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trägt die grösste Schuld an dieser Verbildung und grösseren Verwilderung der Negervölker. *)

Die Verwilderung einiger Klassen und Kreise sogar in den am höchsten entwickelten socialen Körpern ist eine kataplastische Erscheinung, die sich zu allen Zeiten und in allen Ländern wiederholt hat. Solche Rückbildungen werden durch die inneren Lebensbedingungen eines in sich abgeschlossenen socialen Körpers nach denselben Gesetzen und durch dieselben Ursachen bedingt, wie die einzelnen kataplastischen Erscheinungen, die wir unter den abgerissenen socialen Gruppen zerstreut vorfinden. Denn hier gehen das Nacheinander, das Nebeneinander und das Uebereinander wieder Hand in Hand. So wie ein jeder, auch der ethisch und geistig hoch entwickelte, Mensch nicht nur alle Anlagen, Leidenschaften, Strebungen des wilden Urmenschen, ja des Thieres, in sich schliesst, jedoch unterdrückt und ausser Thätigkeit setzt durch die höheren geistigen und ethischen Elemente, durch die späteren Kulturepochen, so birgt auch jede civilisirte Gesellschaft in ihren unteren Schichten (nicht nur im ökonomischen und politischen, sondern auch im geistigen und ethischen Sinne) rohe Barbarei und alle Leidenschaften, Bedürfnisse und Strebungen der wilden Naturvölker in sich. Dieses kann, wie wir schon bemerkt haben, einerseits durch Hemmung in der Entwickelung einzelner Theile des socialen Körpers, einzelner Stände, Gemeinschaften oder Individuen, andererseits durch Rückbildung aus einem schon früher erreichten höheren Entwickelungsstadium bedingt sein. Und Beides kann wiederum wie durch rein physische, so auch durch ethische und geistige Lebensbedingungen verursacht sein, wobei aber in allen Fällen auch letztere als reale Erscheinungen an den Tag treten, sei es in der Form von Thätigkeiten, sei es in der Form von Nervenreflexen und Spannungen.

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In welchem Grade Wohnort und Nahrung das Verkommen der physischen Eigenschaften des Menschen bedingen, dafür könnte man unzählige Beispiele unter den civilisirten und wilden Völkerschaften finden. Beechey und Mörenhout bezeugen, dass in Polynesien auf den hohen Inseln die Bewohner kräftiger,

*) Tylor, Die Urgeschichte der Menschheit, I, S. 42.

grösser, schöner, heller und besser entwickelt sind, als auf den niederen. Dasselbe soll auf Neuseeland stattfinden. *)

Zieht man also auch nur die Befriedigung der physischen Bedürfnisse in Betracht, so erkennt man, dass die ökonomischen, rechtlichen, politischen und überhaupt alle socialen Verhältnisse einen direkten oder indirekten Einfluss ausüben, sei es als Hebel zur weiteren Entwickelung, sei es als Hemmungsursache oder als Ursache kataplastischer Erscheinungen; und zwar sowohl in Hinsicht auf die physische, als auch in Bezug auf die intellektuelle und moralische Entwickelung des Menschen. Ganze Klassen und Geschlechter verkümmern physisch und geistig und andere erheben sich dagegen zu einer hohen Stufe physischer und ethischer Vollkommenheit in Folge drückender oder günstiger socialer Verhältnisse. Da die Zwischenzellensubstanz, d. h. die Production, Vertheilung und Consumtion der Güter und Werthgegenstände, mit zum physischen Medium, welches den Menschen als Glied der Gesellschaft umgiebt, gehören, so ist es schwer zu bestimmen und genau abzugrenzen, ob und in welchem Maasse irgend eine kataplastische Erscheinung das Resultat speciell der socialen Verhältnisse oder der umgebenden Naturkräfte ist. Beide wirken. zusammen. Drückende sociale Zustände können in physischer Hinsicht durch die Ergiebigkeit der dem Menschen zugänglichen Naturkräfte aufgewogen werden und ebenso umgekehrt. Stehen beide Faktoren günstig, so erfolgt ein starker und allgemeiner Aufschwung in der Entwickelung. Wirken sie beide zugleich ungünstig, so werden die kataplastischen Erscheinungen nach allen Richtungen hin verschärft. In keinem dieser Fälle kann aber der Mensch als vollkommen selbstständiges und vom socialen Organismus abgerissenes Glied betrachtet werden, schon deshalb nicht, weil seine ganze Stammes- und Keimesgeschichte dem socialen Boden entsprossen ist. Das sociale Leben ist mit jedem Einzelnen in Vergangenheit und Gegenwart so eng und vielfach verwoben, dass das einzelne Individuum immer nur als Zelle eines realen Ganzen, des socialen Organismus, sowohl im praktischen Leben, als auch im Gebiete der Wissenschaft betrachtet werden muss.

Die Mikrocephalie stellt eine krankhafte kataplastische Erscheinung dar, die hauptsächlich durch physische Faktoren her

*) Waitz, Anthropologie der Naturvölker, VI, S. 5.

vorgebracht wird. Wie viele krankhafte kataplastische und Hemmungs-Erscheinungen in Hinsicht auf die Entwickelung der höheren Nervenorgane werden aber nicht auch durch rein sociale Verhältnisse bedingt! Mangelhafte und falsche Erziehung, moralische Verderbtheit des socialen Mediums, einseitige und falsche ökonomische, rechtliche oder politische Anschauungen, die eine gewisse sociale Klasse oder Gesammtheit beeinflussen etc.

alles das sind Erscheinungen, durch welche die einzelnen Theile oder Zellen des socialen Nervensystems in ihrer Entwickelung theils gehemmt, theils krankhaft differenzirt werden.

Auch in einer fortschreitenden Gesellschaft ist die Entwickelung der verschiedenen Zellen und Zellengemeinschaften im socialen Organismus eine ungleiche, weil vollständige Gleichheit in der Natur und noch weniger in einem durch Theilung der Arbeit sich differenzirenden Einzelorganismus, überhaupt nicht möglich ist. Die Ungleichheit kann aber eine höhere oder niedrigere Potenzirung zur Folge haben, und das ist es eben, was eine fortschreitende Entwickelung von einer rückschreitenden oder kataplastischen unterscheidet. Die rohen, ungebildeten Elemente können in einer Gesellschaft stärker oder schwächer vertreten sein, ebenso die geistigen und ethischen Elemente. Ihre Vertheilung kann dabei eine gleichmässige oder scharf abgegrenzte sein. Alles das wird durch die Stufe der Entwickelung des ganzen Organismus, durch den Typus desselben, durch Eigenthum, Recht, Macht und Freiheit in qualitativer und quantitativer Hinsicht bedingt und bestimmt. Die Wechselwirkung der socialen Kräfte stellt in dieser Hinsicht, wie in allen anderen Beziehungen, etwas sehr Complicirtes dar und nur bei Durchführung einer genauen Analogie zwischen den socialen Erscheinungen und der Wechselwirkung, die im Schoosse eines jeden Naturorganismus vor sich geht, ist es möglich, das allgemeine Gesetz, welches der Mannigfaltigkeit der Lebenserscheinungen und Bewegungen zu Grunde liegt, zu erklären.

XI.

Der Kampf um's Dasein und die geschlechtliche

Züchtung.

> Um die ungeheure Wichtigkeit, welche der Kampf um's Dasein für die Umbildung der ganzen organischen Natur besitzt, wahrhaft zu erkennen und seine unermessliche Bedeutung richtig zu schätzen, muss man nicht, wie es die meisten Biologen gegenwärtig ausschliesslich zu thun gewohnt sind, die einzelnen Lebensformen herausgreifen und für sich betrachten; sondern man muss sie in ihrer Gesammtheit, in ihrer allgemeinen und stetigen Wechselwirkung vergleichend erfassen. Man muss in der Natur selbst diese unendlich verwickelten Wechselbeziehungen und das stete Ringen aller Individuen um die Existenz sorgfältig beobachtet haben, und man muss lange und eingehend darüber nachgedacht haben, wenn man den >Kampf um das Dasein wirklich als das natürlich züchtende<, auslesende, Zuchtwahl übende Princip erkennen will. Und da diese nothwendigen Vorbedingungen meist nicht erfüllt sind, da die meisten Zoologen und Botaniker lediglich in der sorgfältigen analytischen Beobachtung des Einzelnen, und nicht in der ebenso wichtigen und nothwendigen synthetischen Betrachtung des Ganzen ihre Aufgabe finden, so können wir uns nicht wundern, dass der »Kampf um's Dasein von den Meisten entweder gar nicht begriffen oder doch nur unvollkommen verstanden und nicht zur Erklärung der biologischen Erscheinungen als Kausal-Moment benutzt wird. <*)

Diese hochwichtigen Worte Häckel's müssen in ihrem vollen Umfange auch im Gebiete der Socialwissenschaft Anerkennung finden, und das um so mehr, als das sociale Leben gerade wegen seiner höheren Entwickelungsstufe eine noch grössere Mannigfaltigkeit, Vielseitigkeit und Umwandlungsfähigkeit darbietet, als das organische Leben in der Natur.

Wie mannigfaltig und verwickelt sich die Bedingungen und Verhältnisse beim Kampfe um's Dasein bereits schon in der

*) Häckels generelle Morphologie, II, 240.

organischen Natur gestalten, geht aus folgenden, von Häckel, Darwin, Karl Vogt und Huxley angeführten Beispielen hervor:

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> Die rothe Kleeart (trifolium pratense), welche in England eines der vorzüglichsten Futterkräuter für das Rindvieh bildet, bedarf, um zur Samenbildung zu gelangen, des Besuchs der Hummeln. Indem diese Insekten den Honig aus dem Grunde der Kleeblüthe saugen, bringen sie den Blüthenstaub mit der Narbe in Berührung und vermitteln so die Befruchtung der Blüthe, welche ohne sie niemals erfolgt. Darwin hat durch Versuche gezeigt, dass rother Klee, den man von dem Besuche der Hummeln absperrt, keinen einzigen Samen liefert. Die Zahl der Hummeln ist bedingt durch die Zahl ihrer Feinde, unter denen die Feldmäuse die verderblichsten sind. Je mehr die Feldmäuse Ueberhand nehmen, desto weniger wird der Klee befruchtet. Die Zahl der Feldmäuse ist wiederum von der Zahl ihrer Feinde abhängig, zu denen namentlich die Katzen gehören. Daher giebt es in der Nähe der Dörfer und Städte, wo viel Katzen gehalten werden, besonders viel Hummeln. Eine grosse Zahl von Katzen ist also offenbar von grossem Vortheil für die Befruch

tung des Klees. Man kann nun, wie es von Karl Vogt geschehen ist, dieses Beispiel noch weiter verfolgen, wenn man erwägt, dass das Rindvieh, welches sich von dem rothen Klee nährt, eine der wichtigsten Grundlagen des Wohlstandes von England ist. Die Engländer conserviren ihre körperlichen und geistigen Kräfte vorzugsweise dadurch, dass sie sich grösstentheils von trefflichem Fleisch, namentlich ausgezeichnetem Rostbeef und Beafsteek nähren. Dieser vorzüglichen Fleichnahrung verdanken die Britten zum grossen Theil das Uebergewicht ihres Gehirns und Geistes über die anderen Nationen. Offenbar ist dieses aber indirekt abhängig von den Katzen, welche die Feldmäuse verfolgen. Man kann auch mit Huxley auf die alten Jungfern zurückgehen, welche vorzugsweise die Katzen hegen und pflegen und somit für die Befruchtung des Klees und den Wohlstand Englands von grösster Wichtigkeit sind.<<

> Ein anderes merkwürdiges Beispiel von wichtigen Wechselbeziehungen ist nach Darwin folgendes: In Paraguay finden sich keine verwilderten Rinder und Pferde, wie in den benachbarten Theilen Südamerikas, nördlich und südlich von Paraguay. Dieser auffallende Umstand erklärt sich einfach dadurch, dass

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