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Literatur des des Auslandes.

Nord: Amerika.

Berlin, Donnerstag den 11. März.

Deutsche Berichte aus New-York.

Ein Spaziergang in New-York, Brooklyn, Williamsburg und auf dem Lande, am Neujahrstage 1858. Der erste Januar gehört zu den Tagen, an denen wir hier daran erinnert werden, daß New-York ungefähr in der Breite von Neapel liegt. Wegen des schönen Wetters beschloß ich, so viele Neujahrsbesuche als nur möglich abzustatten. Die Straßen hatten ein festliches und heiteres Aussehen und eine Menge Menschen bewegten sich in gleicher Absicht, wie ich, nach allen Richtungen. Der tägliche Geschäftslärm war verstummt, die Läden waren größtentheils gefchloffen, und wer auch die Veranlassung nicht gekannt hätte, mußte doch beim ersten Anblick bemerken, daß es ein außergewöhnlicher Tag war.

Bekanntlich wird das Neujahr von den Amerikanern sehr festlich gefeiert. Die Damen empfangen an diesem Tage die Besuche der Herren; die Frau vom Hause pflegt dann in großem Puß die Ankommenden zu erwarten und hat einen Tisch zu deren Bewirthung bereit, der reich mit allerhand Speisen und Getränken besegt ist. Die Damen rechnen es sich zur Ehre, recht viele Besuche zu erhalten und schreiben wohl auch deren Zahl auf, und die Herren bestreben sich, den ganzen Tag über bis in den Abend hinein recht viele derselben abzustatten. Mag auch mancherlei Eitelkeit hierbei an den Tag kommen, so bleibt es doch immer eine freundliche Sitte, die von den dieffeitigen Deutschen, troß ihrer oft lächerlichen Ueberschäßung Amerika's und der Amerikaner, nicht genug anerkannt wird, während sie von ihrer,,Gemüthlichkeit" etwas zu viel Geschrei machen. Allerdings sind die Amerikaner arm an geselligen Freuden, um so mehr mag man aber diejenigen anerkennen, welche sich unter ihnen erhalten haben. Indeß machen viele Deutsche diese Sitte mit, sowie sich hin und wieder unter den Amerikanern die Sitte der deutschen Weihnachts Bescheerung verbreitet hat, wozu die schönen Nadelhölzer von New Jersey treffliche Christbäume liefern. Uebrigens werden zu Weihnachten, wo es nur möglich ist, Truthähne verzehrt, die hier fett und zart bis über zwanzig Pfund schwer zu haben sind. Diese schmackhaften Truthähne gehören zu den Lichtseiten Amerika's, womit freilich solchen meiner Landslente, die in hiesigen Berichten vorzüglich Lichtseiten fuchen, wenig dürfte gedient fein. Vielleicht finde ich aber eine andere Gelegenheit, ihnen die Lichtseiten, welche fie meinen, etwas näher zu charakterisiren. Man nimmt an, daß diesmal um Weihnachten 20,000 Truthähne verzehrt worden sind und nur den schlechten Zeiten ist beizumeffen, daß diese Zahl nicht größer war. Uebrigens war vom Drucke der Geschäftsstockung äußerlich nichts zu bemerken, man müßte denn dahin einen Umstand rechnen, der den Tag eher angenehmer machte, als beeinträchtigte. Es ist bekannt, daß allgemeine Festlichkeiten der Amerikaner nach unten hin in einen langweiligen und rohen Unfug ausarten. Nun befleißigen sich besonders am 4. Juli (dem Feste der Unabhängigkeits-Erklärung), in der Neujahrsnacht und am Neujahrstage große und kleine Jungen, Loafer und Rowdies und wohl auch, Gentlemen" (ein Ausdruck, mit dem man in Amerika etwas verschwenderisch umgeht), Pistolen und andere Gewehre auf den Straßen abzuschießen. Die hauptsächliche Gefahr für die Vorübergehenden liegt darin, daß ein schlechtes oder überladenes Gewehr zerspringt oder der Ladestock herausgeschoffen wird. Es sind dadurch auch schon verschiedene Unglücksfälle paffirt; hin und wieder wird wohl auch aus Bosheit eine scharfe Ladung abgeschoffen. Dieses Schießen war nun diesmal in der Neujahrsnacht und am 1. Januar mäßiger, als in anderen Jahren, indeß doch hinreichend, um manchem deutschen Verehrer amerikanischer Zustände, der seine Kenntniß derselben daheim in Schlafrock und Pantoffeln gesammelt hat, angst und bange zu machen. Eine solche Mäßigung schrieben Einige dem Mangel an Geld zum Ankauf von Pulver, Andere der fortgeschrittenen Civilisa

1858.

tion zu, obgleich gegen lehtere Ansicht zu sprechen schien, daß man hier im verflossenen Jahre an Mord und Todtschlag und an blufigen Erzessen durchaus keinen Mangel bemerken konnte.")

Ein anderer Unfug besteht darin, daß Rowdies und Jungen, und darunter sehr schmuzige und zerlumpte, in Banden herumlaufen, in den Schankwirthschaften und Cigarrenläden ,, a Happy New-Year" wünschen, zugleich aber mehr oder minder unverschämt Cigarren, Branntwein, Bier und dergleichen fordern, wohl auch allerhand Exzeffe begehen. Man kann hierbei schon früh am Tage betrunkene Kinder auf der Straße umher taumeln sehen. Daß auch dieser Unfug diesmal nicht so auffällig als in früheren Jahren war, kann allerdings nicht den schlechten Zeiten zugeschrieben werden. Da man aber im Rowdyismus und in der Ungezogenheit der Straßenbrut im vergangenen Jahre keine Besserung wahrgenommen hat, ist man geneigt, eine bessere polizeiliche Ueberwachung am Neujahrstage anzunehmen, Die Polizei soll nämlich, nachdem sie eine im vorigen Jahre eingetretene Desorganisation überstanden hat, jest, wenn auch an Zahl nicht hinreichend, doch aus besseren Individuen bestehen.

Ich begann meine Besuche im südlichen Theile der Stadt, in einer Gegend, die größtentheils durch Waarenlager eingenommen wird, um in einem weiten Bogen über Brooklyn und Williamsburg zu gehen und im oberen Theile von New-York den Beschluß zu machen. Nach einem fröhlichen Frühstück bestieg ich das Fährboot, das neben der Batterie abgeht und nach Hamilton Avenue in Brooklyn fährt, denn Brooklyn und Williamsburg liegen bekanntlich auf der Insel Long Island. Diese Ueberfahrt über den East River zeichnet sich durch eine weite und malerische Aussicht aus. Man fährt dort nahe an einer kleinen, zu militärischen Zwecken benußten Insel, Governors - Jsland, vorüber, und blickt neben der am Fuße der lezteren liegenden Steinmasse von Fort Williams weit hinaus auf die Bai und die jenseitige in weitem Bogen sich hinziehende Küste.

Da die Häuser, welche ich besuchte, in ziemlicher Entfernung liegen, machte ich dort einen langen, aber an diesem Tage angenehmen Spaziergang. Den Straßen-Unfug fand ich geringer, als in NewYork. Von Brooklyn führt eine Eisenbahn nach Williamsburg, deren Waggons von Pferden gezogen werden, aber an diesem Tage so überfüllt waren, daß ich beschloß, meine Wanderung zu Fuße fortzusehen.

Beide Städte, die zusammen über 200,000 Einwohner zählen, sind jest mit dem Namen Brooklyn unter Einer Munizipalität vereinigt, werden aber gemeinhin noch getrennt genannt. Brooklyn, die größere und südlichere, liegt zum Theil sehr vortheilhaft auf einer Höhe und hat viele elegante, mit Baumreihen versehene, aber großentheils einsame Straßen, in denen die Wohnhäuser von wohlhabenden Leuten liegen, welche ihre Geschäfte in New-York haben, so daß die Stadt vorzugsweise von Frauen und Kindern bewohnt wird und manche Männer nur dort schlafen, indeß findet man auch einige lebhafte Geschäftsstraßen. Vielleicht vermöge dieser hauptsächlich weiblichen Bevölkerung steht Brooklyn ganz besonders in dem Rufe einer fashio nablen Frömmigkeit. Es enthält eine ganz ungewöhnliche Anzahl von Kirchen und darunter mehrere für die elegante Welt mit rothgepolsterten Sißen, welche die Stelle der Kunstwerke vertreten. Unter der zahlreichen Geistlichkeit giebt es verschiedene schönredende Paftoren,

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*) Im,, New-Yorker Herald" vom 3. Januar ward die Zahl der während des Jahres 1857 in New-York verübten Morde auf 13, die der Todt= schläge auf 50 und die der Selbstmorde auf 68 angegeben (bei einer Bevölke rung von ungefähr 700,000 Einwohnern). Die,, New Yorker CriminalZeitung" bemerkt hierzu nicht unrichtig: .... Nimmt man an, daß eben so viele Morde (erklusive Kindsmorde und Abortionen) gänzlich unbekannt bleiben, daß von den im Fluß gefundenen angeblich Ertrunkenen die Mehrzahl durch Flußpiraten, und von den am Schlagfluß Gestorbenen eine große Zahl durch Gift ums Leben kam, so bekömmt man erst einen einigermaßen korrekten Bez griff von den während des leßten Jahres in New York verübten Mordtha= ten." Am 15. Januar sollten drei Galgen - Kandidaten hier gehängt wer den, blieben aber am Leben, weil nach dem gewöhnlichen Spiele, das in Amerika mit der Justiz getrieben wird, ihr Prozeß in die Länge gezogen ward. Es giebt Staaten in der Union, in denen die Todesstrafe abgeschafft ist; durchschnittlich hört man aber in Amerika wiederhelt die Klage, daß nicht genug gehängt wird.

deren Predigten vorzüglich auf die Erbauung der Damen berechnet find, und in deren Kirchen die Size mit sehr hohen Preifen bezahlt werden. Die Katholiken scheinen den Protestanten an Frömmigkeit nichts nachzugeben und kürzlich soll Pater Gaudentius in Brooklyn Wunder gethan und Kranke mit solchem Erfolge geheilt haben, daß sogar ein Arzt zum Glauben an diese Kuren bekehrt ward.

Ungleich weniger von den höheren Klassen wohnen in Williamsburg, dagegen ist diese Stadt stark mit irländischen und deutschen Arbeitern angefüllt; indeß trifft man neben sehr schlechten auch elegant gebaute Straßen und in manchen derselben noch viele der in NewYork immer mehr verschwindenden Farmhäuser mit Säulenhallen an der Vorderseite. Dergleichen hölzerne, außen mit Brettern verkleidete Gebäude sind zwar im Winter sehr kalt und im Sommer heiß, gewähren aber mit weißem Anstrich und grünen Jalousieen vor den Fenstern einen heiteren Anblick. Verschiedene größere sind mit Lurus gebaut und liegen hinter kleinen Gärten, deren schöne Rosenstöcke in der Blüthe die Eintönigkeit der Straßen anmuthig unter brechen. Wegen der vielen Deutschen, enthält Williamsburg Brauereien und zahlreiche Bierwirthschaften, denn, ewig uneinig, mißgünstig, neidisch und schmähsüchtig gegen einander, sind die Deutschen in Amerika doch im Bedürfniß des Bieres einig. Es giebt daher nichts schrecklicheres für sie, als den Popanz des Temperenzwesens, wodurch sie in den amerikanischen Parteikämpfen zuweilen geängstigt und bis zur Lächerlichkeit aufgeregt oder an der Nase herumgeführt werden. Bier und Sprache sind das Gemeinsame, was den Deutschen in Amerika geblieben ist.

Als ich unter mancherlei Gedanken mich dem Behagen am milden Sonnenschein überließ, hatte ich in der Gegend, wo Brooklyn fich in Williamsburg verliert, den rechten Weg verfehlt und war ganz aus dem städtischen Anbau herausgekommen. Statt umzukehren, beschloß ich, noch ein Stück auf's Land hinauszuwandern. — In den Zeiten der Prosperität, welche mit 1852 begann und zu Ende von 1854 niederging, ist dort in illusorischen Hoffnungen oder mit betrügerischer Speculation an verschiedenen Stellen die Anlage neuer Drtschaften versucht worden. Manche sind nie zu Stande gekommen, andere zurückgegangen und der Anbau des Bodens von geringer Qualität ist nur dürftig gelungen. An den Ecken verschiedener Kreuz wege jener eingebildeten Städte und Stadttheile fand ich Tafeln, welche den Verkauf von Grundstücken ankündigten. Für das Auge nehmen sich aber die vielen weißen Häuschen, welche theils Anfänge jenes erschwindelten Anbaues, theils Wohnungen auf Farmen sind, die dort nach natürlichem Bedürfniß entstanden, sehr anziehend aus. Weithin liegen sie auf dem auf- und niedersteigenden Terrain zerstreut, darunter zuweilen ein stattliches, von Holz gezimmertes Haus mit einer kleinen Garten-Anlage, deren Wintergrün der schönen einheimischen Nadelhölzer das Auge erfreute; andere sind so klein, daß man sie faft mit Puppenhäuschen vergleichen möchte.

(Schluß folgt.) Mittel-Amerika.

Zur Urgeschichte von Amerika.

Der französische Abbé Brasseur de Bourbourg, bekannt durch seine wiederholten Reisen in Mittel-Amerika, wo er unter Anderem bas im,,Magazin" bereits erwähnte, später auch von dem österreichischen Reisenden Dr. Scherzer in Guatemala gesehene Manuskript in ber Quiche Sprache zuerst studirt hatte, hat kürzlich in Paris den ersten Band eines umfassenden Werkes über die Geschichte von Ame rifa, vor dessen Entdeckung durch Columbus, erscheinen lassen.°) Anknüpfend an einen von Humboldt in seinem ,,Examen critique de la Géographie du nouveau continent" ausgesprochenen Gedanken, hat der Abbé Braffeur dreimal, in den Jahren 1845, 1848 und 1854, Reisen nach Amerika unternommen, um den Spuren nachzugehen, die auf einen Zusammenhang der älteren amerikanischen Civilisation mit ber asiatischen hindeuten.

Freilich hatte der Herr Abbé auch allen Ernstes an eine von der Gazette de France vor etwa funfzehn Jahren gegebene Nachricht geglaubt, daß man in Brasilien, in einem alten Grabmahl, eine griechische Inschrift gefunden, nach welcher zur Zeit Alexanders des Großen ein Macedonier in Amerika gewesen sei und er ist naiv genug, dies auf der zweiten Seite seines Buches selbst zu erzählen. In zwischen scheint er sich doch bald von der Abgeschmacktheit dieser Angabe überzeugt zu haben, da im weiteren Verlaufe des Werkes nicht mehr von dieser amerikanischen Erinnerung an Alexander den Großen die Rede ist. Dagegen hat ein anhaltendes Studium der alten Denk

*) Histoire des nations civilisés du Mexique et de l'Amérique centrale, durant les siècles antérieurs à Christophe Colombe, écrite sur des documents originaux et entièrement inédits, puisés aux anciennes archives des indigènes, par M. l'abbé Brasseur de Bourbourg. Tom. I. Histoire de l'empire des Toltèques. Paris, Arthus Bertrand, 1857.

mäler von Merito, Yukatan und Mittel-Amerika, der zahlreichen Sagen und Traditionen, die urkundlich seit Jahrhunderten in diesen Ländern verbreitet sind und der in den Landessprachen erhaltenen schriftlichen Aufzeichnungen dieser Traditionen den von Humboldt in ihm geweckten Gedanken, daß der Ursprung der antekolumbischen Civilisation Amerika's in der alten Welt zu suchen sei, ihm zur vollständigsten Ueberzeugung gemacht. ständigsten Ueberzeugung gemacht. Herr Brasseur versucht es demnächst, die Geschichte der Völker von Central-Amerika zu liefern. Die Länder Tabasco, Chiapas, Daraca, Yucatan, Guatemala, San Salvador und Honduras find für ihn die Wiege der Civilisation in Amerika. Die Mannigfaltigkeit des Klimas, die Schönheit und Fruchtbarkeit des Bodens erklären die Vorliebe der alten Raçen für diese Gegenden, und das hohe Alterthum ihrer dortigen Niederlassungen wird durch die Ruinen bezeugt, die den Boden dieser Provinzen bedecken. Leider geht jedoch der Verfasser bei seiner Geschichtserzählung ohne alle Kritik zu Werke. Statt das Material, das ihm vorliegt, zu sichten, statt erst festzustellen, ob sich hier nicht Ursprüngliches und Hinzugekommenes, indianische und europäische Elemente durchkreuzen, statt die verschiedenen Völkerschaften und Raçen, die augenscheinlich eine und dieselben Sage ihren Lokalitäten angepaßt und sie daher jede in ihr eigenes Gewand gekleidet, streng aus einander zu halten, wirft er alle diese Geschichten zusammen und macht daraus Eine Geschichte von Amerika. So giebt er mit einer Bestimmtheit, als ob die Personalakten des Mannes ihm vorgelegen hätten, die Zeit und die gesetzgeberische Wirksamkeit Votan's, des angeblichen Gründers von Palenque, an, der um das Jahr 1000 v. Chr. gelebt haben soll.

Dieser Votan soll der Moses, Lykurg oder Solon von ganz Amerika gewesen sein, und zwar geht Herr Brasseur soweit, nach Herrn Ordoñez, dem sehr unglaubwürdigen spanischen Bearbeiter alter Handschriften in der Quiche- und der Tsendale-Sprache zu erzählen, Votan habe sich zur Zeit einer Abwesenheit von seinem Vaterlande wahrscheinlich in Asien, und zwar in Palästina, befunden, wo er den Salomonischen Tempel und viele andere schöne Dinge gesehen, die er dann in Palenque nachgeahmt habe. Damals soll Votan das Land in vier Königreiche getheilt, Tulha gegründet haben, dessen Ruinen bei Ococinco in der Provinz Chiapas aufgefunden worden, den Tempel im Thale von Soconusco, am Abhange der nach der Südsee hinausschauenden Cordilleren gebaut, in diesem Tempel den Tapir-Kultus mit Mysterien und einem Priesterkollegium, das unter einer Oberpriesterin stand, eingeführt und noch mehrere andert Städte, sowie einen Sonnentempel auf dem Gipfel des Ercuruch an, gegründet haben.

Man kann hieraus ungefähr abnehmen, wie gewagt und unkritisch die Geschichte des heroischen Zeitalters der Ur-Amerikaner ist, die Es hat schon seinen uns Herr Brasseur de Bourbourg erzählt. Werth, daß solche Sagen und Traditionen der Indianer auch in der wissenschaftlichen Welt bekannt werden. Aber es wird noch manches Dunkel aufgehellt, manches hieroglyphische Räthsel gelöst werden müssen, bevor an eine Urgeschichte von Amerika gedacht werden kann.

Frankreich. Estienne Dolet,

sein Leben, seine Werke und sein Märtyrerthum. Estienne Dolet, oder mit seinem latinisirten Namen: Stephanus Doletus Aurelius, der berühmte Drucker im sechzehnten Jahrhundert, ist die vollständige Verkörperung, so zu sagen, das Fleisch und das Wort dieser Epoche des Kampfes der frischen Wiedergeburt gegen die Fäulniß des Schlendrians, der Freiheit gegen die Ueberlieferung, der Idealität des Rechts gegen die Brutalität der That". Und er hat in dem Herrn Boulmier einen Biographen gefunden, der ebenso wenig wie er selber mit seinen Meinungen hinterm Berge hält. Man erwarte hier nicht“, erklärt er, „eine unparteiische, mit anderem Worte, eine herzlose Erzählung: eine Art Protokoll, ohne vorge faßte Meinung, ohne Theilnahme, worin die Thatsachen, starr und leichenhaft, wie die Gerippe in einer Gruft, sich an einander reihen. Ich bin kein Geschichtschreiber, ich bin ein Anwalt, und Dolet ist mein Klient. Offen gestanden, Dolet ist mein Mann: Alles, was ihn zum Haß, zum Zorn, zur Begeisterung entflammt hat, findet den entsprechenden Widerklang in meinem Herzen. Kurz, dieser Längftverstorbene ist mein Freund, ich reiche ihm die Hand über drei Jahr hunderte hinweg."

Estienne Dolet wurde zu Orleans 1509, am 3. August, gerade an dem Tage geboren, an welchem er siebenunddreißig Jahre später auf dem Plage Maubert in Paris den Scheiterhaufen besteigen sollte. Die Sage, die ihm Franz I. zum Vater giebt, widerlegt sich einfach durch die Thatsache, daß Franz 1509 erst funfzehn Jahr alt war, was denn doch selbst für einen Prinzen ein zu frühreifer Vater sein

*) Estienne Dolet, sa vie, ses oeuvres, son martyre, par Joseph Boulmier. Paris, 1857.

dürfte. Die Geschichte, sagt Boulmier wißig, hat sich ohnehin mehr als freigebig gegen Franz gezeigt, als sie ihn mit dem Beinamen Vater der Literatur beschenkte; man braucht ihn nicht noch zum Vater der Literaten zu machen.

In Dolet selbst zeigte sich freilich eine seltene Frühreife. Mit zwölf Jahren kommt er nach Paris, und hier verliebt er sich sterblich in Cicero; 1525 besucht er fleißig die Vorlesungen über lateinische Eloquenz seines Landsmannes Nicolas Bérauld, und im folgenden Jahre reist er nach Italien. Was will er dort? Fragt den Pilger, was er in Bethlehem will? Ist nicht Cicero in Italien geboren und gestorben?

Drei Jahre blieb unser jugendlicher Gelehrter in Padua und arbeitete Tag und Nacht, um unter der Leitung Simon's von Villeneuve sich die Reinheit des lateinischen Styls und die Kunst der Rede" anzueignen. Im Begriff, nach der Heimat zurückzukehren, bot ihm Jean du Bellay - Laugey, der sich in einer politischen Sendung zu Venedig befand, eine Secretairstelle an. Dieser war, nach Brantôme, einer der gelehrtesten, beredtesten, weißesten und besonnensten Diplo maten seiner Zeit, der mit gleicher Auszeichnung die Feder, wie den Degen führte. Du Bellay, in Gemeinschaft mit dem berühmten Hellenisten Budé, erwirkte von Franz 1. die Gründung des College de France; Rabelais gehörte als Arzt zu seinem Hausstand. Konnte ein solcher Mann anders, als den Freund Cicero's bewundern? Dolet nahm also die Stelle an. Nebenbei verfolgte er den Kursus des Battista Egnazio, der das Buch „,De officiis" erklärte, ein volles Jahr, begeisterter und verliebter als jemals in seinen theuren Cicero.

Anbeter Cicero's und Dichter zumal, fehlte ihm nur eine Laura, um es mit Petrarca aufzunehmen; einer jungen Venetianerin, Namens Elena, war es beschieden, diese Lücke auszufüllen, und um die Analogie mit Messer Francesco vollständig zu machen, starb das Mägdfein (giovinetta) in des Alters Blüthe, und, wie sein Vorbild, sucht er Trost darin, den schmerzlichen Verlust in lateinischen Versen zu beweinen. Der Treulose! In der Sprache seiner ersten Liebe die neue Flamme zu feiern! Welcher Hohn! Aber beruhige dich, Marcus Tullius! Es war eine bloße Grille, eine Verblendung, eine Ueberraschung der Sinne. Sein Herz gehörte dir stets; er kehrt zu dir zurück. Und gerade die Wahl deiner Sprache zu seinen Klagetönen giebt davon Zeugniß. In einem anderen lateinischen Gedicht bricht er völlig mit der cyprischen Göttin, und in Ausdrücken und Wendungen, die einer Dame gegenüber sich nichts weniger als ritterlich ausnehmen. Er schließt mit den Worten:,,Wenn du nicht aufhörst, mich zu quälen, so sollst du es mit dem blutigen Antlig der Gorgone zu thun bekommen, das unter ihrer Aegide verborgen ist wer? Pallas! wer? Pallas! Nun, wirst du je dieser Gottheit die Spiße bieten, du feige, schlaffe Göttin?"

Der Entschluß stand nun fest; 1530 mit seinem Patron nach Frankreich heimgekehrt und dem Kultus Cicero's mehr als je ergeben, fing er an, Materialien zu sammeln, aus denen eines Tages die zwei ungeheuren Bände: „Kommentarien über die lateinische Sprache", hervorgehen sollten. Um sich aber eine gesicherte Stellung zu schaffen denn mit der bloßen Literatur brachte man es damals, wie heutzutage, nicht weit ging er auf Anrathen seiner Freunde nach Toulouse, um auf der dortigen berühmten Rechtsschule die Rechte zu studiren. Hier hatten sich mehrere Vereine und Landsmannschaften nach den verschiedenen Nationalitäten der Franzosen, Aquitanier, Spanier gebildet; bei ihren Zusammenkünften wurden Reden gehalten, welche die Behörden nicht mit freundlichen Augen ansahen. Dolet unterließ nicht, sich als Mitglied anzuschließen,

Einige von den Studenten begangene Unordnungen liehen dem Toulouser Parlament den Vorwand, die Vereine zu untersagen, ohne daß jene das Verbot sehr beachteten. Dolet, von der französischen Landsmannschaft zum Redner erwählt, nahm es mit dieser Würde so ernst, daß er am 23. März 1533 festgenommen und auf Befehl des Landrichters Dampmartin ins Gefängniß abgeführt wurde. Das war das erste Glied in der langen Kette von Verhaftungen, die einen. seiner Feinde zu der Aeußerung veranlaßten, das Gefängniß sei Dolet's Vaterland. Freilich hatte er von den Toulousern nicht mit großem Respekt gesprochen, und folgendes Bild, das er von ihnen entwirft, ist nichts weniger als schmeichelhaft:

,,Diese Stadt, die sich so ungebührlich vermißt, den wahren Glauben zu besigen, diese alberne Stadt, die sich als eine Fackel des Katholizismus gebahrt, steckt noch bis über den Kopf in dem dümmsten türkischen Aberglauben. Oder, was dünkt euch von der alljährlichen Feier des St. Georg-Lages, die darin besteht, daß man zu Pferde im Galopp neunmal um die Kirche rennt? Was meint ihr zu dem Schauspiel, daß an gewiffen Tagen ein Kreuz in die Garonne getaucht wird, um mit ihr, wie die Heiden mit ihrem Eridanus, Danubius, Nilus, oder mit dem alten Papa Oceanos schön zu thun? Was soll man von jenen Gelübden sagen, die an den Strom gerichtet werden, daß er im ruhigen Flusse bleibe, daß er sie mit seinen Ueber

schwemmungen verschone? Und wie gefällt es euch, daß die Kinder, wenn es im Sommer an Regen fehlt, die Heiligenbilder, die Fraßen von morschem Holz, durch die Stadt tragen? Und diese Stadt, in ihrer schmählichen Unwissenheit über das, was wahre Religion sei, diese Stadt unterfängt sich, aller Welt das Christenthum von ihrem Zuschnitt aufzudringen, und die freien Geister, die davon nichts wissen wollen, als Kezer zu behandeln!"....

Und doch hatte Dolet im vorhergehenden Jahre eine furchtbare Mahnung zur Vorsicht bekommen. Ein Professor des Rechts, Jean Caturce, hatte bei einem Mahle unter Freunden statt des üblichen Trinkspruches: Le roi boit! (der König trinkt) den: Jesus-Christus waltet in unseren Herzen! ausgebracht, und war, als Lutheraner angeklagt, auf einem der öffentlichen Pläge eben derselben Stadt Toulouse lebendig verbrannt worden. Indeß kam Dolet diesmal billiger weg. Nach einigen Tagen wurde er freigelassen zu großem Aergerniß der frommen Seelen, die sich dadurch zu entschädigen suchten, daß fie die abscheulichsten Schmähschriften gegen ihn in Umlauf feßten und Meuchelmörder gegen ihn befoldeten; endlich ließen sie ein verkleidetes Schwein auf einem Karren durch die Straßen führen und auf einem daran befestigten Aushängzettel stand mit großen Buchstaben: Dolet. Bei einer so feindlichen Gesinnung, war seines Bleibens in Toulouse nicht länger; er floh nach Lyon.

Es war aber nicht sowohl das Bedürfniß der Ruhe, als der Wunsch, seine beiden Phillipiken gegen Toulouse drucken zu lassen, was ihn nach Lyon zog. Nachdem er diesen Racheburst befriedigt, kehrte er nach Paris und zu seiner ersten Liebe, zu seinem Cicero, zurück, den er, zu seinem schmerzlichen Bedauern, über den Pandekten eine Zeit lang vernachlässigt hatte. Das Jahr darauf suchte er die Erlaubniß zum Drucke seiner,,Kommentarien" nach, die er erst mit großer Mühe erlangte. Er reiste nun nach Lyon, um sie in die Presse seines Freundes Sebastian Gryphius zu geben, und mit all der typischen Pracht eines Werkes jener Epoche und mit der sorgfältigen Korrektur eines so gewissenhaften Druckers erschien der erste Theil dieses Wunders von Ausdauer und Gelehrsamkeit.

Am 31. Dezember 1536 hatte er das glückliche Unglück, einen Maler, Compaing, der ihn meuchlings anfiel, niederzuftechen. Durch des Königs Gnade entging er dem Galgen und büßte mit einer zweiten Gefangenschaft. Kaum aus dieser befreit, veröffentlichte er den zweiten Theil seiner,,Kommentarien“ und legte eine Druckerei an.,,In dem heiligen Feuer, das seine Seele durchglühte, begnügte sich dieser Schöpfer des geistigen Fortschrittes nicht mehr damit, zu denken und zu schreiben er wollte auch jenes erhabene Werkzeug des Gedankens, jenes Schwert der Gerechtigkeit, jenen Donnerkeil mit tausend Bolzen, den man die Preffe nannte, in die Hände bekommen."

Kurz darauf heiratete er, und im Jahre 1539 wurde er Vater eines Sohnes, den er Claude nannte. Aber weder die Ehe, noch die Vaterschaft, noch auch seine,,Bude", wie er es nannte, machten ihn vorsichtiger. Jeden Tag trägt er ein Scheit zu dem Holzstoß, der seiner auf dem Plaße Maubert wartet. In lateinischen Versen greift er die Mönche,,, das Kapuzengesippe, das Vieh mit hängendem Kopf", aufs heftigste an. Von den Schönheiten, die er ihnen sagt, mag der Schluß eine Probe geben: ",,,Der Welt abgestorben"", ja das sind fie; aber nur, weil sie die Erde mit ihrer trägen Last beschweren; weil sie zu nichts taugen, zu nichts als zu Schurkenstreichen und Lasterthaten." Die Mönche hatte er gewagt, anzugreifen und nun gab er gar,,die heilige Schrift in der Volkssprache“ heraus. Ueberdies ,, war er überführt, in der Fastenzeit und an anderen von der heiligen Kirche untersagten und verbotenen Tagen Fleisch gegessen zu haben". Bei der heiligen Inquisition angeklagt, erging am 2. Oktober 1542 vom Inquisitor, Bruder Mathieu Orry, und dem Official und erzbischöflichen Vikar, Grafen von Lyon, Maistre Estienne Faye, der Urtelspruch, in welchem sie,,,den besagten Estienne Dolet für schlecht, Aergerniß gebend, abtrünnig, keßerisch, für einen Begünstiger und Vertheidiger von Keßereien und Irrthümern" erklärten und „ihn als solchen dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit überlassen“. — Man weiß, was das sagen wollte. Der Bischof von Tulle rettete ihn, und so kam er mit 14 Jahr Kerkerhaft davon. Als kleinen Ersag für das Vergnügen, ihn selber brennen zu sehen, überlieferte man dreizehn seiner Werke, theils handschriftliche, theils gedruckte, den Flammen. Doch endlich kam er frei, ward er seiner Frau, seinem Söhnlein Claude und seinem lieben Cicero wiedergegeben. Freilich auf nicht lange. An den Thoren von Paris wurden zwei an ihn adressirte Ballen in Beschlag genommen, die verbotene kalvinistische Bücher aus den Genfer Pressen enthielten. Es war ein Streich seiner Feinde. Man verhaftete ihn, wie Jean Caturce, am Dreifönigstage, aber glücklicher oder gewandter als dieser, gelingt es ihm, am dritten Tage seiner Einkerkerung, die Wächter zu täuschen und sich nach Piemont zu flüchten. Allein die Sehnsucht nach Weib und Kind, nach seinen alten Büchern und theuren Handschriften, der Wunsch,

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Manches, was er in der Muße des Exils geschaffen, drucken zu lassen, ziehen ihn mit Macht nach Lyon zurück. Der Unglückliche! Kaum hatte er hier den Fuß gefeßt, als er ergriffen und in die Conciergerie nach Paris abgeführt wurde.

Am 4. November 1544 wurde der theologischen Fakultät eine Stelle aus Plato's Werke, die Dolet aus dem Lateinischen ins Französische überseht hatte, zur Beurtheilung vorgelegt; fie lautete:

,,Sokrates:... Es ist demnach gewiß, daß der Tod nicht für die Lebenden ist, und was die Verstorbenen betrifft, die sind nicht mehr und folglich berührt sie der Tod noch weniger. Daher vermag er gar nichts über dich; denn du siehst noch nicht danach aus, bald zu fterben, und wenn du gestorben bist, so kann er dir auch nichts anhaben, da du nichts mehr sein wirft (rien de tout)“.

Plato fagt: ou rug ovx ou = tu enim non eris = du wirst nicht sein. Dolet hat mithin die Wörtchen: rien de tout verschuldet. Die Abgeordneten in Glaubenssachen (deputati in materia fidei) erklärten, diese drei Worte ständen weder im griechischen Original, noch in der lateinischen Uebersehung, und das war richtig; fie fügten aber hinzu, dieser Zusaß sei gegen den Sinn dieser Stelle, was mindestens sehr fraglich ist. Zur Strafe für diese drei Sylben erkannte das Pariser Parlament von Rechtswegen:

,,Daß besagter Estienne Dolet durch den Vollstrecker der hohen Gerechtigkeit in einem Karren von besagtem Gefängniß besagter Conciergerie des Palastes bis zu dem Plage Maubert geleitet und geführt werde, hier soll an bequemster und paffendster Stelle ein Galgen aufgerichtet und eingefeßt, und um denselben ein großes Feuer angemacht, in welches, nachdem er an besagtem Galgen hinaufgezogen worden, sein Körper geworfen und mit seinen Büchern verbrannt und sein Leib in Asche verwandelt werden. Befagter Gerichtshof hat er klärt und erklärt die Güter des besagten Gefangenen, sammt und fonders, dem Könige geeignet und heimgefallen.... Besagter Hof verordnet ferner, daß vor der Hinrichtung des besagten Dolet, er auf die Folter gespannt und der außerordentlichen Tortur unterworfen werde, damit er seine Mitschuldigen angebe."

Von diesen Kannibalen umringt, stimmte Dolet seinen Sterbe gesang an; in dem herrlichen Liede, das er im Kerker verfaßte, giebt er sich das Wort, von seinem Leben und seiner Sache nicht abzufallen, und in dieser Gesinnung ging er am 3. August 1546 zum Richtplaß. Und doch, darf man dem Briefe eines gewissen Florent Junius vom 23ften desselben Monats Glauben beimessen, hat Dolet seine Irrthümer bereut und auf der Richtstätte ein ihm vom Henker vorgesagtes lateinisches Gebet nachgesprochen, das überseßt so lautet:

„Mein Gott, den ich so sehr beleidigt habe, sei mir gnädig; auch du, Jungfrau Maria, ich beschwöre dich, so wie dich, heiliger Stephan, bittet dort oben für mich armen Sünder!" Dann hätte er die Anwesenden ermahnt, seine Werke mit vieler Behutsamkeit zu lesen, und mehr als dreimal betheuert, daß sie gar Manches enthielten, was er selber niemals verstanden hätte.

Um aber diese Bekehrung nach Verdienst zu würdigen, muß man wissen, daß das Parlament sie durch ein vetentum, einen geheimen Artikel, den es seinem Erkenntniß anhängte, und den der Henker dem Delinquenten im Vertrauen mitzutheilen beauftragt war, gar sehr zu erleichtern wußte. Dieses vetentum lautete: „Und es bleibt in mente Curiae vorbehalten, daß, wo es besagtem Dolet einfäme, irgend Aergerniß zu geben, oder irgend eine Gotteslästerung zu äußern, ihm die Zunge ausgeriffen und er ganz lebendig verbrannt werden soll.“ Und das schlau berechnete Mittel mochte sich wohl wirksam bewiesen haben.

Mannigfaltiges.

- Poetische Darstellungen des Erdbebens von Neapel. Das furchtbare Erdbeben, das die beiden neapolitanischen Provinzen Basilicata (Hauptstadt: Potenza) und Principato Citeriore (Hauptstadt: Salerno) in den lezten beiden Wochen des Jahres 1857 heimgesucht, scheint selbst in Italien nicht das Mitgefühl und die allgemeine Theilnahme erregt zu haben, welche das Unglück von 250,000 Menschen, die ohne Obdach umherirren und denen zum Theil ihre Angehörigen getödtet worden sind, für sich in Anspruch nimmt. Wenigstens geht dies aus zwei in Neapel erschienenen poetischen Dar stellungen des Erdbebens hervor, worin die Dichter Klage darüber führen,,,daß jenes traurige Ereigniß, welches so viele Städte, Dörfer und Menschen begraben, in den Zeitungen unter den albernsten Nachrichten politischer Art kaum der Aufmerksamkeit werth gehalten werde". Die gedachten poetischen Darstellungen, beide in klassischen Terzinen abgefaßt, find die eine aus der Feder des Herrn Niccolo Sole, eines auch bereits durch eine treffliche poetische Bearbeitung des biblischen,,Lied der Lieder" (Il Cantico dei Cantici) und die andere aus der des Herrn Michele Achille Bianchi gefloffen. Wir theilen

nachstehende, schöne Stelle aus der Dichtung über das „,Terremoto " von Herrn Niccolo Sole mit:

Un profondo sospir misero i monti,
Mentre sparso di stelle il ciel ridea,
E cupamente ribollir le fonti:

E un subitano muggbio indi correa
Di foresta in foresta, e torba l'onda.
Spaventata fuggia per la vallea!

Le montagne balzar su la profonda

Base commote, ed al tremor mugghiante
Da tre mari ondeggio l'itala sponde.

Es wird den der wohllautenden italiänischen Sprache kundigen Lesern unserer Zeitschrift nicht uninteressant sein, mit diesen Terzinen des Terremoto die fanft lispelnden,,Quartinen" des,, Cantico dei Cantici" deffelben Dichters zu vergleichen. Daffelbe beginnt folgendermaßen:

D'un bacio di sua bocca egli mi baci!

Che d'ogni vino è l'amor tuo più grato! Pe' tuoi profumi a le fanciulle piaci, E il tuo nome è un effuso olio odorato. Menami teco! Io tratto a la fragranza Degli oli tuoi, ti correro dappresso! Mi accolse il re nella sua regia stanza, Ed io godrò, giubilerò sol d'esso.

Englische Ueberseßungen aus dem Deutschen. In England überseht man jezt sehr fleißig aus unserer Literatur. Von bedeutenden Werken erwähnen wir Bunsens,,Zeichen der Zeit", die eine neue Uebersehung, und zwar von einer Dame, erlebt haben. Selbst das Buch:,,Aus dem Frauenleben", von Ottilie Wildermuth, ist überseßt worden, und ein englischer Kritiker zieht es dem größten Theile der englischen Frauenliteratur vor,,,deren Gehalt mit dem Gehalt (Honorar), den die Verfasserin bezieht, im umgekehrten Verhältniß zu stehen pflegt". Von den drei Ueberseßungen, die G. Freytag's,, Soll und Haben“ erlebt hat, war schon im vorigen Jahrgang dieser Blätter die Rede. Von der dort berichteten Beurtheilung im Athenaeum ist übrigens die der Westminster Review sehr verschieden.,, Ein deutscher Roman“, heißt es da, „hat diesmal die Palme bei uns errungen wegen einiger der größten Vorzüge in dieser Gaitung der Literatur. G. Freytag's,,Soll und Haben" wird, denken wir, eine nicht blos vorübergehende Popularität behaupten“ u. s. f.

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Literarisches aus Rußland. Unter den neuesten literarischen Erscheinungen in Rußland verdient eine Ueberfeßung der Lieder Béranger's, von Herrn Kurotschkin, Erwähnung, die, nach den im Russkji Wjestnik enthaltenen Proben zu urtheilen, sich dem eigenthümlichen Charakter und Ausdruck des Originals mit vieler Treue anschließt. - Die zahlreichen Schriften über die Belagerung von Sebastopol sind durch ein zweibändiges Werk von der Feder des Herrn Berg vermehrt worden, der auch ein illustrirtes „Sebastopol - Album“ in russischer und französischer Sprache herausgiebt. Ferner hat ein ungenannter Artillerie-Offizier fein während der Belagerung geführtes Tagebuch im Druck erscheinen laffen. Von Schloffer's,, Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts" wird jezt eine Ueberseßung angekündigt, bei der es, trog der heutigen milderen Praxis, wohl nicht ohne Cenfurlücken abgehen dürfte.— Solowjev's „Geschichte Rußlands" if bis zum siebenten Bande (1584–1598) gediehen; Ufträlov's „Geschichte Peter's des Großen“ aber läßt noch immer auf sich warten, obgleich der Verfasser schon seit Jahren Bruchstücke aus derselben in verschiedenen Zeitschriften publizirt.- Der Graf Kuschelev-Besborodko hat einen Preis von 5000 Rubel für die beste Lebensbeschreibung feines Großoheims, Alexander Besborodko, ausgefeßt, der sich unter Katharina II. von einem armen Kanzlisten zum Staatskanzler und Reichsfürften emporschwang. — Eine Biographie des unlängst verstorbenen Admirals Ricord, bekannt durch die Befreiung des Capitains Golownin aus der japanesischen Gefangenschaft und durch die von ihm in den griechischen Wirren gespielte Rolle, enthält manches Interessante; ebenso die Aufzeichnungen des Herrn Wolkov, eines Antigermanen, über seine Erlebnisse in Frankreich und Deutschland während der Jahre 1848 und 1849. Ueber Gogol wurden in der legten Zeit reichhaltige biographische Materialien veröffentlicht. Von neuen Journalen find zu nennen: die von Aleris Baumann in Petersburg herausgegebene illustrirte Zeitung und der bibliographische Anzeiger in Moskau, der einem längst empfundenen Bedürfniß abhilft. Dagegen ist der von Pogodin redigirie Mosk witjanin im vorigen Jahre eingeschlafen. - - Einen großen Verlust hat die russische Literatur durch das Ableben Peter Kudräwzov's, Profeffors der Universal-Geschichte in Moskau, erlitten. Auch das Mitglied der Petersburger Akademie Korkunov, der fleißige Herausgeber der altrussischen Chroniken, ist kürzlich im zweiundfunfzigsten Jahre feines Alters mit Tode abgegangen.

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No 31.

für die

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Literatur des Auslandes.

Frankreich.

Béranger's Selbstbiographie.

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Nachdem er seine drei ersten Lebensjahre, fast vergessen, bei einer Amme in der Nähe von Aurerre zugebracht, nahm sein Großvater ihn wieder zu sich und that nun Alles, ihn zu einem Laugenichts zu machen. Die Schule besuchte er, obwohl sie ganz in der Nähe war, Seitdem Béranger todt ist, hat man über sein Leben, über seine sehr wenig; er fand immer Vorwände, zuhause zu bleiben, wo er, in Werke, über die Rolle, die er in der Literatur und in der Politik einem Winkel sigend, aus Kirschkernen Körbchen machte. Die Großgespielt, allzu viel und doch auch wiederum nicht genug geschrieben. mutter that dadurch etwas für seine Erziehung, daß sie ihm bei jeder An seinem Grabe hat nichts gefehlt, was einem Menschen die Un- Gelegenheit Voltaire citirte und am Frohnleichnamsfeste mit ihm an fterblichkeit sichert, weder die Theilnahme eines ganzen Volkes, noch der Feier sich betheiligte. Seine Mutter holte ihn von Zeit zu Zeit die Beleidigungen seitens der Feinde, noch die Lobreden und die Thrä-_ab, um ihn in das Theater, zum Ball oder zu einer Landpartie mitnen der Freunde.

Aber hat das Urtheil der Geschichte sich schon gehörig abgeklärt? Wir meinen: Nein!

Ien?

Sind wir schon im Stande, den Dichter, deffen Lieder wir als Kinder gesungen, ohne Leidenschaft, ohne Parteilichkeit zu beurtheiWir dürfen das bezweifeln; aber indem wir das Recht, in letter Instanz zu urtheilen, dem nachfolgenden Geschlecht, welches freier sein wird, als das unsere, überlassen und den edlen Greis, der es verstand, mit unseren Vätern und auch noch mit uns jung zu sein, lieben und bewundern, nehmen wir mit Verehrung die Erbschaft an, die er uns vermacht; wir öffnen seine nachgelassenen Werke ohne vorgefaßtes Urtheil, wir suchen darin sorgfältig Alles auf, was uns Licht, was unseren Söhnen vielleicht einst Belehrung geben kann.

Die „Biographie" wird gewiß nicht so viele Streitigkeiten verursachen, wie die ,,Leßten Lieder". Es ist bis jeßt erst eine Vorrede da, bewundernswerth durch Einfachheit, gesunden Menschenverstand, Offenheit, Geist und Gemüth, nur zu bescheiden. Aber wir sind sicher, daß dieselbe, durch die so viel wie möglich vollständige und nicht torrigirte,,Korrespondenz“ vermehrt, in literarischer und in politischer Beziehung das am meisten französische Werk der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts sein wird; wie man in dem von dem Briefwechsel Voltaire's begleiteten Kommentar über den Verfasser der ,,Henriade" nicht blos einen Mann, sondern ein geschichtliches Zeitalter wird wiederfinden müssen; denn Béranger war, wie Voltaire, einer von Denen, deren Name „Legion“ ist.

Béranger zauderte lange, seine Geschichte zu erzählen. Er sagte zu seinen Freunden:,,Was hat die Geschichte eines Menschen zu bedeuten, der nichts gewesen ist in einer Zeit, in welcher so viele Menschen etwas gewesen sind oder geglaubt haben, etwas zu sein?" Aber man erwiederte ihm, daß die Geschichte seines Lebens,, der beste Kommentar zu seinen Liedern" sein würde, und für diese ergriff er die Feder. Den großen Männern", beginnt er, die großen Thaten und die großen Träume! Hier nur die Geschichte eines Versemachers!" und er stellt dann nur diejenigen seiner zahllosen Erinnerungen zusammen, die sich auf seine Person beziehen, den Geschichtschreibern es überlassend, den Antheil zu beurtheilen, den er an der Geschichte seines Vaterlandes gehabt.

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Folgen wir dem Berichte, den er seit 1840, etwas zu früh, niedergeschrieben. Der Vater Béranger's, ehemaliger Schreiber eines Notars in der Provinz, dann Buchhalter bei einem Gewürzkrämer, heiratete eine lebhafte, hübsche, gewandte, junge Modiftin, in die er fich, jeden Morgen bei ihrem Laden vorbeigehend, verliebt hatte." Sechs Monate nach der Verheiratung trennten sie sich mit beiderseitigem Willen; der Mann suchte in Belgien sein Fortkommen, während die Frau, zu ihrer Familie zurückgekehrt, ihm einen Sohn gebar. Béranger wurde am 19. August 1780 im Hause seines Großvaters, des Schneiders Champy in Paris, in der Straße Montorgueil, geboren. Seine Geburt hätte der Mutter beinahe das Leben gekostet; es mußte die Zange dabei angewendet werden, in Bezug worauf er oft äußerte:,,Mir ist nichts leicht gewesen, nicht einmal das Geboren

werden."

*) Ma Biographie, ouvrage posthume de P. J. de Béranger. Paris, 1857, in 8. Libr. Perrotin. Der hier gegebenen Mittheilung liegt ein Artikel der Revue des l'Instruction publique zu Grunde.

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Als sein Vater 1789 nach Paris zurückkehrte, gab derselbe ihn in eine Pension im Faubourg Saint-Antoine. Er sah hier, wie die Bastille erstürmt wurde, aber lernte auch hier nichts. Er konnte nie ein anderes Lob-Ehrenkreuz als das des artigen Betragens erlangen, und es fehlte nicht viel, so hätte er dadurch, daß er, von einem sehr gefürchteten Mitschüler dazu verleitet, einen sehr schönen, rothen Apfel entwendet hatte, auch dieses Lob verloren. Vielleicht habe ich diesem Ereigniß", sagt er,,,meine Aversion gegen die Aepfel und meine Unempfindlichkeit in Betreff der Kreuze zu verdanken.“

Als sein Vater plößlich die Stelle eines Notars in Durtal erhalten hatte, brachte er den Sohn zu einer Tante, die ein Wirthshaus in Peronne hatte. Die gute Frau, sehr arm, nahm Anstand, ihn bei sich zu behalten; aber als sie ihn fah, weinte sie, und der verlassene Knabe fand in ihr eine zweite Mutter. Sie war eine religiöse Frau und dabei eine leidenschaftliche Republikanerin. Sie brachte ihm das Lesen bei und erfüllte gleichzeitig sein jugendliches Herz mit solcher Liebe zu dem Vaterlande und zu der Freiheit, daß er außer fich vor Wonne war, als er den Kanonendonner hörte, welcher die Eroberung von Toulon ankündigte. Diese Gluth ist in ihm nie erloschen.,,Ich muß", schrieb er im sechzigsten Lebensjahr,,,alle meine Liebe zur Menschheit und alle meine durch die Erfahrung gereifte Vernunft zusammennehmen, um mich daran zu hindern, daß ich gegen die Völker, die unsere Rivalen sind, dieselben Verwünschungen schleudere, mit denen ich in meiner Jugend sie überhäufte." Es ist bekannt, daß man ihn nie dahin bringen konnte, die Engländer zu lieben. Seine Bewunderung für Voltaire erlitt an dem Tage, an welchem er die „,Pucelle" las, einen argen Stoß; denn die Liebe zum Vaterlande", sagt er,,,war die große, ich kann sagen, die einzige Leidenschaft meines Lebens."

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Im Mai 1792 hätte ihn ein Blisstrahl beinahe getödtet, obwohl die Lante das ganze Haus mit geweihtem Waffer besprengt hatte. ,,Nun, was nügt dir dein geweihtes Waffer?" sagte er zu ihr, als er wieder zu sich kam. "Ich sehe wohl, du wirst nie fromm werden", erwiederte traurig die Tante. Sie scheint Recht gehabt zu haben. Und doch beweisen mehrere Züge aus dem Ende seines Lebens und selbst gewiffe Stellen der Biographie, daß er hinter seinem unbestimmten Deismus ein sehr entschiedenes religiöses Gefühl verbarg. An einer Stelle, wo er sich ganz im Ernst darüber beklagt, daß er so wenig Glauben habe, sagt er: „Und doch bin ich immer gewesen, bin ich noch und werde ich, so hoffe ich, bis an mein Ende bleiben, was man in der Philosophie einen Spiritualisten nennt." Dieser Umstand ist bis jest von der Kritik unbeachtet geblieben; ebenso ein anderer, den wir auch nicht übergehen wollen.

Béranger belehrt uns selbst darüber, warum er das Wörtchen de feinem Namen vorgeseßt. Sein Vater, der Sohn eines Schankwirths, begründete seine Ansprüche auf das Wörtchen de durch eine lange Genealogie: es fehlten ihm nur die beweisenden Urkunden dazu. Unser Béranger, der so viel darauf hielt, niedrig, sehr niedrig zu sein, will das de seinem Namen nur auf den Rath Arnaud's vorgesetzt haben, damit nicht schlechte Verse seiner Art" anderen Béranger's zugeschrieben würden.

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