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industrieller Bildung auch ganz natürlich war. Jedoch die höchste und die den Menschen nach der Poesie am tiefsten ergreifende aller Künste, die Musik, lag sowohl bei den Griechen, als auch bei den Römern noch in der Kindheit. Das Gottesbewusstsein war dabei überhaupt im Alterthum bis zur Ausbreitung des Christenthums ein oberflächliches und verschwommenes. Es unterliegt daher keinem Zweifel, dass auch im geistigen und ethischen Gebiete die Menschheit der Neuzeit ein höher organisirtes Gebilde darstellt, als die einzelnen Kulturcentra des Alterthums.

Aber noch etwas Anderes giebt der modernen Kultur einen überwiegenden Vorzug vor derjenigen des Alterthums. Das ist das engere Zusammenfügen der einzelnen organischen Gesammtheiten des Menschengeschlechts zu einem Ganzen, eine Gemeinschaft, die im Alterthum nur sehr locker und mehr mechanischer Natur war. Dass aus einer solchen umfassenderen und engeren Wechselwirkung aller Theile der menschlichen Familie eine Potenzirung, eine höhere Integrirung und Differenzirung der socialen. Kräfte hervorgehen musste und dass die fortschreitende Bewegung sich in Folge dessen mit einer immer grösseren Geschwindigkeit in der Zukunft fortpflanzen wird, liegt auf der Hand: das alles involvirt jedoch nichts absolut Neues, sondern ein nur immer höheres Werden aus dem Gewordenen.

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Hand in Hand mit der Potenzirung der Organisation der Gesellschaft musste auch die Integrirung und Differenzirung der höheren Nervenorgane des Individuums, welches im Grossen und Ganzen die Gesellschaft wiederspiegelt, fortschreiten. Und Niemand wird es auch bestreiten, dass der moderne Kulturmensch ein ethisch und geistig höheres Wesen ist, als der durchschnittliche antike Kulturmensch. Aber da auch jede höhere sociale Gemeinschaft, wie auch jeder höher entwickelte Organismus, im Uebereinander das Nacheinander der Geschichte und das Nebeneinander der Gegenwart in sich concentrirt, so giebt es auch noch jetzt in der modernen Gesellschaft sociale Schichten, die unter dem Niveau der antiken Civilisation stehen, wie es auch noch jetzt Völker giebt, die im Naturzustande leben. Die Kultur selbst besteht nur in einer höheren Potenzirung roher Kräfte und nicht in einer vollständigen Aufhebung derselben. Im Kampfe um das Höhere und Edlere wird der Gegner nie voll

ständig vernichtet, sondern nur mehr oder weniger unterdrückt und den höheren Zwecken untergeordnet.

Weder der Fortschritt noch der Rückschritt geht gleichmässig oder gleichzeitig vor sich, sei es nun in der Natur oder in der menschlichen Gesellschaft. Der eine wie der andere bildet keine Bewegung in gerader Linie, sondern äussert sich in den verschiedensten, oft unregelmässigsten Spirallinien. Die Entwickelung einer Seite einer Sphäre, einer socialen Kraft wird gewöhnlich auf Kosten einer oder mehrerer Anderer gewonnen und errungen: Eigenthum entwickelt sich auf Kosten des Rechtes, Recht auf Kosten der Macht, Macht auf Kosten von Recht und Freiheit, diese auf Kosten von Eigenthum, Recht oder Macht, die geistige Sphäre auf Kosten der materiellen und in der geistigen Sphäre Religion auf Kosten der Wissenschaft, letztere auf Kosten der Kunst, die höheren Stände auf Kosten der Masse des Volkes oder die niederen Schichten auf Kosten der höheren, die sociale Zwischenzellensubstanz auf Kosten des socialen Nervensystems et vice versa, die höheren Nervenorgane auf Kosten der niederen, diese auf Kosten der höheren etc.

Das sociale Leben, wie auch das Naturleben, die sociale Entwickelung wie auch die Entwickelung der Naturkräfte bestehen in einer steten Aktion und Reaktion, in einem beständigen Kampf um's Dasein, in welchem das Stärkere, Lebensfähigere den Sieg davon trägt.

Daher kann, wie in der Natur, so auch in der menschlichen Gesellschaft nur das allgemeine Resultat, nur die durchschnittliche Bewegung für eine gegebene Epoche darüber entscheiden, ob eine fortschreitende oder rückschreitende Bewegung stattgefunden hat. Der Fortschritt kann aber sowohl in der geistigen, als auch in der materiellen Sphäre immer nur in einer höheren Integrirung und Differenzirung der socialen Kräfte bestehen, sowie der Rückschritt in einem Herabsinken in der Potenzirung der Kräfte. Und diese Erscheinung ist auf ein allgemeines Gesetz gegründet, welches sowohl auf die menschliche Gesellschaft, als auch auf die Natur Anwendung findet.

Den Fort- und Rückschritt in den einzelnen Sphären der socialen Entwickelung werden wir noch besonders für jede specielle Sphäre in dem dritten Theile unseres Werkes zu ergründen suchen und so die vollständige Uebereinstimmung der socialen Gesetze mit den Naturgesetzen klar legen.

XIV.

Reaktionär, konservativ, liberal, radikal.

Fasst man die realen Analogien zwischen der menschlichen Gesellschaft und den Einzelorganismen der Natur richtig auf, so erhalten auch diejenigen Begriffe und Anschauungen im socialen Gebiete, welche jetzt durch ihre Unbestimmtheit und Unklarheit noch so manchen Kopf verwirren und noch so zahlreiche Leidenschaften erregen, eine klare, die Leidenschaften beschwichtigende Bedeutung. So können denn auch nach allem oben Gesagten unter Anderem auch die Begriffe: reaktionär, konservativ, liberal, radikal, welche als eben so viel Schlachtrosse im bunten Gewirre der politischen und socialen Parteien in allen möglichen, oft entgegengesetzten Bedeutungen, gewöhnlich aber als Scheltworte, die man dem Gegner in's Gesicht wirft, gebraucht werden, vom realen Standpunkt aus auf eine ganz natürliche Weise erklärt und festgestellt werden.

Um jedem Missverständniss in der Abgrenzung und Bestimmung dieser Begriffe vorzubeugen, muss man vor Allem die doppelte Bedeutung, in der man sie auffassen kann, sich vergegenwärtigen.

Unter reaktionär kann man im weiteren Sinne das Zurückgehen zu dem Vergangenen und Abgelebten überhaupt verstehen und nicht etwa die Erhaltung oder Wiederherstellung speciell ultraconservativer Principien. Ebenso kann man unter konservativ das Festhalten an dem einmal Bestehenden, unter liberal und radikal das allmälige oder plötzliche Herausgehen und Sichabtrennen von dem Bestehenden überhaupt sich vorstellen, abgesehen von den Principien, welche das Bestehende oder Neuzugestaltende repräsentiren. In diesem Sinne war Napoleon III, indem er nicht an den bereits bestehenden Principien der Republik von 1848 festhielt, kein Konservativer; sondern, indem er zur gewaltsamen Maassregel des Staatsstreiches griff, ein Radikaler.

Die Auffassung dieser Begriffe in so umfassender Bedeutung

ist jedoch keine wissenschaftliche. Ebenso unwissenschaftlich ist aber auch eine andere, wenn auch engere Bedeutung, die man den Begriffen: reaktionär, konservativ, liberal und radikal beilegt. Diese Bedeutung ist die im socialen und politischen Leben geläufigste, indem sie gleichfalls im gegenseitigen Kampfe der verschiedenen Parteien als Waffe geschwungen wird. Die Liberalen und Radikalen werfen nämlich den Reaktionären und Konservativen vor, diese seien bestrebt, das Alte, Gebrechliche, bereits Abgestorbene und Lebensunfähige, dem Zeitgeist und dem Fortschritt zum Trotz, beizubehalten oder wieder zurückführen zu wollen. Die Reaktionären und Konservativen hingegen bezüchtigen die Liberalen und Radikalen der Tendenz, das geschichtlich Gestaltete, durch die Zeit Erprobte, Lebensfähige und Fruchtbare zerstören oder zum wenigsten so umgestalten zu wollen, dass die Einheit der Entwickelung zwischen Vergangenheit und Zukunft unterbrochen and das Sichere und organisch Konstituirte unsicheren Theorien und allgemeinen, dem praktischen Leben entrückten Principien zum Opfer gebracht werde. Dabei werfen sich die Parteien noch gegenseitig die Epitheta von: einseitig, bornirt, egoistisch etc. zu. —

Auch diese Anschauung kann, wie wir bereits erwähnten, nicht als eine wissenschaftliche bezeichnet werden und schon die Leidenschaftlichkeit, die ihr zu Grunde liegt und welche sie stets begleitet, würde genügen, um diese Unwissenschaftlichkeit zu beweisen. Die verschiedenen Versuche, diese Begriffe wissenschaftlich zu begründen, haben jedoch bis jetzt fehlgeschlagen und dieses nämlich aus dem Grunde, weil zu ihrer Abgrenzung und Festsetzung ein realer Boden mangelte.

Um nun aber diesen realen Boden zu gewinnen, müssen wir unsere Beobachtungen zuvörderst auf diejenigen Erscheinungen im Schoosse der Naturorganismen hinlenken, welche zur Begründung und Abgrenzung der vorliegenden Begriffe dienen. können.

> Wenn‹, sagt Nägeli, durch einen elastischen Ball mehrere in Bewegung gesetzt sind, so wird jeder mit einer bestimmten Kraft nach einer bestimmten Richtung hinlaufen. Kraft und Richtung der Bewegung bedingen die Verschiedenheit unter den Kugeln; von ihnen hängt die Wirkung ab, die jede hervorbringen kann. Beim Aufbau des Organs sind verschiedene Zellenbildungen thätig. Jede Zelle trägt ihre Bewegung auf zwei Zellen über; sie thut dies in einer gewissen Richtung (der Länge,

Breite, Dicke oder in einer mittlern) und mit einer gewissen Kraft (denn die Produkte sind verschieden); die verschiedenen Zellenbildungsprocesse charakterisiren sich durch die Stelle, die jede Zelle in dem werdenden Organ einnimmt, und durch ihre Produktionsfähigkeit.<

Ich

› Tragen wir diese Regeln auf die Kettenbewegung der Organbildung über. Die Verschiedenheit der Organe muss ebenfalls in der Kraft und der Richtung begründet sein, in welcher sie die empfangene Bewegung fortleiten, oder mit andern Worten in der Stelle, welche jedes bei dem Aufbau des Ganzen einnimmt, und in der Fähigkeit, die es besitzt, neue Organe zu erzeugen. Auf der untersten Stufe des Reiches bringt das Organ, mit welchem die Pflanze beginnt, entweder gar keine seitlichen Organe hervor oder nur solche, die ihm selber vollkommen gleich sira. Die Pflanze besteht also aus einem einzigen, einfachen oder verzweigten Organ. Ich habe es Phytom genannt, gleichsam Pflanzenorgan, weil es das ganze Gewächs darstellt. kenne blos mikroskopische Algen und Pilze, welche hierher gehören. - Auf der zweiten Stufe des Pflanzenreiches bringt das erste oder centrale Organ, ausserdem dass es sich selber verzweigen kann, noch seitliche ihm selber ungleiche Organe hervor. Jenes habe ich Thallom (Laub), diese Trichome (haarförmige Gebilde) genannt. Beide sind bei den niedrigsten Algen fast von gleicher Grösse; bei den höhern Algen, Flechten, Pilzen und einigen Lebermoosen erreicht das centrale Organ eine beträchtliche Grösse, indess die seitlichen klein und haarförmig bleiben. Die dritte Stufe des Reiches zeigt uns drei Organe, ein centrales, den Stengel, seitliche oder Blätter, die an allen Stengeltheilen stehen, und Trichome oder haarförmige Gebilde, welche an dem Stengel und an den Blättern befestigt sein können. Blätter und Stengel in ihrer Vereinigung oder der beblätterte Stengel der Moose ist das Analogon des Thalloms bei den Flechten und Algen. Auf der vierten Stufe des Reiches, d. h. bei allen Gefässpflanzen, setzen vier Organe den ganzen Bau zusammen: Stengel, Wurzeln, Blätter und Trichome. Ausser denselben und den vorhin für die niedern Pflanzen erwähnten giebt es überhaupt keine Organe von morphologischer Bedeutung in der Pflanzenwelt. Aber jedes einzelne derselben kann sich wieder in Haupt- und Nebenstrahlen gliedern.

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>Die Organe, von denen ich eben gesprochen habe, sind

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