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geblich das Blut ihrer Unterthanen vergoffen und Millionen verschwendet haben?

Daß die Industrie des ottomanischen Reiches, im Vergleich mit seiner Bevölkerung und mit dem Umfange seiner Hülfsquellen, fast für nichts zu achten sei, das gestehen alle Reisenden ein. Wie fie zur Zeit beschaffen ist, würde sie höchstens für einen Staat genügen, der nur eine sehr schwache Bevölkerung befißt und an den nothwendigften Roh-Erzeugnissen Mangel leidet; aber die Industrie der Türkei bricht über eine Regierung den Stab, die Alles befißt und von nichts Nugen zieht.

Was das Heerwesen der Türkei betrifft, so haben die dort eingeführten Militär-Reformen schließlich nur die Uniformen geändert, und aus den türkischen Soldaten haben sie die possirlichsten Menschen von der Welt gemacht. Was namentlich die Flotte anlangt, so hat die Türkei das erforderliche Material zur Schifffahrt; aber sie hat keine Marine.

Der Hat-Humajum offenbart die Schwäche und die Unerfahren heit der türkischen Regierung in der augenfälligsten Weise. Er enthält organische Bestimmungen und Verwaltungsgrundsäge, die ihre Nichtigkeit in sich selbst tragen; dagegen findet man darin nichts, was der Gegenwart oder der Zukunft der Türkei entspricht. Man darf sich daher auch nicht wundern, daß er Niemanden im Orient zufrieden gestellt hat. Das Unzusammenhängende in seinen Bestimmungen macht ihn zu einem todten Buchstaben, und das ist noch das Beste, was von ihm zu erwarten ist: denn außerdem würde es überall nur Verwirrung und Anarchie geben. Die Christen hatten auf etwas Bestimmtes und Entschiedenes, gerechnet und der Hat-Humajum war für sie eine Täuschung. Die etwas aufgeklärten Muselmänner nah. men ihn mit vollkommener Gleichgültigkeit auf, da sie an den Hattischerif von 1839 dachten, der nicht im geringsten zur Ausführung gekommen war, und sie nannten ihn nur ein Stück Papier (Birkiat); die fanatischen Türken dagegen sahen ihn mit weniger philosophischen Blicken an, und mehrere Monat lang brachte fast jeder Tag Berichte von den schmählichsten Angriffen auf die Christen oder auf die Gegenstände ihrer Gottesverehrung.

Im türkischen Reiche muß man Alles von Grund aus erneuern, oder man darf an nichts Bestehendem ändern, denn theilweise Reformen machen das Uebel nur schlimmer, statt es zu heilen. Hat wohl Abdul-Medschid bedacht, daß die Verrückung eines Steins den Zusammensturz des ganzen Staatsgebäudes und die Nothwendigkeit eines Wieder-Aufbaues herbeiführen muß? Ahnt er nur die unzähligen Mißbräuche im Serail, die von da über die Provinzen sich erstrecken? Man kann die Frage verneinen, und er selbst könnte wirklich daran denken, sie abzuschaffen; aber es giebt dazu nur ein einziges Mittel, und das ist das Serail entlassen!

So lange die Frauen in dem Zustande der Abhängigkeit und Verachtung sich befinden, wie dies dort der Fall ist, so lange kann auch kein Lichtstrahl in die Nacht dringen, die über der Türkei liegt; denn allein die Frauen sind es, ebenso in der Türkei, wie anderswo, die den Beruf haben, die Männer zu bilden. Die Freigebung der Frauen, in deren Folge sie in den Strom der geistigen Bewegung der Welt mit hineingeriffen werden würden, ist eine der Haupt-Bedingungen der Wiedergeburt der Türkei. Die Harems müssen daher abgeschafft werden; man muß darauf Bedacht nehmen, den Türken zu einer Familie zu verhelfen, indem man die Polygamie und das geseßliche Konkubinat aufhebt, welches die Folge des bestehenden Rechtes eines Herrn auf das Bett einer Sklavin ist.

Gleichermaßen müßte man auch die Sklaverei abschaffen, die, nach dem Ausdrucke Montesquieu's, das Gefühl der menschlichen Würde erstickt und den Herrn, wie den Sklaven, verdirbt.

Die Einheit der Geseßgebung, die eine unbedingte Gleichheit unter allen Unterthanen des Reichs herbeiführen würde, könnte allein die politische Kluft ausfüllen, welche die Muselmänner von den Chriften scheidet, und die Einheit der Nation begründen.

Statt die politische Verschmelzung der Raçen vorzubereiten, hat vielmehr der Hat-Humajum die Verschiedenheit der Sieger und der Besiegten geheiligt. Die unausbleibliche Folge davon wird nur die sein, daß er die Ansprüche der Erfteren dauernd unterhält und den Haß der Anderen fortwährend belebt. Alles, was fortan im Orient geschieht, wird dazu beitragen, diese Wahrheit in ein immer helleres Licht zu sehen.

,,Es giebt Staaten", sagt Lamartine,,,deren Prinzip in ihren Laftern beruht, und welche eine Reform tödtet, statt fie neu zu be leben. Das ottomanische Reich, das anfänglich nur eine militärische Theokratie war, bedurfte zu seiner Existenz des Fanatismus und der Eroberung. Ein Volk, das weder das Land bebauen, noch Handel treiben will, mußte nothwendiger Weise in Verfall gerathen, sowie es keine Völker mehr zu unterjochen hatte, mit deren Schweiß es sich nährte, und daher existirt denn auch das ottomanische Reich schon seit langer Zeit nur dem Namen nach."

Ein jedes Volk", sagte der nämliche Schriftsteller,,,lebt von einem Prinzip, mit welchem es auch zu sterben verdammt ist; das Prinzip der Osmanen ist der Fanatismus. Der gesellschaftliche Zustand ist bei den Türken im Begriff, zusammenzustürzen, weil ihre Religion ausgeartet ist."

Finnland.

Die sprechenden Fichten.

Finnisches Volksmährchen.*)

Es war einmal ein Waidmann. Der ging einft mit seinen beiden Hunden in den Wald und sah sich den ganzen Tag um, ob er Beute fände. er Beute fände. So war er endlich tief ins Dickicht gerathen und konnte, als es finster ward, nicht wieder heraus; er beschloß darum, die Nacht im Walde zu bleiben und am anderen Morgen heimzukehren. In dieser Absicht ging er an die Wurzel einer großen Fichte, zündete ein Feuer an, sich zu erwärmen, und legte sich beim Feuer zur Ruhe nieder. Da ward ihm recht behaglich zu Muthe, und schon war er nahe am Einschlafen, als ihn plöglich etwas anredete. Auf dem Baume, an dessen Wurzel das Feuer brannte, war nämlich eine große Schlange zurückgeblieben; diese wollte nun herunter und bat den Mann um Hülfe, denn sie fürchtete sich, durch das Feuer zu kriechen. Der Jäger verwunderte sich sehr, daß die Schlange nach Menschen-Weise redete, gab ihr aber doch Antwort und sagte:,,Ich kann dich nicht herunter lassen, du würdest mich fressen“. fressen".,,Nein, ich freffe dich nicht, Brüderlein“, sprach die Schlange in schmeichelndem Ton,,,went du mir herunter hilfst, so lehre ich dich die Sprachen aller Geschöpfe". -,,Nun, wie sollte ich's denn anfangen, dich herunter zu bringen?" frug der Mann. -,,Hau einen Baum um", verfeßte fie, ,,und lege ihn gegen diese Fichte, so kriech' ich an ihm hinab". Dem Manne schien der gebotene Lohn ein guter; er that nach Anweisung der Schlange, und so kam sie wohlbehalten an den Boden. Darauf lehrte sie dem Manne aus Erkenntlichkeit die Sprachen der Thiere, Vögel, Bäume und überhaupt aller Wesen, verbot ihm aber, irgend Jemand etwas davon zu sagen, selbst seinem eigenen Weibe nicht, sonst würde er auf der Stelle des Todes sein.

Als der Mann nun alle Sprachen wußte und die Schlange abgegangen war, ließ er sich wieder an seinem Feuer nieder, um die Nacht hier zu verschlafen. Aber es dauerte nicht lange, da hörte er von neuem sprechen. Die Hunde hatten sich zu ihres Herrn Füßen gelagert, und der Eine fagte zum Anderen;,,Bleibe du hier bei unserem Herren und bewache ihn gut, damit nicht die Wölfe in der Nacht kommen und ihn freffen; ich für meinen Theil gehe nach Hause, denn es kommen Diebe und brechen ein, wenn nicht ein Gebell gehört wird". „Recht so“, sprach der Andere,,,geh' nur Kamerad und bewache das Haus, derweil ich den Herrn bewache". Der Mann verstand natürlich Alles; er dachte: es ist doch in diesen Thieren mehr Verstand, als man denken sollte, und schickte den einen Hund fort, das Haus zu hüten, wie er auch gewollt hatte; er selbst aber versuchte wieder einzuschlafen, da er sehr ermüdet war. Bald fielen ihm die Augen zu, wie beim Einschlafen immer geschieht, und er würde auch gewiß in Schlaf versunken sein, wäre nicht sein Gehör durch den Unterricht der Schlange so scharf geworden, daß jeder Laut zu ihm drang. So hörte er jezt mit einem Mal ein wunderliches Gesumme und konnte deutlich verstehen, was eine andere Fichte der= jenigen zuflüsterte, an deren Wurzel er lag. Es lautete so: „Gevatter, komm zu mir, ich muß gleich sterben; komm zu meiner Beerdigung!" ,,Ach, ich kann nicht", flüsterte die Angeredete, verzeih mir! ein Nachtgaft liegt an meiner Wurzel!",, komm doch, fomm!" rief jene noch zu wiederholten Malen, aber der Gevatter rührte sich nicht von der Stelle. Da stürzte die sterbende Fichte plöglich praffelnd zu Boden, daß der Wald erdröhnte; die lebende aber, an deren Wurzel der Waidmann lag, sagte bei dem Falle ihres Gefährten:,,Du bist nun hingegangen, alter Freund; auf etwas Gutem standest du immer, und auf das Gute bist du auch gefallen!" Der Mann hörte diese Worte noch, da aber von jezt ab Alles im Walde ruhig wurde, bekam der Schlaf endlich volle Gewalt über ihn.

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Nun, einen langen Schlaf gestattete der Waidmann sich eben doch nicht; schon mit Aufgang der Sonne erhob er sich, und gleich fiel ihm ein, was die Fichten in der Nacht gesprochen. Habe ich geträumt, oder was ist's gewesen?" dachte er; ich muß doch einmal zusehen, was Gutes unter jener Fichte zu finden ist". In dieser Absicht schlug er die Richtung ein, von wannen er in der Nacht das Praffeln gehört hatte, und ging lange, bis er bei dem gefallenen Baume ankam. Da ergab sich das ganze nächtliche Gespräch als Wahrheit; an der Wurzel der Fichte lag ein großer Schaß an Geld, und in der Krone saß ein glänzend schwarzer Fuchs.") Der Mann

*) Aus dem zweiten Bande der Satuja ja tarinoita. **) Von diesem Fuchse ist, wie man sehen wird, weiter keine Rede mehr.

nahm Beides mit nach Hause und wurde auf diese Weise reich.,,Nun, ich könnte wohl jezt auch ein Weib haben, da genug zu leben vorhanden ist", dachte er bald in seinem Sinne, und wirklich nahm er sich ein Weib, so schmuck und schön, wie Keine mehr im Lande. Mit dieser lebte er forthin glücklich daheim, denn er hatte Alles in Ueberfluß; doch begann die Zeit ihm lang zu werden, da er als ein Reicher müßig in den Tag hinein lebte. So ftand er eines Morgens am Fenster seiner Stube und blickte hinaus, weil das Wetter gar schön war. Da sah er seine geräumigen Felder, und unter dem Fenster war ein schönes Stück Flachsland, auf welchem kleine Vögel herumhüpften. Unter anderen kam auch ein Spaß mit seinen Jungen geflogen, um an dem Flachse zu picken; aber die jungen Späßchen waren noch unklug und ließen sich an der Erde nieder. Da belehrte sie ihre Mutter und sagte:,,Freffet nicht aus der Erde, meine Söhnlein, freffet an den Aehren; was in der Erde steckt, ist uns sicher, die Aehren aber werden weggemäht".

Als der Mann dies hörte, mußte er lachen. Die Frau, welche nahe bei ihm beschäftigt war, Kuchen zu backen, bemerkte dies und fagte:,,Was lachst du, alter Narr? siehst du an mir etwas Lächer liches?",,Hm! ich lache, weil ich muß, und kann nicht sagen, warum", Nun kennt Ihr aber der entgegnete er,,,dich geht es nicht an". Weiber Art; wird man ihrer so leicht ledig, bevor sie etwas vollftändig erfahren haben? Erst verlegte sich die Frau darauf, ihren Mann zu bitten, dann kam sie ihm schon an den Hals, verfolgte ihn überall und flehte ihn brünftig an, ihr doch zu offenbaren, warum er an dem Fenster gelacht habe. Der Mann wurde auf die Länge dieser Qual und des Lebens satt und sagte endlich: Bringe mir reine Kleider, dann sollst du's erfahren“. Nun, das Weib brachte ihrem Manne die Kleider; der zog sie an und legte sich der Länge nach auf die Bank, wie man einen Leichnam auf ein Brett legt. Auf dem Gute waren funfzig Hühner und ein Hahn; nun sagte der Mann von der Bank her, auf die er sich ausgestreckt hatte, zu seinem Weibe: ,,Laß die Hühner alle herein, damit ich sie noch einmal sehen kann, bevor ich sterbe". Ihr merket wohl, es war ihm gar peinlich, zu sagen, warum er gelacht, denn er wußte ja, daß es dann gleich um ihn geschehen sein würde. Die Frau aber glaubte, ihr Mann wolle sich nur einen Scherz machen, da er bisher immer sehr heiteren Gemüthes gewesen; sie that also, wie er sie geheißen, und trieb die Hühner herein. Sobald der Hahn mit seinem Troß auf dem Fußboden angekommen war, blähte er sich hochmüthig auf und sagte mit vieler Salbung:,,Kof-koko-ko, too-kokok: schau, ich habe funfzig Weiber und herrsche über sie Alle; der Hauswirth hat nur Eine und kann fie nicht in Zucht halten; darum wird er jach des Todes sein“. Da der Mann das Gegacker verstand, so sprang er nach einigem Besinnen haftig von der Bank auf, und schrie seiner Frau zu:,,Weib, was stehst du hier müßig? Die Kuchen sind gebacken, mach' dich nun gleich an eine andere Arbeit, oder ich zause dich!" Dabei that er wirklich, als wollte er sie beim Schopfe faffen, sie aber flüchtete auf den Hof und von da in den Viehstall. So blieb das unheilvolle Wort ungesprochen und der Mann am Leben. Die Frau von ihrer Seite ftellte keine unnöthigen Fragen mehr und leistete forthin schönen Ge. horsam. Seit der Zeit lebten fie immer glücklich, und es gab niemals Streit zwischen ihnen.

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Mannigfaltiges.

- Die englische Jury, nach v. Tippelskirch. Herr OberStaats-Anwalt v. Tippelskirch in Stettin hat einen im dortigen ,,wissenschaftlichen Verein“ gehaltenen, von schäßenswerthen Studien der englischen Geschichte und des englischen Rechtes zeugenden Vortrag über die Entstehung und den Charakter des Geschwornen-Gerichts in England" dem Druck übergeben.) Nach einem auch für Laien verständlichen, ebenso in sprach wie in kulturhistorischer Hinficht interessanten Ueberblick, gelangt der Verfaffer zu dem Resultate: ,,Das Geschwornengericht in England ist ein aus dem althergebrachten Selbstregimente der politischen Corporationen des Landes (der Grafschaften) gebildetes Organ der obersten Gerichtsbarkeit der Krone.". Er glaubt ferner aus seiner Darlegung der Geschichte der englischen Jury den Schluß ziehen zu dürfen, daß es, bei Einführung der Geschwornen-Gerichte in Deutschland, der geschichtlichen Entwickelung unseres Vaterlandes entsprechender gewesen wäre, wenn man die ihnen zum Grunde zu legenden Formen nicht da, wo sie aus der Niederlage des Königthums, sondern nur dort, wo sie aus dem Siege desselben hervorgegangen, also in England, gesucht hätte. So weit mit dem Verfasser vollkommen übereinstimmend, müffen wir ihm doch

*) Stettin, N. Graßmann, 1858. Preis 6 Sgr.

widersprechen, wenn er dem französischen Geschwornen-Gericht, als einem öffentlichen Schauspiele, wo Alles von der Geschicklichkeit der Advokaten abhänge", den Ernst und die sittliche Strenge der englischen Jury gegenüberstellt. Herr v. Tippelskirch scheint die leßtere nur aus theoretischen Studien zu kennen; denn in der Praxis verhält es sich gerade umgekehrt. Nirgends üben die Advokaten, die mit ihren jugendlich schlauen Blicken unter den historisch grauen Perücken einen eigenthümlichen Eindruck machen, einen solchen Einfluß auf die durch die vielen cross-examinations oft ganz verdußten Geschwornen, wie in England, und nirgends dagegen macht die Feierlichkeit der Sizungen wie der Ernst der Richter, der öffentlichen Ankläger und der Vertheidiger, einen solchen Achtung gebietenden Eindruck auf den Zuhörer und den Fremden, wie gerade in Frankreich und un-feren Rhein-Provinzen.

- Die Finanzen der Ostindischen Compagnie in Indien. Die Edinburgh Review enthält einen bemerkenswerthen Artikel über die gegenwärtige Lage und die Zukunft Indiens. Nach der Ansicht des Verfaffers ist die Budget-Frage die wichtigste von allen, und deshalb beschäftigt sich die englische Zeitschrift auch vor zugsweise mit der finanziellen Lage dieser großen Kolonie. Die Schlußfolgerung, welche das Blatt aus einer geschichtlichen Uebersicht der Ostindischen Compagnie zieht, ist keinesweges sehr tröstlicher Natur, denn aus derselben ergiebt sich als unbestreitbare Thatsache, dak von Anbeginn an bis auf den heutigen Tag die finanzielle Geschichte des englischen Indiens ein ebenso schwerer als unglücklicher Kampf um den Unterhalt der zur Aufrechthaltung der englischen Macht nothwendigen Civil- und Militair-Anstalten aus den einzig durch Indien gelieferten Einkünften gewesen ist. Diese Behauptung wird nur zu sehr durch die in weniger als funfzig Jahren aufgehäufte Schuldenlaft von 50 Millionen Pfund Sterling bestätigt. Die Ausgaben übersteigen fortwährend

ein Beträchtliches die Einnahmen (1857 betrug das Defizit 1,981,062 Pfund Sterling), und man sieht kein Mittel, diesem Zustand der Dinge abzuhelfen, der eine nothwendige Konsequenz der Natur des Landes und der Bevölkerung ist. Die einzigen EinnahmeQuellen find, außer der Grundsteuer, die Abgaben auf das Salz und das Opium, und diese legtere, welche für die Compagnie so sehr wichtig ist, vermindert sich immer mehr, seitdem die Chinesen selbst anfangen, Mohn zu ziehen. Die Grundsteuer, welche natürlich die beträchtlichsten Summen abwirft, kann kaum mehr erhöht werden, und man müßte also, um die Einkünfte zu vermehren, Kopffteuer und andere Arten von Abgaben einführen. Die Compagnie hätte hierzu wohl das Recht; denn unter dem Einflusse der englischen Politik und durch den der Handelsthätigkeit gegebenen Anstoß hat sich der Reichthum einzelner Klaffen bedeutend vermehrt, und in den großen Städten haben sich wahrhaft koloffale Vermögen gebildet. Dennoch ist es unmöglich, neue direkte Steuern von den Eingebornen zu erlangen; von jeher haben sie keine anderen regelmäßigen Abgaben entrichtet, und die einheimischen Fürsten waren stets, um ihre außer ordentlichen Geldbebürfnisse zu befriedigen, darauf angewiesen, die Reichen zu bedrücken, ein Mittel, das die Compagnie schwerlich in noch stärkere Anwendung als bisher bringen kann. Unter solchen Verhältnissen wäre es äußerst gefährlich, die eingerosteten Gewohn heiten der Eingebornen durch einen Steuerzwang anderer Art zu verleßen. Darüber sind alle kompetenten Leute einig, und die legten Ereignisse haben dargethan, daß man die gegenwärtige ruhige Haltung der Maffe der Bevölkerung nur der Politik der Ostindischen Compagnie zu verdanken hat, die mit Sorgfalt Alles vermeidet, was den Sitten und Gebräuchen der Hindus anstößig sein könnte. Es bleibt ihr also nichts übrig, als allmählich indirekte Steuern einzuführen. Während also von der einen Seite die Einkünfte von den Ausgaben fortwährend überftiegen werden und sogar sich noch zu vermindern drohen, werden diese auf der anderen Seite sich in Folge des Aufftandes noch mehr erhöhen. Man wird eine viel ansehnlichere europäische Armee unterhalten und selbst die Zahl der europäischen Beam. ten vermehren müffen; denn die Erfahrung hat nur zu sehr gezeigt, daß die Eingebornen überall, wo sie sich der Beaufsichtigung der Europäer entziehen können, für eigene Rechnung arbeiten, und daß es eine Unzahl von Gesellschaften und ganze Klaffen der Bevölkerung giebt, die, so wie sie hinlänglichen Vortheil aus der englischen Civilisation und Belehrung gezogen haben, nichts Eiligeres zu thun haben, als sich mit Erfolg gegen die Ostindische Compagnie zu kehren. Alles dies wird unfehlbar die Ausgaben für die Zukunft um ein Beträchtliches steigern.

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No 28.

für die

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Literatur des Auslandes.

Kurland.

Berlin, Sonnabend den 6. März.

Stellung des kurischen Bauern zum Christenthum. Die Verbreitung des Christenthums in den Ostsee-Provinzen und späterhin die Einführung der Reformation in dieselben find Schauspiele, von denen der Christ das Auge gern abwendet. Was jene betrifft, die Verbreitung des Christenthums in den Ostsee-Provin zen, so war gewiß so wenig christlicher Sinn, so wenig echte, wahre Christenliebe dabei im Spiele, wie Tilly damals hatte, als er mit blutigem Arm Magdeburg eroberte. Denn die sanfte Jesusreligion, fie, welche die allgemeine Menschenliebe gebietet, die auch Feindesliebe in des Menschen Herz haucht, mit dem Schwerte, nicht mit dem Wort Gottes, sondern mit Krieg und Kriegsgeschrei verbreiten zu wollen, ist etwas so Unchristliches, etwas so Heidnisches, daß das Christenherz bei dem bloßen Gedanken daran in unruhige Bewegung geräth und der Christensinn betrübt und traurig wird. Es ist ein Widerspruch, für den die Psychologie kaum eine Lösung hat. Man wendet mit Wehmuth, mit Abscheu das Auge weg und sucht Derter auf, wo es lieber ruhen mag. Darum fingt auch Klopstock in seiner Ode:,,Kaiser Heinrich", troß seiner sonstigen Liebe und Verehrung für Karl den Großen, der die Sachsen mit blutigem Schwerte zu Christen machte, in Beziehung auf diesen die folgenden denselben wenig ehrenden Verse:

,,Bist Du, der Erste, nicht der Eroberer
Am leichenvollen Strom und der Dichter Freund?
Ja, Du bist Karl! Verschwind', o Schatten,

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Es gilt auch hier: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!" Ritter sowohl, als Kaufleute, begnügten sich, die armen Bewohner der Ostsee-Provinzen zu solchen Christen zu machen, wie gegenwärtig die armen, schwarzen Sklaven durch ihre amerikanischen Gutsbesizer Christen werden. Sie wurden getauft und dann mit dieser Gnadengabe, wovon sie nur leider nichts verstanden und fühlten, in die Wäl der und auf die Felder geschickt, um im Schweiße ihres Angesichts die Leckerbissen und Weine zu verdienen, woran sich währenddem die Ordensbrüder (eine schöne, chriftliche Brüderschaft!) delektirten und ihren immer unruhigen Magen zur Ruhe zu bringen suchten. Ihretwegen konnten die armen Kuren, Letten und Lieven so selig werden, wie sie irgend vermochten und konnten sie hatten nichts dagegen! Hatten sie sie doch taufen lassen! Das Himmelreich war Jenen zu gefagt, dafür hatten sich Diese die drei Länder als kleines Aequivalent genommen.

Ueberwinden wir uns und werfen wir einen Blick auf die Ein. führung der Reformation in die Ostsee-Provinzen! Da ging es gewiß auch zu, wie in jener Fabel von Gellert:

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Sagt, wollt ihr, oder nicht?

Die Bauern lächelten: Ach ja, Herr Amtmann, ja!“

Wenn diese Bauern überhaupt noch gefragt wurden! Es ist sehr wahrscheinlich, daß ganz auf dieselbe Art, wie ihnen das Christenthum gegeben wurde, fie auch mit der Reformation beschenkt wurden, also ohne alle weiteren Fragen und Komplimente. Man muß die Unmündigen und Unverständigen zu ihrem Heile zwingen. Dieser Grundsag gilt nicht blos bei den Jesuiten von Profession, sondern bei allen Jesuiten in der ganzen Welt. Aber warum blieben die armen Bauern in den Ostsee- Provinzen unmündig und unverständig? Wollten sie etwa, wie faule Schulknaben, nicht in die Schule gehen und lernen? nein! Man ließ Jahrhunderte hingehen, ohne auch nur einmal an Schulen zu denken. Es war keine Hand da, die sich gerührt hätte, auch nur einen Stein zum Bau einer Schule herbeizubringen. Oder waren sie schlechte Kirchengänger? Besuchten sie

1858.

die Tempel des Herrn nicht, wo der Mensch doch wohl auch aus seiner Unmündigkeit und Unverständigkeit herauskommen kann? - Aber wo in aller Welt waren denn damals eben Kirchen und Tempel des Herrn? Die sehr wenigen, die vorhanden waren, konnten auch nur von sehr Wenigen besucht werden. Es ist bekannt, wie strenge Mandate und Befehle noch Gotthard Kettler, der erste Herzog von Kurland, geben mußte, um den äußersten kirchlichen Bedürfnissen genug zu thun, um hier und da einmal ein Kirchlein in seinem Lande hervorzurufen und einen verständigen Geistlichen nach Kurland zu locken. Und es wird gewiß in Est- und Lievland damals um nichts besser gewesen sein.

In Kurland wenigstens sah es in dieser Beziehung damals höchst traurig aus. Schulen gab es noch nicht einmal in der Prädestination der Herren und Ritter, die sich brüderlich in den Boden des Landes und in seine Bewohner als Leibeigene getheilt hatten. Die wenigen Kirchen, welche die äußerste Nothdurft erbaut hatte, waren so schlecht bedient, wie nie gewiß der gnädigen Herren schlechteste Küche bedient war. Die Geistlichen, welche damals aus Deutschland und Preußen hierher gezogen wurden, waren großentheils solche Persönlichkeiten, auf die das eigene Vaterland, ohne Schmerz und Traurigkeit zu empfinden, von Herzen gern verzichtete. Daß sie der lettischen Sprache nicht kundig waren, versteht sich von selbst; daß sie sich auch keine Mühe gaben, sie zu lernen, kann man sich leicht vorstellen, wenn man bedenkt, wie diese Subjekte meistentheils beschaffen waren, und wie unter diesen Verhältnissen die Predigt des Wortes Gottes sich gestalten mußte, läßt sich mit sehr wenig Anstrengung leicht begreifen. Wäre die Sache nicht so gar ernster und heiliger Art, man würde Mühe haben, sich bei der Vorstellung davon des Lachens zu enthalten.

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Man denke sich aber einmal recht lebhaft diese Scene: Es ist eine Gemeinde in einer Kirche versammelt, von deren Gliedern keines ein Gesangbuch hat, keines lesen und singen kann, feines den Katechis mus versteht und manche nicht einmal wiffen, ob der Erlöser Jesus Christus, oder Pontius Pilatus geheißen hat. Auf der Kanzel steht ein Mann, der fast wie ein Geistlicher aussieht, aber Manches an fich hat, was dem widerspricht; es ist aber wirklich der Herr Pastor loci. Er liest etwas aus einem Buche vor, das fast wie deutsch klingt und in Wahrheit sich auch deutsch erweist, nur durch die provinzielle, etwas bedeutend breit klingende Aussprache des Deutschen einigermaßen entstellt wird. Eine deutsche Predigt also! Aber die da unten sigen und stehen, sind doch keine Deutschen, sind doch offenbar Letten. Wie macht sich der Mann diesen verständlich? Ja seht, das geschieht durch den Mann, der da unter der Kanzel steht! Das ist der Dolmetscher, der Dragoman in dieser Versammlung, die man allerdings eher für eine Moschee als für eine christliche Kirche halten sollte. Der überseßt der Gemeinde ins Lettische, was der Herr Pfarrer deutsch vorliest. Es ist dabei nur schade, daß der Dolmetscher das zehnte Wort der Predigt immer selbst nicht versteht, denn es ist der Jäger oder vielleicht gar der Hundejunge des gnädigen Herrn, der am Sonntage immer zum Küster promovirt wird und seine deutschen Sprachstudien sonst nirgends, als an der Tafel feines Herrn stehend, gemacht hat, der aber selbst dem Dativ und Accusativ ewige Feindschaft geschworen zu haben scheint. Wahrlich! die Scene ift interessant. Hier gilt es gewiß: „Das Erhabene gränzt unmittelbar an das Lächerliche."*)

Diese Sentenz würde sich noch mehr bewähren, wenn wir unsere Aufmerksamkeit auch auf den Herrn Pfarrer richten und ihn ein paar Tage in seiner Lebensweise und Beschäftigung belauschen wollten. Wir wollen es aus Neugier einmal thun.

Die Kirche ist aus. An der Tafel des gnädigen Herrn ist eine große Gesellschaft versammelt. Wer ist der schwarze Mann dort, der es sich so sehr angelegen sein läßt, Spaß zu machen, und sich selbst zur Zielscheibe aller klugen und albernen Wiße darstellt? „Es ist der

Baschhof: Rückblicke auf eine funfzigjährige Amtsführung", in,,Mitth. und *) Vergl. den interessanten Artikel des Herrn Propst Lundberg zu Nachr. f. d. evangel. Geißtl. Rußlands", XII. H. 1, S. 89-94. 1856.

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Herr Pfarrer!" Der Tisch wird abgetragen; es geht an den Kartentisch nicht ohne wankende und schwankende Bewegungen. Wer ist der schwarze Mann am Kartentische, der alles Gelächter, alle Wige, allen Unmuth, allen Zorn der Spieler geduldig wie ein Lamm erträgt und höchstens mit einem süßen Lächeln antwortet?,,Es ist derselbe Herr Pfarrer!" - Ein Punschtisch nach dem Kartentische! — Wer um Gottes Willen ist der schwarze Mann, dessen breites Geficht noch zehnmal röther als der Glühwein ist, den er eben trinkt? ,,Kennst du ihn nicht mehr? Es ist derselbe Herr Pfarrer, den wir heute Morgen in der Kirche sahen! Du wirst ihn morgen früh auch auf der Heßjagd sehen, wo er nicht blos selber schießt, sondern auch mit allen möglichen schlechten und guten Wißen, Verwünschungen und Flüchen geschoffen wird!" Was schaden ihm solche Schüsse und Was schaden ihm solche Schüffe und Püffe? Tödten sie doch nicht! Im Gegentheil, fie bringen eine gute Mahlzeit ein und erhalten dadurch am Leben, an einem sehr angenehmen, schmackhaften Leben.

Solcherlei Anlagen des Körpers und der Seele, solche Qualificationen waren damals bei Besegung der Predigerstellen in Kurland maßgebend und entscheidend. Sie waren die einzigen Eramina und machten jedes andere Examen überflüssig; nach anderen Fakultäten, wie z. B. der Theologie, der Philosophie, der Philologie, fragte selten einmal ein Kirchenpatron; vielleicht wurde hier und da einmal bei den herzoglichen Pastoraten und den Stadt-Pfarreien eine Ausnahme gemacht. Sonst begnügten sich die Gutsherren damit oder machten das zur wesentlichen Bedingung der Uebernahme eines Predigtamtes, daß der Kandidat ein guter (was man damals so nannte) Gesellschafter war, daß er gern Karten und Würfel spielte, viel Punsch trank und statt der Choral-Melodieen die Weisen von einigen Jägerliedern zu fingen verstand.

Dieser Zustand der geistlichen Angelegenheiten verbesserte sich in Kurland nur sehr allmählich und langsam. So lange es Gutsherren und Kirchenpatrone gab, die ihr einziges Wohlgefallen darin fanden, in diesem alten, von den Urvätern überkommenen status quo zu verharren, so lange fanden sich auch Subjekte, welche die geistlichen Angelegenheiten im Sinne ihrer kleinen Despoten fortführten: Karten spielten, Punsch tranken und auf die Jagd gingen. Als nun aber endlich ein besserer Sinn bei den Kirchenpatronen Kurlands erwachte, die freilich, wie gewöhnlich nach einem langen Schlafe, lange schlaftrunken blieben, da geschah es, daß der kalte Nordwind des Ratio, nalismus auch in die kurische Geistlichkeit hineinfuhr und durch diese auch die kurische Ritterschaft eisig anwehte. Die zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts und der Anfang des neunzehnten haben in Kurland ein äußerst gelungenes, sehr lebendiges Lebensbild des Nationalismus gemalt. Ich will nicht sagen, daß Kurland selbst die Farben zu diesem Bilde geliefert hätte, die Farben kamen aus Deutschland; aber Kurland hat das Verdienst, die Maler produzirt zu haben, die mit mehr oder weniger Kunst an diesem Gemälde gearbeitet ha ben. Erst den lezten Jahrzehnden blieb es vorbehalten, belebend über das Todtengebein dahin zu fahren und einen besseren Geist, den Geist der Rechtgläubigkeit und des christlichen Sinnes hineinzuhauchen. Die chriftlichen Zustände unter der Geistlichkeit Kurlands gewähren gegenwärtig einen erfreulichen Anblick, wozu freilich die neue KirchenOrdnung, die manches sehr Heilsame angeordnet hat, auch das Ihrige mitgewirkt haben mag.,,Das Alte ist vergangen; siehe, es ist Alles (jedoch mit einigen, wenn auch wenigen, Ausnahmen) neu geworden!" Ich habe mich bei diesem Eingange, wenn ich es so nennen kann, allerdings etwas lange aufgehalten; es ist mir dabei wie einem Profeffor gegangen, der sich in seinen Vorlesungen bis weit über die Hälfte des Semesters bei der Einleitung aufhält und dann wie ein verspäteter Zugvogel eilen muß, um zu Ende zu kommen. Vielleicht habe ich aber auch dasselbe erreicht, was Jener gewöhnlich dabei erlangt und vielleicht beabsichtigt, daß er nämlich über den eigentlichen Inhalt seiner Vorlesung nach der langen Einleitung nur noch kaum Andeutungen und Winke zu geben braucht, weil er denselben bereits in der Einleitung umständlich auseinandergefeßt und fast erschöpft hat. Nach dem bereits Gesagten wird sich nun auch hier Jeder leicht selbst sagen können, von welcher Art und Beschaffenheit die Stellung ist, worin der kurische Bauer zum Christenthum steht; ich begnüge mich also, nur noch einige Andeutungen zu geben.

Betrachten wir das Christenthum in seinen zwei hauptsächlichsten Lebenserscheinungen, als Glaubens- und Sittenlehre, oder praktisch genommen, als Glaube und Moral, so habe ich öfter in Beziehung auf die erstere, auf die Glaubenslehre, von kurischen Predigern ge= hört, daß der kurische Bauer seines feften Glaubens wegen zu beneiden sei. Verfolgen wir ihn aber genau auf dem Gange seines Glaubenslebens, so müssen wir nothwendig zu der Einsicht kommen, daß es mit der Lehre wenigstens beim kurischen Bauern bis jezt sehr schwach steht. Und wo die so durchaus fehlt, wie kann da der Glaube etwas Inneres, ein inneres Leben geworden sein? — Man führt als Beweis für die Glaubensstärke des kurischen Bauern gewöhnlich den

Muth, die Freudigkeit an, womit er in den Tod geht; aber abgesehen von der Erfahrung, daß der Mensch auf einer noch niedrigen Kulturstufe des Lebens ganz gewöhnlich dem Tode muthiger in's Auge sieht, als der civilifirte, so stand die Sache bis jest auch hierzulande so, daß der Bauer den Tod mit Recht willkommen hieß. Der Tod war ihm ein Freund, der ihm die drückenden Feffeln der Leibeigenschaft zerbrach. Seitdem aber der hochselige Kaiser Alerander hier dem Tode, daß ich so sage, das Prävenire gespielt hat, seitdem der Bauer in besseren Lebensverhältnissen lebt, wird das auch bald anders werden. Er wird sich aussöhnen mit diesem Leben und so die Sehnsucht mildern, die ihm nach jenem Leben in der Brust brennt; sein Glaube wird kein ungeduldiger mehr sein und als solcher schon das Zeichen der Schwäche an der Stirn tragen, sondern ein geduldiger, ruhiger, der ihn lehren wird, mit dem Pfalmisten zu sagen: „Harre des Herrn, sei getrost und unverzagt, und harre des Herrn!" — Bisher aber erinnert der Glaube des kurischen Bauern unwillkürlich an die bekannte Stelle im Jakobus-Briefe:,,Du glaubeft, daß ein einiger Gott sei; du thuft wohl daran; die Teufel glauben's auch und zittern." Denn viel mehr als ein bloßes Fürwahrhalten ist der Glaube des kurischen Bauern noch nicht. Alles, was ich oben gesagt habe, wird diese Behauptung bestätigen. Es ist zwar in neuerer Zeit recht viel geschehen, aber in Einem Sommer wächst kein Baum zu seiner normalen Größe heran, am wenigsten der Baum des Glaubens, der Baum des Lebens. Der Baum grünt; der kurische Landmann schreitet vorwärts. Es ist zu hoffen, daß die Worte, die Goethe dem Herrn in den Mund legt, auch auf ihn Anwendung finden: ,Wenn er mir jezt auch nur verworren dient,

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So werd' ich ihn bald in die Klarheit führen;
Weiß doch der Gärtner: Wenn das Bäumchen grünt,
Daß Blüth' und Frucht die späten Jahre zieren."

Wir könnten uns nun wohl füglich die Mühe ersparen, dem kurischen Bauer auch in das Gebiet der Moral zu folgen, denn da sich dieselbe zum Glauben verhält wie die Frucht zum Baum, so können wir leicht ermessen, wie es hier mit der chriftlichen Moral beschaffen ist, weil wir den Baum bereits kennen gelernt haben. Der Vollständigkeit wegen, wollen wir indeffen auch davon ein paar Worte sagen.

Man würde dem kurischen Bauer sehr unrecht thun, wenn man ihm im Allgemeinen Unsittlichkeit oder gar Lasterhaftigkeit vorwerfen wollte. Er steht gewiß in dieser Beziehung nicht schlechter, als die Bauern, die Völker in anderen Ländern, ja ich glaube, nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, daß man beim kurischen Bauer viel weniger Sittenlosigkeit und Unzucht antreffen wird, als bei der Bauernschaft mancher anderen Länder, Deutschland nicht ausgenommen. Wollte man z. B. die Kirchenregister in Beziehung auf unehelich geborne Kinder vergleichen, der Vergleich würde gewiß sehr zum Vortheil der kurischen Kirchenbücher und somit auch der kurischen Bauern ausfallen. Aber es ist hier Alles, wie Luther sagen würde, eine feine, äußerliche Zucht, die der kurische Bauer von seinen Vätern überkommen und sich so hineingelebt hat, daß sie ihm zur Gewohnheit geworden ist; es ist ihm die Sittlichkeit kein inneres, christliches Lebensprinzip, kein Leben in und aus Gott geworden; sie ist nichts als eine äußerliche That, die keine andere Quelle, als Gewohnheit, als äußere Zucht und Ehrbarkeit hat. Er unterscheidet sich hier fast gar nicht von allen denen, die eine bloße Moral-Religion haben, fie mögen nun Juden, Muhammedaner oder Heiden heißen. Das Christenthum ist kein Sittengesez, es ist inneres Leben, es ist das Leben der Seele, das Leben des ganzen Menschen in Gott und aus Gott, das Leben selbst, und außer ihm giebt es kein Leben.

Je mehr das Christenthum also in das innere Leben des kurischen Bauern eindringen wird, desto chriftlich gesitteter wird auch sein Wandel werden. Und hier kann man sich gewiß der besten Hoffnung hingeben. Die Kirchen hierzulande find großentheils gut besucht und gut bedient; die Diener des Wortes Gottes, nicht mehr erkaltet durch den kalten Rationalismus, bestreben sich, ihrem heiligen Dienste Ehre zu machen; die Gutsherren, die Kirchenpatrone, kehren nach langer Abwesenheit allmählich wieder zur Kirche, zum Glauben zurück; Schulen entstehen überall im ganzen Lande; das Evangelium wird den Kindern und den Erwachsenen, den Armen und den Reichen gepredigt. Wir dürfen also am Schluffe mit Freudigkeit das oben angeführte Wort von Goethe noch einmal aussprechen:

,,Weiß doch der Gärtner: Wenn das Bäumchen grünt, Daß Blüth' und Frucht die späten Jahre zieren.“ Aus Kurland.

Türkei.

Die Frauen von Konstantinopel.

Die Sklaverei ist bekanntlich im Orient kein Schandfleck, sie ift vielmehr im Allgemeinen der Weg zu Ehren und Aemtern. Die

ersten Würdenträger des Reichs sind größtentheils Freigelassene; die Sultane selbst sind Söhne von Sklavinnen, da die Staatsgefeße es den Fürsten verbieten, ihre Gemahlinnen aus den Familien des Reichs zu wählen. Bis in die jüngsten Zeiten haben Krieg und Seeraub die Harems in Konstantinopel mit den Schönheiten Griechenlands, Georgiens, Tscherkessiens, ja selbst der civilisirten Länder Europa's bevölkert. Diese Mischung der schönsten Frauen, der bevorzugtesten Wesen der Menschengattung hätte, nach den physiologischen Theorieen, die in der Ragenkreuzung das wirksamste Element des sozialen Fortschrittes erblicken, ausgezeichnete Ergebnisse liefern müssen. Gleich wohl hat diese, liegt nun die Schuld an dem Einfluß des Islams oder an der Wirkung des Despotismus, oder an beiden zugleich, nur eine Raçe erzeugt, die zwar edle Körperformen, aber eine sehr unter geordnete, geistige Begabung aufweist eine Uebergangsraçe, welche die glänzende Rolle der Söhne Osman's nicht durchzuführen vermochte.

Eröffnen wir den Reigen mit der herrschenden Raçe. Das Gesicht der Türkinnen entlehnt etwas von jeder der verschiedenen Raçen der alten Welt, vorherrschend aber ist darin der eigenthümlich orientalische Typus. Die Züge sind gewöhnlich rein und regelmäßig; große, schwarze Augen; vorspringende Backenknochen; der Nasenbug nähert sich der Adlernase; der Mund mit seinen Purpurlippen wohlgebildet; die Gestalt etwas unterseßt. Die hübschen Frauen sind hier wie überall felten; sie sind nur in dem Alter zu finden, das an die Mannbarkeit streift. Die Kadinen) und die Weiber aus dem Bürgerstande zeigen oft eine übermäßige Wohlbeleibtheit und Ueppigkeit der Konturen, auf die sie sich nicht wenig einbilden. Die Türken, im Gegensaß zu den Arabern, haben eine Vorliebe für diese fleischigen Formen. So wesentlich verschieden sind die Schönheitsbegriffe!

schlafen fast völlig angekleidet und wiffen nichts von dem ewigen Umkleiden, von jenem geschäftigen Müßiggang der großstädtischen Modedamen Europa's. Sie tragen ihr Haar beständig in Zöpfen abgetheilt, die nicht jeden Tag geflochten werden; das Henné, womit manche ihre Hände färben, hält sehr lange; ein Bad, das das Gefeß den verheirateten Frauen als Reinigungsmittel vorschreibt, nehmen selbst die Wohlhabendsten nur ein oder zweimal wöchentlich. Die reichen Frauen zeichnen sich vor den ärmeren in ihrem Anzuge nur durch die Schönheit der Stoffe und durch die Menge der Edelsteine aus; aber lange dauert ihre Toilette nicht und nimmt ihnen kaum soviel Zeit, wie den eleganten Pariserinnen Der größere Theil des Tages ist den Stickereien gewidmet, in welchen sie Erstaunliches leisten. Die Kadinen tödten einen Theil der Zeit, indem sie, nachlässig auf weichem Divan hingestreckt, ihren Tschibuk oder Nargileh rauchen, verliebte Lieder singen, den schlüpfrigen Tänzen ihrer Sklavinnen zusehen oder dem endlosen Gewäsch der griechischen, armenischen oder jüdischen Trödlerinnen zuhören. Diese Pußhändlerinnen find stets willkommen und gastlich aufgenommen in den Harems, wo fie die Fraubasereien der Stadt, nach denen die Abgesperrten so begierig find, fleißig zutragen.

Die türkischen Frauen sind keinesweges, wie allgemein angenommen wird, in einem Zustande der Zurückseßung. Sie leben nicht, wie in Europa irrig geglaubt wird, in völliger Unwissenheit der Weltbegebenheiten, nur mit den läppischsten Dingen im Harem beschäftigt. Auf jedem Blatte der osmanischen Geschichte spielen Frauen eine Rolle, haben sie ihre Hände in den wichtigsten Ereignissen. Gegenwärtig mehr noch als sonst, läßt sich der geheime Einfluß der Gemahlinnen der hohen Beamten in den Regierungsangelegenheiten deutlich verspüren. Die Odalisken, die Sklavinnen, die aus den Harems des Sultans oder der Großwürden scheiden, um sich zu verheiraten, unterhalten mit diesen einen fortwährenden Verkehr, den sie geschickt benugen, um den Ehrgeiz ihrer Männer oder Verwandten zu befriedigen. (Schluß folgt.)

Ungarn.

Der Anzug der Türkinnen, wenn sie ausgehen, ist sehr einfach. Der Feredsche, ein weites und langes, hellfarbiges, rosa, himmelblau, lila oder blaßgrünes Kleidungsstück von Merino oder Tuch, hüllt den ganzen Körper ein; ein Musselinstreifen, Jaschmak genannt, verschleiert das ganze Gesicht und läßt nur ein Paar schwarze Augen durchschimmern, deren Feuer durch das Khol erhöht wird. Ohne diese Vermummung, die ihr die moslemische Eifersucht aufzwingt, würde es keine Frau wagen, sich auf der Straße zu zeigen, wenn sie sich nicht Beschimpfungen aussehen will. Indeffen kann der Jaschmak, je Dies ist der Titel einer kleinen, aber an trefflichen Bemerkungen nach dem Alter und der Gefallsucht dieser Töchter Eva's, höher oder reichen Abhandlung in magparischer Sprache, verfaßt von Herrn tiefer gerückt, dichter oder durchsichtiger eingerichtet werden, und der Professor Ballagi in Pest. Sie beginnt mit folgenden Worten: Feredsche, eine Art Schlafrock, der die Formen verbirgt, kann sie auch,,Der Wissenschaft leistet ohne Zweifel nicht geringeren Dienst, wer verrathen; denn das Geheimniß ihrer Schönheit ist für die Frauen, besonders für die abgesperrten, immer eine drückende Last.

So wie sie in ihre Stube treten, legen sie ihr Obergewand, ihren Schleier und ihre gelben Halbftiefel ab und bleiben in ihrem Hausanzuge. Dieser besteht in weiten, bauschigen Pantalons von Seide oder dichtem Muffelin, Scharwal genannt; darüber tragen sie ein vorn offenes, an den Seiten über den Hüften geschlißtes Gewand, das hinten in eine Schleppe wie eine Hofrobe ausläuft. Die offenen, hängenden Aermel sind, wie das Vorderstück, mit Knöpfchen, Stickerei und Bändern ausgepußt. Um die Taille wird das Gewand von einem persischen Shawl oder einem Kaschmir festgehalten, in welchen fie die Hände stecken, um sich gelegentlich einen gewissen Anstand zu geben, oder die Schöße des Gewandes zurückschlagen. Das vorn offene Gazehemde läßt einen Busen sehen, der kein Schnürleib zu Hülfe ruft, um sich Relief zu geben; dieses Marterzeug der Toilette ift im Drient ebenso unbekannt, wie die Krinoline. Der Anblick der geschienten und aufgebauschten Europäerinnen reizt jedesmal die Lachmuskeln der Türken, die alle unsere Schönen in Verdacht haben, daß fie ihre Reize der Kunst der Modiftinnen verdanken. Ueber dieser Robe tragen die Frauen in Konstantinopel ein langes Kleid von Tuch, Sammet oder gestickter Seide und, je nach der Jahreszeit, mit Goldborten oder mit Pelzwerk verbrämt. Die Füße stecken in Babuschen mit aufwärts gekrümmten Schnäbeln von gelbem Saffian oder gold gesticktem Sammet, die zum Theil von dem wallenden Faltenwurf des Charwals verdeckt sind. In dem oft sehr reizenden Kopfpug entfalten sie am meisten den individuellen Geschmack. Auf das schwarze, in seinen Flechten über Nacken und Schultern herabfallende Haar seßen sie ein kleines mit Goldflittern besäetes, oder mit Arabesken gesticktes und mit Perlen und Edelsteinen beseßtes Barett von rothem. øder himmelblauem Atlas. An Ohrgehängen, Halsketten, Armbändern darf es hier ebenso wenig, wie an den Pugtischen auf dem ganzen Erdenrund fehlen.

Es ist nicht wahr, was die meisten Reisenden behauptet haben, daß die türkischen Frauen die Hälfte des Tages bei der Toilette zubringen. Der übertriebene Hang zu Wohlgerüchen, der ihnen zuge, schrieben wird, ist ebenso, wie die symbolische Blumensprache, eine Erfindung der Dichter. Die Türkinnen, wie alle orientalischen Frauen,

*) Aufseherinnen der Odalisken im Harem.

Sprachneuerung und Sprachverderbung. *)

die von Zeit zu Zeit auftauchenden Irrthümer nachweist und widerlegt, als wer daran arbeitet, neue Wahrheiten ans Licht zu fördern, wie in der Landwirthschaft das Ausjäten oder Reinigen des Bodens, den wir besäen wollen, vom wuchernden Unkraute nicht minder wichtig ist, als das Säen selber". Herr Ballagi glaubt unbedenklich aussprechen zu dürfen, Ausjätung sei niemals nöthiger gewesen, als im gegenwärtigen Zeitabschnitte der ungarischen Schriftstellerei, wo das mehr und mehr auflebende nationale Bewußtsein größere Bewegungen erzeugt und bei erhöhtem Bedürfnisse nach Arbeitern unter die Berufenen auch mancher Unberufene sich eingemengt habe.

Die nächstvergangene Zeit hat der Gegenwart eine, wenn auch nicht schlechterdings vollkommene, so doch jedenfalls abgerundete Sprache hinterlassen, und jezt, wo das öffentliche Leben den Magyaren nicht treibt und er genug ungesuchte Muße hat, scheint die rechte Zeit gekommen, daß er seine Muttersprache, diesen kostbarsten Nationalbesig, einer allseitigen und gründlichen Musterung unterwerfe. Hauptbedingungen dazu sind: das Studium der historischen Entwickelung des Magparischen, soweit sie sich unseren Blicken nicht entzieht, und die behutsame, völlig vorurtheilsfreie Vergleichung der verwandten Jdiome.

Den rühmlichen sprachwissenschaftlichen Bestrebungen, welche auch Ungarn in dem lezten Jahrzehnte aufweisen kann, läuft gleichsam parallel eine Art Sprachneuerungs- Fieber. Man verfährt mit Wörtern wie mit Kleidermoden: kaum wurzelt ein Neologismus, so wird er schon durch einen anderen verdrängt, und dabei gehen die Erfinder so leichtfertig zu Werke, daß sie sogar sinnzerstörende Kürzungen und Verstümmlungen sich erlauben. Herr Ballagi protestirt keinesweges gegen Bereicherung der Sprache; wenn ein Schriftsteller, weil er den vorhandenen Stoff zum Ausdrucke seiner Gedanken oder Ideen nicht überall genügend findet, hier und da eine neue Wendung, eine neue Wortform gebraucht, so ist er gewiß in seinem vollen Rechte; ja darin besteht eben der Sprache Lebenskraft, ihre ewige Jugend, daß neue Gedanken immer in neuer Form sich offenbaren; aber nicht im einzelnen isolirten Worte liegt die Neuheit, nein! während eine neue Idee in dem Ganzen der sprachlichen Darstellung sich vollständig ausdrückt, macht sie das Neue durch den Zusammenhang zu etwas Bekanntem, wie sie das Alte durch geschickte Wendung zu etwas Neuem machen. kann. ,,Davon ist aber unermeßlich entfernt, wer ein Wörterbuch

*) Nyelvujítás és nyelvrontás.

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