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V.

Das Gesetz der dreifachen Uebereinstimmung des Nach-, Neben- und Uebereinander in der organischen und socialen Welt überhaupt.

Professor Haeckel war der erste, der das grosse und allgemeine Gesetz der dreifachen Uebereinstimmung des Nach-, Neben- und Uebereinander auch in der Entwickelung der organischen Welt klar nachgewiesen hat.

Haeckel fasst dieses Gesetz wie folgt zusammen:

> Die Entwickelungsreihe der ausgebildeten Formen, welche die vergleichende Anatomie in den verschiedenen Divergenz- und Fortschrittsstufen des organischen Systems nachweist, und welche wir die systematische Entwickelungsreihe nannten, ist parallel der paläontologischen Entwickelungsreihe, weil sie das anatomische Resultat der letzteren betrachtet, und sie ist parallel der individuellen Entwickelungsreihe, weil diese selbst wiederum der paläontologischen parallel ist. Wenn zwei Parallelen einer dritten parallel sind, so müssen sie auch unter einander parallel sein. <*)

In seiner >> Generellen Morphologie der Organismen < stellt Haeckel auf Grundlage desselben Gesetzes folgende Thesen auf: **)

>1. Die Kette von successiven Formveränderungen, welche die Zeugungskreise oder die dieselben repräsentirenden Bionten während ihrer individuellen Existenz durchlaufen, ist im Ganzen parallel der Kette von successiven Formveränderungen, welche die Vorfahren der betreffenden Zeugungskreise während ihrer paläontologischen Entwickelung aus der ursprünglichen Stammform ihres Phylon durchlaufen haben.

2. Diese Parallele zwischen der biontischen und der phyletischen Entwickelung erklärt sich aus den Gesetzen der Vererbung, und insbesondere aus den Gesetzen der abbreviirten, homotopen und homochronen Vererbung.

*) Natürliche Schöpfungsgeschichte von Dr. Ernst Haeckel, 1872, S. 278. **) Generelle Morphologie. Bd. II, S. 421.

3. Die Kette von coexistenten Formverschiedenheiten, welche die verwandten Arten und Artengruppen jedes Stammes zu jeder Zeit der Erdgeschichte darbieten, ist im Ganzen parallel der Kette von successiven Formveränderungen, welche die divergenten Formenbüschel dieses Stammes während ihrer paläontologischen Entwickelung aus der gemeinsamen ursprünglichen Stammform durchlaufen haben.

4. Diese Parallele zwischen der systematischen und der phyletischen Entwickelung erklärt sich aus den Gesetzen der Divergenz und insbesondere aus der Erscheinung, dass die verschiedenen Aeste und Zweige eines und desselben Stammes einen sehr ungleich raschen Verlauf ihrer phyletischen Veränderung erleiden und zu sehr ungleicher Höhe sich entwickeln.

5. Die Kette von coexistenten Formverschiedenheiten, welche die verwandten Arten und Artengruppen jedes Stammes zu jeder Zeit der Erdgeschichte darbieten, ist im Ganzen parallel der Kette von successiven Formveränderungen, welche die Bionten der betreffenden Artengruppe während ihrer individuellen Existenz durchlaufen.

6. Diese Parallele erklärt sich aus der gemeinsamen Abstammung der verwandten Arten, und zunächst schon aus der Verbindung der beiden vorhergehenden Parallelen; denn wenn die phyletische Entwickelungsreihe sowohl der biontischen als der systematischen Entwickelungsreihe parallel ist, so müssen auch diese beiden letzteren unter einander parallel sein, und endlich

7. Der dreifache Parallelismus der phyletischen, biontischen und systematischen Entwickelung erklärt sich demnach, gleich allen anderen allgemeinen Entwickelungserscheinungen, einfach und vollständig durch die Descendenztheorie, während er ohne dieselbe. gleich diesen allen, völlig unerklärt bleibt.<

Haeckel bezeichnet ganz richtig die Descendenztheorie als ein allgemeines Inductions-Gesetz, welches sich aus der vergleichenden Synthese aller organischen Naturerscheinungen und insbesondere aus der dreifachen Parallele der phyletischen, (paläontologischen), biontischen (individuellen) und systematischen (specifischen) Entwickelung mit absoluter Nothwendigkeit ergiebt. *)

*) Generelle Morphologie II, 427.

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Betrachten wir den Menschen zunächst als natürlichen Organismus, so erweist sich, dass dieser dreifache Parallelismus seine Geltung auch für das ganze Menschengeschlecht, als eine besondere, höhere Gattung physisch höher organisirter Wesen, in vollem Maasse haben muss. Dank den neueren Entdeckungen der Paläontologie sind schon einige Bruchstücke der grossen Kette gefunden, die einerseits das Menschengeschlecht der höher organisirten Thierwelt, andererseits die entwickelteren Racen durch eine ununterbrochene Stufenleiter an den wilden Urmenschen anschliesst. - Dieser seit Millionen, ja vielleicht seit Milliarden von Jahren vor sich gehende paläontologische Process der stufenweisen Entwickelung vom Niederen zum Höheren wiederholt sich in kurzen, momentanen Abschnitten und Evolutionen in jedem einzelnen Menschen nach dem der ganzen organischen Natur gemeinsamen embryologischen Gesetz. — Daraus geht aber hervor, dass das Gesetz des Parallelismus zwischen der phyletischen (paläontologischen) und der biontischen (individuellen) Entwickelung auch für den Menschen, als Gattungsindividuum, seine volle Gültigkeit behalten muss. Endlich gehört der Mensch, als Specimen einer bestimmten Race, eines bestimmten Stammes, zu einem ganzen, durch Blutsverwandtschaft verbundenen System von Organismen, dessen einzelne Gruppen und Individuen im Grossen und Ganzen in gleicher Beziehung zu einander stehen, wie die aufeinanderfolgenden Generationen und Gattungen in der paläontologischen Reihe und wie die Evolutionsformen eines jeden Individuums. Das ist das dritte Glied der Parallele, welches das schöne Gesetz des dreifachen Parallelismus zu einem harmonischen Ganzen abschliesst.

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Bis jetzt wurden jedoch auch bei Anpassung dieses Gesetzes an den Menschen die höheren Nervenorgane, als Product des socialen Lebens, ausser Acht gelassen. Daher konnte auch die den einzelnen Menschen durch alle Epochen der geschichtlichen Entwickelung verfolgende sociale Embryologie noch gar keinen realen Boden finden.

Nun haben wir aber schon bewiesen, dass die höheren Nervenorgane denselben Gesetzen der Descendenztheorie unterliegen, wie auch alle übrigen Theile des Organismus des Menschen, dass Anpassung und Vererbung für das Nervensystem des Menschen und für die durch dasselbe bedingten geistigen und ethischen Eigenschaften dieselbe Bedeutung haben, wie für die

niederen Sphären der organischen Entwickelung, dass die verschiedenen Menschenracen, vom Gesichtspunkte der höheren Nervenorgane aus betrachtet, eben solch' ein divergirendes organische System bilden, wie die Arten und Gattungen der niederen Organismen; endlich, dass auch ein jeder einzelne Mensch diejenigen embryologischen Formveränderungen der Nervenorgane durchläuft, welche die ursprünglichen Racen durchlaufen haben. Daraus folgt, dass das Gesetz Haeckel's vom dreifachen Parallelismus der phyletischen, biontischen und systematischen Entwickelung auch in Betreff der historischen Entwickelung der Menschenracen, vom Gesichtspunkte der höheren Nervenorgane aus betrachtet, seine vollständige Anwendung finden muss. Die höheren Nervenorgane bilden im Menschen, vom naturwissenschaftlichen Standpunkte aus betrachtet, eigentlich das rein Menschliche. Das Uebrige besitzt der Mensch gemeinschaftlich mit der niederen organischen Welt und unterliegt daher auch denselben Gesetzen. Ist es nun bewiesen, dass das Gesetz des dreifachen Parallelismus auch auf die höheren Nervenorgane des Menschen seine volle Anwendung findet, so knüpft sich schon von selbst die sociale Sphäre an die naturhistorische und die ethische und geistige Entwickelungsgeschichte der Menschheit an die Naturkunde. Und da alle übrigen Thesen Haeckel's in seinem epochemachenden Werke nur eine Specificirung dieses allgemeinen Gesetzes sind, so kann auch ohne Mühe alles sich auf die Entwickelung der höheren Nervenorgane des Menschen Beziehende auf jene Thesen zurückgeführt werden, woraus denn wiederum die reale Analogie zwischen der socialen und der organischen Entwickelung in der Natur in allen ihren, wenn auch noch so weit gegriffenen Folgerungen, völlig klar zu Tage tritt.

Nun stellt aber die menschliche Gesellschaft einen für sich bestehenden Einzelorganismus dar, von welchem die menschlichen Individuen die einzelnen Theile oder Zellen bilden. Würden die einzelnen Menschen sich unabhängig von einander, etwa nur als Bestandtheile einer Heerde, entwickeln, so würde der dreifache Parallelismus sich auch in Betreff der höheren Nervenorgane einfach unter dem Einflusse des Kausalzusammenhanges der Descendenztheorie völlig klar ausprägen. Nun ist aber jeder Mensch Theil eines höheren Organismus, in welchem er die Rolle einer Zelle spielt, die sich der Entwickelung des Ganzen anpassen muss. Hier muss also nicht nur das einfache

Gesetz der Vererbung und der Anpassung an die verschiedenen Lebensbedingungen des umgebenden physischen Mediums gelten, sondern das complicirtere Gesetz der abweichenden Anpassung.<< Haeckel drückt dieses wichtige Gesetz auf folgende Weise aus: > Gleiche Theile (gleiche Individuen einer und derselben Individualitätsordnung), welche in Mehrzahl in dem Organismus verbunden sind, erleiden ungleiche Abänderungen, indem dieselben in verschiedenem Grade der cumulativen Anpassung unterliegen.<*)

Die verschiedenen Theile (Zellen) eines jeden Organismus haben nämlich das Bestreben, sich nach verschiedenen Richtungen hin zu specialisiren und zu differenziren. Einige Zellen bleiben auch im weiteren Verlauf der individuellen Entwickelung des ganzen Organismus auf der Stufe von Plastiden oder Moneren stehen. Andere Zellen differenziren sich allmälig zu verschiedenen Geweben (Knochen, Muskeln, Nerven) oder zu Gefässen (Blut-, Lymph- etc. Gefässen). Haeckel bezeichnet ganz richtig dieses Gesetz der divergirenden oder abweichenden Anpassung, welches für die Individuen aller Ordnungen, von der Plastide hinauf bis zur Person, gilt, als die Basis des bekannten Gesetzes der Arbeitstheilung, und sagt zum Schluss: » Dieses allgemeine Differenzirungsgesetz oder Divergenzgesetz ist in den vollendeten Folgen seiner ungeheuern und äusserst mannigfaltigen Wirkung von allen Naturforschern anerkannt. Viele haben. auch seine kausale Bedeutung und active Wirksamkeit während des Laufes der embryologischen, Wenige während des parallelen Laufes der paläontologischen Entwickelung erkannt. Die Wenigsten aber sind von der äusserst wichtigen Thatsache durchdrungen, dass alle Differenzirungen oder Divergenzerscheinungen, welche wir während jener laufenden Entwickelungsreihe beobachten, nur die gehäuften Folgen und Wiederholungen von zahllosen einzelnen divergenten Anpassungen sind, welche die individuellen Organismen während des Laufes ihrer individuellen Existenz allmälig erfahren haben. «**)

Diese Differenzirung der einzelnen Theile, diese Divergenz in der Entwickelung der einzelnen Zellen, welche sich in jedem

*) Generelle Morphologie, Bd. II, S. 217.

**) S. 218.

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