Schau; dort suche Einer den Anderen durch ungeheuerliche Geschöpfe der Phantasie zu überbieten. Aber diese Arbeiten sind zunächst nicht ein Zeugniß für die Verkehrtheit der moralischen Gesinnung, sondern für die Verdorbenheit des Geschmackes. Mögen später ihnen die schlechen Leidenschaften eine Stüße geboten haben; im Anfange haben sie in den schlechten Theorieen der Schriftsteller ihre Quelle gehabt. Die Phantasiegebilde der Romantiker haben den ersten Anstoß gegeben. Victor Hugo hatte, in seinen Dramen und in feinen Romanen, sein Gehirn angestrengt Riesen und Ungeheuer zu gebären, nur um Boileau entgegenzutreten. Alles wurde von nun an riesig und ungeheuerlich, die geschichtlichen Charaktere wie die der skandinavischen Mythologie, die alltäglichen Leidenschaften wie die ausnahmsweise vorkommenden Verbrechen, durch welche die Borgia's die Welt in Staunen gefeßt. Herr Poitou hat diese Entwickelung nicht unbeachtet gelassen; aber er hat ihr nicht die Kritik zu Theil werden lassen, welche sie verdient. Von dem Moment an, wo sich eine Schule organisirt hatte, welcher das Einfache, das Natürliche, das Bestimmte, das Maßvolle falsch und häßlich zu sein schien, mußte man darauf gefaßt sein, daß diese Schule durch das Bedürfniß, zu erfinden, unaufhaltsam zu immer maßloseren PhantasieSchöpfungen fortgerissen werden würde. Eine Menge Schriftsteller, die weder den romantischen Sinn, noch den romantischen Styl hatten, haben sich mit fortreißen lassen. Die Leser, des Schrecklichen fatt, verlangten von ihnen noch Schrecklicheres. Nachdem die Schriftsteller den Geschmack des Publikums verdorben, wurden jene durch dieses verdorben. Aber selbst diese Literatur, ist sie nur und immer verEs wäre stark, wollte man dies behaupten. Selbst in den Romanen von Frédéric Soulié kommen genug Episoden vor, die das Interesse ehrbarer Leute zu erregen und ernste Gedanken in ihnen

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hervorzurufen geeignet sind. Dieser Literatur gegenüber, die aus einer fieberhaften Ueberreizung der Geister und aus einer bei Vielen nur affektirten Art von Verrücktheit hervorgegangen ist, hätte man es Herrn Poitou gern verziehen, wenn er keine Schonung beobachtet hätte; nur hätte er diese Literatur erst gehörig abgränzen müssen. Aber wie kommt er dazu, Madame Sand, welche fündhafte Leidenschaften auf ideale Höhen emporgehoben, und Balzac, dessen finstere Einbildungskraft selbst noch unsere Laster verleumdet hat, in eine Kategorie zu bringen? Wie kann er diesen beiden dieselbe Art beklagenswerthen Einflusses auf die Sitten zuschreiben, da sie doch in der Natur ihres Geistes, in ihren Bestrebungen, in ihren Ansichten und in ihren Vorurtheilen so sehr verschieden von einander sind? Madame Sand hat darin Unrecht, daß sie sich die menschliche Natur besser denkt, als sie ist und als sie sein kann. Sie hat die stolze Lebensregel aufgestellt: „Handle so, als wenn du immer auf die Gerechtigkeit der öffentlichen Meinung rechnetest; das ist die einzige Klugheit, die ich dir anrathe". Das Vertrauen erscheint ihr so schön und so nöthig für eine edle Seele, es ist ihr eine so wesentliche Bedingung aller Tugend, daß sie, um die schöne Erzählung vom Geheimsecretair zu schaffen, nur von solchen Lehren durchdrungen zu sein braucht. Dieser Saint-Julien, der dafür gestraft wird, daß er gezweifelt hat, der leichteste, der gerechteste Argwohn als eine erniedrigende Schwäche dargestellt es ist das gewiß nicht das Meister werk der Madame Sand; aber es ist einer von den Gedanken, die ihren Geist und den allgemeinen Charakter ihrer Werke am besten charakterisiren. Balzac's ganze Weisheit, seine ganze von der Welt so sehr gepriesene Erfahrung läßt sich in die zwei Worte zusammenfassen: „Man muß lernen, Mißtrauen zu haben“. Ihm ist die Welt eine große Gaunergesellschaft. Wenn man ihn gelesen, ist man in Versuchung, in denen, die uns umgeben, Feinde von vollendeter Schlechtigkeit und in den gewöhnlichsten Vorgängen um uns her eine Reihe von liftigen, mit der raffinirtesten Verstellungskunst angelegten Nachstellungen zu argwöhnen. Balzac hat sich außerdem nicht darauf beschränkt, bloße Streifzüge in die Welt der Sträflinge und der Freudenmädchen zu machen. Er gefällt sich nur in dieser Welt, er macht sich in ihr heimisch und will aus ihr nicht mehr heraus. Die meisten seiner Charaktere sind mit Lastern behaftet, die auf die Galeere bringen. Was kann häßlicher sein, als dieser Haufe, den Balzac schildert? Und was kann uns mehr ansprechen, als dieses Volk, wie Madame Sand es in einigen ihrer Helden darstellt? Ich untersuche hier nicht, wer mit seinen Schilderungen Recht hat, ob Madame Sand oder Balzac. Aber ich frage noch einmal, ob man demselben Einfluß auf die moralische und politische Gesinnung des französischen Volkes zuschreiben darf — dem Romantiker, der zuleht die,, Paysans" verfaßt, und der Schriftstellerin, welche in den unbemittelten Klassen nie etwas Anderes gesehen, als Selbstverleugnung und Aufrichtigkeit, welche dieselben in ihren verzweiflungsvollsten Lagen noch voll Hingebung schildert, welche dieselben in Gestalten, wie Lelio, Geneviève, Fadette, Jean der Zimmermann, Marcasse, Patience - so voll von Anmuth und von Kraft, daß man sie nie wieder vergißt verkörpert hat? Balzac war ein Mann des alten Regime; wenigstens wollte er ein solcher sein; er konnte die Herzoginnen ebenso wenig entbehren, wie die Sträflinge. Ich weiß nicht, wie oft er Elegieen zu Ehren der Lettres de cachet und der Bastille zusammengestoppelt hat. Er hat sein ganzes Leben hindurch Anspruch darauf gemacht, eine Säule der erschütterten Kirche zu sein. Madame Sand erfindet fast in jedem neuen Werke eine neue Religion oder eine neue Form der Republik".

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Die Schlußbetrachtung der Kritik, aus der wir alles Wesentliche vollständig mitgetheilt haben, lautet folgendermaßen:

,,Ich weiß wohl, daß ich, indem ich gezeigt habe, wie Herr Poitou aus tendenziösen Beweggründen einen beträchtlichen Theil unferer Literatur bei Seite gelassen, ihn in seiner Festung nicht angegriffen habe. Es sind Bücher vorhanden, auf die er mit Recht hinweisen kann, wenn er beweisen will, daß das Theater und der Roman der Gegenwart die Familie und das Eigenthum angreifen, das Band der Ehe lockern, die verirrten Schafe preisen, ohne sich die Mühe zu geben, sie in den Stall zurückzuführen, den Armen gegen den Reichen heßen, sich darin gefallen, den Ueberdruß am Leben und den Haß gegen die bestehende soziale Ordnung zu verbreiten. In diesen Büchern find moralische und ökonomische Theorieen enthalten, die um so weniger zu entschuldigen find, weil sie eine große Frivolität offenbaren in Dingen, wo Alles ernst ist. Aber manche Stellen, die Herr Poitou mit Leidenschaftlichkeit dem öffentlichen Unwillen preisgiebt, sind von der Art, daß man sich gedrungen fühlen müßte, die mildernden Umstände hervorzuheben, besonders wenn man sie erst in dem Zusammenhange, aus dem sie herausgenommen sind, vor Augen hätte. Andere Stellen, die er anführt, find selbst in ihrer Heftigkeit nur der gerechte Ausdruck sittlicher Gefühle, die nur zu oft mit Füßen getreten worden sind. Ist die Ehe in der Welt nie ein

Handelsgeschäft? Ist der Reichthum immer ein Gefährte der Güte und der Gerechtigkeit? Sieht man nirgends mit Niedrigkeit ver führte und mit noch größerer Niederträchtigkeit verlassene Mädchen? Giebt es nicht in den großen Städten für die Frauen, die von der Arbeit ihrer Hände leben, bei dem ungenügenden Lohn, zahllose Versuchungen? Sind die Mächtigen immer so rücksichtsvoll, den edlen Stolz der Niedrigen zu schonen? Ist es so selten, daß die rechtschaffenen Seelen verkannt und die guten Herzen gerade da, wo sie allen Trost erwarten müßten, zurückgestoßen werden? - Was für schmerzliche Probleme! Herr Poitou scheint sie kaum zu kennen; wenn er sie berührt, thut er es in einer Weise, die dem Moralisten schlecht ansteht. Er bringt das Eisen und das Feuer auf unsere Wunden, welche den Balsam verlangen; er brennt, er schneidet, er drückt. Kennt er auch nur unsere Leiden? - Ach, nein! Er glaubt nicht einmal, daß wir Resignation nöthig haben; er vergißt bei so vielen Schmähworten und Ausdrücken des Zornes und des Abscheues das zu sagen, was zu sagen allein vernünftig wäre, daß es nichts hilft in den Nöthen und Aengsten, zu schreien und sich wider das Unabänderliche zu empören, und daß es die erste Weisheit in dieser Welt ist, leiden zu können. Ich kann, ohne den mir hier vergönnten Naum zu überschreiten, Herrn Poitou auf dem Boden, auf welchen er sich gestellt, nicht weiter folgen. Aber ich habe meinen Lesern wenigstens andeuten wollen, daß es leichter wäre, als er glaubt, ihn auch auf diesem Boden zu bekämpfen“.

Algerien.

Das Lyceum in Algier.

Bei der vorjährigen öffentlichen Preisvertheilung in der genannten. Anstalt hielt der interimistische Direktor Boissier an die Schüler eine Anrede, die, wenn sie auch nichts pädagogisch Neues oder Interessantes enthält, doch wegen des Ortes, an dem sie gehalten wurde, auch in Deutschland gern gelesen werden wird.

Mit Anspielung auf eine vorangegangene Ansprache begann er also:,,Mit Vergnügen, meine lieben Zöglinge, schließe ich mich dem Ausdruck der Befriedigung, den liebevollen Rathschlägen, der edlen Sprache an, die Sie soeben vernommen haben. Sie werden es aber, wenn Sie auf mich hören, nicht bei dem bloßen Beifall bewenden lassen, sondern sich entschließen, sie in That zu verwandeln. Wohl find Ihre Lehrer mit Ihnen zufrieden; wohl geben alle Berichte freudig wiederhole ich's in Gegenwart Ihrer Angehörigen Zeugniß von Ihren Fortschritten im Allgemeinen, und doch würde es nicht zu Ihrem Vortheil ausschlagen, wenn Sie sich über das täuschten, was Ihnen noch fehlt, und Sie werden mir's Dank wissen, daß ich es Ihnen ohne Rückhalt sage.

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,,Es sei fern, Ihren gebührenden Antheil an dem Ruhme, Ihre Freude an den jeßt bald zu verkündenden Triumphen verkümmern zu wollen. Nein, diese Triumphe sind verdient, diese Freude ist eine berechtigte. Im ganzen Laufe dieses Jahres haben Sie eine hingebende Pflichtentreue bewiesen, Sie haben begriffen, daß die Arbeit nüglich, daß pünktlicher Gehorsam gegen die Regel ebenso angemessen wie nothwendig ist. Es ist der beste Beweis Ihres guten Willens und das schönste Lob in der fast unsichtbaren und doch überall gegenwärtigen Leitung unserer Anstalt, daß sie dem Anschein nach ganz allein, gleich einem aufgezogenen Uhrwerk, geht: so fest die Ordnung darin gegründet ist, so leicht wird die Regel darin beobachtet.

Ich habe Ihnen aber versprochen, mit rückhaltsloser Freimüthigkeit zu sprechen: Sie müssen also mehr thun, Sie müssen es besser machen. Sie find an Gemüth und Geist glücklich genug begabt, um Ihr Auge auf ein ferneres, auf ein höheres Ziel zu richten. Das sage ich nicht, um Ihnen zu schmeicheln; im Gegentheil, es liegt darin mehr ein. Tadel, als ein Lob; ich sage damit: Sie brauchen nur zu wollen, um Ihre Pläge in den ersten Reihen einzunehmen. Von dem Tage an, wo Sie mit Festigkeit sagen werden: „Ich will!“ haben Sie das Schwierigste vollbracht. Dieser feste Wille wird sich bekunden in nachhaltigem Lerneifer, in verdoppelter Aufmerksamkeit vor den Lehrstühlen, in der größeren Sorgfalt der gewöhnlichen Schularbeiten, in der ge= feilteren Abfassung der stylistischen Aufgaben. Durch fleißige und gewählte, mit gespanntem und anhaltendem Selbstdenken verbundene Privatlektüre der Meisterwerke in jedem Fache werden Sie die Lectionen vervollständigen, die ihrer Natur nach beschränkt sein müssen und Ihnen nur den Weg zeigen können; ihn zu gehen, ist Ihre Sache, nnd um ihn mit Auszeichnung zurückzulegen, benußen Sie die Kräfte und Gaben, die alle Ihre Lehrer in Ihnen anerkennen.

,,Entschuldigen Sie nicht, wie soll ich sagen, eine gewisse schmachtende, weichliche Abspannung mit der Schönheit unseres Himmels, mit der Lieblichkeit unserer Natur-Umgebung, mit den übertriebenen Gluthen der afrikanischen Sonne. Haben diese Sonnengluthen unseren tapferen Marschall) mit seinen braven Soldaten abgehalten, im vollen Juli, *) Randon, Generals Gouverneur von Algerien, der bei der Feier zus gegen war.

in demselben Monat, der Sie frönt, noch ganz andere schroffe Abhänge, noch ganz andere steile Höhen zu erklimmen, als diejenigen Höhen und Halden, die wir Ihnen zu übersteigen zumuthen? Gegen über solchen Schwierigkeiten, so mühevoll und so glorreich überwunden, würde es sich schlecht schicken, von Schwierigkeiten zu reden, die Sie zu überwinden haben. Sie wandeln vielmehr um der Sprache der Musen, an deren Brüsten Sie trinken, ein Bild zu entlehnen über die sanftesten Abhänge, durch frische und lachende Thäler, durch das Grün und die Blumen der Fluren.

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„Erschlaffen Sie also nimmer unter eitlen Vorwänden, so lange Sie auf diesen Bänken sigen. Die Schuld des Nachlaffens im Arbeiten auf einen Wärmegrad schieben, ist kindisch. Eine solche Geringfügigkeit schreckt den Muth, wie Sie gesehen haben, nicht zurück. Vereinigen Sie mit der Lernbegier die Kraft, Energie und Entschieden heit mit der Liebenswürdigkeit des Charakters, mit dem Mutterwig das erworbene Wissen, mit den löblichen von uns allen anerkannten Anlagen, Festigkeit, Eifer, unbeugsamen Ehrtrieb, die allein zu den geistanstrengenden Studien befähigen, die der Minister, der Sie beobachtet, in einer seiner lezten amtlichen Zuschriften uns an's Herz legt, bei Ihnen zu fördern.

,,Mit der lebhaften Anregung Ihres Alters werden Sie diesem Ruf höheren Ortes entsprechen. Sie werden darauf halten, sich in jedem Betracht der allgemeinen Gunst, deren Sie sich erfreuen, würdig zu erweisen und die Hoffnungen, die von so vielen Seiten auf Sie gestellt werden, zu rechtfertigen....."

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Mannigfaltiges.

Naturwissenschaft und Philosophie. In einer geist reichen Kritik materialistischer und spiritualistischer Schriften (Nr. 12 der,,Blätter für literarische Unterhaltung") sagt Herr Dr. Karl Fortlage:,,Naturwissenschaft ohne Philosophie gleicht einem feuchten und dumpfen Anger, welcher zwar wohl bewäffert ist, aber so in Thalschluchten versenkt liegt, daß das Sonnenlicht nur kurze Zeit des Tages und spärlich zu ihm dringen kann. Er treibt zwar eine Grasfülle von überreichen Säften, aber der Genuß des Grafes ist der weidenden Heerde ungesund. Seine Bäume und Sträucher tragen saftreiche Früchte, aber es mangelt ihnen der Reiz des Duftes und das Feuer des Geschmackes. Damit soll den Naturforschern nicht zugemuthet werden, sich bis in die Gluten der reinen Speculation hinaufzubegeben, wo die Juli-Sonne des sich selbst denkenden Gedankens jeden keimenden Halm verdorrt; sondern es giebt zwischen beiden Ertremen eine große Menge von Mittelstellungen. Und in ihnen eben liegt die Gesundheit und das fröhliche Gedeihen“.

Englisches Buchhändlerblatt. Im vorigen Monat ist in London die erste Nummer einer neuen Monatsschrift ausgegeben worden, die für England das werden soll, was das in seiner Art musterhafte Leipziger Buchhändler-Börsenblatt für Deutschland ist. Das neue Organ des englischen Buchhandels heißt:,,The Bookseller: A Handbook of British and Foreign Literature". Wie das Leipziger Blatt, bringt das englische zunächst buchhändlerische Inserate in Bezug auf druckfertige Bücher, Tausch-Anerbieten von Verlags-Artikeln, wie sie im englischen Buchhandel vorzukommen pflegen, Anfragen zc, worauf ein übersichtliches, mit Bemerkungen über den Jn halt ausgestattetes Verzeichniß der im abgelaufenen Monat erschienenen Bücher folgt und literarische Notizen sich anschließen. Unter lehteren findet sich Nachstehendes: Als der Buchhändler Murray im vorigen Jahre als Reisender auf dem Verdeck eines Mittelländischen Dampfschiffes sich befand, knüpfte er dort zufällig eine Unterhaltung mit einem anderen Passagier an, der ihm erzählte, daß er eben aus Afrika zurückkehre und in England einen Bericht über seine Reise herauszugeben denke. Herr Murray fand die Mittheilungen, die ihm der Reisende über Afrika machte, so anziehend und unterhaltend, daß er ihm sofort das Anerbieten machte, sein Buch verlegen zu wollen, und ihm auch sogleich ein Honorar von 2000 Guineen (14,000 Thlr.) dafür bot. Der Reisende (bis dahin ein in der literarischen Welt unbekannter Name) nahm dankbar überrascht das Anerbieten an, und der Erfala feines Werkes hat bewiesen, daß der erfahrene Verleger feine Leute richtig zu beurtheilen versteht. Es war Livingstone, dem er das Anerbieten gemacht, und nach dem außerordentlichen Beifall und Absaß, den das afrikanische Reisewerk gefunden, hat der liberale Buchhändler dem Autor auch noch eine ansehnliche Nachzahlung bewilligt.

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Der öffentliche Unterricht im Orient. In einem Hirtenbriefe äußert sich darüber der Erzbischof Cyrillus, ökumenischer

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Patriarch von Konstantinopel, wie folgt:,,Die große Kirche kann nur von hoher Freude und Luft erfüllt sein, wenn sie sieht, daß ihre rechtgläubigen Kinder, die frommen Christen, überall dem Unterricht ihre wärmste Theilnahme zuwenden; daß sie hellenische Schulen, Schulen des gegenseitigen Unterrichts und Mädchenschulen gründen, die sie mit ungeheuren Kosten unterhalten, in die sie ihre geliebten Kinder eifrig schicken und sie aufmuntern, hier das füße Waffer einer versittlichenden Belehrung und einer tugendhaften Aufführung zu schöpfen; daß sie endlich alle zu der vollkommenen Einsicht gekommen, daß ohne Unterricht kein Gewinn sich verwirklichen lasse, weder für den Leib, noch für die Seele. noch für die Seele. Wenn aber andererseits die große Kirche sicht, daß der Eifer für den Unterricht aus Mangel an Kenntniß und Einsicht keine oder nur unbedeutende Ergebnisse erzeugt, daß aus ihm sehr oft Verderbniß und Ruin der Sittlichkeit hervorgehen: so beklagt sie ein so unheilvolles Resultat um so bitterer, als die Ursache nicht auf den Willen der Aeltern zurückzuführen ist denn sie alle wünschen, daß ihre Kinder besser werden und sich gut betragen, sondern auf die Unerfahrenheit und Unwiffenheit vieler Personen, die nicht wissen und nicht wiffen können, was zu einem Lehrer gehört. Daher kommt es, daß die unschuldige Jugend im Kindheitsalter gottlosen, sittlichverderbten, marktschreierischen Lehrern anvertraut wird, und weit entfernt, Lehren der Tugend und Frömmigkeit zu empfangen, kann sie von ihnen nur Schlechtigkeit und Unsittlichkeit lernen. Die Wahl eines Lehrers fordert deshalb große und ernste Aufmerksamkeit. Die Personen, denen man die Aufgabe anvertraut, die Jugend zu bilden, müssen tugendhafte, weise und fromme Männer, vor Allem aber Männer sein, die aufs sorgfältigste darauf sehen, die Dogmen der rechtgläubigen Kirche unverlegt zu erhalten und zu lehren. Solchen Lehrern anvertraut, werden die Kinder ohne Zweifel in Tugend und Wissen fortschreiten“.....

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Aus diesem Stand der Dinge zieht nun der Patriarch den nothwendigen Schluß, daß die Lehrer der Jugend durch die Bischöfe ge wählt werden müssen, und verordnet, daß die Schul-Vorstände in gleicher Weise aus den unparteiischen, tugendhaften, redlichen und, wo möglich, gut unterrichteten Männern gebildet", unter der obersten Ueberwachung der großen Kirche und übereinstimmend mit den Wünschen der Aeltern ihr Amt zu verwalten haben.

"Gedanken eines Laien über den indischen Aufstand") heißt eine jüngst erschienene englische Flugschrift, welche die Literary Gazette gegen das hohle und unverständige Geschrei in den Meetings, das in der englischen Presse seinen Wiederhall findet, als Antidot angelegentlichst empfiehlt. Nichts ist leichter", sagt der Verfasser unter Anderem,,,als auf der Kanzel oder der Rednerbühne durch den allgemein hingestellten Sag: es müßten alle thunliche Mittel in Bewegung gefeßt werden, die 200 Millionen wilder Heiden zum Christenthum zu bekehren, die Zustimmung und den Beifall der Zuhörer hervorzurufen. Gehen wir aber an die Untersuchung der thunlichen Mittel, so stoßen wir auf ernste Schwierigkeiten, die zunächst und hauptsächlich aus unserem eigenen religiösen Zwiespalt entspringen. Ueber den rechten Sing der Ausdrücke:,,Christenthum und Bekehrung", sind wir selbst leider unter uns himmelweit von einander verschieden. Wie sollen Männer, die gegenseitig Einer des Anderen Evangelium als unecht verdächtigen, zur Ausführung eines gemeinschaftlichen BekehrungsPlanes einander die Hand bieten?.... Gefeßt, der Staat übernähme die Aufgabe oder die Bürgschaft des Bekehrungswerkes welches Bekenntniß soll er lehren? Das hochkirchliche? das wesleyanische? das unitarische?........ Bei der bisherigen Regierung Indiens kamen, wie bei jeder Regierung, Mißgriffe vor; sie waren aber nicht die Ur sache des Aufstandes..... Unsere künftige Politik muß wesentlich dieselbe bleiben; nur muß eine ausreichende Anzahl britischer Truppen durch das ganze Land in festen Plägen garnisonirt werden, um die Eingebornen in Zaum zu halten; der Vernachlässigung dieser Vorsicht ist die neuliche Katastrophe zuzuschreiben..... Die Verbreitung des Christenthums muß nach wie vor der freien Thätigkeit der Missionen und der Einzelnen, die sich dazu berufen fühlen, überlaffen bleiben. Nicht physische Gewalt, sondern der Handel und die veredelnde Civilisation müssen, wie bisher, die Vorläufer und die Organe bleiben, durch welche das Evangelium über den Wahnglauben seinen Sieg vollendet."

*) Lay Thoughts on the Indian Rebellion.

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Frankreich.

Haben auf der Erde auch schon vor der leßten geologischen

Epoche Menschen gelebt?*)

Diese Frage ist schon oft gestellt und bisher immer mit Nein beantwortet worden. Es sind Thatsachen und Gründe dafür angeführt worden, daß die Menschen nie mit anderen Thieren zu leben und zu kämpfen gehabt, als mit denjenigen, welche heutzutage die Länder, die Gewäffer und die Atmosphäre bevölkern. Es ist in der That sicher, daß in den tieferen Erdschichten Menschenknochen nicht gefunden worden sind, oder wenigstens sind Auffindungen dieser Art sehr selten und gewöhnlich unsicher und zweifelhaft gewesen. Die Theorie ihrerseits hat gegen dieses Ergebniß der Erfahrung keinen Widerspruch zu erheben gehabt; eine gründliche Forschung hat zu der Einsicht geführt, daß die Pflanzen und Thiere, von denen Ueberreste in den unteren Schichten der Erdrinde gefunden worden sind, die also als die älteren angesehen werden müssen, in der Rangordnung der organischen Wesen eine niedrigere Stelle einnehmen, als diejenigen, die in den oberen jüngeren Schichten aufgefunden worden sind. Es konnte also nicht befremdend erscheinen, daß der Mensch, die Krone der organischen Schöpfung, in den früheren geologischen Perioden noch nicht existirt hatte. Jedoch sind tros dieser Uebereinstimmung der Thatsachen mit der Theorie von Zeit zu Zeit Bedenken erhoben worden gegen die Entscheidung, welche dem Menschen jede geologische Eristenz abspricht. Nicht, daß die Theorie dadurch auch nur im mindesten wankend gemacht worden wäre; sie bleibt, was sie früher war. Es steht fest, daß eine Entwickelung des Lebens vom Unvollkommneren zum Vollkommneren stattgefunden und daß der Mensch eine der spätesten Schöpfungen der Erde ist. Aber gewisse Thatsachen, die sich immer wieder aufdrängen, scheinen die Wissenschaft dahin bringen zu wollen, daß sie ihre Entscheidung in Etwas abändere. Wenn man diese Thatsachen gehörig beachtet, so wird man einräumen müssen, daß der Mensch eine ältere Existenz auf der Erde gehabt, als man bisher angenommen, daß er mit den Mastodonten, mit den Elephanten, die Europa bewohnten, mit dem Riesenhirsch, dessen Knochen man noch findet, mit den Bären, deren Gebeine in antediluvianischen Höhlen gefunden werden, zusammen auf der Erde gelebt hat.

Es hat lange gedauert, die Menschheit hat große Fortschritte in allen Wissenschaften machen müssen, bis sie den Ueberresten aus den früheren geologischen Perioden das rechte Interesse zuzuwenden vermocht hat. Zuerst mußten die Mathematiker den Geist mit dem Vertrauen auf das Ergebniß der abstrakten Speculation erfüllen. Wenn Archimedes, Euklides und ihre Nachfolger nicht vorher den vernünftigen Zusammenhang in den Zahl- und Form-Verhältnissen aufgefunden hätten, würde Cuvier nicht den vernünftigen Zusammenhang zwischen den untergegangenen und den gegenwärtig eristirenden Pflanzen- und Thier-Gattungen aufgefunden haben.

Das erste Ergebnis der abstrakten mathematischen Forschungen war die den griechischen Geometern aufgehende Erkenntniß, daß die Erde ein kugelartiger Körper ist. Eratosthenes versuchte schon, die Erde zu messen; er gab ihren Umfang auf 250,000 Stadien, d. i. 45 Millionen Meter, an, wobei er nur um 5 Millionen Meter irrte. In dem Maße, als die Messungsmethoden sich vervollkommneten, kam man der richtigen Bestimmung nahe. Gleichzeitig ergaben sich neue Folgerungen: die Erde war keine Kugel, sondern ein Ellipsoid; diefes Ellipsoid war nicht regelmäßig, sondern in der Aequatorgegend angeschwollen, an den Polen abgeplattet. Diese Gestalt konnte die Erde nur im Zustande einer flüssigen Masse angenommen haben. Die Astronomen haben weiter das Gewicht der Erde bestimmt, sie haben gefunden, daß die Erde im Ganzen sechsmal so schwer ist, wie eine Wafferkugel von gleicher Größe. Es konnte nun nicht mehr angenommen werden, daß die Erde hohl sei; es stand fest: die Dichtigkeit der Erdmasse nimmt mit der Tiefe der Schichten zu.

*) Nach einem von E. Littré verfaßten Artikel der Revue des deux Mondes.

Die Physiker erforschten die Wärme der Erde, sowohl die ihr von ihrem Ursprunge her innewohnende Wärme, als auch die, welche ihr die Sonne bringt; die Ursachen der Erdbeben, das Gleichgewicht der Meere, die elektrischen Strömungen, den Magnetismus, die eisige Kälte der interkosmischen Räume, gegen die wir nur durch unsere dicke Atmosphäre geschüßt find.

Die Chemiker suchten die Eigenschaften der kleinsten Theile der Erdmasse zu erforschen; sie stellten die Anzahl und die Eigenschaften der einfachen Stoffe fest; sie zerseßten, was zusammengefeßt war, verbanden, was getrennt war, zeigten, daß die Stofftheilchen, nie vergehend, nur ihre Erscheinungsform ändern; fie offenbarten die Sympathieen, die Antipathieen und das Zahlenverhältniß, in welchem die Stoffe sich verbinden und sich trennen. Die Erkenntniß, die sie in ihren Laboratorien durch Versuche und Beobachtungen gewonnen, feßte fie in den Stand, die Vorgänge in dem großen Laboratorium der Natur zu verstehen, wo das stets leuchtende und brennende Sonnenfeuer seit Taufenden und Tausenden von Jahren wirksam ist.

Die Biologie fand bald Veranlassung, Folgerungen in Bezug auf die Geschichte der Erde zu machen. auf die Geschichte der Erde zu machen. Mit geübtem Auge die verschiedenen Erdschichten durchmusternd, erkannte sie darin Spuren von Pflanzen- und Thierwelten, welche von den gegenwärtig daseienden verschieden sind. Zu einer gewiffen Tiefe in der Erbrinde gelangend, fand man keine Spuren mehr von organischen Wesen; man erkannte, daß die Erde älter ist als das auf ihr entstandene organische Leben, und weiter, daß die Pflanzen- und Thierwelten von Periode zu Periode andere gewesen sind.

Die positive Geologie warf ein neues Licht auf die Biologie, indem sie die Wechselbeziehung, die zwischen den lebendigen Wesen und ihren äußeren Umgebungen stattfindet, am deutlichsten zeigte. Jede Entdeckung eines neuen Erdtheiles, einer Insel, wie Madagaskar und Neu-Seeland, bereicherte die Botanik und die Zoologie, und es war klar, daß die Erdtheile, die Länder, die Inseln mit ihren besonderen klimatischen Verhältnissen auf die Pflanzen- und Thierwelt eingewirkt hatten. Aber was find große Länder oder ganze Erdtheile im Verhältniß zu der Erdoberfläche, die in den verschiedenen geologischen Perioden ganz anderen Bedingungen unterworfen gewesen?

Was folgt aus dieser Erfahrung über den Einfluß der äußeren Umgebungen auf das organische Leben in Bezug auf den Menschen? Wenn der Mensch schon in der Periode gelebt, wo sich die unter dem gegenwärtigen Erdboden liegende Schicht gebildet, so ist er anderen Bedingungen unterworfen gewesen, als denen, die in der gegenwärtigen Zeit vorhanden sind. Ist der menschliche Typus jener Periode in einer der Raçen, die heute die Erde bewohnen, noch vorhanden? Ift er in den gebildetsten oder in den rohesten Raçen wiederzufinden? – Diese Fragen können nur durch eine gründliche Erforschung der in ziemlich bedeutender Anzahl vorhandenen Spuren einer fosfilen Menschengattung eine Antwort finden.

Es ist bekannt, daß Cuvier in Bezug auf die Affen aus denselben Gründen, wie in Bezug auf die Menschen, angenommen hatte, daß sie den tieferen Erdschichten fehlen, und daß sie erst in der Periode, wo die Menschengattung erscheint, entstanden sind. Aber durch die Auffindung fossiler Affen ist diese Annahme Cuvier's widerlegt. Diese Affen haben nicht blos in Asien und in Amerika gelebt, sondern auch im nördlichen Europa, z. B. in England, woraus hervorgeht, daß die Temperatur in Europa damals höher war als jest.

Man ist jezt, wo es feststeht, daß die Ordnung der Vierhänder in der fosfilen Welt vertreten ist, mehr, als früher, dazu berechtigt, zu suchen, ob nicht auch die Ordnung der Zweihänder sollte vertreten sein.

Man findet in vielen Gegenden Höhlen, welche mitunter recht bedeutende Massen von Thierknochen enthalten. Herr Lund, ein unermüdlicher paläontologischer Forscher, hat in Amerika mehr als achthundert folcher Höhlen untersucht, aber nur in sechs von ihnen hat er Menschenknochen gefunden und nur in Einer Menschenknochen neben Knochen von Thiergattungen, die noch vorhanden sind oder früher existirt haben. Diese freilich vereinzelt dastehende Thatsache veranlaßt

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