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und nicht beneidenswerthen Lage befand. Jest ging ich durch ein Publikum, das für dergleichen ein geübtes Auge hatte und meine Begleiter zu würdigen verstand. Auch diese ihrerseits kannten so manches Gesicht, das uns von der Seite ansah, und sie warfen sich einen Blick oder auch ein unverständliches Wort zu. Vor einer Weinkneipe ftand ein Jüngling mit sehr verwegenem Gesicht, die burulegueule im Munde, die Kappe auf der Seite. Als wir herankamen, schlug er die Arme in einander, wie Napoleon, und sah uns unverwandten Auges an. Der ist bald reif", sagte lachend der eine meiner Begleiter, and der andere rieb sich die Hände. Was wollen Sie bamit sagen?" fragte ich. - ,,Nun", antwortete er, froh wie ein Landmann bei der Aussicht auf eine gute Aerndte,,,nächstens haben wir nur zu schütteln, und dieser Knabe fällt uns von selbst in den Rachen. Aber", fügte er nachdenklich hinzu, „er hat une forte Sorbonne." Sorbonne heißt in der Diebessprache der Kopf, der Geist, gewiß ein Kompliment für die Pariser Universität. Ich habe nie gehört, daß unsere Prager Diebe den Geift Carolina genannt haben; nicht einmal Ferdinandeum, und das Ferdinandeum heißt doch zugleich das Jesuitenklofter.

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Endlich auf dem Plaße der Bastille wozu hat man sie niedergeriffen? wozu hat man die Julisäule errichtet? so viel Arbeit um ein Leichentuch! Endlich tauchten die schwarzen Mauern des Gefängnißses von Mazas empor. Ich ging geraden Weges auf das Thor los, aber meine Begleiter machten mich auf eine Kneipe aufmerksam, die unweit vom Thore liegt, und fragten mich, ob ich nicht noch ein Frühstück einnehmen wolle? Auf meine verneinende Antwort gaben sie mir den Wunsch zu erkennen, daß sie sich selbst gern an einem petit verre erquicken wollten. So treue Begleiter verdienten einen kleinen Lohn, und ich trat mit ihnen ein. Niemals werde ich das teuflische Gelächter vergessen, mit dem uns das Weib hinter dem Schenktische empfing: „Aha!" rief sie,,,habt ihr den Vogel im Neste erwischt!" Und das in Gegenwart des gefangenen Vogels. Lachend schenkte fie den Cognac ein, und die Beiden, froh einer solchen Würdigung von Seiten des schönen und zarten Geschlechts, fingen aufs neue an, von der rude besogne dieser Nacht, wie von großen Thaten, zu erzählen.

Zehn Schritte führten aus der Kneipe ins Gefängniß. Ein eisernes Gitter öffnete sich rafselnd; meine Begleiter nahmen ernste und unterwürfige Amtsmienen an und führten mich, rechts vom Eingang, in die Stube des Greffiers, der so früh schon mit der Feder in der Hand da saß und sehr verschlafen und verdrießlich aussah. Es war mir, als sollte ich ihn wegen seiner Bemühung um Verzeihung bitten. Man stellte mich unters Maaß, man fragte mich nach Namen, Stand, Wohnung, Charakter und beschrieb mich so genau, als sollte mir ein Paß nach Nukahiwa ausgestellt werden. Die Polizei-Agenten entfernten sich, und es nahm mich ein Gefangenwärter in Empfang. Er öffnete eine Eisenthür und schob mich durch. Ich stand in einer weiten Halle, in welcher mehrere uniformirte Gefangenwärter auf und ab gingen. Einer derselben führte mich durch die Halle, rief eine Nummer, und es kam ein anderer Kollege, der vor sich hinmurmelte: ,,Noch Einer! aber das ist ja ein wahrer 2. Dezember!" Dieser Reflexionsmensch führte mich schweigend durch einen der langen Strah len des in Sternform gebauten Gefängnisses. Rechts und links reihten sich dreifach über einander die unzähligen stummen Thüren der Zellen, und längs der Thüren liefen lange Galerieen mit Eisengittern hin. Ueber eine Treppe gelangte ich auf die erfte Galerie, wo mein Begleiter wieder eine Nummer rief. Es kam einer der Gefangenwärter, die ewig und regelmäßig, wie Uhrpendel, vor den Zellen thüren auf und ab gehen, nahm mich in Empfang, steckte einen gewaltigen Schlüffel in ein gewaltiges Schloß es raffelte, es krachte, die Thür gähnte auf - ich stand in der stillen, einsamen, kahlen Zelle. Der Wärter untersuchte mich oberflächlich, fragte, ob ich nicht schneidende Inftrumente bei mir hätte, fügte hinzu, das sei nur für bie Form, und ging. Wieder krachte das Schloß, und ich war allein. Da stand ich und blickte um mich und sah nichts; denn die Zelle in ihrer Leerheit und Kahlheit war wie aus Nichts gebaut. Das kleine Bett mit dem kleinen Tischchen und dem Strohseffel verschwanden in Eins mit diesem Nichts. Die Zelle war drei Schritte breit, sechs Schritte lang und außerordentlich hoch, so hoch, daß das kleine Fensterchen mit Gitter und Blende, nah an der Decke, wie ein ferner, ausgebrannter Stern leßter Größe erschien wie der Zeidak, an dem der Araber ein gutes Auge prüft.

Müde und unausgeschlafen warf ich mich auf das Bett und seßte bald den Schlaf fort, aus dem ich so unangenehm geweckt worden war, und als ich erwachte, sah ich zwei fremde Gesichter, die mich mit Verwunderung anblickten. Es war der Gefängniß-Direktor mit einem anderen, wie es schien, höheren Beamten. Sie fragten mich höflich, ob ich nicht irgend etwas zu sagen, zu bemerken, zu verlangen hätte? Ich dankte und fragte wieder, wann ich verhört werden solle? Die

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Bald darauf huschte ein kleiner, blaffer Abbé herein mit unzähligen, troftlos aussehenden Büchern unter dem Arme und fragte, ob ich nicht der Tröftungen der Religion bedürfe? Ich dankte, und er huschte noch schneller hinaus. Es sah aus, als wäre er durch das Schlüffelloch verschwunden.

Ich brauchte weniger Troft als Zerstreuung, und um diese zu finden, fing ich an, die Zelle aufs neue und ins Einzelnste zu prüfen. Aber ach, sie blieb leer und kahl und dazu so schrecklich rein gehalten, daß alle Hoffnungen auf ein freundschaftliches, durch den Usus der Gefangenen garantirtes Verhältniß mit einer Maus oder einer Spinne verschwand. Wie glücklich war ich, als ich endlich in einem Winkel eine Inschrift entdeckte. Sie war sehr lakonisch, und doch erzählte sie mir in meiner Lage, an diesem ersten und allen folgenden Tagen, eine lange und rührende Geschichte. Oh Amélie! où êtes-vous à présent?"

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Ob mes amis!"

So war mir der Refrain gegeben, der immer wieder und wieder auftauchte, wenn ich die Zelle durchschritt oder bei einem Glase Wein denn der Leser wird bald erfahren, daß ich im Gefängniß ein Sybaritenleben führte - an die Freiheit und an die anderen fernen Freunde und Freundinnen dachte.

,,Oh Amélie! où êtes-vous à-présent!" feufzte ich oft und fühlte eine unendliche Sehnsucht nach Amelie.

Plöglich öffnete sich ein kleiner Schieber und wie ein Mährchen vom Tischlein decke dich erschien auf einem Brettchen ein kleines Löpfchen mit Fleisch, Suppe und einem großen Stück Brodtes. Man tischte mir das Beste auf, das nach der Regel des Gefängnisses aufgetischt werden darf; aber der Topf und der hölzerne Löffel sahen so unappetitlich aus, und ich vertröstete meinen Magen auf beffere Zeiten, die auch bald kamen; denn schon am nächsten Morgen erlaubte mar uns, unsere Kost vom Restaurant holen zu laffen und dieselbe mit civilisirtem Meffer, Gabel und Löffel zu verspeisen. Das Töpfchen an der Luke prüfend, entdeckte ich darüber ein kleines Loch in der Thür, in welchem sich ein kleines Glas befand, das beweglich und so geschliffen war, daß es wohl einen Einblick von Außen nach Innen, aber keinen Ausblick von Jnnen nach Außen gestattete. Ich war also von dem Hüter, deffen dumpfen Schritt auf der Galerie ich hören konnte, beobachtet - ein höchst unangenehmes Gefühl felbft für ein reines Gewissen. Abends kam dieser Hüter herein, um die Gasflamme, die bis neun Uhr brennen durfte, anzustecken. Er hatte höchst gutmüthiges Gesicht, und ich sah ihm an, daß er sich gern in ein Gespräch eingelaffen hätte; aber die Pflicht verschloß ihm den Mund. Doch konnte er die Bemerkung nicht unterdrücken, daß sich die neuen Gefangenen in denselben Zellen befinden, welche am 2. Des zember die Deputirten der National - Versammlung aufgenommen hatten. In dieser Zelle, sagte er, wohnte der General Changarnier, unter dem ich in Afrika gedient habe. Bist du ein alter Soldat, dachte ich, so werde ich dich schon zum Plaudern bringen. Und in der That ist mir das schon nach den ersten Tagen gelungen, und dieses am so leichter, als unsere Wächter sämmtliche neue Gefangenen für höck wichtige Personen hielten. Denn unter uns befanden sich einige herzogliche und gräfliche Namen, deren Glanz in den Augen der naiven und von aller Welt abgetrennten Gefangenwärter auch die plebejischen vergoldete. Außerdem war offenbar Befehl gegeben, uns mit großer Rücksicht zu behandeln. Und da man in Frankreich ge= wohnt ist, dieselben Leute, die heute im Gefängniß fißen, morgen is den höchsten Stellen prangen zu sehen, und dies im Jahre des Heils 1853 mehr als je der Fall gewesen, und wir außerdem die Zellen einnahmen, welche vor etwas mehr als einem Jahre von den berühm testen Männern Frankreichs, alten Ministern, ruhmgekrönten Generalen und Dichtern bevölkert gewesen war es da nicht möglich, daß einige dieser mysteriösen Gefangenen dermaleinst und vielleicht bald mächtige Protektoren der armen Gefangenwärter abgeben könnten? Und in der That machte mir mein Argus bald wie einem Protektor den Hof, erzählte vom General Changarnier und Lamoricière, von seinen Schlachten und Abenteuern, von seinem kleinen Gehalt und von den vielen Kindern, die er zu ernähren hatte; ließ mich die N men meiner Mitgefangenen errathen und schloß seine Reden gewöh lich mit der Andeutung, wie schön es von mir sein würde, wenn ihn nach meiner Befreiung ebenfalls aus der Einsamkeit und Large weil des Gefängnißlebens befreien und ihm z. B. eine Stelle als Garçon de bureau in irgend einem Ministerium verschaffen wollte. Meinen Versicherungen, daß er sich mit seinem Anliegen an den Un rechten wende, feßte er einen hartnäckigen Unglauben entgegen, und ich ließ ihn am Ende, echt jesuitisch, in dem mir nüßlichen Aber

Türkei.

Drakel der Türken.

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Zu allen Zeiten legten die Araber sowohl als die Perser ein großes Gewicht auf die Urtheile und Entscheidungen ihrer durch Kenntniß des Korans ausgezeichneten Gelehrten und derer, die sich vorzugsweise einem frommen Leben widmeten, sei es nun, daß sie Aufschluß begehrten über ihren Seelenzustand oder die Rechtmäßigkeit und den Erfolg ihrer Unternehmungen; sogar der Ausspruch eines Unmündigen, der seine Meinung aus dem Buche der Offenbarung oder der Ueberlieferung bewies, hatte bei ihnen göttliche Geltung. Man erzählt sich z. B. Folgendes von Harun arraschid:) Er ge rieth einft zur Nachtzeit mit seiner Gemahlin Sobeidah in Wortwechsel. Sobeidah schalt ihn mit den Worten:,, du der Hölle Angehörender!" Harun antwortete: Wenn ich ein der Hölle Angehörender bin, so bist du von mir geschieden!" Sie trennten sich also von einander. Harun hatte aber die Sobeidah sehr lieb; WehKlage stieg aus seinem Geifte auf. Er befahl darum einem Herolde, die Ulema von Bagdad zu ihm zu versammeln, und befragte sie darüber, ob er wirklich der Hölle angehöre? Niemand schrieb eine Antwort darauf nieder; man sprach:,,Ob er der Hölle oder dem Himmel angehört, das weiß Gott allein". Schafei war noch ein Kind. Dennoch stand er in der Versammlung auf und sprach: Ich will die Antwort sagen". Die Männer verwunderten sich; sie sagten:,,Ob er wahnsinnig ist? Wie kann an einem Orte, wo so viele Gelehrte gegenwärtig sind, für seine Rede Raum sein?" Harun rief ihn und sprach:,,Sage die Antwort!" Er entgegnete: Hast du wegen einer Antwort meiner nöthig oder ich deiner?" Harun antwortete: „Ich bedarf deiner." Schafei sagte darauf: So steige vom Throne herab! denn die Stelle der Gelehrten ist erhaben". Der Chalif ließ ihn auf den Thron sich sehen. Darauf sprach Schafei: ,,Zuerst beantworte du mir eine Frage, damit ich dir auf die deinige Antwort gebe!" Harun sagte: „Welches ist deine Frage?" Schafei erwiederte:,,Die, ob du Macht gehabt haft zu einer Widerfeglichkeit gegen Gott, von der du aus Furcht vor Gott zurück. geblieben bist?" Harun sagte: „Allerdings, so ist es", und betheuerte es mit einem Eide. Schafei sprach:,,So urtheile ich, daß du vom Volke des Paradieses bift". Die Ulema riefen: „Womit führst du den Beweis?" Schafei antwortete:,,Mit dem Koran. Denn Gott, der erhoben sei! hat gesagt:,,,,Wer da fürchtet das Gericht seines Herrn, und seine sinnliche Seele von dem, wonach ihr lüftet, zurückhält, dem ist der Paradiesesgarten zum Aufenthalte bestimmt““. Alle Ulema schrieen auf und sprachen:,,Wenn Jemand schon in der Kindheit also ist, wie wird er erst sein zur Zeit der Reife!"

Wer aber einen solchen Ausspruch thut, der ist, indem er es thut, ein Mufti, und die Sentenz, die er spricht, heißt ein,,Fetwa", wenn er auch kein obrigkeitliches Amt bekleidet. Den höchsten Imâmen gab man diesen Titel als Auszeichnung, und die ihn führten, verdienten sie auch wohl wegen ihrer Gelehrsamkeit und Bildung, wie der Mufti des Sultan Saladin, Behao'ddin, der das Leben und die Thaten des Lesteren in einer Weise beschrieben hat, daß dies Buch zu den klassi schen Werken der arabischen Literatur zu rechnen ist. Die Fetwa's hatten immer einen um so höhern Werth, je berühmter durch Gelehrsamkeit und Frömmigkeit der Mann war, von dem sie kamen, und man legte Sammlungen davon an, und machte sie zum Gegenstande des Studiums und der Regeln für ähnliche Fälle. Aus diesem Allen ergiebt sich, wie es kam, daß die Türken, als fie den Islam angenommen hatten, ihren Scheicho' l Islam oder obersten Priester als ihren Groß-Mufti verehrten und der Sultan selbst bei wichtigeren Vorfällen oder Unternehmungen sein Fetwa verlangte und dies auch bis hierher so geblieben ist. Indeffen hat das Fetwa, insofern es von der geheiligtsten Person ausgesprochen und aus göttlichen Quellen geschöpft ist, einen mehr als menschlichen Werth, es ist ein GottesSpruch; und so sieht man, wie die Türken eigentlich immer noch das haben, was die Alten Orakel nannten. Wie die Alten den Delphischen Gott oder die Sibyllinischen Bücher zu Rathe zogen, wenn wichtige Vorfälle in Krieg oder Frieden sie zur Fassung von Beschlüffen drängten, also nehmen die Türken des obersten Mufti's Weisheit in Anspruch, um sich entweder für eine Maßregel unter mehreren zu entscheiden, oder der vorgezogenen Meinung eine um so größere Autorität zu geben. Dabei gestattet man sich in Hinsicht auf diese Fetwa's auch eben dieselbe Freiheit, die sich die Griechen nahmen in der Anwendung des Götter-Ausspruchs. Der Mensch will wiffen, was der Himmel urtheilt und beschließt, doch will er auch nicht auf seine eigene Meinung und Einsicht verzichten. Die Alten legten sich daher die Drakelsprüche so aus, daß sie damit ihre eigenen Pläne ausführten; der Schiffsbord, sagten sie, das sind die hölzernen Mauern, hinter denen wir kämpfen sollen. Ebenso wird der Ausspruch eines

*) Taskireto' l'Aulia im Leben des Imâm Schafei Mothallebi. Mipt.

Mufti angenommen, wenn er mit der Ansicht des Sultans und des Volkes harmonirt; im Gegentheile läuft das Oberhaupt der Imâme Gefahr, abgesezt zu werden, und auch ein Neuerwähter theilt dasselbe Geschick, oder man ignorirt seinen Spruch und handelt nach Belieben.

Ein Fetwa, das mit der größten und allgemeinften Zustimmung aufgenommen wurde, und das nicht blos historische Merkwürdigkeit hat, sondern auch deutlich beweist, von welchen Grundsäßen die Anhänger des Islam hinsichtlich der Erfüllung mit Völkern von anderer Religion eingegangener Verträge geleitet werden, und wie die Bündniffe der Christen mit ihnen zu betrachten sind, ist das, welches um das Jahr 1570 nach unserer Zeitrechnung der Scheicho' l Islam Abbu'sfaûd Efendi auf Befragung des Sultan Selim wegen des Bruches eines Friedenvertrages von sich gab.) Die Frage Tautete: ,,Wenn ein Gebiet früher den Bekennern des Jslam gehörte, die Ungläubigen aber es okkupirten, seine Schulen und Bethäuser zerstörten, es mit den Zeichen und Gebräuchen des Unglaubens erfüllen, die Religion des Islam verhöhnen und ihre schändlichen Gesinnungen in der Welt ausbreiten, steht da von Seiten des heiligen Gesezes dem Padischah des Islam, dem Schüßer der Religion, ein Hinderniß entgegen, diese Besißungen, zum Schuße des Glaubens, aus den Händen der Ungläubigen zu nehmen und, falls sie in einem Vertrage mit den Ungläubigen, der anderen Befizungen derselben den Frieden verbürgt, eingeschloffen sind, diesen Vertrag aufzulösen?" Das Fetwa fagt darauf: „Es ist unmöglich, daß es ein Hinderniß gebe. Der Padischah, dessen Siege Gott verherrliche! ist dann mit den Ungläubigen Frieden zu schließen gefeßlich veranlaßt, wenn dies allen Muslemen zum Nugen ist. Ist dies nicht der Fall, so ist jeder Friede durchaus ungeseglich. Mag er für die Dauer oder nur bestimmte Zeit geschlossen worden sein, wenn es nüßlich erschien, so wird es unbedingt pflichtmäßig und nothwendig sein, ihn zu brechen, wenn seine Auflösung nüßlicher erachtet wird. Der heilige Gesandte hatte vom sechsten Jahre der Flucht bis auf zehn Jahre Frieden geschloffen; Ali, deffen Angesicht Gott veredle! hatte den festen Vertrag geschrieben. Als er aber bestätigt worden war und es nüglicher schien, ihn im folgenden Jahre aufzulösen, zog er im achten Jahre gegen seine Feinde zu Felde und eroberte das erhabene Mekka. Der Stellvertreter des Herrn der Welten folgt in seinem glorreichen Vorhaben dem vom Stifter der Religion gegebenen edlen Beispiele. Dies schrieb der demüthige Abu'fsaûd”.

Dieses Fetwa wurde mit Freuden aufgenommen, weil man die 393 Quadratmeilen große, fruchtbare, an Wein, Seide und Baumwolle reiche, mitten im Busen der islamitischen Länder liegende, schon dereinst von den Chalifen Mowia eroberte, mit den Grabstätten vieler muhammedanischen Glaubenshelden bedeckte, für den See-Verkehr mit dem Morgenlande unvergleichlich wichtige Insel Cypern den Venetianern, die sie damals besaßen, wieder abzunehmen im Sinne hatte, dazu auch die erforderlichen Mittel besaß. Der Kapudan Ali Pascha brach daher in dem angegebenen Jahre mit einer Flotte von 360 größeren und kleineren Schiffen zur Eroberung dieser Insel auf, die man, obgleich nicht ohne große Verluste, denn bei Famagusta flogen durch eine Mine 3000 Menschen in die Luft, bewerkstelligte. Doch, abgesehen von dieser Lockung, waren des Mufti Worte ganz den Grundsäßen der türkischen Sittenlehre angemessen, die nur im Nothfalle Frieden mit Ungläubigen gestatten. Ihr unzweideutiger Inhalt ist: „Einem Padischah des Islam ist niemals der Friede mit den Ungläubigen erlaubt, wenn er nicht vollkommen nöthig ist; zur Zeit der Noth aber ist er erlaubt. Wenn indeffen der Nothwendigkeit wegen, nach dem Sprüchworte: „,,,Wenn sie sich zum Frieden neigen, so neige du auch dich ihm "zu"", der Friede geschloffen worden ist, so muß man doch, sobald die Nothwendigkeit beseitigt worden, den Frieden wegwerfen und auf's neue zum Kampfe und Streite zurückkehren, wie in dem edlen Verse: Wirf ihn ihnen gleicherweise wieder zurück!"" gesagt wird. Einem Padischah des Islam ist, wenn er die Länder der verächtlichen Ungläubigen zu erobern die Macht hat, dies zu unterlaffen und zu vernachläffigen durchaus nicht gestattet, besonders diejenigen Länder, wo schon einmal die Fahne des Islam aufgepflanzt und deren Gebiet schon früher zum Geschlechte des islamitischen Volkes gerechnet worden ist, wie die Inseln Cypern und Sicilien und die Länder von Andalusien“. Diese Stelle, die man im dritten Buche des Akhlak Ali (S. 24) findet, einem Buche, das, wie der Zusammenhang lehrt, zur oben erwähnten Zeit schon geschrieben war, läßt uns erkennen, daß das Fetwa des Abbu'sfaûd nur der Ausdruck einer schon festgewurzelten Meinung war, der Mufti kein anstrengendes Nachdenken dabei nothwendig hatte und kein Widerspruch dagegen von ihm befürchtet werden durfte.

Allein dies war nicht immer der Fall. Man hat auch Beispiele, wo ihm die Antwort schwerer werden mußte, wo er seine Meinung

*) S. Tochfetu' 1 kibar, fol. 40.

hart büßte, oder wo sein Ausspruch, wie richtig er auch war, ignorirt wurde. Und auch diese werfen ein Licht auf Herrscher und Volk; worüber vielleicht nächstens ein Mehreres.

Haïti.

Die Beschaffenheit des Meeres an der nördlichen Küfte von Haiti. Ueber diesen Gegenstand giebt ein in Amerika lebender deutscher Gelehrter, der früher am zoologischen Museum in Berlin angestellt gewesene Helmintholog Dr. D. F. Weinland, der eine naturwissen schaftliche Reise nach Haïti gemacht hatte und von dem nächstens in New-York ein Werk unter dem Titel: „Die Parasiten des Menschen, vom zoologischen Standpunkt“, erscheinen wird, folgende Notizen (in der New-Yorker „Neuen Zeit"):

„Die große Respiration des Meeres, die Ebbe und Fluth, be rührt kaum diese Küste. Weder der Küstenbewohner, noch die Capitaine der fremden Schiffe sprechen von hohem oder niedrigem Wasser. Die hohe Fluthwelle wird nicht nur durch die Menge von Inseln, die den mexikanischen Golf einschließen, gebrochen, sondern wird auch durch einen fortwährenden Meeresstrom, der von Oft nach West dieser Küfte entlang läuft, neutralisirt.

"Die ganze Meeresbewegung an dieser Küfte beruht auf dem Wind. Seine Wirkungen sind zweifach: a) der tägliche Wechsel von See- und Landwind; der Erstere fängt früh 8 Uhr an zu wehen, der zweite Abends zwischen 6 und 9 Uhr. Der Leştere ift kräftiger und beständiger und drückt jeden Abend die See zwischen 1 und 2 Fuß tief. Aber da ist b) ein anderer Wechsel der Winde, nämlich: ein vorherrschender nördlicher Wind im Winter, vorzüglich Dezember, Januar und Februar, und ein vorherrschender südlicher Wind im Sommer. Diese Winde bringen einen solchen Effekt hervor, daß in der Jahreszeit des Norden", wie sie hier genannt wird, die See beständig 8 Fuß höher ist als im Sommer.

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Wie mächtig dieser Wechsel auf das organische Leben im Meere ist, muß einleuchtend sein. Ich will nur bemerken, daß während der lezten Woche des Mai und ersten Woche des Juni am Ufer auf einem Plag, nicht größer denn ein englischer Acker, mehr als 100 Ac tineae und Holothuria ftarben, weil das Waffer zurückgetreten war; nicht zu vergessen, daß außerdem Tausende andere Thiere, Fische zc. und Seepflanzen abstarben, indem sie von der See in den von der tropischen Sonne erhißten Lachen nahe dem Meere, ohne neues, erfrischendes Waffer, zurückgelassen worden waren. Daffelbe, was früher durch das vulkanische Steigen des Landes aus dem Meere geschah, wobei ganze Familien-Gattungen von Thieren 2. für immer vertilgt wurden, geschieht hier, wenn auch in viel kleinerem Maßstabe, alljährlich. Noch außerdem wird in der Jahreszeit der Rordwinde" die ganze Seeküste bis zur Tiefe von 5 Faden aufgewühlt, und nicht allein die Ueberbleibsel abgestorbener Schellfische, sondern eine Unzahl lebender werden zugleich mit großen Blöcken von Korallen gegen die felsigen Küsten geworfen und zertrümmert und hoch aufs Trockene gelegt. ,,Außer der Bewegung ist hier noch ein anderer Umstand, das organische Leben betreffend, der besonderen Beachtung würdig. Es ist die chemische Zusammenseßung des Meerwassers. Das Meerwasser enthält in dieser Gegend, 18 Grad nördl. Br., die größte Menge Salz. Die Flüsse der nördlichen Küste von Haïti sind nicht groß genug, um einen bemerkbaren Einfluß auf die Zusammensegung des Seewassers, selbst in der unmittelbaren Nachbarschaft ihrer Mündungen, auszuüben.

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„Die Mündungen der Flüsse sind durch Sandbänke geschloffen, und verhindern den leichten Ausfluß des Süß- und den Einfluß des Salzwassers; dies ist so merklich, daß Schiffe ihr Trinkwasser direkt aus dem Fluffe ganz nahe der Mündung einnehmen. Troß dieser großen Verschiedenheit in dem Waffergehalte, fand ich, daß viel mehr Seefische die Flüffe heraufgehen als in deutschen, englischen, ameri kanischen 2c. Flüssen, bei denen der Salzgehalt des Waffers sich nur allmählich verändert; dies zeigt klar, wie flexibel die Natur dieser Fische sein muß, daß sie dieses so intensiv mit Salz geschwängerte Waffer neben dem ganz reinen Quellwaffer vertragen können".

Mannigfaltiges.

Pietro Metastasio. Die sonst gewöhnlich aus 16 bis 20 Bänden bestehenden Werke dieses Lieblingsdichters aller Höfe und musikalischen Salons des achtzehnten Jahrhunderts bilden in der zu Triest erscheinenden,,Bibliothek der italiänischen Klassiker") Einen Band von 1114 Seiten in Lerikonformat und kosten in dieser Ausgabe nicht mehr als ungefähr zwei Thaler (3 Fl. 12 Kr. C. M.). In Literargeschichtlicher und sprachlicher Hinsicht ist diese Sammlung von Opern, Dratorien, Kantaten, Gelegenheitsdichtungen, Madrigalen, *) Triest, Literarisch - artistische Abtheilung des Desterreichischen Lloyd, 1857-1858.

Episteln 2. gewiß eine werthvolle Bereicherung jeder italiänischen Bibliothek. In poetischer und kulturhistorischer Beziehung ist jedoch aus diesem umfangreichen Buche kaum irgend ein Gewinn zu ziehen. Der wohlunterrichtete Herausgeber der Biblioteca Italiana, Dr. A. Racheli, sagt in der biographischen Einleitung zu Metaftafio's des Herzens und des Geistes zu folgen.... Nur zu bald mußten Werken selbst:,,Frühzeitig hatte Metaftafio verlernt, den Eingebungen die Regel und das Maaß ihm das ersehen, was der durch das Leben erstickte Genius nicht mehr zu leisten vermochte.... Seine Sprache, weit entfernt von toskanischer Eleganz, erscheint in seinen Versen oft arm ja bettelhaft. Lächeln muß man über diejenigen, welche behaupten, daß er die Sprache so untergeordnet, damit sie einfacher sex und sich den musikalischen Noten mehr anschmiege. Die Variationen unserer ungemein ästhetischen und jedem Mechanismus nachgebenden Sprache sind unendlich groß: sie kann sehr bescheiden und schüchtern, ja, wenn man will, monoton sein, aber sie ist stets mannigfaltig und elegant. Die Zierlichkeit Metastasio's dagegen ist oft nichts weniger, als eine Zierde: feine Ideen sind, statt anmuthig, was sie sein sollen, geschraubt, und sein Schwung ist ein bloßer Wortschwall.... Alles dies gehört freilich einer schwächlichen Zeit an einer Zeit, die mit ihrer Leichtfertigkeit und Verderbniß nothwendig auch auf die Sprache und das, was als schön und beifallswürdig galt, nicht ohne Einfluß bleiben konnte".... Gewiß dürfen wir es als ein Zeichen wachsender, ästhetischer und philosophischer Bildung betrachten, daß die Staliäner, wie aus dem vorstehenden Urtheil zu schließen, nicht mehr a eitler Selbstverherrlichung blind find für die Mängel ihrer berühmten Schriftsteller und dieselben vielmehr mit voller, sittlicher Strenge kritisiren.

- Lola Montez. Wie amerikanische Blätter berichten, ist diese Dame, oder vielmehr ihre Nationalität, kürzlich der Gegenstand einer gerichtlichen Verhandlung vor dem Supreme Court in New-York gewesen. Es handelte sich bei diesem Prozesse keinesweges darum, ob die Dame eine geborene Spanierin sei oder nicht. Darüber scheint kein Zweifel mehr obzuwalten, daß sie den hesperischen Gefilden niệt entsproffen sei; wohl aber ist es streitig, ob Irland oder Schottland Anfprüche auf die Ehre hat, ihr Geburtsland zu sein. Ein Mr. Schermer horn hat vor dem Sapreme Court behauptet, der ursprüngliche Name von Lola Montez sei Betsy Watson, mit welchem Namen sie in dem schottischen Städtchen Montrose geboren worden, wo sie auch in Gasthofe,,Star Inn" als Zimmermädchen gedient habe. Lola war selbst vor dem hohen Gerichtshof erschienen, um diesen Behauptungen zu widersprechen. Sie gab zu, daß ihr Stiefvater, ein Major Craigie, zu Montrose geboren sei; sie selbst habe jedoch zu Limerick in Frland das Licht der Welt erblickt. Zimmermädchen (Chambermaid) sei fie niemals gewesen;,, und wenn ich es gewesen wäre", fügte sie hinzu, so würde ich jest stolz darauf sein." Der amerikanische Richter wollte eben eine Entscheidung in der Sache treffen, als sich zwischen dem Vertheidiger der Dame und ihrem Gegner ein so heftiger Streit erhob, daß es zu einer Schlägerei kam, was in Amerika vor Gerichtshöfen und Legislaturen allerdings nichts Seltenes ist, doch mußte in Folge dessen die Verhandlung aufgehoben werden.

Nordische Blätter. Dieses Hamburgische Sonntagsblatt") hat neues Leben und ein viel größeres Intereffe gewonnen, seitdem Herr Fr. J. Kruger, ein durch originelle Ideen, besonders auf den Gebieten des morgenländischen Alterthums und der europamüden Auswanderung, sich bemerklich machender Schriftsteller, die Redaction desselben übernommen hat. In zwei uns zugegangenen Nummern (9 und 10) der,,Nordischen Blätter" eröffnet Herr Kruger eine literarische Erörterung mit der Ueberschrift: „Möglichkeit und Vorzeichen einer Wiedergeburt der deutschen Dichtung und Kunst", die wir mit Intereffe gelesen haben, obwohl wir, die wir Gelegenheit haben, die Erzeugnisse deutscher Dichtung mit denen des Auslandes zu vergleichen, weit davon entfernt find, in die Behauptung des Verfaffers einzustimmen, daß Poesie und Kunst in der deutschen Gegenwart ganz verkommen seien, und daß wir uns angeblich wieder in einer literarischen Periode befänden, die nur mit der von Lohenstein und Hoffmannswaldau zu vergleichen sei. Abgesehen von dieser gänzlich aus der Luft gegriffenen Behauptung, bietet jedoch der Artikel des Herrn Kruger, der uns den Orient und besonders seinen Lieblingsdichter Firdusi als Reiz- und Auffrischungsmittel empfehlen will, um mit ihm neue Ideen und neues Leben in unsere Poesie einzuführen, manchen Stoff zur Erörterung unserer gegenwärtigen literarischen Zustände dar, und so haben wir uns auch dem Wunsche des Verfassers nicht entziehen mögen, mit diesen Worten mindestens darauf hinzuweisen.

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Wichentlich erscheinen 3 Nummern. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., balbjährlich 1 Thir. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Biat im Julande portofrei und in Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 37.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Reumann, Niederwallstr. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Wemteru, angenommen,

Literatur des Auslandes.

England.

Berlin, Sonnabend den 27. März.

Korrespondenz-Berichte aus London.

Shelley und einige neuere literarische Erscheinungen. Shelley stand lange in der englischen Literatur isolirt als ein unbegriffener Dämon. Jezt hat ihn Charles S. Middleton mit fammt Shelley's Schriften zu retten, zu begreifen, zu erklären gesucht und nicht weniger als zwei Bände zu diesem Zweck geschrieben.") Wir wollen nicht ins Extreme gehen mit Mr. Middleton und alle Schuld an der Verzerrtheit und der Polemik des Poeten auf die englische Gesellschaft werfen. Shelley war von Jugend auf physisch und persönlich ein seltsamer Kauz. Hinter dem zarten Geficht eines Mädchens, den hellblauen Augen und der weißen, dünnen Haut steckte, der kreischenden, tremulirenden, gebrochenen Stimme nach, ein altes Weib, und, seinen Versen nach, ein Gigant, ein Höllenfürst mit dem Troße und dem Muthe, gegen die ganze Welt Krieg zu führen. Aufgeregt, kreischte er wie ein Unhold der Nacht, unter- oder überirdisch. Die Jungen in der Schule zu Brentford ärgerten und neckten ihn oft blos, um das furchtbare, unheimliche Kreischen des schwachen, seltsamen Knaben zu hören. Weder Mitschüler, noch Lehrer wurden aus dem launischen, schwachen, schönen, mädchenhaften, dämonischen Knaben flug und behandelten ihn deshalb boshaft, wenigstens verkehrt. Die Welt trieb den schwachen Knaben und Jüngling zur Verzweiflung, zu dem Grundzuge seines Lebens und Schreibens, sich überall für das Gegentheil des gemeinhin Geltenden zu erklären, um sich an der Welt zu rächen und statt der fehlenden physischen Kraft eine unbeugsam troßige und feindliche des Wollens und der Anschauung zu zeiEr machte Schiffchen von Funfzigpfundnoten und ließ sie auf der Serpentine im Hydepark schwimmen und umkommen. Gegen seine erste Liebe und Frau war er schnöde, gegen Freunde und Alle, die sich ihm in Noth näherten, aufopfernd freigebig und mitleidig. Dabei wählte er oft die schlechtesten Subjekte zu Freunden und Empfängern seiner Freigebigkeit. Seine Schulfreunde, Medwin, Hogg, Leigh Hunt, Trelawney), Byron Alle geriethen mehr oder weniger in Krieg gegen die Gesellschaft in Form der Passion, nicht der neueren (und \neuesten, überwindenden und über den Feind sich erhebenden Satire oder des Humors. Eton, das Gymnasium, und Orford, die Universität, hielten dem Genius ihre Dogmatik, hypokriti sche Formeln und den Fanatismus sanctionirter Säße entgegen. Das gegen empörte er sich so, daß man ihn relegirte. Aeltern und Geschwister zuhause, reich, aber roh und festgeformelt, empfingen ihn mit demselben Geschrei, mit welchem das fromme Orford ihn vertrieben. Sie stießen ihn von sich, den Ismaeliten, und in den nun eigentlich beginnendert, poetischen Krieg gegen alle bestehenden Formeln der englischen Gesellschaft.

Shelley wanderte in die Welt hinaus, heiratete unbedachtsam, lernte Opium effen, Geld von Wucherern borgen, lief durch Schottland, Irland und Wales, focht wie ein Don Quijote gegen imaginäre Ungeheuer, verließ seine Frau und seßte sich in London eine Zeitlang zur Ruhe, um den ganzen Tag im Britischen Museum zu lesen. Hier lernte er Godwin näher kennen, der viel Einfluß auf seine erste und hauptsächlichste Schöpfung: „Queen Mab", gehabt zu haben scheint.,,Queen Mab" war der Fehdehandschuh gegen die Welt im Allgemeinen. Niemand nahm ihn eigentlich auf, aber Alles schrie dagegen.

Shelley verkämpfte den folgenden Theil seines Lebens hauptLebens_hauptsächlich mit Vertheidigung seiner Königin Mab. Dazwischen dichtete

*) Shelley and His Writings. By Charles S. Middleton. 2 vols. London: Newby, 1858.

**) Trelawney, deffen,, Adventures of a Younger Son" (auch ins Deutsche übersezt) in ihrer Frische, naturalistischen Derbheit und Offenheit zu ihrer Zeit großes Aufsehen erregten, hat eben,, The Last Days of Shelley and Byron" unter der Preffe, welche bei dem Erscheinen dieses Berichtes schon im Buchhandel sein werden. Wir machen darauf aufmerksam, da Verfasser und Stoff etwas Interessantes und Eigenthümliches erwarten lassen.

1858.

er manches glänzende, originelle Werk mit so frischen, freudigen Bildern und Natur-Anschauungen, daß seine ärgsten Feinde oft eine Zeitlang schwiegen oder bewunderten.

Mit seiner zweiten Frau, einer Tochter Godwin's, durchreiste er Frankreich, die Schweiz und Italien und blieb im schönen ArnoThale fizen, wo er sich bis heutzutage ein freundliches Andenken an seine Menschenliebe und Seltsamkeit unter der Bevölkerung erhalten hat. An den Gestaden des Comersee's, in Florenz, Neapel und Nom, besonders in Pisa, im Schatten des Campanile, unter den Trümmern des Campo santo und in dem halbtodten Lungarno wurde er milder und weniger bitter gegen das Leben und dessen Formen und Gestalten, aber auch melancholischer und liebte es, aus Verfall und Tod scheußliche Gespenster aufzujagen. Sein Parnassus war finster und bevölkert mit grinsenden Phantomen, seine Helikon-Quelle sprang aus dem schwarzen, stillen Gewässer der Melancholie; als Musen dienten ihm die Eumeniden, deren Rachegeheul ihn begeisterte, wenn sie hinter dem Verbrechen herjagten, um es niederzuschmettern und zu richten. Er ist eine Art von personifizirter Schicksalstragödie, nur viel poetischer und großartiger, als jemals der mit „Schuld“ und „Albaneserin“ Geld machende, trockene, sterile Müllner und Compagnie.

Middleton vergöttert seinen Helden, um Rache an seinen Feinden und der Philisterhaftigkeit derselben zu nehmen. Aber er trifft, soviel ich urtheilen kann, nirgends die rechten Punkte, worauf es ankommt. Erstens lag Shelley's Richtung ganz wesentlich in der Epoche damaliger Literatur; alle Zeitgenossen Shelley's hatten etwas von seiner Art, das Leben anzuschauen und zu dichten, nur, mit Ausnahme Byron's, nicht soviel Bitterkeit und Genie. Zweitens mußten das englische Leben und dessen Formalismus und hypokritischer Dogmatis. mus gehörig als Quelle dieser Richtung pointirt werden. Drittens war das Lebensschicksal, die Erziehung, die physische Individualität des Dichters gehörig in Rechnung zu bringen. Diese wesentlichen Agentien treten nirgends aus der dicken, breiartigen, schwammigen Apotheose des Dichters als bestimmte Faktoren hervor.

Die Engländer find keine Kritiker, noch viel weniger Aesthetiker. Ueber letteren Mangel habe ich schon manchmal Gelegenheit und Stoff gehabt, mich auszusprechen. Jezt habe ich mich wieder in ein ganzes Buch voll Beweise dafür hineingelesen, aber nicht wieder heraus. Ich blieb darin ftecken und warf das Buch weg, nämlich Symington's ästhetische Beobachtungen über das,,Schöne in Natur, Kunst und Leben".") Es find ganz hübsche Beobachtungen, Bemerkungen und noble Ansichten darin, aber keine Spur von der philosophischen Erkenntniß des Schönheits-Begriffes und seiner Manifestationen. Er ist noch lange nicht bis zu Jean Paul's unphilosophi scher Vorschule der Aesthetik gekommen, geschweige in die Hegelsche oder Rugesche wirkliche Schule (Ruge's Buch über das Komische ist, was er auch sonst an Makulatur geschrieben haben mag, eine wirkliche philosophische Eroberung, die wirkliche Besißnahme einer Festung, an welcher alle Aesthetiker, selbst Hegel, gescheitert waren). Deshalb kein Wort weiter über Mr. Symington. In Details, im Experimentellen find dagegen die Engländer vorzüglich und den Deutschen oft weit überlegen. Dies zeigt besonders ihre präraphaelische Malerschule, wie wir sie jest wieder in verschiedenen reichen Ausstellungen bewundern. Diese Detailmalerei ist wundervoll: der Botaniker, der Architekt kann nicht klarer und konziser im Detail sein. Freilich ist das nicht die eigentliche Kunst, welche das Erscheinende und Scheinende, nicht die detaillirten Einzelheiten der Wissenschaft malt, aber es ist doch meisterhaftes Detail.

Ueber die sonst sehr kultivirte Farbengebung, über die blühende Wasserfarben-Malerei, wie über sonstige Technik der Malerei, enthält Profeffor Barnard's Buch°°) ungemein reiche und praktische Beob

*) The Beautiful in Nature, Art and Life. By A. J. Symington. London: Longman & Co.

**) The Theory and Practice of Landscape - Painting in Water-Colours. Illustrated. By George Barnard, Professor of Drawing in Rugby School. London: Hamilton, Adams & Co.

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achtungen und praktische Anweisungen, die vielleicht dem besten deutschen Maler oder Kenner noch nüßlich werden können. Holzschnitte und kolorirte Diagramme zur Spezifizirung verschiedener Säße machen. oft die feinsten Geheimnisse der Kolorirung populär und verständlich. Dabei läuft manche geistreiche und selbst wißige Anekdote mitunter, so daß das Buch selbst als bloße Lektüre interessant ist. Ein definitives Urtheil kann ich nicht darüber fällen; ich habe blos darin herumgelesen und keine Gewißheit über den ganzen Bau der Theorie, die zu Grunde liegt. Die einzelnen Partieen, mit denen ich mich bekannt machte: „Licht und Schatten“, „Composition“, felbft die Art, wie man den Pinsel halten und führen muß, find nach meinem Eindrucke meisterhaft, just in der Art der Malerei, in welcher die Engländer als Meister gelten.

,,Jack of All Trades", von Charles Reade, einem englisirten kleinen A. Dumas, liegt noch auf meinem Lesetisch; ebenso ,, Andromeda and other Poems" („, and other Poems", wie es alle Dichter mit Namen zu machen scheinen, um immer bald wieder einen Band neben einem längeren Gedichte zu füllen), von Charles Kingsley. Auch der,,Ngami-See“ von Ch. A. Andersson, der vier Jahre in Livingstone's Regionen war (die Erpedition des Lezteren ist abgegangen), wartet noch auf Durchsicht. Ueber Atkinson's,,Sieben Jahre in Sibirien" (,,Oriental and Western Siberia"), habe ich bereits berichtet. Es wird gewiß in deutschen literarischen Kreisen schon bekannt und wohl auch erzerpirt oder gar überseßt sein. Sibirien ist jezt zu interessant. Es geht nicht nur ein tropischer Zug durch diese verschrieene, große Welt, sondern auch ein Evangelium der Freiheit, das in dem großen Gebiete der freiesten Freiheit, in Amerika, als Fluch verfolgt und mit Fäusten im Kongreß, mit Gift, Dolch, Revolver, Bürgerkrieg und mit dem Kainsstempel der Revolution und des Hochverraths gebrandmarkt, auf Leben und Tod bekämpft wird. Von amerikanischen Zeitungen wurde felbft Rußland schon denunzirt, daß es sich einer Freiheit ergebe, die dort unbeliebt ist, indem es Sklavenfeffeln breche. Derindur! Derindur!

Frankreich.

Moris Hartmann's:,,Le mie prigioni”.

(Schluß.)

Schon am zweiten Tage erlangte ich die angenehme Ueberzeugung, daß man nicht gewillt war, uns hart zu behandeln. Man erlaubte mir, an meine Freunde, freilich französisch und in ungesiegelten Briefen, zu schreiben und ihnen meine Verhaftung anzuzeigen und aus meiner Wohnung Kleider und Wäsche kommen zu laffen. Auf diese Briefe hin verwandelte sich mein Gefängniß bald und wie auf einen Zauberschlag zugleich in einen Garten, in eine Bibliothek und in eine lukullische Speisekammer. Blumensträuße und Löpfe kamen von allen Seiten; aus dem Gewächshause Daniel Stern's, des Verfaffers der Februar-Revolution, kamen sogar ganze Blüthenbäume, und ich war gezwungen, meine Fensterluke Tag und Nacht offen zu halten, daß mich, wie Freiligrath's Schöne, Blumenduft nicht tödte. Zwischen Bäumen ftanden hohe Pfeiler, aus Büchern aller Art aufgeschichtet, und zwischen Blumen und Bücherpfeilern, hold versteckt und wie Veilchen lockend, Weinflaschen aller Zonen, zeitvertreibende, herzerheiternde Genoffen, und neben ihnen die materielleren Gesellen aus Chevet's Magazinen, Pasteten mit Gansleber aus Straßburg und Trüffeln aus Perigord. Da faß ich ein gefangener

Epicuri de grege procus.

Ja, wer jene Trößterin hätte sehen können, die man in profaner Sprache,,Kaffeemaschine“ nennt und die, von der Spritusflamme erhißt, vor mir auf dem Tische stand und Lieder sang und Mährchen erzählte, der hätte mich auch für einen beatus ille procul negotiis nehmen können.

Ach, ich war es nicht! Troß Wein und Büchern drückte die Einsamkeit wie eine Bleikappe auf mein Hirn: ich lag auf einer unsicht baren Folter, die mich reckte und dehnte und mir Löcher in die Stirn bohrte, aus denen alle fröhlichen Gedanken entflohen. Ich zählte die Lage, die Stunden, die Minuten; ich schritt meine sechs Schritte auf und ab, bis ich vor Schwindel nicht weiter konnte und auf das Bett fiel; ich kletterte mit Hülfe des Tisches und Stuhles, die ich auf einander thürmte, zu dem kleinen Fensterlein empor und betrachtete zwei und, wenn es hoch kam, drei Sterne auf dem Quadratfuß Himmel, der mir gegönnt war.

Oh Amélie! où êtes-vous à-présent?

Oh mes amis !

Die Lokomotive im benachbarten Bahnhofe ließ mir keine Ruhe, ihr Pfiff, der einzige Ton, der zu mir gelangte, ging mir wie ein schneidendes Messer durchs Herz. Sie erzählte mir, wie zum Hohne, von Italien, da Hin ihre Bahn geht, von der weiten, weiten Welt, und wie schnell man sich heute bewegt, und „daß ich bin gefangen."

Der Abend, der dem Gefangenen willkommen sein sollte, weil er wieder einen Tag begräbt, der Abend ist seine traurigste Zeit, denn er ist die Zeit der Sehnsucht, des gemüthlichen Zusammenseins. Dem Gefangenen wird die Sehnsucht zum Fieber. Man starrt die unbe wegliche Mauer an, ob sie sich nicht doch öffnen wird, und bald hat man nicht übel Luft, seinen Kopf als Mauerbrecher zu gebrauchen. Alle die Gedanken, die man den Tag hindurch, über sich allein sizend, aus Büchern geschöpft, alle die Phantasieen, Wünsche, Hoffnungen, Sorgen, die man selbstquälerisch oder in glücklicher Selbstvergessen. heit geweckt hat und die man im Zwiegespräche, im Austausche nicht loswerden konnte, erheben sich des Abends im wilden Gedränge und wollen heraus aus ihrem Gefängniß, heraus in das Leben, für das sie geprägt sind, und arbeiten an ihren Schädelkerkerwänden, als wollten sie sie sprengen. Rettung! Rettung! Und die ist nella miseria die Erinnerung del tempo felice! Man schließt die Augen; heitere und traurige Bilder der Vergangenheit ziehen vorbei, man greift unwillkürlich nach der Feder, jenem Zauberstabe, um sie festzuhalten und so begann ich, auf das Papier, das mir ein Kerkermeister geliefert, nachfolgende Erzählungen und Skizzen niederzuschreiben. Eigentlich gehört nur so viel zu meiner Vorrede, und ich sollte mit einigen bescheidenen, an den Leser um Nachsicht gerichteten Bitten hier abbrechen - aber ich fühle mich gedrängt, mie prigioni fortzusehen, um dem Lande, das den Verbannten, trog jener Haft, gastlich aufgenommen, das Zeugniß auszustellen, daß in seinem Schooße, trog Allem und Allem, die freiheitlichen Ueberlieferungen nicht auszusterben vermögen, und daß selbst der Gefangene der Früchte jenes humanen Instinktes genießt, der den Franzosen auszeichnet. Als ich meiner Haft entlassen war, hatte ich das Unglück, es vor einem Journalisten auszusprechen, daß ich drei Wochen im Gefängniß von Mazas einer dreistündigen in irgend einem heimatlichen Gefängnisse vorziehe, und das Wort lief durch mehrere Journale.

Ich hätte besser gethan, es vor einem Fremden nicht auszusprechen; da es aber einmal gedruckt ist, will ich es um so weniger ableugnen, als der Vorwurf, den es enthält, nicht eigentlich mein Vaterland trifft.

Ich will fortfahren, um jenen Ausspruch zu erhärten und zugleich allen jenen Bekannten und Unbekannten zu danken, die mich während der Zeit meiner Haft und später bei ähnlicher Gelegenheit durch die zartesten Aufmerksamkeiten, durch Hülfeleistungen aller Art, durch die lebhafteste Theilnahme für immer verpflichtet haben.

Erst drei Tage nach meiner Verhaftung wurde mir der Ve haftsbefehl zugestellt, der mir gefeßlich sogleich bei meiner Verhaftung hätte gezeigt werden sollen, und erst am fünften Tage wurde ich vor den Untersuchungsrichter geführt. Er empfing mich in einer etwas düsteren Stube, vor einem lodernden Kaminfeuer sigend, während hinter einem Gitter ein Schreiber mit der Feder in der Hand bereit war, das Wesentlichste meiner Aussagen aufzuzeichnen. Ich sezte mich auf einen am Kaminfeuer bereitstehenden Stuhl, und das ganze Verhör nahm die Form eines freundschaftlichen Zwiegespräches an. Is wurde zuerst über meine Verbindung mit dem Herzog von Rovige und dem Grafen St. Priest, zwei eingefleischten Legitimisten, und dann über meine Bekanntschaft mit mehreren Orleanißten ausgefragt, und erkannte bald, daß Herr Maupas Republikaner, Legitimisten und Orleanisten auf das naivste in Eine Verschwörung verwickelt hatte. Der Jnstructionsrichter war sehr erstaunt, daß ich keinen der genannten Herren jemals gesehen haben sollte, und daß ich auch nicht der geringften geheimen Gesellschaft angehörte. Er schüttelte bedenklich den Kopf, und ich sah ihm an, daß das Schütteln nicht meinen Aussagen, sondern ganz und gar dem Polizeiministerium galt. Er hatte schon mehrere, vielleicht die größere Zahl meiner Mitgefangenen gehört und war im Stande, sich eine Meinung zu bilden. Auch sprang er bald von Verschwörung und geheimer Gesellschaft ab und kam auf ZeitungsKorrespondenzen. Ich wurde verlegen, denn ich wußte, um was es sich handelte. Die französische Polizei war vorzugsweise gegen jene Korrespondenten ungehalten, welche die Heirat des Kaisers und bei dieser Gelegenheit die Gräfin Montijo angriffen, und diese besonders suchte sie zu entdecken, um sie zuchtpolizeilich oder durch Ausweisung zu bestrafen. Nun schrieb ich um jene Zeit in der That, zwar nicht als regulärer Korrespondent, sondern aus Freundschaft für den Ro dacteur, von Zeit zu Zeit einen Bericht an eine gewiffe norddeuts Zeitung. Aber ich war vielleicht der Einzige unter allen oppofitioncha Korrespondenten, der da glaubte, nicht mit Hülfe persönlicher, gegen die schöne Gräfin gerichteter Angriffe Opposition machen zu müssen; ich wollte, daß man die Heirat als eine Privat- Angelegenheit Louis Napoleon's und die Gräfin Montijo als Weib behandele, und habe in diesem Sinne fogar für sie und gegen manche Verleumdung eine Lanze gebrochen. So hätte ich mir mit einem Worte und der Wahrheit getreu vielleicht sofort die Freiheit erwerben können aber durfte ich das? ich das? sah es denn nicht aus, als strebte ich nach der Gunst des Hofes; durfte ich, in welcher Angelegenheit immer, als ein Freund

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