Billeder på siden
PDF
ePub

dieses Uebel gut. Die Worte thun dem Verstand wahrhaft Gewalt an, werfen Alles durcheinander und führen zu vielen leeren Streitigkeiten und Einbildungen.« *)

[ocr errors]

Der verstorbene L. Geiger war der erste, welcher mit Klarheit und Bestimmtheit den Satz aussprach, dass die menschliche Vernunft ein Produkt der Sprache ist. Bewusst oder unbewusst denkt ein Jeder mit Worten, er mag sie nun aussprechen oder als latente Anschauungen in sich aufbewahren. Nun hat aber der Mensch uranfänglich sehr unbestimmt, unklar, oberflächlich gedacht, seine Anschauungen nur als Gemüthsbewegung und Gefühlsaufregungen aufgefasst und die Gedanken meistentheils nur bildlich ausgedrückt. Die ursprüngliche Ausdrucksweise hat sich jedoch, trotz der höheren geistigen und ethischen Entwickelung des Menschen, auch später beibehalten, so dasssie nicht mehr adaequat der bestimmteren und klareren Anschauungsweise des Kulturmenschen war. So sagt man noch bis jetzt von der Sonne, sie gehe auf und unter, obgleich die Wissenschaft längst den Beweis von der Bewegung der Erde geliefert hat. Worte können also einerseits die Entwickelung des Gedankens fördern, so lange sie demselben adaequat sind; andererseits aber auch dieselbe hemmen und auf falsche Bahnen lenken, sobald sie der Realität der Erscheinung, welche sie ausdrücken oder darstellen müssen, nicht entsprechen.

Die Naturkunde hat sich bereits vollständig von der Herrschaft des todten Buchstaben des unadaequaten Wortes befreit. Anders steht es mit der Socialwissenschaft. Da in diesem Gebiete Gefühlsanschauungen und Gemüthsstimmungen noch ihre vollständige Herrschaft behaupten, so wird dasselbe noch in einem sehr hohen Grade durch das Wort und die

rase beherrscht. Die » Worte«: conservativ, liberal, reaktionär, radikal, Fortschritt, Freiheit etc. dienen auch noch

*) Ebendas., S. 33.

jetzt als Schlachtenruf und Waffe im politischen und socialen Kampfe um's Dasein. Die »bildlichen Ausdrücke: socialer Organismus, Staatskörper, ökonomische und politische Entwickelung etc., verhindern auch noch jetzt, das Reale in allen diesen Vorgängen aufzufassen und zu ergründen.

[ocr errors]
[ocr errors]

In seiner ferneren Ausdehnung erweitert sich das unadaequate Wort zur Phrase, die Phrase zu ganzen Systemen, die ausschliesslich auf Wortbestimmungen und Wortstreitigkeiten hinauslaufen, wobei die Sache selbst immer nur mehr verwickelt und verdunkelt wird. Gegen dieses Uebel giebt es nur ein wirksames Mittel: die Sache selbst statt der Worte in Augenschein zu nehmen und richtig zu beobachten. Das Sachliche im Gebiete der Socialwissenschaft stellt uns gerade die Realität des socialen Organismus dar. Die Anerkennung dieser Realität ist daher die conditio sine qua non um die Herrschaft des todten Buchstaben, des unadaequaten Wortes, der leeren Phrase und der auf Wortvor— spiegelungen gegründeten Systeme abzustreifen. - Dieser süsse Despotismus ist aber, besonders im socialen Gebiete, so tief in Fleisch und Blut eingedrungen, er entspricht so vollständig den Gewohnheiten der grossen Menge und dem Hange des Menschen zur Denkfaulheit, dass es noch harte Kämpfe abgeben wird, bis diese Art von Vorurtheilsgötzen von ihrem Piedestal gestürzt werden wird.

Endlich als vierte Gattung von Vorurtheilen bezeichnet Bacon diejenigen, welche sich des menschlichen Geistes in der Form verschiedener philosophischer Systeme oder verkehrter Beweismethoden bemächtigt haben. Diese Gattung nennt Bacon Vorurtheile der Bühne. » Unsers Dafür

haltens«, sagt er, »sind nämlich alle bisher erfundenen oder entlehnten philosophischen Systeme sammt und sonders Fabeln und Spiele einer erdichteten Theaterwelt. Dieses behaupten wir nicht bloss von den jetzigen, oder von den älteren phi

losophischen Secten; da noch viele dergleichen Fabeleien erfunden werden können und doch ganz verschiedenen Irrthümern sehr ähnliche Ursachen zum Grunde liegen können. Auch gilt dieses nicht bloss von ganzen philosophischen Systemen, sondern auch von einzelnen Grundsätzen und Axiomen in den Wissenschaften, die durch Ueberlieferung, blinden Glauben und Nachlässigkeit Ansehen gewonnen haben.« *)

Man kann freilich Bacon darin nicht beistimmen, als hätten alle philosophischen Systeme und Sekten bis jetzt nur Grundfalsches geliefert. Wir sind der Ueberzeugung, dass im Gegentheil ein jedes der sich gegenseitig widersprechenden und bekämpfenden philosophischen Systeme etwas Wahres enthält und dass sie sich nur deswegen gegenseitig ausschliessen und bekämpfen, weil sie die Wahrheit nur von einer Seite, von einem ausschliesslichen Standpunkte aus betrachten und erkennen wollen. Nichtsdestoweniger ist ein solcher ausschliesslicher Standpunkt ein wesentliches Hinderniss zur Erkenntniss der ganzen Wahrheit, indem er dem Geiste des Beobachters eine so einseitige Anregung und Empfänglichkeit giebt, dass er vollständig unzugänglich wird für jegliche Anschauung von einem anderen Standpunkte aus. Der fanatisirte Priester will die Nothwendigkeit der Naturgesetze nicht anerkennen; der einseitige Mathematiker fragt, nachdem ihm ein Gedicht Schillers vorgelesen ist: nun, was beweist denn das? Der Künstler fühlt Herzbeklemmungen bei Auseinandersetzung eines philosophischen Systems; der Idealist poltert gegen den Materialisten und dieser bleibt ersterem nichts schuldig. Diese Einseitigkeit in der Geistesbildung und -richtung wird im socialen Gebiete gerade durch die Anerkennung der menschlichen Gesellschaft als reales Wesen aufgehoben und beseitigt, so wie es auch in der

[ocr errors]

*) Ebendas., S. 33.

Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. II.

с

Naturkunde durch Anwendung der empirischen Methode der Fall war.

Und hat man nun einmal sich der richtigen Methode bemächtigt, dann werden auch Entdeckungen im Gebiete der Socialwissenschaften auf sich nicht warten lassen; die nothwendigen allgemeinen Gesetze werden sich durch den einfachen Vergleich zwischen dem socialen Organismus und den Einzelorganismen in der Natur ergeben. Und alsdann: fürchte man sich nicht, wie Bacon sagt, vor der Masse der einzelnen Gegenstände; man schöpfe vielmehr Vertrauen daraus. Denn alle diese einzelnen Erscheinungen im Gebiete der Kunst und Natur sind nur eine Handvoll gegen jenes Heer von Erdichtungen, welche, aller reellen Wahrnehmungen bar, leeren Abstraktionen ihr Dasein verdanken. *)

Als Schluss zu dieser Einleitung noch eine Bemerkung.

Es ist von vielen Seiten uns gegenüber die Erwartung ausgesprochen worden, wie denn eigentlich unsere Theorie oder Hypothese auf die praktischen Fragen und Verhältnisse von uns angewandt werden wird? - Auf diese Frage antworten wir folgendermaassen: Wenn man unter Anwendung irgend einer Theorie auf das praktische Leben ihre Durchführung in Betreff aller einzelnen Erscheinungen und Begebenheiten versteht, so kann eine solche Durchführung nicht nur auf socialem, sondern überhaupt auf jedem wissenschaftlichen Gebiete als unausführbar bezeichnet werden.' Eine solche Forderung würde eine eben solche Bedeutung haben, wie wenn man von dem Entdecker der Integral- und Differentialrechnung die Anwendung derselben auf alle nur möglichen Fälle fordern würde. -Ist eine Theorie oder Hypothese richtig und wahr, so muss sie alle Erscheinungen, ohne Ausnahme, erklären und ergründen können,

*) Ebendas., S. 82.

wobei es einem Jeden überlassen sein muss, selbige auf den speciellen Fall anzuwenden. Von diesem Standpunkte aus ist eine richtige Theorie oder Hypothese das Praktischste von allen wissenschaftlichen Leistungen und gerade deshalb, weil sie auf alle Fälle passen und alle Erscheinungen erklären muss. Diejenigen Praktiker, die mit Zahlen um sich werfen und auf Einzelheiten eingehen, ohne von einer allgemeinen und richtigen Grundidee auszugehen, sind unpraktischer, als mancher Theoretiker, der scheinbar sich in gar keine Erörterung der Tagesfragen einlässt.

Eine ganz besondere Bedeutung erhält aber eine an sich richtige Theorie oder Hypothese im socialen Gebiete. Auf die Wirkung der Naturkräfte kann der menschliche Wille keinen unmittelbaren Einfluss ausüben. Er kann ihnen nur mittelbar, mit Hülfe anderer Kräfte, diese oder jene, mehr oder weniger zweckentsprechende, Richtung geben. Daher auch jede Entdeckung im Gebiete der Naturkunde erst von dem menschlichen Geist und der menschlichen Kunst ausgenutzt werden muss, um eine Bedeutung für das praktische Leben zu gewinnen. Die grossen Entdeckungen Copernikus', Keppler's, Newton's haben erst später und nur indirekt praktische Folge gehabt und Früchte im praktischen Leben getragen. Die Entdeckung Harvey's über den Blutumlauf im menschlichen Körper hat gleichfalls nur indirekt, vermittelst der Medicin, die eigentlich eine Kunst ist, für das materielle Wohlergehen der Menschheit eine Bedeutung gewonnen. Der Wille der Menschen war unfähig, auch nur im geringsten den Blutumlauf im Körper in Folge dieser Entdeckung zu ändern oder zu beinflussen.

Anders steht es im Gebiete der Socialwissenschaft. Diejenigen Gesetze, welche in diesem Gebiete entdeckt und festgestellt werden, können unmittelbar den Willen, diese vorzugsweise im socialen Leben sich kundthuende Lebens

C*

« ForrigeFortsæt »