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Zahlen- und Denkgesetze des menschlichen Geistes auch in der Natur gelten, so dürfen wir uns zur Erkenntniss der Natur befähigt halten. Zwar sind die von uns aufgestellten sogenannten Naturgesetze oft nur einer vorübergehenden Zeitanschauung entsprungen, aber wir vermögen nach und nach auch die wahren ewigen Gesetze zu erkennen, weil der unendliche Geist, der sie gegeben hat, in uns, wie in der Natur lebendig ist.« *)

Da wir selbst nur allmälig, Schritt vor Schritt, aus dem Nach- und Nebeneinander entstanden sind, so würde im entgegengesetzen Falle zu bestimmen sein, in welchem Moment dieses absolut Verschiedene zum Menschen hinüber gekommen ist. Die Religion hat bis jetzt dergleichen Momente durch besondere Schöpfungsakte des höchsten Wesens zu erklären gesucht. Die neueste Naturwissenschaft sucht dagegen alle Eigenschaften und Strebungen des Menschen aus der allmäligen Potenzirung der Naturkräfte zu erklären. Diese Erklärung schliesst nicht nothwendig ein Negiren des höchsten Wesens, des Schöpfers der Welt, in sich, obgleich die Theologen der Naturkunde diesen Vorwurf machen und einige Naturforscher wirklich solche Consequenzen gezogen haben. Dagegen giebt es aber auch eben so Naturforscher, wie Philosophen und sogar Theologen, die in der neueren Naturȧnschauung mit Recht eine Erhöhung des Gottesbewusstseins der Menschheit erblicken, indem durch Ergründung der gesetzmässigen Harmonie, die alle Erscheinungen des Weltalls, den Menschen mit inbegriffen, umfasst, das Zufällige und Willkürliche des Schöpfungsaktes beseitigt, alle Widersprüche zwischen Religion und Wissenschaft, zwischen Ideellem und Realem, zwischen Geist und Materie aufgehoben werden und das Weltall als ein Harmonisches, zu einem höheren Ziele Schreitendes aufgefasst wird. Der Abscheu gegen das >Materielle< wird durch dasselbe Gefühl bedingt, nach welchem eine höhere Thierspecies eine niedere hasst und verfolgt. Der Hass ist jedoch kein schöpferisches Gefühl. Indem wir die niederen Stufen der Kraftpotenzirungen als etwas tief unter uns stehendes betrachten müssen, sollen wir uns jedoch über dieselben erheben, nicht durch Verneinen und Abstossen, sondern durch noch höheres Potenziren derselben Kräfte. Der Geist muss die Materie beherrschen, indem er sie

*) Ebendas., S. 7.

zu höheren Zielen lenkt und nicht, indem er sie zu vernichten strebt. Unser Leib muss nicht ausgehungert und gemartert, sondern gepflegt und geschont werden, jedoch nicht des Fleisches, sondern des Geistes wegen. Die materiellen Interessen der Menschheit müssen gefördert und entwickelt werden, und wiederum nicht um die thierischen Instinkte zu befriedigen, sondern um Religion, Moral, Kunst und Wissenschaft zu fördern und den Menschen den höheren Zielen näher zu bringen. Das ist die neuere Weltanschauung, auf Natur und Leben basirt, als Gegensatz zu der früheren indisch-jüdischen, die auf den absoluten Gegensatz zwischen Geist und Materie, zwischen Ideellem und Reellem gegründet ist und auf Verfolgen, Vernichten, Unterdrücken alles Fleischlichen im Menschen und alles Materiellen in der Gesellschaft losging. Davon stammen auch ab die zu uns herübergekommenen Ideen von einem absoluten Gegensatz zwischen Kirche und Staat, zwischen Wissenschaft und Religion, zwischen Naturkunde und Theologie, daher der absolute Zwiespalt in der Philosophie und im Herzen des Menschen.

Die neuere Weltanschauung ist eine versöhnende, friedenbringende, als Gegensatz zu der früheren, die eine kriegerische, den Gegner vernichtende war. - Möge man daraus folgern, ob wir in einem Fortschritt oder Rückschritt begriffen sind. Auf diese Weise wird jedoch der Fortschritt von nur Wenigen aufgefasst. Die Einen sehen in der Bestrebung, die materiellen Interessen zu heben, einen Verderb, die Anderen negiren wirklich alle höheren Strebungen der Menschheit. Doch diese Gegensätze werden und müssen sich ausgleichen; aus dem erbitterten Kampfe kann nur die Wahrheit hervorgehen.

Indem wir diese allgemeinen Zusammenstellungen der Beurtheilung des Lesers anheimstellen, haben wir kein nach allen Richtungen hin ausgearbeitetes philosophisches System schaffen wollen. Unsere Absicht lag nur darin, den Beweis zu liefern, dass der Begriff der Realität der menschlichen Gesellschaft als Organismus bis in die höchsten Regionen des menschlichen Denkens seine fruchtbringende Bedeutung haben wird. Auch erklären wir im Voraus, dass wir unseren Gegnern, die bereits zahlreich genug sind, nicht auf diesem Boden der allgemeinen Begriffe begegnen werden, obgleich sich am meisten solche Liebhaber finden würden, die gerade auf diesem Boden ihre Angriffe gegen uns richten möchten. Der Kern unserer Anschauung liegt in der

Anerkennung der menschlichen Gesellschaft als realen Organismus. Wer es ernsthaft und ehrlich mit der wissenschaftlichen Wahrheit meint, muss, wenn er unsere Anschauung nicht theilt, uns auf diesem Boden angreifen, indem er diejenigen Beweise widerlegt, auf denen wir die reale Analogie zwischen der menschlichen Gesellschaft und den Naturorganismen begründet haben.

XVI.

Philosophie der Geschichte.

Wie die ganze Philosophie überhaupt, SO erhält auch die Philosophie der Geschichte erst durch Anerkennung der menschlichen Gesellschaft als realen Organismus eine feste Grundlage. In Folge dessen muss auch der Benennung: Philosophie der Geschichte, dieselbe Bedeutung zuerkannt werden, wie die Naturphilosophie sie hat. Den Gegenstand der Naturphilosophie bildet die Ergründung der allgemeinen Gesetze, Analogien und Homologien, welche den Erscheinungen in der Natur überhaupt zu Grunde liegen. Die Methode der Naturphilosophie ist also keine rein aprioristische - und eine solche, wie auch eine rein empirische, kann es überhaupt nicht geben, sondern sie nimmt nur in einem verhältnissmässig höherem Grade der Naturkunde gegenüber den ideellen Coefficienten in sich auf. Die Methode, die Grundlage der Forschung, ist für die Naturphilosophie, wie auch für die einzelnen Zweige der Naturkunde dieselbe; nur ist das Gebiet für den philosophischen Theil einer jeden speciellen Wissenschaft ein umfassenderes und daher ist auch die Zusammenstellung der Erscheinungen eine allgemeinere.

Ganz in demselben Verhältniss, in welchem die Naturphilosophie zu den einzelnen Zweigen der Naturkunde steht, muss daher auch die Philosophie der Geschichte zu den verschiedenen Gebieten der Geschichte stehen. Denn die Geschichte ist gleich der Naturkunde eine beobachtende, also eine empirische Wissenschaft. Ihre Beobachtungen gründen sich freilich nicht vorzugs

weise auf Experimente, wie die der Physik und Chemie; das ändert jedoch nicht im geringsten den Charakter der Geschichte, als empirischer Wissenschaft. Denn je höher man überhaupt in der Naturkunde steigt, desto mehr wird das Experiment durch die Beobachtung ersetzt. So ist die Biologie hauptsächlich in letzterer begründet, die Psychologie aber noch mehr als jene. Nur in der anorganischen Natur können Experimente mit einer gewissen Genauigkeit und Sicherheit vorgenommen und durchgeführt werden; für die Organismen, besonders die thierischen und namentlich für die höher entwickelten, ist mehr die Beobachtung, als das Experimentiren geeignet. Auch widerstrebt es dem moralischen Gefühl des Menschen, ein lebendes, mit Empfinden versehenes Wesen qualvollen und lebensgefährlichen Experimenten zu unterziehen. Mit Recht protestirt Schopenhauer im Namen der Menschlichkeit gegen qualvolle Operationen lebender Wesen. - In einem noch höheren Grade steigern sich diese Schwierigkeiten und Bedenken in Betreff der menschlichen Gesellschaft, als eines höher organisirten Wesens. Trotzdem werden

aber nicht selten auch mit dem socialen Organismus von unreifen Theoretikern und kurzsichtigen Praktikern Experimente vorgenommen, die, wenn sie auch nicht immer lebensgefährlich sind, doch in der Regel zu sehr bedenklichen Krisen und zu chronisch-krankhaften Zuständen führen. Daher muss die Geschichte, gleich der Biologie, der Psychologie und der Socialwissenschaft, vorzugsweise als beobachtende Wissenschaft anerkannt werden.

Meistentheils wird die Geschichte als beschreibende< Wissenschaft bezeichnet und diese Bezeichnung war die Ursache, woher der Geschichte immer eine ganz besondere Stellung in der Reihe der anderen Wissenschaften angewiesen wurde. Diese Bezeichnung ist jedoch nicht auf eine wesentliche, sondern auf eine blos zufällige Eigenschaft gegründet. Eine jede Wissenschaft, sogar wenn sie auch auf unmittelbare persönliche Beobachtungen und eigenhändiges Experimentiren sich stützt, ist eine beschreibende; das gilt sowohl von der Physik, als auch von der Chemie, von der Biologie, wie nicht minder von der Astronomie etc. Denn die Beobachtung, sowie auch die Resultate der Experimente, müssen auseinandergesetzt werden und dies kann für die Abwesenden nur auf dem Wege der Beschreibung geschehen. Die Geschichte ist nur in einer Hinsicht eine vorzugsweis beschrei

Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. II.

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bende Wissenschaft, nämlich weil diejenigen Begebenheiten, Personen und Verhältnisse, welche beschrieben werden, nicht mehr existiren. In dieser Lage befindet sich aber ganz ebenso die Naturkunde in Betreff derjenigen Species, Individuen, klimatischen, atmosphärischen, geologischen und kosmischen Erscheinungen und Verhältnisse, welche verschwunden, modificirt oder durch andere Erscheinungen verdrängt worden sind. Die Gletscher, mit welchen ein grosser Theil Europa's während der Eisperiode bedeckt war, existiren nicht mehr; desgleichen sind viele Sterne, zum wenigsten den Augen des Menschen, wahrscheinlich auf immer, entschwunden; sie existiren aber, gleich den Gletschern der Eisperiode in der beschreibenden Naturkunde. Umgekehrt giebt es aber auch Erscheinungen, die, obgleich sie in der Wirklichkeit nicht mehr existiren, für uns noch als solche erscheinen können. Ein Stern, dessen Licht uns erst nach Tausenden von Jahren erreicht, kann schon seit Jahrtausenden aufgehört haben, als leuchtender Körper zu existiren; trotzdem erscheint er uns aber noch immer als solcher, indem die von demselben hervorgebrachte Vibration des Aethers erst nach Tausenden von Jahren unser Auge erreicht. Die Natur, gleich der Geschichte, bietet uns also auch Vergangenes, statt Gegenwärtiges, und Gegenwärtiges statt Vergangenes, und die Naturkunde ist, gleich der Geschichte, wenn auch nicht in demselben Maasse, eine beschreibende Wissenschaft. Ist es aber wirklich der Fall, so muss auch die Philosophie der Geschichte, gleich der Naturphilosophie, einen realen Boden haben, auf dem sie beruht und ihre Beobachtungen anstellt. Diesen realen Boden bietet der Philosophie der Geschichte, wie bereits erwähnt, die menschliche Gesellschaft als realer Organismus. Aus der Vergangenheit tritt uns dieser reale Organismus durch die beschreibende Geschichte vor Augen; in der Gegenwart können wir ihn unmittelbar beobachten. Mit den mündlichen und schriftlichen Ueberlieferungen, den Schöpfungen der Wissenschaft und Kunst, den historischen Denkmälern etc. muss die Philosophie der Geschichte ebenso verfahren, wie die Naturphilosophie es mit den Naturerscheinungen thut: sie muss die allgemeinen Gesetze der Entwickelung, die dem Ganzen zu Grunde liegen, zu erforschen und zu ergründen suchen.

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Die Uranfänge der menschlichen Gesellschaft sind zurückzuführen auf die Familie, d. h. auf die Vereinigung der beiden

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