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IX.

Das sociale Entwickelungsgesetz.

› Die Entwickelungsgeschichte «, sagt C. E. v. Baer, ist der wahre Lichtträger für Untersuchungen über organische Körper. Bei jedem Schritte findet sie ihre Anwendung, und alle Vorstellungen, welche wir von den gegenseitigen Verhältnissen der organischen Körper haben, werden den Einfluss unserer Kenntniss der Entwickelungsgeschichte erfahren. Es wäre eine fast endlose Arbeit, den Beweis für alle Zweige der Forschung führen. zu wollen. <*)

Dasselbe sagt Schleiden in Betreff der Pflanzen:

> Die einzige Möglichkeit, zu wissenschaftlicher Einsicht in der Botanik zu gelangen, und somit das einzige und unumgängliche methodische Hülfsmittel, welches aus der Natur des Gegenstandes sich von selbst ergiebt, ist das Studium der Entwickelungsgeschichte. Alle übrigen Bemühungen haben immer nur adminiculirenden untergeordneten Werth und führen nie zu einem sicheren Abschlusse auch nur des unbedeutendsten Punktes. Nur die Entwickelungsgeschichte kann uns über die Pflanze das Verständniss eröffnen. <**)

Als der Hauptförderer der Entwickelungslehre in Deutschland muss nach Baer Professor Häckel anerkannt werden. Schon in seiner >Generellen Morphologie< sowie in seiner >Natürlichen Schöpfungsgeschichte hat er diese Lehre mit der Darwinschen Descendenztheorie in Einklang gebracht. Noch vielseitiger und gründlicher wird derselbe Gegenstand in dem neulich erschienenen Werke Häckel's: >Anthropogenie, Entwickelungsgeschichte des Menschen behandelt.

> Die Formenreihe«, sagt Häckel in diesem Werke, ***)

*) C. E. v. Baer. Ueber Entwickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion. 1828, Bd. I, 231. (Generelle Morphologie. E. Häckel, II, 6.)

**) Schleiden, Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik, I. Bd. III. Aufl., S. 142, 146. (Generelle Morphologie. F. Häckel, II, 6.)

***) Anthropogenie, S. 7.

>welche der individuelle Organismus während seiner Entwickelung von der Eizelle an bis zu seinem ausgebildeten Zustande durchläuft, ist eine kurze gedrängte Wiederholung der langen Formenreihe, welche die thierischen Vorfahren desselben Organismus (oder die Stammformen seiner Art) von den ältesten Zeiten der sogenannten organischen Schöpfung an bis auf die Gegenwart durchlaufen haben.<<

Und weiter:

>> Die ursächliche oder kausale Natur des Verhältnisses, welches die Keimesgeschichte mit der Stammesgeschichte verbindet, ist in den Erscheinungen der Vererbung und der Anpassung begründet. Wenn wir diese richtig verstanden und ihre fundamentale Bedeutung für die Formbildung der Organismen erkannt haben, dann können wir noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Die Phylogenese ist die mechanische Ursache der Ontogenese. Die Stammesentwickelung bewirkt nach den Gesetzen der Vererbung und Anpassung alle die Vorgänge, welche in der Keimesentwickelung zu Tage treten.<<

Aus welchem innern Grunde kann uns nun aber die Entwickelungsgeschichte allein das Kausalverhältniss der organischen Erscheinungen eröffnen? - Aus dem Grunde, weil Entwickelung Bewegung ist und weil Bewegung den Begriff eines mechanischen Zusammenhanges, auf welchen überhaupt jedes Kausalverhältniss in der realen Welt zurückgeführt werden muss, in sich schliesst. Daher ist auch die Entwickelungsgeschichte der Menschheit, als realer Organismus, der einzige Weg zur Ergründung des Kausalverhältnisses im socialen Gebiete.

Indem wir im ersten Theile unseres Werkes die reale Analogie zwischen dem socialen Organismus und den Einzelorganismen der Natur durchführten und die Socialwissenschaft als Fortsetzung der Naturkunde bezeichneten, stellten wir in dem Kapitel: >Sociale Embryologie< folgende zwei Thesen auf:

Ein jeder Mensch, von den höchsten Stadien seiner embryonalen Entwickelung an bis zu seiner vollen Reife, durchläuft real alle Epochen der historischen Entwickelung der Menschheit ganz eben so, wie der menschliche Embryo in den niederen Stadien die Entwickelungsperioden niederer organischer Formen durchläuft. *)

*) Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft, I. Th., S. 251.

Unsere andere Thesis lautete:

Die Stadien der rein menschlichen embryonalen Entwickelung eines jeden Individuums entsprechen der progressiven socialen Entwickelung des ganzen Menschengeschlechts in seiner stufenweisen Ausbildung im Verlaufe der ganzen Geschichte der Menschheit.*)

Entsprechen diese Sätze nicht vollständig den oben angeführten Thesen Häckel's über den Parallelismus zwischen der Keimesgeschichte und der Stammesgeschichte der Naturorganismen? Unsere Thesen beziehen sich speciell auf die durch die Geschichte bedingte Entwickelung der höheren Nervenorgane des Menschen, unter welchen wir nicht allein das menschliche Gehirn, insofern es als ein höher entwickeltes dem thierischen Gehirn gegenübersteht, verstehen, sondern überhaupt Alles, was das menschliche Nervensystem, als ein höher entwickeltes Ganze, dem Thierreich gegenüber darstellt.

Der Unterschied zwischen dem menschlichen und dem thierischen Nervensysteme und speciell zwischen der Entwickelungsstufe des menschlichen und derjenigen des thierischen Gehirns ist bis jetzt von den Naturforschern nur nach den äusseren Merkmalen beurtheilt worden, und da der Unterschied dieser Merkmale zwischen Thier und Mensch kein sehr grosser ist, so wurde von den Naturforschern der Abstand zwischen dem Thier- und dem Menschengeschlechte auch in geistiger und ethischer Beziehung als ein geringer angeschlagen. - Nun ist aber in Hinsicht auf Feinheit, Zartheit, Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit des Baues, Empfänglichkeit für äussere Eindrücke und für die Reaction nach Aussen der Unterschied zwischen dem Nervensysteme des Menschen und demjenigen des, wenn auch noch so hoch entwickelten, Thieres ein auffallend grosser, was sich übrigens auch schon in den geistigen und ethischen Anlagen und Befähigungen Beider kund thut.

Und dieser Unterschied, dieser Vorzug des Ersteren vor dem Letzteren, ist das Resultat der geistigen und ethischen Entwickelung des Menschen in der Geschichte, einer Entwickelung, welche durch unzählige direkte und indirekte Reflexe, die den Thieren unbekannt sind, bedingt worden ist und noch bedingt wird. Denn nach Bischof erlangen die Furchungen des

*) S. 247.

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menschlichen Gehirns bereits beim siebenmonatlichen Embryo die Entwickelung der Furchungen eines volljährigen Pavians. Bis zur vollen Reife macht aber das Gehirn des Menschen noch eine lange Reihe von höheren Evolutionen durch. Was bedeuten diese Evolutionen? Darauf kann es nur eine Antwort geben: in ihnen prägt sich im Kurzen die ganze Geschichte der Menschheit aus. Daher bleiben auch die niederen Racen in ihrer Entwickelung früher stehen als die höheren. So führt z. B. Waitz in seiner > Anthropologie der Naturvölker‹ an, dass bei den Negervölkern die Weiterentwickelung der geistigen Fähigkeiten häufig bereits im 14. Jahre nachlasse. — Indem man nun die Entwickelung des Menschen in der Geschichte verfolgt, ergründet man seine Stammesgeschichte und diese wiederholt sich im Kurzen in der allmäligen Entwickelung des Nervensystems des Individuums, d. h. in der Keimesgeschichte. Beide laufen parallel, sowohl hier, als auch in den Naturorganismen.

› Wilde und Kinder*) sind gar oft mit einander verglichen worden, und dieser Vergleich ist nicht nur passend, sondern auch im höchsten Grade lehrreich. Viele Naturforscher sind der Meinung, dass die Kindheit eines Geschöpfes den ehemaligen Zustand seiner Race andeute, und dass man nach den Stadien, die es zu durchlaufen habe, am sichersten die Verwandtschaft der Arten unter einander beurtheilen könne. Dies gilt auch vom Menschen. Das Leben jedes einzelnen Individuums liefert ein Bild im Kleinen von der Geschichte des Menschengeschlechtes, und der allmälige Entwickelungsgang des Kindes stellt den der Species dar. Daher ist die Aehnlichkeit zwischen Wilden und Kindern so ungemein wichtig. Wilde haben, wie Kinder, keine Beharrlichkeit. Richardson sagt in seiner Schilderung der Dogrib-Indianer: >>Die Erfahrung lehrte uns, dass sie im Brieftragen trotz des hohen Lohnes, der sie bei der Ablieferung erwartete, durchaus unzuverlässig waren. Ein geringfügiges Hinderniss, -die Aussicht auf einen Wildbraten, oder der plötzliche Wunsch, einen Freund zu besuchen genügte, um sie für eine unbestimmte Zeit aufzuhalten. << Selbst bei den verhältnissmässig civilisirten Südsee-Insulanern trat der kindliche Charakter sehr zu Tage. >>Ihre Thränen flossen wie bei Kindern bei jeder

*) Lubbock, die vorgeschichtliche Zeit, II, S. 267-269.

heftigen Gemüthsbewegung, waren aber auch wie bei den Kindern ebenso schnell vergessen.<< D'Urville erzählt ebenfalls, >>dass Tai-wanga, ein neuseeländischer Häuptling, wie ein Kind geweint habe, weil ihm die Matrosen seinen besten Mantel mit Mehl bestäubt hatten. << >>Es ist nicht auffallend<«, sagt Cook, >> dass die Sorgen dieser Naturmenschen rasch verfliegen und dass ihre Leidenschaften sich plötzlich und gewaltsam äussern. Es ist ihnen nie gelehrt worden, ihre Empfindungen zu verhüllen oder zu unterdrücken, und da sie keine Denkweise haben, die ihnen beständig die Vergangenheit zurückruft und sie die Zukunft ahnen lässt, so werden sie auch durch jeden Wechsel der dahineilenden Stunde berührt und reflektiren die Farbe der Zeit, so oft sie sich auch verändern mag. Sie haben keinen Plan, den sie von einem Tage zum andern verfolgen; kein Entwurf voll unablässiger Sorge und Angst erhebt sich schon mit dem anbrechenden Morgen in ihrem Geiste, um endlich mit dem Schlaf in später Nacht zur Ruhe zu kommen. Und trotzdem, sobald wir zugeben, dass sie im Ganzen glücklicher sind als wir, so müssen wir auch zugeben, dass ein Kind glücklicher ist als ein Mann, und dass wir durch die Vervollkommnung unserer Natur, die Vermehrung unserer Kenntnisse und die Erweiterung unserer Anschauungen eine Einbusse erleiden.<<

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> Wir kennen die Mühe, die den Kindern das Nachsprechen gewisser Laute bereitet. So verwechseln sie namentlich oft L und R. Dasselbe ist auch bei den Sandwich-Insulanern und nach Freycinet auch bei den Bewohnern der Ladronen der Fall, und gilt auch von den Vanikoros, den Dammas und den Freundschafts-Insulanern. Darwin machte die Beobachtung, dass die Feuerländer nicht gut eine Alternative begreifen können, und auffallend ist die Neigung der Wilden, die Worte durch gleichlautende Doppelsilben zu bilden. Bei den Kulturvölkern haben die Kinder dieselbe Eigenthümlichkeit.<

>Ferner dürfen wir die meisten Rohheiten, die uns berichtet werden, nicht für absichtliche Grausamkeiten, sondern vielmehr für die Aeusserungen einer kindlichen Gedankenlosigkeit und Erregung halten. Ein auffallendes Beispiel hiervon erzählt uns Byron in seiner Narrative of the Loss of the Wager<: >>Ein Cazike, der dem Namen nach ein Christ war, kehrte mit seiner Frau vom Seeigelfang heim. Er hatte wenig Erfolg gehabt und war schlechter Laune. Einer seiner kleinen Knaben,

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