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Hier bricht der Dichter ab und fügt durch eine ihm eigene Wendung hinzu:

Sed cur heu, Ligurine, cur

Manat rara meas lacryma per genas;

Cur facunda parum decoro

Inter verba cadit lingua silentio?

Nocturnis te ego somniis

Jam captum teneo, jam volucrem sequor
Te per gramina Martii

Campi, te per aquas, dure, volubiles.

Was läßt sich zärtlicheres gedenken als diese Stelle? Wenn sie doch nur keinen Ligurin beträfe! Doch wie, wenn Ligurin nichts als ein Gedanke des Dichters wäre? Wie, wenn es nichts als eine Nachbildung des anakreontischen Bathylls seyn sollte? Ich will es entdecken, was mich auf diese Vermuthungen bringt. Horaz sagt in der vier zehnten Ode des fünften Buchs:

Non aliter Samio dicunt arsisse Bathyllo
Anacreonta Teium,

Qui persæpe cava testudine flevit amorem
Non elaboratum ad pedem.

Unter den Liedern des Anakreons, wie wir sie jezt haben, werden etwa drei an den Bathyll seyn, welche aber alle von einem ganz an, dern Charakter sind, als daß ihnen das Flevit zukommen könnte. Diejenigen müssen also verloren gegangen seyn, welche Horaz hier in Gedanken hatte. Fragt man mich aber, was man sich für eine Vorstellung von denselben zu machen habe, so muß ich sagen, daß ich mir sie vollkommen, wie die angeführte Stelle des Horaz von seinem Ligurin, einbilde. Unmöglich kann der Grieche seine Liebe glücklicher, daher geweint haben! Oder vielmehr, unmöglich hätte der Römer sie so glücklich daher geweint, wenn er das Muster seines Lehrers in der Zärtlichkeit nicht vor sich gehabt hätte. Mit einem Worte also: Horaz, welcher allen griechischen Liederdichtern die schöns sten Blumen abborgte und sie mit glücklicher Hand auf den römischen

Boden zu verpflanzen wußte; Horaz, sage ich, ward von den verliebten Thränen des Anakreons so gerührt, daß er sie zu den seinigen zu machen beschloß. Man kann zwar, wie gesagt, das Lied des Griechen nicht dagegen aufstellen; allein ich frage Kenner, welche die eigenthümlichen Bilder des einen und des andern Dichters zu unterscheiden vermögen, ob sie nicht lauter anakreontische in der Stelle des Horaz finden? Ja gewiß, und dieses um so viel deutlicher, da man schon in den übrig gebliebenen Liedern des Anakreons ähnliche Züge aufweisen kann. Man erinnere sich unter andern des achten, wo sich der Tejer im Traume sowohl mit schönen Mädchen als Knaben herumjagt. Man erinnere sich ferner des siebenten, wo Amor mit einem hyacinthnen Stabe den Anakreon durch Felder und Gesträuche, durch Thäler und Flüsse vor sich her treibt. Lauter gleichende Dichtungen! Und wenn Horaz die beiden Zeilen:

Cur facunda parum decoro

Inter verba cadit lingua silentio?

nicht auch dem Anakrcon zu danken hat, so hat er sie wenigstens der Sappho abgesehen, die schon längst vor ihm das finstere Stillschweigen zu einem verrätherischen Merkmale der Liebe gemacht hatte. Man vergleiche sie nur mit der Ueberseßung des Catulls:

nihil est super mi

Quod loquar amens.

Lingua sed torpet

Wenn nun also die Nachahmung seine Richtigkeit hat, so habe ich mich weiter auf nichts als auf eine sehr bekannte Anmerkung zu berufen. Auf diese nämlich, daß eine wahre Leidenschaft viel zu unruhig ist, als daß sie uns Zeit lassen sollte, fremde Empfindungen nachzubilden. Wenn man das, was man fühlt, singt, so singt man es allezeit mit ursprünglichen Gedanken und Wendungen. Sind aber diese angenommen, so ist auch gewiß ihr ganzer Grund angenommen. Der Dichter hat alsdann ruhig in seiner Stube gesessen, er hat die Züge der schönen Natur aus verschiedenen Bildern mühsam zusammen gesucht und ein Ganzes daraus gemacht, wovon er sich selbst, aus einem kleinen Ehrgeize, zum Subjecte annimmt. Ich verrathe

hier vielleicht ein Geheimniß, wovon die galante Ehre so mancher wißigen Köpfe abhängt; doch ich will es lieber verrathen, als zugeben, daß es unverrathen schimpfliche Vermuthungen veranlasse.

Aber, wird man vielleicht einwenden, hat denn Horaz nicht etwas Edleres nachbilden können, als die Symptome eines so häßlichen Lasters? Und verräth denn nicht schon die Nachbildung desselben einen Wohlgefallen daran? Das erstere gebe ich zu, das andere aber läugne ich. Er würde etwas Edleres in der Liebe nachgebildet haben, wenn zu seiner Zeit etwas Edleres darin Mode gewesen wäre. Wäre dieses aber gewesen, und hätte er es nachgebildet, zum Exempel alle Täuschereien der platonischen Liebe, so könnte man doch daraus eben so wenig auf seine Keuschheit schließen, als man jezt aus dem Gegentheil auf seine Unkeuschheit zu schließen befugt ist.

Wem aber alles dieses noch nicht genug ist, den Horaz von der Knabenliebe loszusprechen, den bitte ich, sich aus der Geschichte des Augustus noch folgender Umstände zu erinnern. Ich bitte ihn, an das Gefeß de adulteriis et pudicitia, und an das Geseß de maritandis ordinibus zu denken. Wie angelegen ließ es sich dieser Kaiser seyn, ihre alte Kraft wieder herzustellen, um allen Ausschweisungen der Unzucht, die in den gefeßlosen Zeiten des bürgerlichen Krieges eingerissen waren, vorzukommen! Das erstere Gesetz, welches lex Julia genannt ward, bestrafte die Knabenschänderei weit härter, als sie ein älteres Gefeß, lex Scantinia bestraft wissen wollte. Das zweite verbot eben dieses Laster, in so fern es schnurstracks mit der Vermehrung des menschlichen Geschlechts streitet, auf welche niemals ein Staat aufmerksamer war, als der römische. Man kann es bei dem Sueton (Hauptstück 34.) nachlesen, wie viel Mühe es dem August gekostet hat, mit Erneuerung besonders des lezteren Geseßes durchzubringen, und wie sorgfältig er alle Schlupflöcher, wodurch man sich der Verbindlichkeit desselben zu entziehen fuchte, verstopft hat. Nun muß man entweder in das Wesen eines Hofmanns, wels cher auch seine liebsten Leidenschaften unterdrückt, sobald er dem das durch zu gefallen hofft, von welchem er all fein Glück erwartet, nicht tief eingedrungen seyn, oder man muß glauben, daß Horaz ein schlechter Hofmann gewesen ist, wenn man ihn für fähig halten will,

burch sein eigen Exempel die Verachtung der liebsten Geseze seines Kaisers befördert zu haben. Seines Kaisers, den er selbst, an mehr als einem Drte, dieser heiligen Anstalten wegen lobt:

Nullis polluitur casta domus stupris:

Mos et lex maculosum edomuit nefas,
Laudantur simili prole puerperæ:

Culpam pœna premit comes.

Alles dieses, sagt Horaz, sind die Vortheile der Regierung unseres Augustus! Man versteht ihn aber sehr schlecht, wenn man das maculosum nefas für etwas anderes annimmt, als für das Laster, von welchem hier die Rede ist. Auch diesem Laster folgt die Strafe auf dem Fuße nach: culpam poena premit comes. Und Horaz sollte es gleichwohl begangen haben? Ich will nicht hoffen, daß man Verleumdungen mit Verleumdungen beweisen, und den August selbst in gleiche Verdammniß werde seßen wollen. Es ist wahr, wie Sueton meldet, so hat man ihm in seinen jüngern Jahren verschiedene schändliche Verbrechen vorgeworfen. Sex. Pompejus ut effœminatum insectatus est; M. Antonius, adoptionem avunculi stupro meritum etc. Aber waren nicht Pompejus und Antonius seine Feinde? und sagt nicht Sueton selbst bald darauf: ex quibus sive criminibus sive maledictis infamiam impudicitiæ facillime refutavit, et præsentis et posteræ vitæ castitate? Der Che bruch war das einzige, wovon ihn auch seine Freunde nicht loszählen konnten; sie machten ihn aber, nicht ohne Wahrscheinlichkeit, mehr zu einer Staatslist, als zu einer gränzenlosen Wollust. Adulteria quidem exercuisse ne amici quidem negant: excusantes sane, non libidine sed ratione commissa; quo facilius consilia adversariorum per cujusque mulieres exquireret. Man weiß, daß ein neuer August eben diesen Weg ging, den er aber nicht aus der Geschichte brauchte erlernt zu haben.

Ich weiß nicht, ob ich noch eine kahle Ausflucht hier zu widerlegen nöthig habe. Man könnte sågen, Horaz habe sich der Knaben, liebe schuldig gemacht, noch ehe August die Geseße darwider erneuert hätte. Doch haben wir nicht oben ausdrücklich gesehen, daß der

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Dichter an die funfzig Jahre alt war, als er sich in den Ligurin verliebt stellte? Dieser Zeitpunkt fällt lange nach dem erstern, und wer weiß, welcher gute Geist den Horaz getrieben hat, ihn zu seiner künftigen Entschuldigung so genau anzumerken. August hatte damals Längst die Knabenliebe durch die schärfsten Geseze aus dem Staate verbannt; aber sie aus den Liedern der Dichter zu verbannen, die sich gerne keinen Gegenstand entziehen lassen, an welchem sie ihren Wiz zeigen können, war niemals sein Wille gewesen. Er konnte es allzu wohl wissen, daß in den Versen nur ihr Schatten wäre, welcher dem menschlichen Geschlechte wenig Abbruch thun würde.

Wenn ich nunmehr auf alles das zurückfehe, was ich in dem Puncte der Unkeuschheit zur Rettung meines Dichters beigebracht habe, obschon ein wenig unordentlich, wie ich leider gewahr werde,

so glaube ich wenigstens so weit gekommen zu seyn, daß man aus dem untergeschobenen Zeugnisse nichts, und aus seinen eigenen Gedichten noch weniger als nichts, schließen darf. Es bleibt vielmehr bei dem Urtheile des Augustus: purissimus penis! Das leztere, weil er freilich wohl seinen Theil an den fleischlichen Ergözungen mochte genossen haben; das erstere aber, weil er durchaus in den Gränzen der Natur geblieben war. Doch genug hiervon !

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Ich wende mich zu einer zweiten Beschuldigung, welche einen Römer, in so fern er ein Römer ist, fast noch mehr schimpft, als die erste. Horaz soll ein feigherziger Flüchtling gewesen seyn, welcher sich nicht geschämt habe, seine Schande selbst zu gestehen. Man weiß, daß Horaz, als er sich in Athen, seine Studien fortzuseßen befand, unter der Armee des Brutus Dienste nahm. Die historischen Umstände davon sind zu bekannt, als daß ich mich dabei aufhalten dürfte. Man weiß, wie unglücklich die Schlacht bei Philippis für den Brutus ausfiel. Sie ist es, an welche Horaz in der siebenten Ode des zweiten Buchs seinen Freund, den Pompejus Varus, erinnert:

Tecum Philippos, et celerem fugam
Sensi, relicta non bene parmula,
Cum fracta Virtus et minaces

Turpe solum tetigere mento.

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