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anatomisch zu mustern, musste er natürlich davon absehen, sämmtliche Formen zergliedernd zu prüfen. < *)

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In seinem Aufsatz Ueber eine vorzunehmende neue Verbindung der Thierklassen < **) wird von Cuvier wieder mit Bewusstsein, und zwar jetzt mit Recht, ausgesprochen ›dass die Eintheilungsart des Thierreichs der kürzeste Ausdruck für die Summe der Kenntnisse sein müsse, dass also ferner auch die Einzelheiten der Organisation sich in den Gruppenbezeichnungen eingeschlossen erkennen lassen müssen. Als Grund des Hauptfehlers, welcher den früheren Eintheilungen anhing, bezeichnet er nun auch völlig richtig die Ungleichwerthigkeit der sogenannten Klassen und hebt darauf bezüglich hervor, dass seine frühere >Klasse der Mollusken beinahe der ganzen Reihe der Wirbelthiere entspreche. Vorzüglich unter Berücksichtigung des Nervensystems, welches ihm wie erwähnt die Gestalt des ganzen Thieres zu beherrschen scheint, verbindet er nun die einzelnen Klassen zu grösseren natürlichen Gruppen und findet, dass es im Thierreiche vier Hauptzweige oder Hauptformen oder allgemeine Pläne gebe, nach denen die zugehörigen Thiere modellirt zu sein scheinen und deren einzelne Unterabtheilungen, wie dieselben auch von den Naturforschern bezeichnet werden mögen, nur leichte, auf die Entwickelung oder das Hinzutreten einiger Theile gegründete Modificationen sind, in denen aber an der Wesenheit des Planes nichts geändert ist. Auch sagt Cuvier ausdrücklich, dass die einzelnen Klassen dieser Hauptzweige neben einander stehen, ohne eine Reihe zu bilden und ohne eine bestimmte Stellung über oder unter einander zu haben. Diese vier Baupläne sind nach Cuvier die Wirbelthiere, die Mollusken, die Gliederthiere und die Zoophyten oder Strahlthiere. < ***)

Lamarck theilt die wirbellosen Thiere in sieben Klassen, was mit den vier Wirbelthierklassen im Ganzen elf Klassen abgiebt.

> Betrachtet man die Cuvier'schen Typen und ihre Schilderung, so fällt zunächst auf, dass in die letztere nur feststehende abgeschlossene Formenverhältnisse aufgenommen sind, ohne der

*) Geschichte der Zoologie, von J. Victor Carus, S. 569-570.] **) Sur un nouveau rapprochement à établir entre les classes qui composent le règne animal.

***) Geschichte der Zoologie, von J. Victor Carus, S. 614.

Biegsamkeit dieser Merkmale und damit des ganzen Typus zu gedenken. Ferner wurde bereits erwähnt, dass Cuvier ausdrücklich gegen eine reihenförmige Anordnung der Klassen innerhalb der Typen protestirt; ja, er sagt selbst von den Unterabtheilungen, dass nichts vorhanden sei, was die Stellung einer derselben an den ersten Platz (primauté) über benachbarte Unterabtheilungen rechtfertigen könne.<< Die einzelnen Formen wie die Gruppen bis hinauf zu den Typen sind für ihn eben fest gegebene Momente, deren Zustandekommen oder Werden ihn nicht berührte. Zur richtigen Auffassung der in den Typen vereinigten Formen und ihrer gegenseitigen Stellung, welche Cuvier im Ganzen unbestimmt lässt, fehlte also noch das nothwendige, sich auf die Ausdrucksweise des Typus in den einzelnen Gruppen beziehende Moment. Den Mangel desselben konnte nur ein Embryolog fühlen und erkennen.« *)

>v. Baer stellt nun die seitdem immer allgemeiner anerkannte und in der neuesten Zeit eine noch grössere Bedeutung erhaltende Forderung, dass man die verschiedenen Organisationstypen von den verschiedenen Stufen der Ausbildung stets unterscheiden müsse. Diesen wichtigen, die Entwickelung der thierischen Morphologie wesentlich fördernden Satz gründet von Baer auf folgende, die Bedeutung der Typen eigentlich zum ersten Male scharf präcisirende Betrachtungen. Alle Verrichtungen des vollkommen thierischen Körpers geben zusammen das Leben. Aber die gleichförmige Gallertsubstanz eines niedersten Thieres lebt gleichfalls in derselben Fülle der Verrichtungen; dieselben gehen an ihr sämmtlich gleichsam gemeinschaftlich vor sich. Die erhöhte Entwickelung des thierischen Körpers besteht nur in der grösseren Scheidung und mehr entwickelten Selbstständigkeit dieser Verrichtungen, mit welcher auch eine grössere Differenzirung des Körpers in organische Systeme und dieser Systeme in einzelne mehr individualisirte Abschnitte verbunden ist. Die Art und Weise, wie diese Organe des thierischen Körpers unter einander verbunden sind, ist von jener Entwickelung völlig unabhängig, und diese Art der Verbindung der einzelnen Theile ist das, was wir Typus nennen.<>Jeder Typus<, sagt Baer, kann in höheren und niederen Stufen sich offenbaren; denn Typus und Entwickelungsstufe zugleich determiniren erst die einzelne Form. Das giebt

*) Ebendas. S. 616.

also Entwickelungsstufen für jeden Typus, die hier und da allerdings ziemliche Reihen bilden, doch nicht in ununterbrochener Folge der Entwickelung und nie durch alle Stufen derselben gleichmässig.<*)

Aus allem diesem geht, wir wiederholen es, hervor, dass die Stufe der Vollkommenheit eines jeden Organismus im Bereiche eines jeden Typus eine höhere oder niedrigere sein kann, je nach der grösseren Differenzirung und Integrirung der organischen Kräfte, was, auf das sociale Gebiet angewandt, ebensoviel heisst als: die Entwickelungsstufe einer socialen Gesammtheit hängt nicht direkt davon ab, ob sie zum demokratischen, aristokratischen, oligarchischen Typus gehört, oder ob ihre Staatsform eine republikanische oder monarchische ist, sondern die Entwickelungsstufe wird bestimmt durch die höhere oder niedrigere Differenzirung und Intergrirung des socialen Nervensystems und der socialen Zwischenzellensubstanz, welche bei den verschiedenen Typen sehr verschieden sein können.

Hand in Hand mit der grösseren Integrirung und Differenzirung einer socialen Gruppe, sie möge nun als Staat, Nationalität, Körperschaft, Stand etc. sich zusammengefügt haben, schreitet auch die Entwickelung des Individuums fort, gleich derjenigen der Zelle inmitten der Einzelorganismen der Natur. Und nicht nur die Stufe der Entwickelung eines jeden Individuums im socialen Organismus, sowie einer jeden Zelle im Naturorganismus, hängt von der Entwickelungsstufe des Ganzen ab, sondern auch die Specialisation und die Divergenz nach besonderen Richtungen hin. In einem höher entwickelten Organismus divergiren und differenziren sich die einzelnen Theile mehr und bestimmter, als in einem auf einer niedrigen Stufe stehenden. Eine jede höhere Stufe der Entwickelung legt zu gleicher Zeit mehr Folgerichtigkeit, eine mannigfaltigere Wechselwirkung der Kräfte und zugleich mehr Einheit an den Tag. Wenn wir von diesem Standpunkte aus die verschiedenen socialen Gesammtheiten der Vergangenheit und Gegenwart analysiren würden, so würde uns das Gesetz des socialen Fortschrittes klar vor Augen treten. Das ägyptische und indische Kastenwesen bildet deswegen eine niedrigere Stufe der socialen Gestaltung, als die Eintheilung der europäischen Gesellschaft in Stände, weil die Kasten, obgleich

*) Ebendas. S. 616–617.

mehr divergirend, unter dem Mangel an Wechselwirkung unter einander und folglich an Einheitlichkeit leiden.

Dieser tieferen Anschauung der Unabhängigkeit der Vervollkommnung vom socialen Typus hat auch schon Vico gehuldigt. —

> Vico im Gegensatz zu Macchiavelli und Montesquieu entwickelt nämlich die Regierungsformen nicht nach einem gewissen Typus, den die Vernunft ersonnen, und der willkürlich bei den Menschen sich realisirt, sondern er sucht den Charakter, die Natur und die Phänomene auf, welche uns unter denselben Umständen, unter welchen bestimmte Regierungsformen hervortreten, erscheinen.<<

>Er entwickelt in seinem principio del diritto einen Vorläufer der Scienza nuova, wie die Staatsformen sich dem Charakter der Nationen anschmiegen, wie die weichlichen Asiaten dem Despotismus verfallen, wie die Staatsformen bei den starken und scharfsinnigen Griechen sich auf Gesetze und Demokratie gründen, wie die starken, aber nicht so freien Römer länger unter der ursprünglichen Aristokratie bleiben.<<

>Jede Form der Regierung könnte nach Vico das Wohlbefinden und Glück einer Nation befördern, wenn die Sittenverderbniss (corruzione) sich nicht einstellte.<*)

Das sind die wichtigen Schlüsse, zu welchen die Socialwissenschaft auf dem Wege der von uns angenommenen real vergleichenden Methode gelangen muss, Schlüsse, die auf jeden vorurtheilsfreien Geist ihre Wirkung nicht versagen können. Die Wirkung auf weitere Kreise kann nur das Resultat einer höheren Bildungsstufe überhaupt und einer weiteren Verbreitung unverfälschter, dem Boden des Realen entsprossener socialwissenschaftlicher Kenntnisse sein. Und dass dieses Resultat, wenn auch vielleicht erst nach geraumer Zeit und nach schweren Kämpfen, erlangt werden wird, dafür bürgt uns das immer weitere und raschere Vorschreiten der modernen Kultur.

*) Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft, herausg. von Lazarus und Steinthal, VI. Band, 1869, S. 451.

Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. II.

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X.

Das sociale Hemmungs- und Rückbildungsgesetz.

Im ersten Kapitel dieses Theiles (S. 4) haben wir bereits die Worte Kölliker's angeführt, dass das Schicksal der Zellen, aus welchen ein jeder Naturorganismus gebildet wird, ein sehr verschiedenartiges ist. Der grösste Theil der Zellen ›bleibt nur kurze Zeit im ursprünglichen Zustande bestehen und verschmilzt später mit anderen Zellen zur Bildung der höheren Elementartheile. << >> Ein anderer Theil geht zwar keine solchen Verbindungen ein, ändert jedoch mehr oder weniger seine frühere Natur und bildet höher organisirte Formen. Viele Zellen endlich machen nie Metamorphosen durch, bleiben vielmehr als Zellen bestehen, bis sie früher oder später, oft erst mit dem Untergange des Organismus, zufällig oder typisch vergehen.<<

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Dieses giebt uns ein annäherndes Bild von Lebensbewegungen und Entwickelungsvorgängen, wie solche auch in jeder socialen Gemeinschaft wahrzunehmen sind. Nach unserer Auffassung unterliegt der Einzelne im socialen Organismus nicht einfach den Gesetzen der Züchtung, des Kampfes um's Dasein, der Anpassung, Vererbung und Divergenz, wie die Individuen irgend einer Thierspecies, sondern den Gesetzen der Entwickelung der Zelle im Einzelorganismus. Hätten wir einfach die Resultate der neuen Errungenschaften der Naturkunde und speciell die Descendenztheorie auf den Menschen, als selbstständiges Individuum einer nur höheren Species, angewandt, so würde unsere Anschauung nichts Neues bieten. Denn das ist bereits von zahlreichen Forschern in Deutschland und in England, besonders von Spencer und Bagehot, unternommen worden.

Von unserem Standpunkte aus erscheint der Mensch nur als Theil eines höheren Ganzen, als Zelle des socialen Organismus. Dieser Standpunkt ist ein wesentlich verschiedener. Der Begriff eines realen socialen Nervensystems, der direkten und indirekten Nervenreflexe, welche in der socialen Sphäre vor sich gehen, der realen Analogie zwischen der ökonomischen, rechtlichen und politischen Sphäre der menschlichen Gesellschaft einerseits und der

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