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Art Männer wenigstens sehr selten und dann, bei Lichte besehen, oft entweder direkte oder indirekte Deutsche. (Unter Lesteren wollen wir Engländer, Franzosen, Amerikaner u. s. w. von deutscher Abkunft bezeichnen, eine viel zahlreichere Klasse, als man glaubt.)

Ludewig's leßtes Werk umfaßt einen genauen Nachweis der Literatur über beinahe tausend amerikanische Indianer-Sprachen und Dialekte, eine Literatur, die in unzähligen und oft den entlegenften, verborgen ften Winkeln zerstreut und versteckt war, in Büchern aller Nationen, unter denen auch die Deutschen wieder, wenn nicht in der Zahl, so doch in Werth und Wissenschaftlichkeit ihrer Forschungen, eine bedeutende Stellung einnehmen. Wir nennen nur Alexander v. Humboldt, die Reise des Prinzen Maximilian zu Wied, Wullschlägel, Baron A. v. Sack, Schumann, Dr. Scherzer, B. Seemann, R. Schomburgk, Buschmann, Th. Schulz, Erman, M. Sauer u. f. w., vor Allen aber J. S. Vater, deffen ,,Mithridates" (3 Bände, über fünfhundert Sprachen),,,Linguarum totius orbis index”, „Literatur der Grammatiken, Lexika und Wörtersammlungen aller Sprachen der Erde",,,Analekten" u. f. w. ihn zum Stammvater dieses neuen auf blühenden Zweiges vergleichender Sprachwissenschaft stempeln. Wir haben damit blos die bekanntesten Namen Deutschlands in diesem einen Zweige der Sprachwissenschaften genannt. In anderen, von den ältesten bekannten bis zu den neuesten Neger-Sprachen, haben die Deutschen, wenn nicht quantitativ, so doch qualitativ, das Meiste, Beste und Gründlichste geleistet. Doch gehört dies nicht hierher, und wir sagen es nur zur Begründung der Hoffnung, daß deutsche Naturwissenschaft sich auch gründlich und umfaffend auf diesen Zweig ausdehnen werde. Bis jezt sind hauptsächlich nur Vorstudien und Materialien dazu geliefert, nämlich zu der vergleichenden Sprachwissenschaft, welche in der Art, wie verschiedene Völker und Raçen unter verschiedenen Klimaten und Formationen des Bodens und der Lebensweise laut werden und ihre Gedanken u. s. w. phonetisch bilden, nur Ergänzungen der phyfischen Geographie, Ethnologie und Anthropologie, kurz eine Naturwissenschaft erkennt.

Insofern sind diese Ludewigschen Nachweise den Quellen der indianischen Sprachen von großer Bedeutung und Wichtigkeit, und die mit ihm begründete neue, vollständige Ausgabe der Vaterschen Arbeiten, welche seinem Werk folgen soll, darf als das vollständigste Material und Werkzeug für eine solche naturwissenschaftliche Bearbeitung der Sprachen aller Menschheit in Aussicht gestellt werden.

,,Erotische Sprachen“, sagt Ludewig,,,find nicht mehr bloße Objekte der Kuriosität, sondern werden als intereffante Bestandtheile der Menschheitsgeschichte betrachtet. Dadurch bekommen sie ihren Antheil an dem glänzenden Lichte, das moderne kritische Studien über das Gebiet der Naturwissenschaften überhaupt ergießen.

,,Ethnologen verstehen jezt die hohe Wichtigkeit der Sprachen als eines der interessantesten Verbindungsglieder von Völkerverwandtschaften zu würdigen; die Reciprocität zwischen Menschengestaltungen, dem Boden, auf welchem sie leben, und der Sprachen, welche sie reden, wird immer deutlicher erkannt werden, jemehr sich unsere naturwissenschaftlichen Erkenntnisse ausdehnen.

,,Die vergleichende Sprachwissenschaft beruht jezt auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen, und die neuen Bemühungen, endlich ein einheitliches System linguistischer Orthographie zu begründen, werden dieser Wissenschaft neuen Reiz und neue Kräfte verschaffen, wodurch jedenfalls endlich interessante Ergebnisse gewonnen werden. In einem solchen Prozesse beständigen Fortschrittes sind neue literarische Führer stets erforderlich, und einer derselben, die AboriginalSprachen unseres großen westlichen Kontinents umfassend, wird hiermit geboten."

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Er giebt hierauf einige Nachweise von den Schwierigkeiten, womit das Quellenftudium in dieser Sphäre verbunden war. Diese Quellen sind entweder irgendwo blos im Manuskript vorhanden und unbekannt oder gedruckt in der versteckten Bibliothek irgend einer Nation, Gesellschaft oder Provinz. Der Jesuit Lorenzo Hervas, der eifrig indianische Grammatiken gesammelt hatte, um sie für seine Idea del Universo” zu benußen, machte den Verfaffer auf einmal mit fünfundfunfzig amerikanischen Sprachen bekannt, die bisher den gelehrtesten Philologen ganz unbekannt gewesen waren. Nach Hervas und Gilii, deren Entdeckungen und Forschungen in Adelung's und Vater's,,Mithridates" sorgfältig revidirt und publizirt wurden, richtete Dr. B. Smith Barton in Philadelphia die Aufmerksamkeit aufs neue auf die amerikanischen Indianer-Sprachen. Historische Gesellschaften Amerika's (es giebt deren mehr, als man der jungen Geschichte jenes Welttheils zutraut, wie man schon aus dem bei Richardson in NewYork erscheinenden Historical Magazine ersieht) publizirten neue Ausgaben der seltenen Werke Elliot's, Cotton's, Roger Williams', Edwards', Zeisbenger's u. s. w. Albert Gallatin klassifizirte alle Sprachen der öftlichen Hälfte Nord-Amerika's und Mexico's für vergleichendes Stu

dium. Durch deren und Anderer Vorarbeiten sind die Materialien zu einer wissenschaftlichen indianischen Philologie geliefert worden. Der nächste Schritt allerdings einer der schwierigsten - würde nun sein, diese von Ludewig in mehr als tausend Büchern nachgewiesenen Quellen und Materialien zu einem wissenschaftlichen Ganzen zu fügen. Doch um diesen Schritt zu thun, müssen erst alle Quellen und Materialien nachgewiesen werden. Dies beabsichtigt das mit dem Ludewigschen Werke begonnene Verzeichniß aller betreffenden Quellen, welches von der Verlags-Buchhandlung von Trübner &. Comp. in London, unter spezieller Leitung und Sorgfalt des Chefs dieses Hauses, fortgefeßt und vollendet werden soll. Er ladet dazu den wissenschaftlichen Beistand aller Männer ein, die in dieser Sphäre arbeiten oder genau bekannt sind. B-a.

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Mannigfaltiges.

Ein typographisches Kunstwerk. Als ein solches dürfen wir mit Recht ein aus der Haynfchen Offizin in Berlin - derselben, in welcher seit sechsundzwanzig Jahren unser,,Magazin" gedruckt wird hervorgegangenes Werk bezeichnen, das die Geschichte des preußischen Rothen Adler-Ordens zum Gegenstande hat.") Daffelbe liegt in einem Quartbande vor uns, dessen sechsundneunzig erste Seiten mit den geschmackvollsten und kunstreichsten Randverzierungen versehen sind, die wir jemals in einem typographische Werke, sei es des Auslandes, oder Deutschlands, bis jest gesehen haben. Nicht eine Seite nämlich gleicht in ihren vier Randverzierungen der anderen; jede ist von dem Künstler, der sie gezeichnet, Herrn Burger, nach den Ideen des Verfaffers, Herrn Hofrath Schneider, mit anderen, dem Inhalte der betreffenden Seite entsprechenden Emblemen verziert: namentlich Ordenssternen und Kreuzen, Adlern, Schilden mit Wahlsprüchen und Jahreszahlen, die durch Gewinde von Akanthus und Eichenlaub verbunden sind. Die Randverzie rungen allein schon bilden eine vollständige Geschichte des Ordens, deffen Ursprung bis zum Jahre 1660 hinaufreicht. Der Verfasser, der sich bereits durch mehrere Monographieen auf dem Gebiete der Geschichte der Mark, Berlin's, Sanssouci's und anderer örtlicher Denkmäler des preußischen Königshauses einen rühmlichen Namen erworben, hat durch Forschungen in den Archiven von Berlin und der ehemaligen brandenburgischen Fürstenthümer Anspach und Bayreuth ermittelt, daß der von dem damaligen Erbprinzen Christian Ernst von Bayreuth auf einer Reise nach Spanien, zur Vermählung Ludwig's XIV. mit de Infantin Maria Theresia, gestiftete,,Concordien-Orden" das eigent liche Fundament des jeßigen preußischen Rothen Adler-Ordens sei, welcher lettere oft irrthümlich als eine Stiftung neuerer Zeit, nament lich aus dem Jahre 1810, betrachtet wird, in welchem Jahre er allerdings erst den Charakter eines allgemeinen Verdienst-Ordens erhielt. Markgraf Christian Ernst fand sich im Jahre 1710 veranlaßt, den funfzig Jahre vorher von ihm gestifteten Orden zu erneuern, aus welcher Erneuerung sodann der Orden de la Sincérité hervorging, der demnächst im Jahre 1734 in den Markgräflich brandenburgischen Rothen Adler-Orden verwandelt wurde. Als endlich im Jahre 1799 die fränkischen Fürstenthümer auf die Krone Preußen überginga, ward der Rothe Adler-Orden (1794) der zweite Orden des Königlich Preußischen Hauses. Herr Schneider hat in einem mit dem Geschichtswerke verbundenen Urkundenbuche eine Reihefolge von zweiundsiebzig verschiedenen Regesten, Urkunden und historischen Anmerkungen zu Erläuterung des Textes zusammengestellt und sich dadurch den Dank vieler Freunde der preußischen Spezialgeschichte auf diesem sonst wenig angebauten Gebiete erworben. Sein Buch aber hat nicht blos durch die obengedachten Randverzierungen, sondern auch durch eine Beigabe von neunzehn Blättern in Farbendruck, die aus der chromolithographischen Anstalt von Storch und Kramer in Berlin hervorgegangen und auf welchen sämmtliche Ordenszeichen des Rothen Adlers und seiner historischen Vorgänger, sowie die Konkordienkirche in Erlangen, die Ordenskirche und das Ordenspalais in Bayreuth, abgebildet find, einen besonderen Kunstwerth erhalten. Der Verleger des Werkes, Herr Kommerzienrath A. W. Hayn, hat dasselbe mit einem KosterAufwand ausgestattet, wie er wohl bisher selten einem typographischen Werke dieser Art zu Theil geworden.

*) ,,Das Buch vom Rothen Adler-Orden“. Historisch, diplomatisch, flas tistisch und bildlich, von L. Schneider, königl. vreuß. Hofrath und Vorker Sr. Majestät des Königs. Berlin, Druck und Verlag von A. W. Hayn.

Das mit dieser Nummer zu Ende gehende Abonnement wird Denjenigen in Erinnerung gebracht, die im regelmäßiges Empfange dieser Blätter keine Unterbrechung erleiden wollen.

Wöchentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., balbjährlich 1 Thlr. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Blatt im Inlande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 39.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Niederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Ostindien.

Rigveda Sanhita.

Berlin, Donnerstag den 1. April.

Als vor vierhundert Jahren die Verpflanzung der griechischen Literatur aus dem eroberten Konstantinopel ins Abendland durch die Fügungen der Vorsehung mit der Erfindung der Buchdruckerkunft zusammentraf, entfaltete sich bald auf geistigem Gebiete ein reiches, vielgestaltiges Leben; ein Drang nach Wissenschaft erwachte selbst in den niedersten Volksklassen; der Eifer, die neuen, noch unbekannten Schäße kennen zu lernen, verschüttete Schachte zu eröffnen, die eröffneten zugänglich zu machen, die zugänglich gemachten auszubeuten, war unermeßlich; überall Lehrer und Schüler des Griechischen, Forscher nach Manuskripten, großmüthige und für die Wissenschaft begeisterte Buchdrucker, Kommentatoren, Kritiker, Antiquare, Schöngeister und Nachahmer.

Eine ähnliche Periode ist die, in der wir jeßt leben. Das durch die Engläuder uns aufgeschlossene Indien hat einen in vieler Hinsicht ähnlichen Eifer erweckt, der für eine größere Perspektive geöffnete Blick hat ihn, nachdem in anderer Weise vielfach vorgearbeitet war, auf andere wichtige Völker und ihre Literaturen, ja, man kann sagen, auf die ganze Erde übertragen. Heutzutage darf einer über die Poesie, die Sitten, den Aberglauben der Feuerländer oder Eskimo's lang jährige Forschungen anstellen, ohne dadurch lächerlich zu werden; die | Solidarität des Menschengeschlechts, als einer einzigen großen Familie, ist uns auch wissenschaftlich ins Bewußtsein getreten. Doch wir haben es hier nur mit Indien zu thun. — Bei dem großen Respekte, den uns die späteren Griechen (z. B. Philostratus) vor der Weisheit der Inder, von dem hohen Alter ihres Staates beigebracht, darf es nicht Wunder nehmen, wenn man im Anfang bedeutende Mißgriffe beging und Vorausseßungen machte, die sich später als irrig herausgestellt haben.

Wenn man z. B. die Jnder weit über die Griechen und Römer stellte, wenn man ihnen eine Philosophie zuschrieb, deren Tiefe nahe an das Wunderbare streifte, und schließlich die Lösung jedes Räthsels von dem braunen weißbärtigen Brahmanen erwartete, die ziemlich so ehrwürdig einherstolzirten, wie der weise Sarastro in der Zauberflöte", so ist allerdings seitdem eine bedeutende Ernüchterung eingetreten und die Bewunderung ziemlich ins Gegentheil umgeschlagen indeß muß man gestehen, daß dieser unumgänglich nothwendige Abklärungs-Prozeß verhältnißmäßig schnell vor sich gegangen ist — man hatte die gute Schule der Humanisten vor sich, man wußte, wie man es anzufangen hatte, und vermied somit viele Fehlgriffe. - Schon hat man, was bei dem griechischen und römischen Alterthume weit länger gebauert hat, eine ziemlich befriedigende Uebersicht über das Ganze gewonnen; eine ziemliche Anzahl wohlgeschulter Gelehrter arbeiten mit Plan und Methode auf diesem Felde und begründen me thodisch und sicher die neue Wissenschaft.

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Es ist bekannt, daß die ältesten Schriftdenkmale der Hindu's die Veden sind, und daß sie längst schon als die echtesten und reinsten Quellen erkannt sind, aus denen wir unsere Vorstellungen über die Urzeit der indischen Kultur, über die vorgeschichtlichen Zustände der Indier und überhaupt der Arier am sichersten berichtigen und vielfach bereichern können, wenn auch sie uns keinesweges schlechthin zu den Anfängen des Menschengeschlechts hinaufführen denn aus den in ihnen vielfach erhaltenen Anspielungen geht unzweifelhaft hervor, daß wir uns bereits inmitten einer nicht unbedeutenden Kultur befinden, wie wenn z. B. von Städten, von Handel, von Wissenschaften, Schrift, Maaß und Gewicht u. a. die Rede ist. Mit dem späteren Sanskrit verglichen, ist die Sprache freilich höchst archaistisch, vielleicht in höherem Grade als Homer mit Pindar und den Tragikern zusammengestellt; indeß auch diese Sprache steht, wie die neuere Forschung dargethan hat und immer deutlicher darthut, lange nicht mehr auf dem Urzustande der ältesten arischen Muttersprache, oder Sprachmutter,

1858.

wenn wir so sagen dürfen; denn Vieles ist in anderen verwandten Sprachen besser erhalten.

Die Herausgabe der Veda's ist also ein Unternehmen von der höchsten Wichtigkeit, da unseren indischen, sprachlichen und kulturhistorischen Studien dadurch eine Unterlage gegeben wird, die man lange bereits schmerzlich vermißt hat. Bekanntlich erfolgt sie in England. Soeben ist ein neuer Band erschienen unter dem Titel: Rigveda Sanhita. A Collection of Ancient Hindu Hymns. Third and Fourth Ashtakas or Books. By H. H. Wilson &c. Allen & Co. Der kritische Anordner des Textes ist unser ausgezeichnete Landsmann, Herr Mar Müller, während Professor Wilson die englische Uebersehung liefert, die mit dem Originalterte gleichlaufend gedruckt wird. Bekanntlich giebt es vier folche Sammlungen von Schriften, die man Veda nennt: Rigveda, Samaveda, Jadschurveda und Atharvaveda; davon ist der Rigveda der hauptsächlichste, gewissermaßen der Stamm, an den sich die übrigen anlehnen, indem er den Kern des ältesten indischen Naturkultus enthält. Atharvaveda ist jüngeren Ursprunges und bildet gewissermaßen nur ein Supplement der anderen. Außer dem Texte (Sanhita) der vier Veden, welche das Ritual (mantra) der Indra-Religion bilden, giebt es noch eine reiche Literatur von sprachlichen und sachlichen Kommentaren dazu, die Vedanga's und Upanischad's.

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Die Veden selbst, wie gesagt, sind die Ritualbücher jener alten Naturreligion, welche die Vorväter der brahmanischen Inder mit aus der Urheimat jenseits des Indus gebracht hatten, jenes Kultus, der so Vieles mit dem ältesten Glauben des stammverwandten Zendvolkes und anderer Arier gemein hatte. und anderer Arier gemein hatte. Wir wissen nun mit Bestimmtheit, daß er von dem späteren Brahmanismus mit seinen mehr abstrakten Göttern, seinen Ungeheuerlichkeiten, seiner SeelenwanderungsLehre u. s. w. durchaus verschieden war. — Er ist wesentlich die Religion eines Nomadenvolkes, das seine mythischen Vorstellungen in naivster Weise aus der es umgebenden Natur abstrahirt hat, einer Natur, die deutlich einen nördlicheren Himmelsstrich verräth, als die heißen Gegenden am Indus und Ganges.

Der höchste Gott, jener im Brahmanismus späterhin ganz verdunkelte Indra, seinem eigentlichsten Wesen nach Gott des atmosphärischen Himmels und seiner Erscheinungen, hat weniger mit dem griechischen und römischen Jupiter gemein, dem er zunächst entsprechen würde, als mit den abwehrenden, hülfeschaffenden Göttern und Heroen, also etwa mit dem Pythotödter Apollo, dem Argoserleger Hermes, mit Perseus und Bellerophon. Die Unholde, mit denen er kämpft, find die feindlichen Naturmächte, finstere Wolken, sengende Hiße, die unheimlichen Nachtgeister, die in mannigfachen Gestalten symbolisirt find. Die Morgenröthe (Ufchas), die Winde (Marutas), die ersten Sonnenstrahlen, die der Nacht entschießen (die Aschvinen - den griechischen Dioskuren entsprechend) u. s. w., sind gefeierte Gottheiten; das Feuer, ein hochverehrtes Wesen, der Mittler zwischen Menschen und Göttern. Der Soma, ein berauschendes Getränk, so zu sagen das indische Bier, an dem sich die Helden berauschten, ehe sie zur Schlacht zogen, wird gleichfalls zu einem göttlichen Wesen symbolisirt, wie dies auch bei dem Zendvolke der Fall war. Indra berauscht sich am Soma und geräth dadurch natürlich in den Zustand des höchsten Muthes und der höchsten Kraftfülle. Daher ist Soma die Kraft aller Götter, Symbol ihrer Stärke und Begeisterung, Inbegriff aller Zeugungskraft, die durch Sonne und Mond der Erde vermittelt wird. wird. Man sieht hieraus, wie lebendig, aber auch wie roh die Phantasie jener alten Arier war. Troz alledem liegt aber doch eine gewisse Philosophie darin. Wie überhaupt in den rohesten Naturzuständen der Völker tritt sie darin zu Tage, daß ein Fetisch symbolisch-allegorisch vergeistigt wird, daß man ihm seinen Fervev, sein Urbild, giebt. Wählig und ästhetisch sind diese alten Völker durchaus nicht; die Noth und das Bedürfniß schafft ihre Götter, nicht der Schönheitssinn. Die Bäcker im alten Italien verehrten den Pilumnus, den Gott, der ihnen das beschwerliche Getraideftampfen erleichtern sollte, und der nach der Stampffeule (pilum) benannt ist; die Bauern einen Mist- und Düngergott (stercutius); wir dürfen un

daher nicht wundern, wenn die Inder den Liquor, mit dem sie sich Muth eintranken, zur Gottheit alles Muthes und aller Tüchtigkeit erhoben, wenn sie den Pfosten, an den das Opferthier gefesselt war, mit mystischen Gottes-Prädikaten anrufen und ihm allerlei Wunderkräfte zumuthen. Folgendermaßen lautet die Hymne an diesen Fetisch, der Yupa genannt ist:

,,1. Vanaspati, der fromme, saibe dich mit heiliger Butter beim Opfer; nnd ob du aufrecht stehest oder deine Wohnung an dem Busen dieser deiner Mutter (der Erde) sei, verleihe uns Reichthum.

,,2. Nach Osten zu stehend von dem angezündeten (Feuer), Nahrung spendend, (als die Quelle) von unvergänglicher (Gesundheit) und herrlicher Nachkommenschaft, unseren Feind in der Entfernung haltend, stehn aufrecht zu großem Wohlgedeihn.

,,3. Sei gepriesen, Vanaspati, auf dieser heiligen Bodenstelle, die gemessen ist mit sorgfältiger Ausmessung, und verleihe Nahrung dem Bringer des Opfere.

,,4. Wohlgekleidet und behängt mit Kränzen kommt der jugendliche; höchst ausgezeichnet ist er, sobald er erzeugt ist; standhafte und weise Verehrer der Götter, fromme Betrachtungen im Geiste anstellend, richten ihn auf (den Pfahl).

,,5. Geboren (im Walde) und verschönert in dem männergefeierten Opfer, wird er wiedererzeugt zur Heiligung der (Fest)tage; standhafte, thätige und einsichtige (Priester) weihen ihn mit Einsicht, und der fromme Verehrer spricht aus sein Lob.

,,6. Mögen diese (Pfähle), welche fromme Männer abgehauen haben, oder welche, Vanaspati, die Art zugerichtet hat, mögen fie glänzend dastehen mit all ihren Theilen, uns Reichthum verleihen sammt Nachkommenschaft.

,,7. Mögen diese Pfähle, die abgehauen worden sind auf Erden, und welche bearbeitet worden sind von den Priestern, welche die Vollzicher des Opfers sind, unsere annehmbare (Gabe) zu den Göttern führen.“

Man sieht hieraus, wie ein solcher Pfahl zuerst im Walde, gewiß von bestimmten heiligen Bäumen und mit besonderen Ceremonien gesucht, von den Priestern bearbeitet, geplättet, eingebuttert und geweiht wurde. Diese Weihe giebt ihm die zweite Geburt, die Würde der Brahmanen. Er ist ein heiliger Gegenstand voll Wunderkraft in dieser Eigenschaft ist er aber bereits ein Gott.

Wie Agni, das personifizirte Feuer (lat. ignis), gefeiert wurde, was man ihm für lobende Prädikate beilegte, möge der folgende Hymnus zeigen:

,,1. Ich lobpreise Agni, den hohen Priester des Opfers, den göttlichen, den Diener, welcher darreicht die Opfergabe (den Göttern), den Besizer groBen Reichthums.

,,2. Möge dieser Agni, der gefeiert wird sowohl von alten als neueren Weisen, die Götter hierher führen.

,,3. Durch Agni erlangt der Verehrer die Reichthumsfülle, die von Tage zu Tage zunimmt, die Quelle des Ruhmes und die Vervielfältigerin des Menschengeschlechts.

,,4. Agni, das unbehinderte Opfer, dessen Beschüßer du in jeder Weise bist, erreicht sicher die Götter.

,,5. Möge Agni, der Darbringer der Opfergaben, der Erlanger der Wissen schaft, der wahre, berühmte, hierher kommen mit den Göttern."

In diesem Hymnus ist die einfache Grundlage ziemlich erkennt lich; weit mystischer ist der folgende:

,,1. Ich, Agni, bin von Geburt an begabt mit Wissenschaft von Allem, was cristirt; gereinigte Butter ist mein Auge; Ambrosia ist mein Mund; ich bin der lebende Odem der dreifachen Natur, das Maaß des Firmamentes, ewige Wärme; ich bin auch die Darbringung.

,,2. Agni, durchaus in sich begreifend das Licht, das geistig verstanden werden muß (that is to be understood by the heart), hat sich selbst gerei nigt durch Reinigung; er hat sich selbst zum herrlichsten Schaßmeister gemacht durch seine Selbstoffenbarungen, und hat von da aus Himmel und Erde betrachtet."

Es ist gar keinem Zweifel unterworfen, daß sich die Indier etwas gedacht haben bei dem, was bei modernen Ohren theils ganz unverständlich, theils widerfinnig und lächerlich klingen dürfte; Physik, Theologie, Mystik laufen wirr durch einander: Agni ist persönliches Wesen, mit Wissen begabt, ist das Urfeuer, die ewige Wärme, das zeugende Prinzip der Schöpfung - er offenbart sich in endlichen Gestalten (als Butter und Ambrosia), d. h. wohl in Allem, was verbrennbar ist; d. h. in allen Dingen ist Feuer im gebundenen Zustande vorhanden, weshalb Agni dann der Schaßmeister aller Dinge wird, da sie ihm alle zugehören. Durch seine Offenbarungen kommt er zum Selbstbewußtsein ganz à la Junghegel. Die jeßigen Materialisten könnten ganz ähnliche Hymnen auf den Phosphor machen, der, als Gehirn manifeftirt, bekanntlich zu denken vermag.

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Noch gefeierter und in noch mehreren Liedern angerufen, als Agni, ist Jndra, an den im dritten Buche (Aschtaka) von 121 Hymnen (Sukta) allein 48 gerichtet sind, während 24 dem Agni gelten. Nach Indra und Agni folgen, nach der Zahl der ihnen geweihten Lieder, die Marutas (die Winde), die Aschvinen, Uschas (die Morgenröthe), Varuna (Uranus), Mithra u. s. w. Als weitere Probe möge hier noch ein Hymnus an Indra stehen:

,,1. Komm, Judra, und laß dich bewirthen mit allen Fleischgerichten und Trankspenden, und dann, du mächtiger an Kraft, sei siegreich (über unsere

,,2. Da die Traukspende bereitet ist, biete den erheiternden und wirksamen (Trank) dem jauchzenden Indra, dem Vollender aller Dinge.

,,3. Jndra, schönkinniger, laß dir gefallen diese anfeuernden Loblieder; handle, du von allem Menschenvolk zu verehrender, komm zu diesen Ceremonien. ,,4. Ich habe an dich, Indra, den Regner (der Segnungen), den Beschir mer (deiner Verehrer) Lobsprüche gerichtet, die dich erreicht haben und die du gebilligt haft.

,,5. Stelle vor uns, Indra, kostbare und vielfältige Reichthümer; denn genug, und mehr als genug derselben, sind sicher dein!

,,6. Reicher Indra, ermuthige uns in dieser Ceremonie zur Erlangung von Reichthum; denn wir sind eifrig und berühmt.

,,7. Gewähre uns, Indra, Reichthum über Maaß und Berechnung, unerschöpflichen, die Quelle von Vieh, von Nahrung, von allem Leben.

,,8. Indra, gewähre uns großen Ruhm und Reichthum auf tausenderlei Weise erlangt, und diese (Gegenstände) der Nahrung in Karren (vom Felde eingefahren).

,,9. Wir rufen an für Erhaltung unseres Eigenthums, Indra, den Herrn des Reichthums, den Gegenstand heiliger Lieder, den Anwesenden (beim Opfer), ihn mit unserem Lobliede preisend."

Wir sehen hieraus, wie genügsam die alten Hindu's waren, was fie für naive und kindische Vorstellungen von ihren Göttern hatten. Reichthum sollen sie geben, d. h. Rinder, Schaafe, Käse, Butter, Getraide u. f. w., vor Allem aber Nachkommenschaft. Indra ist ein sehr reicher, mächtiger Herr, der Alles im Ueberfluß hat und folglich den armen Menschen etwas abgeben kann man bettelt ihn also an und sucht ihn durch Schmeicheleien und gute Bewirthung in die rechte Geberlaune zu bringen. Ehe man zur Schlacht zieht, bezecht man ihn mit dem berauschenden Soma natürlich wird er dann seinen Verehrern beffer helfen, als wenn er sie nüchtern anführte. Es ist interessant, daß man durch die Veden jene alterthümlichste Naivetät des Heidenthums in ihrer größten Einfachheit und im bedeutendsten Umfange nachzuweisen im Stande ist daß auch die Mythologieen (oder wie man es nennen will) der Griechen, Römer, der Germanen «. auf ganz ähnlichen Grundlagen erwachsen sind, wird sich schwerlich in Abrede stellen lassen. Kn.

Frankreich.

Der Roman und das Theater der Gegenwart.

Wer den sittlich-humanen Standpunkt, welchen der große Lessing, im Gegensatz zu den französischen Einflüssen, nicht blos durch seine gründliche Kritik, sondern auch durch seine klassischen Mufterdrama für unsere deutsche poetische Literatur zur Geltung gebracht, auch für die Gegenwart noch als maßgebend anerkennt, der kann die auch heurzutage oft sich erhebende Klage, daß die französische Roman- und Theater-Literatur immer noch einen sehr verderblichen Einfluß auf unsere Literatur ausübe, nicht ungegründet finden. Die durch Ueberfegungen und Nachahmungen in unsere Literatur eingeführten Romane und Lustspiele à la Eugène Sue und à la Scribe entsprechen dem hohen Standpunkte nicht, auf den unsere klassischen Dichter de deutsche poetische Literatur emporgehoben haben, — vor allen Lessing, der es zuerst begriffen, daß die Poesie, um eine Macht im sittlichen Leben zu werden, auch ihren Inhalt aus dem fittlichen Leben und Streben, wie es in der Gegenwart wirklich da ist, schöpfen müsse.

Wir müssen wünschen, daß die neueste poetische Literatur Frankreichs, die dem Berufe der poetischen Literatur, die ewige Wahrheit der sittlichen Ideen in anschaulichen, aus dem Leben gegriffenen Bildern darzustellen, noch wenig entsprochen hat, auf ihrem heimatlichen Boden nun bald einen Richter fände, der über alle ihre bedeutenderen Erzeugnisse ein gründliches, strenges und gerechtes Gericht sowohl in ästhetischer als auch in sittlicher Beziehung hielte.

Hören wir nun, daß soeben ein neues französisches Werk „über den Roman und das Theater der Gegenwart und über ihren Einfluß auf die Sitten" erschienen ist, und weiter, daß dieses Werk von der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften gekrönt worden sei, - warum sollten wir da nicht meinen, der gerechte Richter, den wir der neuesten französischen poetischen Literatur wünschen, sei bereits gekommen? Da uns das Werk selbst noch nicht zu Händen gekommen, heißen wir den ersten uns zugehenden ausführlichen Artikd über dasselbe, den wir in der Instruction publique finden, wil kommen. Aber was finden wir da? - Der Verfasser dieses Artikels, Herr J. J. Weiß, den wir als Verfasser einer trefflichen Geschichte der französischen Protestanten kennen und achten, legt aufs überzeugendfie dar, daß der Verfasser jenes gekrönten Werkes zur Klaffe jener blinder, leidenschaftlichen Eiferer gehört, die vom Standpunkte einer abstrakten pharisäischen Moral und einer dieser Moral entsprechenden selbstsüch tigen Politik über die gesammte moderne Literatur Frankreichs das Verdammungsurtheil aussprechen, weil die Schriftsteller, die sich am meisten der öffentlichen Gunst erfreuen, nicht so rigoros denken,

wie

Wir zweifeln nicht daran, daß unsere Leser, auch wenn sie mit uns die Ueberzeugung theilen, daß der gegenwärtigen Roman- und Theater-Literatur Frankreichs eine Kritik zu wünschen ist, durch die sie von den Jrrwegen, auf welche die meisten ihrer Erzeugnisse gerathen sind, auf den rechten Weg zurückgeführt werde, fich darüber freuen werden, daß einer so maßlosen Verdammungssucht gegenüber diese Literatur, die in vieler Beziehung strenge getadelt zu werden verdient, auf eine so humane Weise in Schuß genommen wird.

Herr Weiß schildert zuerst in treffenden Zügen den Standpunkt jener,,Moralisten", zu denen der kaiserliche Gerichts-Rath Herr Eugène Poitou, der Verfasser des von der kaiserlichen Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften gekrönten Werkes, unzweifelhaft gehört.

Wenn ein solcher Moralist, sagt Herr Weiß, durch Ereignisse, die, wie z. B. ein Selbstmord, ihn daran erinnern, daß die bestehende soziale Welt doch nicht für alle Menschen ein Elysium ist, sich in seiner selbstsüchtigen, behaglichen, äußeren und inneren Existenz gestört fühlt, so müssen die Zeitungen und die schlechten Bücher, die an allem Uebel Schuld sein sollen, herhalten; er wiederholt dann mit etwas mehr Bitterkeit, als gewöhnlich, den Refrain seiner Moral, auf die er so stolz ist: „Der Ehebruch ist ein Verbrechen; der Neid ist schauderhaft; der Selbstmord ist abscheulich".

"Ich behaupte nicht das Gegentheil" fährt unser Kritiker fort: Die Literatur der Gegenwart, welche Worte des Lobes für den Ehebruch, für den Neid, für den Selbstmord gefunden, hat selt fame Verirrungen zu Tage gefördert. Diese Verirrungen rechtfertige ich nicht. Aber Herr Poitou verzeihe mir, wenn ich finde, daß er eine Anklageschrift geschrieben.

,,Wenn die gegenwärtige Literatur einen Zustand des Mißbehagens in den Geistern ausdrückt, wenn sie durch viele ihrer Werke dazu beigetragen hat, diesen Zustand zu unterhalten, so hat sie den felben doch nicht geschaffen. Wenn sie die Leidenschaft gerechtfertigt hat, so hat sie doch eine selbstsuchtslose Leidenschaft im Sinne gehabt; das Gefühl preisend, hat sie nur gefordert, daß der Mensch Gefühle habe, die ihn zu großen Thaten treiben. Wenn sie mitunter die Leidenden erbittert hat, so hat sie doch öfter dieselben getröstet; vielleicht gereicht es ihr zur Gefahr, gewiß aber zur Ehre, daß so viele verborgene Leiden in ihr einen mitfühlenden und wohl auch parteiischen Fürsprecher gefunden. Sie hat, was Tugend ist, in Frage stellen, was Verbrechen ist, beschönigen können; sie hat unsere naturwidrigen Begierden mit unseren wahren Bedürfnissen verwechseln können. Ein Kind des achtzehnten Jahrhunderts, dessen Hinterlassen dessen schaft sie geerbt, ist sie selbst in ihren Verirrungen von erhabenen Gefühlen getrieben gewesen; ihre beständige Sorge ist die gewesen, human zu sein. Wenn man, ihre Irrthümer verurtheilend, nicht ungerecht gegen sie sein will, muß man die schonende Rücksicht, mit der sie die edlen Seelen troß ihrer Fehler immer behandelt hat, einiger maßen auch ihr zu Theil werden lassen; man muß ein ebenso tiefes Mitgefühl mit den Unglücklichen haben, wie sie; man muß sich ebenso fehr von der Heftigkeit ihrer Leiden ergriffen, wie von der Verzweiflung ihrer Klagen oder von der Ungerechtigkeit ihrer Forderungen ab, gestoßen fühlen; man muß sich die Versuchungen der Armuth und des Elends vorstellen, wenn man sie nicht aus eigener Erfahrung kennt. Herr Poitou kennt solche Rücksichten nicht; er richtet rücksichtslos nach dem Buchstaben des herzlosen Gesezes. In diesem steht geschrieben: Die Frau ist ihrem Manne Gehorsam schuldig". Darum muß eine Valentine verurtheilt werden. Die Polizei hat bekannt gemacht: Die Bettelei ist in diesem Departement verboten". Darum soll der Dichter uns keinen Vagabunden vorführen, welcher von der Polizei unerwischt bleibt. Auf diese Weise greift Herr Poitou die von der Einbildungskraft unserer Dichter geschaffenen Personen an und findet in einer jeden ein Verbrechen oder Vergehen ohne mildernde Umstände. Das kommt daher: Herr Poitou hat sein Buch unter dem Einfluß einer firen Idee geschrieben. Hinter jedem Buche der Neuzeit sieht er eine Barrikade, hinter allen zusammen einen sozialen UmSturz. Er sieht in der gegenwärtigen Literatur eine Tragödie, in der wohl auch Festmärsche und patriotische Scenen vorkommen, die aber zulegt doch auf einen Februar hinauskommt. Daß die Februar - Revolution nothwendiges Ergebniß einer Reihe von Ursachen war, daß sie eine historische Thatsache ist, die, wie jede andere historische Thatsache, es verdient, erklärt und beurtheilt zu werden, das fällt Herrn Poitou nicht ein; er hält es für genug, im hohen Styl des Jahres 49 zu fagen: Die ekelhaften Brandmale des Jahres 48!" Die gegenwärtige Literatur ist Schuld an der Februar-Revolution; darum verdammt er sie in Bausch und Bogen, ohne die Entwickelungsstadien, die sie durchlaufen, und die verschiedenen Bestrebungen, die sich in ihr geltend gemacht haben, zu unterscheiden."

Madame Sand wird gegen den blinden Eifer des Herrn Poitou in folgender Weise in Schuß genommen:

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die in einem Fieberanfall geschrieben find, „Valentine“ und „André“, die leßte Aldini", "der Geheimsecretair" und Mauprat", ihr Meisterwerk, — gehören diese Dichtungen denn alle einem und demselben Standpunkte an? Welch' ein Abstand von der Lelia bis zu der Mare au Diable und bis zu der Petite Fadette! Herr Poitou kennt nur Eine Madame Sand, und er stellt sie sich so unveränderlich vor, wie die Helden der antiken Tragödie; er kennt sie nur, wie fie in ihren frühesten maßlosen Schöpfungen erscheint. Nachdem er, den Zweifel, der ihn in Betreff der Mare au Diable" beschleicht, unterdrückt, fährt er über die „Lelia“ und die „Indiana“ mit solcher Leidenschaftlichkeit her, daß er unfähig wird, die Stimmen der Gilberte, der Victorine, der kleinen Marie“ zu hören, welche vor ihm auf den Knieen liegen und ihn bitten, daß er um ihres schuldlosen Lebens willen etwas Nachsicht mit ihren schuldbeladenen Schwestern haben möchte".

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,,Andere heißt es weiter - kommen noch schlechter fort, als Madame Sand; sie werden nicht einmal genannt; so z. B. Prosper Mérimée, Alphonse Karr, Töpfer. Prosper Mérimée ist der vollendetste Erzähler; aber wenn die Moral nicht eristirte, er würde sie nicht erfunden haben;,,Colomba" hat nicht die Absicht, in den Sitten des französischen Volkes etwas zu ändern, weder im Guten, noch im Bösen. Warum verschweigen, daß unsere gegenwärtige Literatur von Zeit zu Zeit schöne Erzählungen zu Tage gefördert hat, welche reizen, ohne zu verführen, welche ergreifen, ohne einen Umsturz zu bewirken. Alphonse Karr ist ausgezeichnet durch lebendige Einbildungskraft, gesunden Verstand, originellen Wig, scharfe Beobachtungsgabe, Sinn für die Natur und für die Poesie der Dinge, und es hätte nur von ihm abgehangen, wenn er sich die Mühe hätte geben wollen, das, was er mitunter gezeigt hat, die Kunst des Erzählens immer zu haben. Man kann ihn nicht anklagen, aus der Frau eine Abgöttin gemacht zu haben, deren Gefühle alle frei und deren Leidenschaften alle geheiligt sein müssen. Er hat die über das Gesez sich wegseßende Liebe nicht gepriesen, wie der Anfang der Geneviève" beweist. Er hat das Erzentrische in den geseglichsten Bestrebungen unserer Zeit nicht gut geheißen; man denke an Clovis Goffelin. Aber er hat sich über sich selbst lustig gemacht, und man hat seine Scherze für Ernst genommen; man hat sich daran gewöhnt, in ihm nur einen leichtsinnigen Spaßmacher zu sehen. Es wäre doch gerecht gewesen, wenigstens seine guten Absichten in Anschlag zu bringen. Aber warum übergeht Herr Poitou auch Töpfer mit Stillschweigen, deffen dauernder Erfolg in allen Familienkreisen zur Genüge beweist, daß bei uns in einer großen Klaffe von Lefern immer noch die einfachen Gefühle und die gefunden Gesinnungen herrschend find? Und wenn man aus den Werken der Poesie zeigen will, was für politische Bestrebungen in einer Literatur und in einer Gesellschaft herrschen, warum nicht ein Wort über die „Geschichte einer Magd“ sagen?"

(Schluß folgt.)

Montaigne, nach dem Engländer St. John.*)

Ob die,, entente cordiale" zwischen den Nachbarn diesseits und jenseits des Kanals in der Politik lange vorhalten werde, muß die Zeit lehren; erfreulich aber ist es für den Menschenfreund, den nationalen Antagonismus wenigstens auf dem literarischen Gebiete täglich mehr schwinden und eine gegenseitige unbefangene Würdigung wahr, haft großer Persönlichkeiten und geistiger Schöpfungen sich geltend machen zu sehen. Als Zeugniß dieses wissenschaftlich herzlichen Verständnisses" begrüßen wir die unten angezeigte Schrift von Bayle St. John, einem auch bereits durch andere Arbeiten bekannten englischen Literar-Historiker.

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In Frankreich hat ein „Montaigne-Verein" den Verfasser der Essais" zum ausschließlichen Gegenstand seiner Forschungen ge= macht; in England dagegen findet der große Philosoph verhältnißmäßig geringe Beachtung. Und doch, bemerkt sein Biograph, find fast in jedem englischen Schriftsteller, der sich den Menschen zum Gegenstand seines Dichtens oder Denkens gesezt, von Shakspeare bis jezt Spuren geistiger Gemeinschaft mit Montaigne aufzuweisen. Butler und Pope führen ihn ausdrücklich an. führen ihn ausdrücklich an. Swift und Sterne verrathen auf das deutlichste ihre Bekanntschaft mit ihm. In Montaigne's Schilderung seines Vaters Pierre Eyquem z. B. sind die Grundzüge zu dem ewig denkwürdigen Charakter des "Onkel Toby" (in Tristram Shandy) unverkennbar.

In jüngster Zeit jedoch haben Dr. Payen und Grün neue Thatsachen in Bezug auf Montaigne's öffentliches Leben aufgefunden, und der von ihnen gesammelte Stoff giebt der Vermuthung Raum, daß diese Fundgrube noch nicht völlig ausgebeutet sei. Dr. Payen betrachtet eine Lebensbeschreibung Montaigne's zur Zeit als ein un*) Montaigne the Essayist: a Biography. By Bayle St. John'

,,Giebt es nur Eine Madame Sand? „Lelia" und "Indiana", Chapman & Hall.

mögliches Unternehmen. St. John dagegen, minder peinlich, hält dafür, die Gränze sei nun erreicht, die dem weiteren Vordringen der Nachforschungen Halt gebietet, und geht stracks an die Lösung seiner Aufgabe.

Zuvörderst ist Montaigne's Familienname: Ayquem oder Eyquem offenbar ein Fremdling in Frankreich Gegenstand der Unterfuchung. Einige wollten ein Analogon in Flandern finden, ohne die Brücke nachzuweisen, die von hier nach der Gascogne führt. St. John möchte aus etymologischen wie aus ethnographischen Gründen Eyquem schillert in Egham oder Oakham, und Guyenne, ein Theil der Gascogne, war mehrere Jahrhunderte im Besiz der Engländer endlich, nach eigenen Aeußerungen Montaigne's, dessen Abkunft von einem britischen Geschlecht herleiten. Doch wird wohl die Frage, wie fie ist, unentschieden bleiben.

Der nächste aufzuklärende Punkt ist die Stellung der Familie Montaigne's in der Gesellschaft. Scaliger's Spott, der Vater Montaigne's sei ein Häringskrämer gewesen, könnte freilich durch den Wiz parirt werden, daß Montaigne nichts dabei verliere, die Häringskrämer aber viel gewinnen; allein für den Charakter Montaigne's, der sich auf den Adel seiner Familie beruft, erscheint es wichtig, die sen Punkt mit gebührendem Ernst zu behandeln. St. John kommt durch die von ihm aufgestellten Argumente zu dem Schluß, daß die Vorfahren seines Helden, nach ihrem Erbschloß in Perigord, den vor den anderen Montaigne's auszeichnenden Namen,,Sieurs de Montaigne geführt haben. Der Vater mochte Eigner einiger beim Fischhandel in Bordeaux verwendeten Fahrzeuge gewesen sein, was jenen Spott veranlaßt haben wird.

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Interessant find einige seltsame Züge aus der Erziehungsweise, die Pierre Eyquem bei dem kleinen Michel anwandte, um deffen Seelenkräfte früh zu entwickeln. Er durfte kein anderes Wort als Lateinisch zu hören bekommen und wurde stets durch irgend ein musi. kalisches Instrument aus dem Schlafe geweckt. Alle Leute im Schloffe mußten lateinisch sprechen; ja von hier aus verbreiteten sich klassische Ausdrücke bis unter die benachbarten Dorfbewohner. In der Schule blieb Montaigne in dem ausgetretenen Geleise des Unterrichts hinter seinen Mitschülern weit zurück; dafür las er im Geheimen Ovid, Vir. gil, Terenz, Plautus und italiänische Dramen und zeichnete sich als Schauspieler in den gelegentlich aufgeführten Stücken aus. Von der Schule ging er zur Universität, wahrscheinlich nach Bordeaux, wo er die Rechte studiren sollte; obgleich er aber, wie er sagte, bis über die Ohren in juristischen Büchern steckte, so scheint er es darin doch nicht weit gebracht zu haben. Sein Auftreten bei Hofe giebt Anlaß zu einer Skizze von Paris in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts.

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"Das Paris aus Montaigne's Jugend bot einen ganz verschiedenen Anblick von dem heutigen Paris; dennoch spricht er davon mit der Ehrfurcht und der Begeisterung, wie nur ein Franzose unserer Tage.

Bei seinem ersten Besuche war das neuzeitige Louvre soeben aus den Trümmern eines von Franz 1. zerstörten Feudalschloffes erstanden, und

das Stadthaus, an dem Geburtstage Montaigne's begonnen, hatte sich

noch nicht über das zweite Stockwerk erhoben. Der Rest der Cité trug noch das mittelalterliche Gepräge und nur hin und wieder, wie 3. B. in dem prachtvollen Hôtel de Carnavalet, wo Montaigne in

seiner Jugend Aufnahme fand, war die bildende Hand der Renaissance fichtbar. Auf weiträumige und zum Theil befestigte Herrensize, hinter deren Wällen der große Adel stets gerüstet war, an die Spiße der Parteien zu treten, frieß man bei jedem Schritt und fie gaben dem nördlichen Viertel der Cité eine italiänische Physiognomie. Die Maffen von Privatgebäuden überragte die riesenhafte Gestalt von Notre-Dame, die damals weit mehr als jezt mit ihrer Umgebung harmonirte. In der Gegend des Berges Sainte Geneviève, und längs dem Flusse, wo jezt das Weindepot und der Jardin de Plantes liegen, erstreckten sich ungeheure, Festungen ähnliche Klöfter mit düsterem Ge mäuer. Hierher drängten sich Schaaren müßigen Volkes, besonders Irländer, um von der geistlichen Milde ihren Hunger stillen zu laffen. An der entgegengesezten Seite blickten finster die Bastille und das Arsenal auf das Militairviertel herab, in deren Nachbarschaft sich jedoch die Industrie angesiedelt und sich mit zahlreichen Handwerker wohnungen umgeben hatte. Das gegenwärtige Viertel St. Germain war ein offner Plag, wo jährlich, selbst vom Hofe besuchte Märkte abgehalten wurden. Das Quartier latin war damals schon das gelehrte Viertel: hier lagen die Schulen, wohnten Studenten, und die Buchhändler waren gefeßlich auf dieses Viertel beschränkt. Der Fluß war hauptsächlich mit Weinhändlerböten bedeckt, die sich durch ihre glänzenden flatternden Wimpel auszeichneten; die steinernen Brücken waren von Häusern in Doppelreihen besezt. Der Hof, und was sich zur sogenannten Gesellschaft zählte, zog sich nach dem Viertel des

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Louvre, und dieser Palast wurde bald der Lieblingsfiß der Könige. Hier weilte Montaigne gern, so daß Louvre und Paris ihm bisweilen als synonym galten. Zur Zeit Heinrich's II. zählte die Stadt 15,000 Häuser mit 400,000 Einwohnern. Die Straßen, selbst die vier Hauptstraßen, die sich im Quartier de la Halle freuzten, waren sehr eng. Als ein hervorstechender Zug in der Physiognomie der Straßen erscheint die Unzahl von Schildern, die gleich hölzernen Bannern an den Laden hängen und unter jedem Windstoß seufzten und fnarrten. Die Kutschen kamen erst kurz vor dem Lebensende Montaigne's in Gebrauch; Hofleute und Bürger bedienten sich der Reitpferde. Der Weichling Heinrich III. scheint der erste König gewesen zu sein, der in einer zierlichen, mit fäulengetragener Decke versehe nen Kutsche fuhr."

Von den jugendlichen Liebschaften und der Freundschaft mit La Boëtie führt der Biograph die Leser allmählich zu Montaigne's Heirat und häuslichem Leben, zur Abfaffung der „,Essais”, zu feinen Reisen, seinem öffentlichen Leben als Maire von Bordeaur und endlich an sein Todtenbette. Kein Roman bietet einen so reichen und mannigfaltigen Wechsel, wie dieses Lebensbild, treu abgespiegelt in Schriften voll Humor, Geist und Gelehrsamkeit, auf die der Biograph stets seine Leser hinweist, und wir können gegenüber unseren Lesern lediglich seinem Beispiel folgen.

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Mannigfaltiges.

Seit

Cruikshank's Falstaff".) Kürzlich ist die SchlußLieferung dieses originellen, von dem bekannten Zeichner George Cruikshank herausgegebenen, illustrirten Werkes erschienen. Hogarth ist vielleicht kein Zeichner in England so populär geworden, wie Cruikshank, der auch, gleich Jenem, durch Verbreitung sittlicher Ideen, wie z. B. durch seine Illustration der Branntweinflasche (The Bottle), fich um die Volksbildung verdient gemacht hat. Das Leben, der Charakter und das Ende Sir John Falstaff's sind durch einen Cyklus von zwanzig großen Stahlstichen erläutert, zum Theil nach Shakspeare, wie er den Helden in Heinrich IV." und den Luftigen Weibern von Windsor" darstellt, zum Theil aber auch nach einer dem Werke beigegebenen,,imaginären Lebensbeschreibung des Ritters, nach authentischen Quellen bearbeitet von R. B. Brough". Bei der Vorliebe, die auch in Deutschland für Shakspeare und seine dramatischen Charaktere herrscht, wird das Cruikshanksche Werk gewiß auch hier Vielen willkommen sein. Dasselbe kann durch die Buchhandlung der Herren A. Asher &. Comp. in Berlin bezogen werden.

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Morin's Geschichte der Schweiz. Das kompendiöse,

leicht übersichtliche und von der Gründung der Eidgenossenschaft bis auf die Gegenwart reichende Geschichtswerk, das ein französischer Schweizer, Herr M. Morin, vor etwa zwei Jahren herausgegeben, i von Herrn Theodor Beck, Fürsprech in Bern, ins Deutsche überset worden und soeben in einem ansprechend ausgestatteten Bande im Buchhandel erschienen.) Das nach einem einfachen Plan entworfene und in konzisester Form ausgeführte Werk zerfällt in vier Bücher, von denen das erste vom Ursprunge der Eidgenossenschaft handelt und bis zum Bunde der dreizehn Orte reicht (1291-1515). Das zweite Buch umfaßt den Zeitraum von jenem Bunde bis zu der Napoleoni fchen Mediations-Akte und dem Ende der helvetischen Republik (1515 bis 1803). Das dritte Buch ist den Ereignissen zur Zeit des Kaisers Napoleon I., sowie den Versuchen einer Neugestaltung der Schweiz in den Jahren 1813-1815 gewidmet. Das vierte Buch endlich umfaßt die neueste Zeit von 1815 bis 1857, und zwar hat der deutsche Ueberseher in einem Schlußkapitel (dem 45ften) den Hergang der vollständigen, durch die Proclamation des Königs von Preußen, vom 19. Juni 1857, fanctionirten Vereinigung Neuenburgs mit der Schweiz erzählt. Ein reichhaltiges (148 Seiten starkes) Urkundenbuch dient dem Geschichtswerke als Ergänzung und willkommene Erläuterung. Das Ganze ist ein empfehlenswerthes, auch außerhalb der Schweiz praktisch sehr brauchbares Kompendium, das überall die Spuren eines mit fleißigen Studien verbundenen klaren Blickes trägt. Da, wo der französische Schweizer vielleicht die Ueberlieferungen und Sitten der deutschen Schweiz nicht vollständig genug kannte, hat ihm der deutsche Ueberseher durch ergänzende Anmerkungen nachgeholfen, so daß das deutsche Buch, was Geist und Inhalt betrifft, als eine verbesserte Ausgabe zu bezeichnen ist, obwohl es in formeller (sprachlicher) Beziehung sein Original nicht erreicht hat.

*) The Life of Sir John Falstaff. By George Cruikshank. **),,Abriß der politischen Geschichte der Schweiz. Vom Ursprunge der Eidgenossenschaft bis auf unsere Tage". Von A. Morin. Aus dem Französischen von Theodor Beck. Leipzig, J. J. Weber, 1858.

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