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Béranger wuchs in Peronne heran und wollte, wie Emile, einen Stand haben. Nachdem er es mit der Goldschmiedekunst versucht hatte bei einem Meister, der ihm zu viel von seinen Liebesgeschichten sprach, wurde er Schreiber bei einem Friedensrichter. Um diese Zeit gründete ein hochherziger Schüler Jean Jacques', Herr Ballue de Bellenglife, Exdeputirter der Assemblée legislative, nach einem neuen Muster eine unentgeltliche Schule; in diese trat Béranger ein. Er bewahrte aus dieser Zeit die schönsten Erinnerungen; Herr de Bellen glise erschien ihm immer, wie in seinem Innern, so auch in seinem Acußern, als ein repullikanischer Fénélon.

Béranger wurde dann Buchdruckerlehrling beim Buchdrucker Lainez. Während er die Arbeit mit Liebe betrieb, bemerkte er, daß gleich lange, sich reimende Zeilen noch keine Verse bilden. Der Sohn seines Herrn brachte ihm die Prinzipien der französischen Sprache bei; die Regeln der Versification fand er ganz allein, und was die Poesie betrifft, die dichtete in ihm.

Im Jahre 1795 besuchte ihn sein Vater, Er-Intendant des Grafen von Bourmont, als Föderalist verhaftet, nach dem Thermidor aber wieder freigelassen; er versuchte vergeblich, den Sohn zum Royalismus zu bekehren; aber er ließ ihn bald darauf nach Paris kommen, damit er ihm in den Börsen-Operationen, denen er sich in der Erwartung, daß seine legitimen Herren zurückkehren würden, hingab, Hülfe leiste. „Ach“, ruft Béranger,,, ich wurde ein sehr geschickter Financier!" Anfangs gingen die Geschäfte sehr gut; aber der Vater war ebenso verschwenderisch, wie der Sohn haushälterisch; er lich mehr, als er gewann, den Royalisten - Verschwörern, und im Jahre 1798 machte er Bankerott. Man bot dem jungen Béranger Kapitalien an, damit er das Geschäft wiederherstelle. Er wies die Anerbietungen zurück, und er hat seitdem die Börse ohne Schaudern nicht wieder betreten können. Aus dieser Zeit, nach der er sich sonst nicht zurückschnt, hat er das Andenken einer braven Frau bewahrt, der er Wohlthaten erwiesen und die er unsterblich macht, indem er ihre Geschichte ausführlich erzählt.

Man kann sich nichts Rührenderes, nichts Einfacheres, nichts Vollkommeneres denken, als diese Geschichte der „Mutter Jary". Niemand wird diese Geschichte lesen, ohne auf das Tiefste ergriffen zu sein.

In den lezten Jahren des Direktoriums hatte Béranger mit seinem Vater ein Lesekabinet in der Straße Saint-Nicaise. Damals schon Alexandriner gegen Barras und Konsorten machend,,,applaudirte er mit ganz Frankreich der Revolution des Brumaire, jedoch nicht ohne zu fürchten, daß der junge General bei dem Konsulat nicht ftehen bleiben würde.“

In einem an Alexander Dumas veröffentlichten, sehr werthvollen Briefe sagt er: „Ich habe für das Konsulat auf Lebenszeit, aber nicht für das Kaiserthum gestimmt." Und dies darum, weil er immer ,,den Patriotismus höher geachtet, als politische Doktrinen." Gleich nach diesem Geständniß zeigt er seinen echt freifinnigen Charakter, indem er die Konsular-Regierung wegen der lateinischen und griechischen Benennungen angreift, die sie den Würden und den Anftalten des öffentlichen Unterrichts gegeben hatte. Er geht in seinem Unwillen sogar so weit, die großen Männer Plutarch's und Plutarch selbst anzugreifen. Er hat gewiß nicht Unrecht, indem er sagt:,,Studiren wir das Alterthum, respektiren wir die Ueberlieferung; aber entlehnen wir ihm nur das, was wir nicht entbehren können." Hier ist eine Seite seiner schriftstellerischen und selbst seiner dichterischen Persönlichkeit offenbart. Béranger hat als Dichter nicht genug Schulbildung, um sklavisch die Alten nachahmen zu können; aber er hat auch nicht die Kühnheit, mit ihnen zu brechen und in die romantische Schule einzutreten. In der Literatur, wie in der Politik, ist seine Manier die des Ueberganges.,,Benußen, ohne umzuwerfen", das ift der Wahlspruch seines Lebens. (Schluß folgt.)

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Im Allgemeinen kann man zweierlei Baustyl unterscheiden, den älteren mit flachem Dache und antikisirenden, aber mageren Formen, und den neueren mit spißen Giebeln in der Manier der englischen Cottages, sämmtlich aber von dem hier gebräuchlichen, dünnen Holzwerk. Seltener findet man ganz alte einstöckige Häuser mit dicken Mauern und einem gebrochenen, weitüberschießenden Dache, in der Bauart der älteren holländischen Ansiedler. Auf einer Anhöhe traf ich ungefähr anderthalb Dußend Häuser beisammen, als den Anfang einer jener projektirten Ortschaften, der bis zu einem ansprechenden Aussehen gediehen war. Auch ein Kirchlein war schon gebaut, deffen weißer, hölzerner Thurm in ziemlicher Ferne gesehen wird.

Von den ältesten Missionen bis auf den heutigen Tag ist den amerikanischen Ansiedlungen überall die Kirche gefolgt. Jedenfalls ist in dem geiftesarmen Leben der amerikanischen Bevölkerung kirchliche Versammlung und Erbauung ein sehr dringendes Bedürfniß. Nur eitle Verkennung der Menschen und Dinge konnte daher gebildete Deutsche in den ersten Jahren der neueren Einwanderung zu dem Versuche der Gründung freier Gemeinden verleiten. Die Anfänge solcher Vereine waren auch nur durch den Nachklang der Stimmung möglich, welche aus europäischen Bewegungen damals herübergebracht ward. Mit dem Verklingen dieser Stimmung mußten aber derglei chen Unternehmungen den Boden wieder verlieren, den sie in der Verworrenheit gefunden hatten. Verschiedene freigemeindliche Prediger sind daher zu kirchlichen Functionen zurückgekehrt, und noch in diesen Tagen sah ich in hiesigen Blättern die Anzeigen dreier dieser Herren, wodurch sie mit praktischer Würdigung der Zustände sich zur Verrichtung von Trauungen und Laufhandlungen ankündigen. Indeß soll in Philadelphia noch eine kleine freie Gemeinde bestehen, die aber wenig Lebenszeichen von sich giebt.

Andererseits mag man nicht verleitet werden, hinter dem häufigen Kirchengehen einen tiefen religiösen Sinn oder gar ein lebendiges Eindringen der religiösen Moral zu suchen. Gegen Leßteres spricht schon im Allgemeinen die große Verbreitung der Demoralisation und das faft beispiellose Ueberhandnehmen der Verbrechen, nicht zu gedenken der politischen Corruption, von der gerade jezt eine reiche Auswahl bezeichnender Fälle die Spalten der öffentlichen Blätter füllt. Die Eitelkeit, Verschwendung und Prätension des weiblichen Geschlechte sucht, troz unablässigen Kirchenbesuches, das Widerspiel der christlichen Demuth in schwerlich je dagewesener Uebertreibung und Ausdehnung durchzuführen, und die Jugend scheint in frühreifer Verdorbenheit und Zuchtlosigkeit recht augenfällig an den Tag zu legen, daß die Verbreitung der Bibel in zahllosen Exemplaren deren Borschriften nicht eben mit Erfolg hat einschärfen können. Besonders gegen das vierte und siebente Gebot ist wohl kaum irgendwo mehr als hierzulande von Kindern gesündigt worden.

Die Beobachtung kirchlicher Formen ist eben, wie Alles in Amerika, nur oberflächlich, Mode, Geschäft und Werkheiligkeit. Freilich wird die Kirche durch keine philosophische Kritik beunruhigt, aber aus Mangel an Boden für wissenschaftliche Entwickelung überhaupt ist sie in seichtem Formalismus verknöchert und in beschränkte Sekten zersplittert worden.

In jener Gegend der Insel wird Williamsburg durch eine lang. gestreckte Anhöhe verdeckt, und da keine besondere Straße nach der Stadt führte, ging ich nach ungefährer Richtung zwischen den Ver zäunungen der kleinen Grundstücke durch. Die breiten Wege waren beschwerlich, denn die Sonne hatte den lehmigen Boden aufgeweicht. Endlich verkündete mir der Anfang einer besseren Straße, daß ich mich der Stadt wieder näherte. Es lag dort gerade eine Gruppe von vier Häusern und darunter ein neues public house (Schank wirthschaft). An einer auf dem Giebel angebrachten Stange war die Flagge der Vereinigten Staaten mit ihren heiteren Farben aufgehißt. Es schienen hier die Verse von Göthe's Auswanderern in Erfüllung zu gehen:

,,Wo an wohlgebahnten Straßen Man in neuer Schenke weilt."

Das Innere war sauber, aber die Gesellschaft sehr langweilig. Drei Amerikaner saßen jeder für sich auf Armstühlen, kaueten Taback und spuckten. Ich nahm den üblichen Trunk Brandy und ging bald wieder meines Weges. Ungefähr nach einer Viertelstunde gelangte ich an ein größeres Wirthshaus, in welchem es lebhaft herging, denn In einem offener lautes Stimmengewirr schallte daraus hervor. Schuppen standen mehrere jener leichten Wagen, die aus Fischbein gemacht zu sein scheinen, und deren Bau auf die trefflichen einheimi schen Hölzer schließen läßt. Offenbar hatte sich hier eine Gesellschaft im Genuffe des Neujahrstages zusammengefunden. In dem geräumi gen Schantzimmer fand ich ungefähr zwanzig Amerikaner, die gesprächig an der Barre standen und einander traktirten oder trieteten, wie die Deutsch-Amerikaner sagen (treat). Dies ist die Manier der lebhaften amerikanischen Geselligkeit in Schankwirthschaften, sowie jenes ungesellige Sigen und Spucken die Form des gewöhnlichen Verweilens an öffentlichen Orten. Dergleichen Lustigkeit kann unter reich. licher Consumtion von Brandy leicht in blutige Erzeffe überschlagen, indeß ging Alles noch ganz friedlich her, als ich das Zimmer verließ. Bald darauf gelangte ich auf die Höhe und erblickte die vielen spißen Thürme von Williamsburg, welches ebenfalls mit Kirchen reichlich versehen ist, wenn es sich auch mit Brooklyn in dieser Hinsicht nicht messen kann.

Einzelne Häuser, große Fabrikgebäude und Häuserreihen, aus denen noch Straßen werden sollen, sind neben wüsten Baustellen die Anfänge der Stadt. Bald gelangte ich aber in einen dicht bevölkerten Stadttheil, welcher mit dem Spißnamen Dutchtown bezeichnet

wird. Dort wohnen Taufende von deutschen Schneidern, die unter gering bezahltem Plack für die New-Yorker Kleiderfabriken arbeiten. Sie leben in engen Wohnungen schlecht gehaltener Farmhäuser, zwischen denen hin und wieder große Wasserpfüßen liegen, worauf Enten und Gänse schwimmen. Zahlreiche Kinder bezeugen wie anderwärts die Fruchtbarkeit armer Familien.

An dem schönen Neujahrstage hatte aber auch dieser sonst nicht gerade ansprechende Stadttheil ein festliches Aussehen. Die Schneider waren mit Weib und Kind im Sonntagsstaat herausgekommen; es wim melte von Menschen, deren Physiognomieen und Haltung an Deutschland erinnerten; Männer mit Handwerksgesichtern im milden Sonnenschein mit Befriedigung neben ihrer Ehehälfte einherschreitend, junge Leute, in Manier behender Schneidergesellen, und hübsche Mädchen, deren Körperfülle und natürlich rothe Wangen europäischen Ursprung bekun deten. Dutchtown schien auf den Beinen zu sein, und die deutsche Sprache hörte man in allen Dialekten sprechen.

Diese europäische Lebhaftigkeit im niederen Stile verschwand, als ich in beffer gebaute Straßen kam. In minderer Anzahl, aber gehaltener, sah ich hier wohlgekleidete Herren und geschminkte Damen in theuren seidenen Kleidern gehen, indeß fehlten auch betrunkene Rowdies und ungezogene Jungen nicht, sowie denn überhaupt der Straßen-Unfug lärmender war, als in Brooklyn und New-York. So erreichte ich denn auf einem großen Umwege Herrn B—'s Wohnung, ein nahe am Wasser wohlgelegenes Eckhaus, aus dessen Fenstern man eine schöne Aussicht auf den Hafen des East River hat. Herr Bwar ebenfalls auf Neujahrsbesuche ausgegangen, Madame B- hatte aber im Parlour für ihre Gäfte eine Fülle trefflicher Speisen und Getränke aufgestellt, welche nach meiner langen Wanderung mir eine willkommene Erfrischung gewährten, denn ich war ungefähr dritthalb Stunden auf dem Lande herumgestreift. Madame B- hatte auch verschiedene jener Neujahrswünsche gesammelt, wie sie die Zeitungsträger den Abonnenten überreichen. In denselben ist das alte Jahr in Versen beschrieben, welche auf die Neigungen und Vorurtheile des Publikums berechnet sind und die amerikanische Selbstberäucherung in vollen Zügen genießen lassen. Auch diesmal fehlte es, troß der Klagen über schlechte Zeiten, nicht an dergleichen ergöglichen Stellen.

Auf einem der nördlichen Fährboote seßte ich nach dem oberen Theile von New-York über und gelangte beim Lichte der Gaslaternen nach Stuyvesant-Square, wo ich nahe der 16ten Straße die Fenster in Herrn M-'s Hause erleuchtet sah. Dieser Plaz gehört zu den schönsten den Stadt. Die Anlagen sind neu und mit einem eleganten eisernen Stacket umgeben. Eine neue Kirche aus braunem Sandstein, mit zwei gothischen Thürmen, ziert die Umgebung, und eine andere Kirche aus grauem Granit liegt mit ihrem spißen Thurme ebenfalls nahe am Plaze, so daß an modischer Erbauung dort kein Mangel ist. Bei Herrn M. fand ich eine kleine Gesellschaft versammelt, und obgleich ich die Absicht hatte, meine Besuche noch viel weiter, bis zur 51ften Straße, auszudehnen, nahm ich doch die freundliche Einladung an, den Abend dort zuzubringen. Die Zeit verlief auf das heiterste; da ich aber noch keinen Schlaf fühlte, als sich die Gesellschaft nach 10 Uhr trennte, fuchte ich ein renommirtes deutsches Bierhaus auf. Als Deutscher konnte ich billig den Tag mit Lagerbier beschließen.

Das Bier floß in Strömen, und ich traf verschiedene Bekannte, welche ebenfalls nach ihren Neujahrsbesuchen dort den legten Trunk nehmen wollten. Durch den Lärm der Trinker vermochte hin und wieder die dünne, aber vernehmliche Stimme eines eigenthümlichen Hausirers durchzudringen.,,Deutsche Kalender, meine Herren, deutscher Schinderhannes!" rief ein Negerjunge, indem er seine Waare vorzeigte. Die Zeit, in der das Leben des Schinderhannes florirte, ist zwar auch hier vorüber, indeß mußte man doch dem Jungen diese Lektüre als eine unter den hiesigen Deutschen vorzüglich beliebte bezeichnet haben. Er macht übrigens sein Geschäft auch besonders durch sein drolliges Wesen und weil Manche es spaßhaft finden, von dem Schwarzen in deutscher Sprache angeredet zu werden. - Als ich nach Mitternacht nach Hause ging, war das Neujahrschießen nur noch schwach zu hören, denn das lärmende Personal mochte ermüdet sein oder das Pulver verschoffen haben.

Am 2. Januar machen die Damen den Herren Besuche und werden von ihnen mit Wein und Kuchen bewirthet. Der Tag der Damen war auch schön und mild, obwohl nicht so sonnenhell als der vorher gehende. Diese Besuche sind nicht so allgemein und ausgedehnt, als die der Herren; diesmal waren aber ganz besonders viele Damen in reichen Kleidern und kostbarem Pelzwerk auf den Straßen zu sehen.

Man wird aus den Zeitungen erfahren haben, daß wir hier im Januar ausnahmsweise mildes Wetter hatten. Da ich im Eingange an Neapel erinnert habe, will ich aber vor dem Irrthum warnen, den Himmel schöner Lage in diesen Breiten Amerika's mit dem italiänischen zu vergleichen, wie ich hier oft gehört und kürzlich in einer Korrespondenz der Londoner Illustrated News vom 25. November ge= lesen habe. In derselben wird die Klarheit des Himmels von New

York mit dem von Venedig oder Neapel verglichen. Von Venedig nach Neapel ist zwar ein großer Sprung, aber die Beleuchtung gleicht in diesen Breiten Amerika's in ihrem allgemeinen Charakter niemals der italiänischen und weit eher der deutschen, wenn auch an einzelnen Lagen der Sonnenschein heller und der Himmel etwas blauer ist, als in Deutschland. Um den Unterschied scharf zu bezeichnen, müßte ich die italiänische Beleuchtung vollständig charakterisiren, wozu mir hier der Raum fehlt, indeß will ich doch einige leicht bemerkbare Verschiedenheiten hervorheben. Man kann hier entfernte Gegenstände nicht so weit und deutlich sehen; des Morgens und des Abends sieht man, wie in Deutschland, Morgen- und Abendroth, aber nicht jenes feine Goldgelb am Horizonte, wie in Italien. Der hiesige Horizont ist nicht so hell und von Licht durchglänzt, wie der italiänische, und ferne Berge und andere feste Gegenstände erscheinen auf ihm nicht so plastisch abgehoben und fein umriffen, wie auf dem italiänischen. Nur an ungewöhnlich schönen Tagen find jene violetten und anderen Färbungen, welche der italiänischen Beleuchtung so wunderbaren Zauber verleihen, hier schwach angedeutet. Kurz, aus Allem ersieht man, daß die Dünfte hier gröber find, anderer Unterschiede nicht zu gedenken. Weit eher, als in der Schönheit des Himmels und der Beleuchtung, kann man das milde Wetter, deffen wir uns hier bis einschließlich den 27. Januar zu erfreuen hatten, in der Temperatur mit einem italiänischen Winter vergleichen, und in diesem Sinne ist meine Erinnerung an die Breite von Neapel gemeint. Der diesjährige Winter ist aber ein so außerordentlicher, wie er in vielen Jahren nicht vorgekommen ist. Der Februar begann kälter als der Januar, indeß hatten wir am siebenten einen sehr milden Tag; auch haben wir bisher (8. Februar) weder harte Kälte, noch (liegen bleibenden) Schnee gehabt. Manche Wetterkundige behaupten, der Winter werde seinen milden Charakter beibehalten, und leiten diese Ansicht aus der frühzeitigen Ankunft von Zugvögeln ab. Im Norden von Illinois sind nämlich Züge wilder Gänse und in Kentucky große Schwärme wilder Tauben gesehen worden.

Andere prophezeien als Folge des Mangels an Schnee und an dauerndem Froft für den Sommer gelbes Fieber, Cholera oder andere Seuchen. Vorläufig halten wir uns nicht bei Besorgnissen für die Zukunft auf, sondern genießen wir das schöne Wetter in ungetrübter Annehmlichkeit. A. Böhme.

New-York.

Direktor Vogel's Wandkarten für Schulen. *)

Wandkarten sollen dazu dienen, dem Lehrer der Geographie ein Hülfsmittel an die Hand zu geben, zur Erklärung und Erläuterung der verschiedenen Objekte, welche bei dem ersten oder Elementar Unterricht in der Erdkunde zur Auffassung gebracht werden müssen: die Vertheilung von Wasser und Land, die absolute und relative Stellung der Wasser- und Landmassen, die gegenseitige Lage und Größenverhältnisse der Kontinente, ihre Trennung, ihre Formen, ihre Glieder; die Verbreitung der Eilandfluren, die Uebersicht der Stromsysteme der Erde, die Erhöhungen und Vertiefungen des Landes; die Uebersicht der Staaten-Eintheilung u. s. w. Wie muß aber nun ein geographisches Bild ausgeführt sein, das die Zwecke einer Wandkarte zu erfüllen hat? Denn es kommt hier vorzugsweise auf technis sche Ausführung an. Diese Frage scheint sich durch eine Vergleichung zwischen einer Hand- und einer Wandkarte zu beantworten, indem man jene mit einem Produkt der Miniatur- diese mit einem der Decorations-Malerei in Parallele stellen muß. Von der Handkarte fordert man die größte Schärfe im Ausdruck, von der Wandkarte eine gewisse Derbheit, welche den abgebildeten Gegenstand auf größere Ferne erkennen läßt. Diesen Anforderungen entsprechen die Vogelschen Wandkarten) in jeder Hinsicht; der Delfarbendruck, in dem sie ausgeführt sind, gewährt dem Bilde eine besondere Schärfe und Deutlichkeit, so daß es, selbst in sehr großen Lehrzimmern, allen Schülern wohl erkennbar ist.

Wir wollen hier noch einige weitere Andeutungen der Vortreff lichkeit dieser Karten geben. Die Unterscheidung von Waffer und Land ist eines der größten Objekte, welches beim geographischen Unterricht zur Auffassung kommen muß, der in der Karte einen Wegweiser finden soll. Entweder macht man nun den Ocean und seine Glieder ganz schwarz, oder man malt das oceanische Waffer blau, und zwar bei den Binnenmeeren die ganze Fläche, bei den offenen Oceanen

*) Dr. Vogel's, Wandkarten und Wandneße“ auf Wachstuch, und dess selben,, Neß-Atlas""" auf Wachspapier zum Kartenzeichnen. Verlag der J. C. Hinrichsschen Buchhandlung in Leipzig.

**) Die Karten find gezeichnet von Otto Delitsch, Lehrer an der allgemei nen Bürger und an der Realschule, denen als Direktor Dr. Karl Vogel vorsteht. Lesterer ist bekanntlich der Vater des Afrika-Reisenden, Dr. Eduard Vogel, und war lange Zeit Rektor der höheren Bürgerschule in Krefeld, wo auch sein Sohn im Jahre 1829 geboren wurde.

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blos die Küsten, aber in gehöriger Breite. Dr. Vogel hat Blau gewählt und nur bei einigen Exemplaren, bei deren Erwerb es dem Käufer weniger auf eine in die Augen springende Deutlichkeit der Küstenconfiguration ankommt als auf die Bodengestaltung, die Küften sowie alles Fließende schwarz gelaffen. Diese neuen Wandkarten sollen mehr als irgend eine der bisher erschienenen dem plastischen Elemente Rechnung tragen und dadurch vorzugsweise mitwirken, die Vorstellung des Schülers von der Erdoberfläche zur wirklichen Anschauung zu erheben. Das Mittel zur Herstellung eines solchen Kartenbildes hat Herr Vogel in vier neben einander liegenden Farbentönen gewählt, von der Tiefebene bis zur Alpenhöhe, und zwar stellt der helloder gelbbraune Ton das Flach- oder Tiefland, die drei braunen Schattirungen Erhebungen über 300, 1500 und 4000 Fuß dar, während die zwischen diesen Zahlen liegenden wichtigsten Höhen durch Schraffirungen und die Region des ewigen Schnees durch Weiß angegeben find. Soll eine Wandkarte Namen enthalten? Nein! Für den Schüler sind sie überflüssig, denn er kann sie nicht lesen, ja sie sind ihm schädlich, denn er kann die Stelle, die durch den Namen verdunkelt ist, für irgend einen geographischen Gegenstand halten. Wozu sollen sie aber dienen? Für den Lehrer? Da sähe es aber höchst traurig aus um diesen, wenn er erst aus einer Wandkarte erfahren oder vielmehr lernen foll: daß die Flächen, wo auf der Karte geschrieben steht: das Atlantische Meer, das Mittelländische Meer, die Pyrenäische Halbinsel u. f. w., diese Erdräume vorstellen; daß die Stromlinien, wobei geschrieben steht: Rhein, Donau, diese Ströme ausdrücken; wenn er erst aus der Wandkarte erfahren soll, daß der große Gebirgszug, der den Südrand von Hoch-Asien bildet, Himalaya genannt wird! So etwas läßt sich nicht leicht von einem Lehrer der Geographie annehmen. Die Namen stehen ja im geographischen Schulbuche, da muß der Lehrer sie hernehmen; er muß sie, nach Anleitung des Schulbuchs, so an einander ketten, daß der Schüler sofort nachweisen kann, welcher Stelle auf der Wandkarte irgend ein gegebener geographischer Name entspricht! In richtiger Würdigung, die neuen Karten mit äußerster Strenge nur auf das in der Schule wirklich Nöthige, d. h. nur auf das auf den Karten selbst in den größten Klassen Nugbare zu beschränken, hat der Herr Verfasser keinen einzigen Namen oder Buchstaben darauf geseßt und nur den Titel angebracht. Wenn diese Vorzüge der Wandkarten schon vor allen anderen bedeutend find, so ist die Dauerhaftigkeit und Zweckmäßigkeit des Stoffes, auf und mit den jene Vorzüge geltend gemacht sind, ungemein wichtig: die Karten find nämlich in höchst gelungener Weise auf dem Wege des Wachstuchdruckes auf starker Leinwand oder Malertuch ausgeführt und dadurch ebenso bequem zu sofortigem Gebrauch, als dauerhaft, ja unverwüstlich, da sie Waffer und Seife vertragen und dem Brechen nicht unterworfen sind. Was aber diesem Materiale für den Unterricht erst seinen rechten Vorzug vor dem Papier giebt, ist die Ermöglichung, die Wandkarten zu jeder Art von augenblicklich nöthig scheinenden Einzeichnungen, sei es für die Zwecke der physikalischen und politischen Erdkunde, oder für die des geographischen Unterbaues der Geschichte oder Ethnographie, zu benußen. Dieselbe Karte, an der heute die neuere Geographie besprochen wurde, kann morgen mit dem Weltreiche Karl's des Großen bezeichnet werden, während ein anderes Mal die verschiedenen Züge Alerander's, Hannibal's u. s. w., der Völkerwanderung oder der Kreuzfahrer, oder die Entdeckungsreisen des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts, mit farbigen Kreideftiften oder gewöhnlichen Gummifarben, die auf diesem Grunde sehr schnell trocknen, auf ihr veranschaulicht und firirt werden. Welch' ein wesentliches Erleichterungsmittel gewährt nicht solche Darstellung zur schnelleren Auffassung der gegenseitigen Verhältnisse der Völker, deren Entstehens und Verschwindens oder Verschmelzens mit anderen Völkern! Solche Darstellungen auf diesen Karten bringen eine gewiffe Ordnung in die neben einander und durch einander laufenden historischen Thatsachen, die in der blos historischen Erzählung einem Labyrinthe gleichen, zu dessen Uebersicht und Auseinanderwickelung der Schüler dadurch in den Stand gesezt wird. Ist nun dem Gange des Unterrichts Genüge geleistet und der Zweck deffelben erreicht, so stellt ein naffer Schwamm das Bild dieser Karten in seiner ursprünglichen Einfachheit, in der sich dieselben zum Gebrauch in jeder Volksschule eignen, wieder her, ohne den geringsten Schaden anzurichten, ebenso, wie er es von Staub und Rauch reinigt. Man kann diesen Vorzug der Vogelschen Wandkarten nicht hoch genug anschlagen, wenn man weiß, wie wichtig es ist, die Geschichte auf die Geographie und somit auf die Landkarten zu bauen und doch das Unbequeme der Benutzung historischer Atlanten in zahlreichen Klassen und die große Ausgabe für Anschaffung guter historischer Kartenwerke zu vermeiden.

Was nun den Neß-Atlas betrifft, so geht die Vortrefflichkeit desselben auf den ersten Blick zum Theil schon hervor. Er besteht nämlich aus geographischen Neßen für Europa, Asien, Afrika, Nord- und SüdAmerika, Deutschland und Desterreich, leztere beide auch für andere Länder, z. B. für Preußen, Bayern u. s. w. zu benußen. Das Wachspapier der Neße ermöglicht das Einzeichnen und Auslöschen eines geographischen Bildes, und man ist dadurch in den Stand gefeßt, Schüler nach Auffaffung eines geographischen Gegenstandes durch Hülfe der Wandkarten denselben nach dem Gedächtniß in die Nege eintragen zu lassen. Somit vereinigt sich Alles, wozu sich auch der außerordentlich billige Preis für jede Wandkarte sowohl wie für den Atlas gesellt, auf das angelegentlichste die Anschaffung und den Gebrauch der beiden neuen Arbeiten des Dr. Vogel zu empfehlen, und wir können preußischen Schulmännern nicht genug rathen, diese Wandkarten, sowie den Nez-Atlas, die fast in alle Schulen des Königreichs Sachsen Eingang gefunden, in ihre Schulen einzuführen. A. Berghaus.

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Mannigfaltiges.

Die Schnorrsche Bilderbibel. Von der Schnorrschen Bilderbibel, welche ihrer Vollendung naht und nach anfänglich nur geringer Theilnahme im Publikum jest eine außerordentliche Verbreitung durch ganz Deutschland erlangt hat, beabsichtigte, wie wir hören, der Verleger, Herr Georg Wigand in Leipzig, eine Ausgabe mit erklärendem Terte nicht nur in französischer und englischer, sondern in den Sprachen aller der Völker zu veranstalten, unter denen das Christenthum Bekenner zählt. Der kürzlich erfolgte Tod dieses allgemein geachteten Mannes wird leider, wie auf mehrere andere, echt nationale Werke, so auch auf dieses großartige Unternehmen vielleicht hemmend einwirken. In England ist übrigens bereits eine Ausgabe des Schnorrschen Bilderwerkes erschienen,°) die sich jedoch, wenn man eine im Athenaeum ihr zu Theil gewordene Beurtheilung als maß gebend annehmen darf, keiner besonders günstigen Aufnahme zu erfreuen scheint. Herr Schnorr" so beginnt der betreffende Artikel wird nachgerade langweilig, weil er Gleichförmigkeit zu seinem Motto genommen hat und dabei ein recht ödes Nichtmaß anwendet. Seine israelitischen Jünglinge sind sehnig, seine Philister muskulös, seine Heiligen ehrbar, feine Matronen anständig, aber es ist in seinen Zeichnungen aus der Schrift nichts, was auf das Gemüth einen Eindruck machen oder dem Gedächtniß einen neuen Gedanken, eine neue Anschauung einprägen könnte." Es soll hier nicht auf diese Vorwürfe geantwortet, sondern blos berichtet werder: nur dem legten mag, ftatt vieler, ein Zug gleich auf einem der erster Bilder entgegen gehalten werden: das erste Aelternpaar begleitet bei der Ausweisung aus dem Paradiese der treue Hund. Riehl macht in seiner „Familie“ (Schnorr's Name ist dabei zwar nicht genannt) sehr treffend auf die Bedeutsamkeit dieses Gedankens aufmerksam. Artikel vergleicht dann unseren Meister mit den alten Niederländern in ihren alttestamentlichen Bildern und nennt ihn ebenso naiv, aber weniger kühn; ferner stellt er ihm den,,alten Präsidenten Weft" (Benjamin West, Begründer der königl. Akademie in London, ge boren 1738) zur Seite und beschuldigt ihn, ebenso farblos und schaalflüchtig (quick), selbstgefällig und seicht (!) zu sein. Auch Pouffin und Albrecht Dürer werden in der Eil herbeigezogen. Besonders vermißt der englische Beurtheiler nationalen Typus in den Gesichtern und lokale Wahrheit; das führt freilich auf eine Prinzipienfrage zurück. „Diese deutsche Schwerfälligkeit (dullness) bedürfe sehr guter Menschen, um an ihr Genuß zu finden." Wir sind der Zuversicht, daß es in England und auch sonst noch eine recht große Anzahl solcher very good people giebt. J. G.

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Der

Lewes: The Life and Works of Goethe". Von die sem englischen Werke, dessen deutsche Uebersehung eine so gute Aufnahme im Publikum und bei der deutschen Kritik gefunden, ist bei F. A. Brockhaus in Leipzig ein mit Genehmigung des Herrn Lewes veranstalteter Abdruck:,,Second Edition, revised by the Author", erschienen. Es wird gewiß Vielen, die auf dem Kontinent eine englische Bibliothek besigen, angenehm sein, diese durch ein so schägbares Werk in billiger Weise bereichern zu können.

*) Schnorr's Bible Pictures: Scripture History illustrated in 2 woodcuts from original desigus. London: Williams & Norgate.

Wichentlich erscheinen 3 Rummers. Breis jährlich 3 Thlr. 10 gr., balbjährlich 1 Thir. 20 Sgr. und vierteljährlich 25 Sgr., wofür das Biatt im Inlande portofrei undin Berlin frei ins Haus geliefert wird.

No 32.

für die

Bestellungen werden in jeder deutschen Buchhandlung (in Berlin bei Beit u. Comp., Jägerstraße Nr. 25, und beim Spediteur Neumann, Riederwallfir. Nr. 21), sowie von allen königl. Post-Aemtern, angenommen.

Literatur des Auslandes.

Dänemark.

Berlin, Dienstag den 16. März.

Ludwig Holberg's Leben und Schriften.

Nach Robert Pruß.*)

Wer recht herzlich lachen kann, der ist gewiß geistig und körperlich gesund, in dem ist noch ein Ueberrest eines kindlich frohen Gemüthes. Darum ist das ein zweideutiger Ruhm, wenn es von diesem oder jenem großen Manne heißt, er habe nie in seinem Leben gelacht. Der lachende Demokrit war gewiß schon deshalb, weil er lachte, ein besserer Philosoph als der weinende Heraklit. Was von dem Einzelnen gilt, das gilt auch von ganzen Völkern. Nur ein jugendlich frisches Volk giebt sich dem Frohsinn hin bei den ausgelassenen Scherzen von Scurren und Possenreißern; nur ein solches hat eine komische Literatur. Ist einem Volke die Lust am Lachen vergangen, so ist es entweder altersschwach oder krank, gleichgültig, an welchem Uebel oder durch wessen Schuld, und es ist gewiß ein Verdienst, einem solchen Kranken durch die Lust zum Lachen wieder neue Lust zum Leben einzuflößen. Es fehlt den Deutschen nicht an einer reichen komischen Literatur aus der älteren Zeit; aber wer ergößt sich noch an ihr, und wie Wenige kennen sie? Seit der Reformation ist die Lust am Scherze allmählich erloschen. Hans Sachs war der legte echt deutsche Komiker. Religiöse Kopfhängerei und Hypokrisie, die unglücklichen Zeiten des dreißigjährigen Krieges, die innere Auflösung des deutschen Reiches, der Einfluß fremder Literaturen, in der neuesten Zeit einseitige ästhetische Theorieen, politische und religiöse Rücksichten und hundert andere Ursachen haben eine echte Komik nicht mehr aufkommen lassen,oo) und wir sind gezwungen, wenn wir wieder einmal uns von Herzen satt lachen wollen, zu den alten unsterblichen Mustern zu greifen. Wie beschränkt ist aber der Kreis derer, denen Aristophanes, Plautus, Cervantes, Shakspeare den nöthigen Lachstoff bieten! Selbst Molière ist zu sehr Franzose und Zeitgenosse Ludwig's XIV., als daß er bei aller Trefflichkeit sich je bei uns Deutschen ganz einbürgern könnte.

Es war daher ein glücklicher Griff, den der geschäßte Verfasser der,,Geschichte des deutschen Journalismus“, Herr Dr. Robert Pruz, that, indem er Holberg aus dem Schacht der Vergessenheit von neuem an das Tageslicht brachte. Holberg fteht uns, seiner Zeit wie seiner Nationalität nach, unter allen komischen Dichtern am nächsten und ist schon deshalb für das größere deutsche Publikum genießbarer. Freilich werden wir uns entschließen müssen, erst manchen Vorurtheilen zu entsagen, ehe wir uns unbefangen dem Genusse des Dichters hingeben. Vor Allem dürfen wir uns nicht daran stoßen, daß Holberg ein Däne ist. Herr Prug hat selbst sich deshalb entschuldigen zu müssen geglaubt. „Auf Vorurtheile freilich", sagt er in der Vorrede,,,muß ein Buch gefaßt sein, das sich in Zeiten wie die jeßigen die Aufgabe stellt, das deutsche Publikum mit der dänischen Literatur näher bekannt und auf die Schäße derselben aufmerksam zu machen. Inzwischen hoffe ich, daß es auch in diesem Augenblick, wo mit Recht jedes deutsche Herz von Zorn und Groll gegen Dänemark überquillt, doch noch immer eine kleine Anzahl unbefangener Seelen geben wird, welche den alten Holberg von seinen heutigen Enkeln und Urenkeln zu unterscheiden und aus der herben Schale der Tagespolitik die reine goldene Frucht unvergänglichen Humors und echter Dichtergröße herauszufinden wissen.“ Und in der Einleitung (S. 6) heißt es: „Wir haffen die

*),,Ludwig Holberg, sein Leben und seine Schriften. Nebst einer Auswahl feiner Komödien." Von Robert Pruz. Stuttgart und Augsburg, J. G. Cottascher Verlag, 1857.

**) Einen Lichtblick in dieser durch den dreißigjährigen Krieg über Deutschland heraufbeschworenen Nacht bildet Andreas Gryphius (geb. in Glogau 1616 und dort als Landschafts- Syndikus 1664 verstorben), der in seinen treff lichen, wiewohl auch von den etwas derben Späßen der damaligen Bühne nicht freien Luftspielen (,,Peter Squenz“,,,Horribiliskribifar",,,das verliebte Ge spenst“ u. A.) die Großsprechereien des nach dreißigjähriger Marodirung heimgefehrten miles gloriosus, die Pedanterei des Schulfuchsers und das Hinübergreifen des Spießburgers in andere Gesellschafts- Sphären mit vieler Menschenkenntniß und dichterischer Laune geißelte. D. R.

1858.

Politik der Dänen, wir hassen die eigene unselige Schwäche, durch die wir selbst dieselbe herausgefordert; wir verabschenen die rohe Gewaltthätigkeit, mit der die Dänen in Schleswig-Holstein Geset und Recht mit Füßen treten aber sollen wir darum auch ihre Dichter haffen? Müssen wir uns darum auch absichtlich verblenden gegen die Schönheiten der dänischen Kunst oder gegen die gediegenen und schäßenswerthen Leistungen ihrer Wissenschaft? Wir zweifeln. Um so mehr, da sie uns innerlich so verwandt sind und da es im Grunde nur der Wiederschein unseres eigenen Geistes ist, der uns aus ihnen anblickt. Wie den Eisenfressereien der Dänen vom neuesten Datum zum Troh, die sich so gern als Autochthonen geberden möchten die gesammte dänische Kuitur, so ist auch die dänische Literatur wesentlich ein Produkt der deutschen Bildung; sie ist gleichsam unter der Sonne des deutschen Geistes emporgewachsen. Ja, noch mehr als das; unsere eigene literarische Entwickelung hat innerhalb der dänischen Literatur, wie in einer Uebungsschule, gewisse Uebergänge und Durchgangsstufen durchgemacht, wir haben von ihr gewiffe Anregungen und Einwirkungen erfahren, die dann für die Gesammtheit unserer geistigen und namentlich unserer künstlerischen Entwicklung von größter Bedeutung geworden sind."

Es bedurfte sicherlich einer solchen Verwahrung nicht. Es wäre im Gegentheil Verrath an dem Vaterlande, das Gute und Schöne, das von Feinden kommt, deshalb von sich zu stoßen, weil es vom Feinde kommt.")

Das Buch des Herrn Pruß ist eine Bereicherung unserer Literatur und als solche gewiß eine patriotischere That, als eine noch so heftige Demonstration gegen das deutschfeindliche Dänemark, die, wie wohl gemeint sie auch sei, wenn sie von dem Einzelnen ausgeht, doch nur fruchtlos ist. Besser, wir heben unser eigenes Nationalgefühl, so werden Unbillen wie die dänischen bald ihre Strafe finden und künftig unmöglich sein. Sehr richtig sagt der Verfasser (S. 9): „Wir halten es nicht blos für eine zeitweilige, sondern für eine durchaus grundsägliche und innerlichst wesentliche Verpflichtung eines jeden Gelehrten, daß seine Gelehrsamkeit ihren eigentlichen fruchtbaren Kern in dem Leben seiner Zeit und seines Volkes habe, und daß, welchem Zweige menschlichen Wissens er seine Thätigkeit auch widme, immer aus seiner speziellen Wissenschaft ein rother Faden nationalen Lebens, ein warmer Blutstrom volksthümlichen Bewußtseins in das Allgemeine seiner Zeit hinüberleite. Denn nur in unserem Volk, nur in den großen und allgemeinen Bestrebungen unseres Jahrhunderts leben wir wirklich, alles Andere ist tødt.“

Ein zweites Vorurtheil gegen Holberg ist aus der Beschaffenheit seiner Komödien selbst erwachsen. Holberg theilt mit allen echten Komikern alter und neuer Zeit die Ungebundenheit der Sitte und die Derbheit der Sprache, welche moderne Prüderie für Unsittlichkeit und Gemeinheit hält. Seine Bauern und Bürger denken und sprechen aber, wie Bauern und Bürger feiner Zeit gedacht und gesprochen haben, und wer daran Anstoß nimmt, dem gilt der Rath, den Holberg selbst einer Dame seiner Bekanntschaft gegeben hat in einem Briefe an ihren Ehemann: „Sie haben, wie ich höre, einige Tage bevor Sie Kopenhagen verlaffen, mit Ihrer Frau einmal der dänischen Komödie beigewohnt und dieselbe mit Ihrem Beifalle beehrt. Ihre Frau aber hat, wie ich höre, ganz anders geurtheilt, indem sie verschiedene Ausdrücke, als Canaille, Jungfernschaft und dergleichen hat hören müssen, was ihr dem Wohlstande nicht gemäß zu sein geschienen und worüber sie sich denn so heftig alterirt hat, daß sie davon frank geworden. Es thut mir herzlich leid, daß diese Komödie bei Ihrer lieben Frau eine solche Wirkung gehabt, und wünsche derfelben ' von Herzen gute Besserung. Weil sie aber so zärtlich ist, so rathe ich ihr, als ein redlicher Freund, nicht öfter dahin zu gehen, weil die

*) Thorwaldsen, Oersted und Andersen, die nirgends so allgemein und bereitwillig, wie in Deutschland, anerkannt werden, find redende Zeugnisse dafür, daß wir den künstlerischen und wissenschaftlichen Genius der Dänen von ihren politischen und nationalen Dummheiten sehr wohl zu unterscheiden wissen. D. R.

Gesundheit das edelste Kleinod ist, was ein Mensch haben kann. Die freien Ausdrücke, die man auf der Schaubühne hört und die insgemein ruchlosen Bedienten in den Mund gelegt werden, um zu zeigen, wie schändlich das Fluchen sei, sind eigentlich keine Schwüre; aber das sind wirkliche Schwüre, die man täglich, mein Herr, in Ihrem eigenen Hause, in der Gesindestube und vielleicht auch in dem Kabinet Ihrer Frau Gemahlin hört."

Holberg's Stücke haben durchaus eine moralische Tendenz, ja, die Moral hat nicht selten die Poesie beeinträchtigt, denn noch war, wie Pruz richtig bemerkt, Lessing nicht aufgetreten, noch hatte er das Joch der Moral nicht gebrochen und die Kunst in ihrer eigenen natürlichen Berechtigung nachgewiesen; noch hatten die theologischen Nebel, in denen die Sonne der Reformation untergegangen war, sich nicht verzogen, noch lasteten sie mit bleiernem Druck auf dem ganzen Le ben und Weben, dem Denken und Dichten der Zeit, und auch die Philosophie, die Kunst, die Dichtung mußten sich ihrem Einfluß wenigstens so weit beugen, selbst da, wo sie übrigens im Begriff standen, sich von der Theologie zu emanzipiren, daß sie die moralische Wirkung, die Besserung der Sitten als das Höchste anerkannten und verfolgten, was ihnen selbst als Ziel gesteckt war. Zudem ist Holberg, troß aller Laune, alles Wißes, alles komischen Uebermuthes, selbst eine tief sittliche Natur; Moral und Sittlichkeit ist für ihn das natürliche Medium, durch welches er die Kunst und ihre Aufgaben erblickt, und so frei er sich vom Pedantismus des Gelehrten weiß, so wohlbewußt ist er sich auch der sittlichen Strenge und des moralischen Eifers, die ihn bei seinen literarischen Arbeiten antreiben und gleichsam seine Muse sind.

,,Allein", fragt Herr Pruß,,,wenn das wirklich so ist, wenn Holberg in der That solch lebhaftes fittliches Gefühl hatte und solche direkte moralische Zwecke in seinen Komödien verfolgte, wie war es ihm dann möglich, eben diese Komödien durch so viele grobe und plumpe Scherze, durch so viele Zweideutigkeiten und schmußige Anspielungen zu entstellen, wie er es doch gethan hat?" Hierauf erwiedert er mit Recht: Was die Verlegung des Anstandes betrifft, so wollen wir Niemanden in dem Triumphgefühle seiner Keuschheit und seines feinen, züchtigen Geschmackes stören. Es gilt heute Vieles für anständig und erlaubt, was früher stark das Gegentheil war; auch möchten wir bei alledem die heute üblichen Wiener Poffen, die französischen Singspiele und Demi-Monde-Stücke nicht eben als Schule der Sittlichkeit empfehlen.

"Messen wir aber, wie es doch allein verständig und billig ist, Holberg an dem Geschmack seiner Zeit, so überzeugen wir uns bald, daß er im Gegentheil so keusch, so ehrbar und selbst auch im Ausdruck so gewählt und vorsichtig ist, wie nur irgend ein Schriftsteller, geschweige denn einer von den komischen Dichtern und Sittenmalern feiner Zeit. Die wahre Substanz der Sittlichkeit verlegt Holberg schlechthin nie; er hat keinen Begriff, keine Ahnung von dem leicht fertigen Spiel mit Eid, Treue, Pflicht, das heutigen Tages auf und außer der Bühne so vielfach getrieben wird und zwar am häufigsten und doch am glücklichsten von denen, die sich übrigens ftellen, als hätten sie alle Frömmigkeit und Sittlichkeit allein gepachtet. Auch die Form seiner Darstellung ist nicht derber, seine Späße sind nicht plumper, die Farben, deren er sich bedient, nicht greller, als in seiner Zeit üblich und gestattet war, ja als die Zeit selbst es forderte. Der Anwalt des alten kernigen Bürgerthums, der unermüdliche Verfechter altehrbarer häuslicher Sitte, der Feind jedes Lurus und jeder fremdländischen Verfeinerung konnte unmöglich vor gewissen Worten und Bildern zurückschrecken, die unseren verwöhnten Ohren allerdings nicht mehr gefallen wollen, während ihr ganzes Verbrechen doch nur darin besteht, gerade heraus und ungeschminkt zu sagen, was wir jest mit tausend Komplimenten und Andeutungen umwickeln und verschleiern. Das teusche Entseßen, das bei groben Worten in Ohnmacht fällt, auf der Bühne aber nachgerade nichts mehr sehen will, als verführte Frauenzimmer und elegante Freudenmädchen, hätte er vermuthlich gar nicht begriffen."

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Diese vermeinten Fehler liegen übrigens im Wesen des Holbergschen Luftspiels selbst. Es hat nämlich Herr Pruß auf das überzeugendste nachgewiesen, wie merkwürdiger Weise Holberg's Komödien mit der alten nationalen Volksbelustigung der Italiäner in einem Zusammenhange stehen. Wir glauben", sagt er,,,auf die Zuftimmung unserer Leser rechnen zu dürfen, wenn wir, tros des Paradoren, das der Behauptung beim ersten Anblick anhaftet, sagen: es ist die altitaliänische Volkskomödie, dieselbe Komödie, die schon vor Plautus und Terenz die campanischen Bauern belustigt hatte, welche nach so mancherlei wunderlichem Formen- und Schicksalswechsel zulegt im barbarischen Norden als dänische Komödie wieder auftaucht." Der Nachweis ist in kurzem folgender: Neben der nach Italien und Rom verpflanzten griechischen Komödie fehlte es hier auch nicht an einer ursprünglich nationalen altitalischen Komödie. Die offischen Spiele, die Atellanen und Fescenninen sind unzweifelhaft als ein ursprüng

liches Eigenthum der italischen Völkerschaften zu betrachten. Auch ist es ebenso unzweifelhaft, daß diese altitalische Komödie bereits auf einer nicht unansehnlichen Stufe künstlerischer Bildung sich befand, da sie bereits im Stande gewesen war, so bestimmte Masken, wie die stehenden Figuren des Maccus, Bucco, Pappus und Doffennus auszuprägen. Allein wie es das Schicksal der altitalischen Nationalitäten überhaupt war, in der einen römischen unterzugehen, und wie wiederum die römische poetische Literatur durch die unzeitige Bekanntschaft und Nachahmung der griechischen Muster auf ewige Zeiten abgelenkt wurde von der Bahn einer eigenen und selbständigen Entwickelung: so ist ebendaffelbe auch der alten Komödie widerfahren. Die Schüler der Griechen, ein Plautus und Terenz, trugen den Lorbeer des Beifalls und der literarischen Berühmtheit davon, während die eigentliche Volkskomödie in Verfall und Vergessenheit gerieth, so daß sie es niemals zu einer dauerhaften literarischen Gestalt hat bringen können (Herr Pruß verweist über diesen Gegenstand auf die Schrift von E. Munk: „,De fabulis Atellanis", Lips. 1840). Ein unermeßlicher Umschlag, wie überhaupt in allen Verhältnissen der alten Welt, so auch namentlich für die Entwickelung des Komischen, trat demnächst mit dem Christenthum ein. Ueber die Thorheiten der Erde zu lachen, war heidnisch; der Christ durfte sie nur beweinen oder zur Ehre Gottes verfolgen, und wenn es auch Blut und Leben kostete. Es war daher ganz konfequent, wenn die älteste christliche Kirche alle Komik von sich ab= lehnte und wenn die Jünger der komischen Muse, die Schauspieler und Gaukler, als Diener des Teufels, von der weltlichen sowohl als der geistlichen Gewalt persönlich mit Acht und Bann belegt wurden. Aber der Mensch ist der Herr der Erde und die Welt, der Boden, auf dem er steht, ist sein wahres Erbtheil; nicht auf sie zu verzichten, fondern den Himmel herabzuholen in die Welt und das Reich Gottes zu verwirklichen auf Erden, ist seine große und glückliche Aufgabe. Darum lag in jener urchristlichen, gefliffentlichen Verschmähung der Welt etwas unwahres und Unnatürliches, das sich an sich selbst be= strafen mußte. Es ist bekannt, in welchem hohen Grade dies im Verlauf der Geschichte geschehen ist: dergestalt, daß die Kirche, welche die Erde unterjochen wollte, umgekehrt in ihrem innersten Mark von der Erde überwunden und verweltlicht wurde. Etwas Aehnliches zeigt sich im Kleinen auch in dem Wiedererwachen der komischen Kunst innerhalb des christlichen und sogar des kirchlichen Gebiets. Die Kirche war nicht im Stande gewesen, die Menschen vom Lachen zu entwöhnen. Den Feind erkennend, der ihrer asketischen Beschränktheit in der humoristischen Weltanschauung erwachsen mußte, beschloß fie, die Komik, die sie nicht mehr unterdrücken konnte, selbst zu adoptiren, und so sehen wir in den poffenhaften Zugaben, mit welchen die Kirche fortan ihre religiösen Feste und Schaustellungen ausstattet, in den Teufeln, Tölpeln und anderen Spaßmachern der Mysterien und geistlosen Spiele die komische Kunst zuerst wieder aufleben. Aber wie die Kirche die Komik nicht lange hatte unterdrücken können, so konnte sie noch weniger sie auf die Dauer beherrschen: die Komit emanzipirte sich von der Kirche, und diese selbst mit ihren Dienern wurde der erste und vorzüglichste Gegenstand, an welchem die junge weltliche Komik sich aufrichtete. Nachdem die Komik bereits einer festen Boden gewonnen hatte, kam auch dasjenige, was von den Ueber resten der alten italischen Komödie noch im Volke vorhanden war, plößlich wieder zum Vorschein, als sogenannte Commedia dell' arte, die, allen Anfeindungen zum Troße, die sie von Seiten der gelehrten, dem Plautus und Terenz nachgebildeten Commedia erudita erfahren hat, bis auf diese Stunde in ununterbrochener Thätigkeit geblieben ist. In ihr hatte die älteste italische Volkskomödie sich siegreich rehabilitirt. Selbst die alten Masken waren nicht verloren gegangen; der Pappus hieß nun Pantalone, der Maccus agirte als Arlechino, der Bucco lebte als Brighella wieder auf, und der Dossennus war zum streitfüchtigen, haarspaltenden Dottore geworden. Ihr Publikum gewann an Ausdehnung, so daß sie bald sogar die heimatlichen Gränzen überschritt, fremde Sprachen erlernte und in fremden Ländern fich ansiedelte. Heinrich III. von Frankreich ließ 1577 italiänische Komödianten aus Venedig kommen. Die Truppen, die ihnen über ein Jahrhundert nach Frankreich nachfolgten, akklimatisirten sich allmählich dergestalt, daß sie auch die französische Sprache annahmen und in Verbindung mit französischen Schauspielern endlich, gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, das Théâtre Italien gründeten. Von der Thätigkeit dieses Instituts liegen die Zeugnisse in der Samm lung des Gherardi vor: lung des Gherardi vor: „Le théâtre Italien de Gherardi, ou le recueil général de toutes les Comédies et Scènes Françoises jouées par les Comédiens Italiens du Roy, pendant tout le temps qu'ils ont été au service. VI Vol. 1700." Dies ist die wahre Quelle, aus welcher, bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus, die meisten französischen, deutschen und sogar spanischen Komödianten und Komödiendichter geschöpft haben, und auch für Holberg ist das Théâtre Italien die Hauptfundgrube seiner komischen Pläne, Situationen und Gruppirungen gewesen. Auf seinen wiederholentlichen Reisen hatte

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