Billeder på siden
PDF
ePub

Die Deutsche Afrikanische Expedition...

(Mit Karte, s. Tafel 1.)

Es ist ein alter Streit, ob grosse Zeiten grosse Männer schaffen oder umgekehrt. Wie dem auch sei, als eine Gunst des Schicksals muss es wohl anerkannt werden, dass die Periode der Kulturgeschichte und speziell auch der Deutschen Geschichte, welche wir zu erleben das Glück haben, überall, in der Diplomatie wie im Militär, in der Verwaltung wie in der Industrie und den Wissenschaften, reich begabte schöpferische Geister besitzt, welche die Grösse der Zeit erkennen, Einrichtungen und Unternehmungen ins Leben rufen, welche dieser Grösse entsprechen. So kam auch gerade zur rechten Zeit Adolph Bastian an die Spitze der Geographischen Gesellschaft in der Hauptstadt unseres Reiches. Zwar stand diese Gesellschaft seit der glänzenden Periode, wo Carl Ritter, Alex. v. Humboldt, Heinrich Berghaus ihre Hauptstützen waren, immer in einem gewissen Ansehen, ihre Schwestern in London und St. Petersburg, die sich zu hoher Blüthe entfalteten, respektirten sie wohl als die ältere, die einst ebenfalls gute Tage gesehen hatte, aber eine ganze Reihe von Jahren bildete doch das übliche Abendessen so ziemlich den einzigen Kitt, und was das Schlimmste, an eigentlichen Geographen fehlte es ihr fast gänzlich. Da kam Bastian 1867 nach Berlin, um die seit 1851 in allen Theilen der Welt massenhaft gesammelten Kenntnisse schriftstellerisch zu verwenden. Als Sohn eines wohlhabenden Kaufmannes 1826 in Bremen geboren, wählte er gleichwohl nicht die kaufmännische Laufbahn, sondern studirte auf fünf Universitäten Jurisprudenz, Naturwissenschaften, Medizin und Philosophie, dann erst begann er seine fünfzehnjährigen Reisen, auf denen er so ziemlich Alles gesehen hat, was die Erdoberfläche Interessantes bietet. Bald finden wir ihn auf den Goldfeldern von Australien, bald auf den Süd-Amerikanischen Hochebenen unter den Alterthümern der Inkas, dann in den endlosen Wäldern an den Quellflüssen des Amazonenstroms, in Mexiko, West-Indien, Nord-Amerika, bald auf der Pilgerschaft nach Mekka und auf der Ruinenstätte von Ninive, sodann durchzieht er ganz Indien, besucht einzelne Theile Afrika's im Nil-Gebiet, am Kap, an der Westküste, durchstreift Europa, vergräbt sich darauf über Jahr und Tag in die Klöster Siam's und Birma's, um die Geschichte des Buddhismus zu studiren. bereist China, Sibirien, Russland und den Kaukasus. Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1875, Heft I.

Wie durch die lange Reihe seiner Werke, so erhält man auch beim Gespräch mit ihm den Eindruck des unerschöpflichen Wissens, es giebt nichts Anziehenderes als sein geläufiges, von einem wunderbaren Gedächtniss und der Lebendigkeit der eigenen Anschauung gehobenes Sprechen. Ein solcher Mann musste selbst in Berlin bald zur Geltung kommen, um ihn schaarten sich namentlich die jüngeren Mitglieder der Geogr. Gesellschaft und 1868 finden wir ihn bereits auf dem Präsidentenstuhl. Seitdem hat die Gesellschaft, begünstigt durch den Zugang anderer, durch glänzende wissenschaftliche Reisen ausgezeichneter Männer, namentlich des jetzigen Präsidenten, Baron Ferd. v. Richthofen, und des gebildetsten unter allen neueren AfrikaReisenden, Georg Schweinfurth, allmählich eine Thätigkeit und Wirksamkeit entfaltet, wie sie der Würde des Deutschen Reiches und seiner Hauptstadt entspricht; obgleich sie nicht entfernt über die reichen Geldmittel der Londoner und Petersburger Gesellschaft verfügt, so steht sie diesen in Bezug auf ihre Leistungen ziemlich gleich; ihr Organ, die Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde, die sich lange Jahre hindurch in Spezialitäten verlor, arbeitet jetzt, vereint mit den erst 1873 gegründeten ,,Verhandlungen", eben so kräftig an dem Ausbau der Geographie mit wie das berühmte Journal der Londoner Gesellschaft, und das unmittelbare Eingreifen in den Gang der geographischen Entdeckungen, das Anregen und Fördern derselben, wie es früher innerhalb Deutschlands nur in Gotha geschah, betreibt jetzt Berlin mit wahrhaft jugendlichem Eifer. Waren es aber bisher nur Privatunternehmungen, die von Berlin aus mit Rath und That unterstützt wurden, so dürfen und müssen wir die Deutsche Afrikanische Expedition als eine Angelegenheit des Deutschen Reiches betrachten, die das neu gehobene nationale Selbstgefühl schon durch die Grossartigkeit des Planes befriedigt und bei einigem günstigen Erfolg hellstrahlenden Ruhm für Deutschland in der geographischen Entdeckungsgeschichte verheisst, in der wir, von Privatunternehmungen abgesehen, bisher so gut wie nichts geleistet haben.

Im Herbst 1872, nachdem durch den Amerikaner Stanley die Kunde von den neuen Entdeckungen Livingstone's nach Europa gekommen war und bei den Geographen die

1

[ocr errors][ocr errors][merged small]

1

Überzeugung festen Boden gewann, dass die gewaltigen, von Livingstone aufgefundenen Flüsse nicht, wie er glaubte, dem Nil, sondern dem westwärts zum Atlantischen Meer sich wendenden Congo angehörten, als gleichzeitig Schweinfurth zurückkam und berichtete, dass seine südlichsten Entdeckungen nicht mehr dem Gebiete des Nil angehören und durch Vegetation, Thierwelt wie durch Sitten und Industrie der Bewohner eine Verwandtschaft mit der Westküste zeigen, wurde Bastian von dem Gedanken erfüllt, die Ehre der Erforschung des Congo, seiner Zuflüsse und Uferländer, überhaupt des ganzen in der Äquatorial-Zone Afrika's noch übrig gebliebenen unbekannten Gebietes, für Deutschland zu wahren. Er setzte sich mit den Deutschen Geogr. Gesellschaften und einzelnen maassgebenden Personen in Verbindung und so wurde am 19. April 1873 in Berlin eine Deutsche Afrikanische Gesellschaft gegründet.

Entsprechend unseren vormaligen politischen Verhältnissen waren die geographischen Kräfte Deutschlands sehr zersplittert. Während Gross-Britannien, Frankreich, Italien, Österreich bis vor Kurzem nur je eine Geographische Gesellschaft besassen und selbst in dem ausgedehnten Russischen Reiche die wenigen Vereine dieser Art nur Abzweigungen der grossen und reichen Petersburger Gesellschaft sind, zählen wir in Deutschland acht solche Gesellschaften: in Berlin, Frankfurt, Darmstadt, Leipzig, Dresden, München, Halle und Hamburg. Alle acht zusammen haben nur etwa 2000 Mitglieder und eine Einnahme von wenig über 9000 Thaler, wogegen der Londoner Verein allein 2700 Mitglieder zählt und sich einer Einnahme von 45.000 Thaler erfreut. Diese fünffache finanzielle Überlegenheit erhöhte sich noch sehr bedeutend dadurch, dass jede der Deutschen Gesellschaften je nach zufälligen persönlichen Beziehungen, Neigungen oder an sie herantretenden Aufforderungen ihre schwachen Überschüsse nach eigenem Gutdünken verwendete. In Beträgen von wenigen hundert Thaler wurden die verschiedensten Reisen und Publikationen unterstützt. Jetzt zum ersten Mal sehen wir sie zu einer gemeinschaftlichen Wirksamkeit verbunden, indem sie wenigstens zum Theil der Deutschen Afrikanischen Gesellschaft in corpore beitraten und sich verpflichteten, für jedes ihrer Mitglieder 1 Thaler jährlich an dieselbe zu zahlen. So ist die Concentration, die in Form einer allgemeinen Deutschen Geogr. Gesellschaft im Jahre 1866 von Gotha aus in Anregung gebracht, aber dann nicht weiter betrieben wurde, zur Wahrheit geworden, wenn auch nur für einen speziellen Zweck 1).

1) Auch Nichtmitgliedern geographischer Vereine steht der Zutritt zur Deutschen Afrikanischen Gesellschaft frei. Anmeldungen sind an den Sekretär, Herrn Professor Dr. W. Koner in Berlin, Lindenstrasse 14, zu richten. Gegen den Jahresbeitrag von 1 Thaler erhält jedes Mitglied das,,Correspondenzblatt".

Der pflichtmässige Thaler thut es nun freilich nicht, es wird vorausgesetzt, dass die Vereine zur Beitreibung weiterer Mittel thätig sind, und wirklich brachte der Hamburger Verein im ersten Jahre über 2000 Thaler auf. Ausserdem suchten Bastian und seine Freunde durch Aufrufe, Vorträge, massenhafte Correspondenz eine möglichst ausgebreitete opferwillige Theilnahme an dem Unternehmen zu erwecken und es kamen innerhalb eines Monates an 20.000 Thaler zusammen, so dass schon am 16. Mai 1873 die ersten Aussendlinge nach der Westküste von Afrika abreisen konnten. Dieses Zusammenwirken der Geographischen Gesellschaften, die Beisteuern aus allen Schichten des Volkes, ganz besonders auch der gewichtige jährliche Beitrag von 25.000 Thaler, den Se. Maj. der Kaiser zweimal bewilligt hat und hoffentlich noch eine Reihe von Jahren bewilligen wird, stempeln das von Bastian ins Werk gesetzte Unternehmen zu einem nationalen.

Der Reiz, den ein aufmerksames Verfolgen der Afrikanischen Entdeckungsreisen bietet, liegt zum guten Theil in der Unsicherheit ihres Erfolges und dem häufig ganz überraschenden Ausgang. Die grossartig angelegte Reise des Fräulein Tinne, die das als Münze geltende Kupfer auf einer ganzen Karawane von Kameelen bei sich führte und mit einem eigenen Dampfschiff die westlichen Zuflüsse des Nil erforschen wollte, scheitert kläglich, die meisten Europäischen Theilnehmer erliegen dem Klima, während es dem einzelnen Georg Schweinfurth mit sehr bescheidenen Mitteln gelingt, der Geographie ein ganz neues Gebiet zu erobern; selbst ein Virtuos im Bereisen der Sahara wie Gerhard Rohlfs muss trotz der grossen Summen, die ihm der Vicekönig von Ägypten zur Verfügung stellte, und trotz der eisernen Wasserkisten, die er als neues Hülfsmittel in die Kunst der Wüstenreisen eingeführt hat, von seinem Vorhaben, die östliche Sahara zu durchkreuzen, abstehen, während Dr. Nachtigal, der nur einige Geschenke des Königs von Preussen an den Sultan von Bornu überbringen sollte, auf eigenen Antrieb und fast ohne alle Geldmittel die hauptsächlichsten Landschaften dieser östlichen Sahara besucht, hohe Gebirge dort entdeckt, sodann vom Tsad-See weit südwärts in die Heidenländer eindringt und endlich das kühne Wagniss, von Bornu durch Wadai und Darfur nach dem Nil zu gehen, glücklich durchführt. So scheitern die bestvorbereiteten, über die reichsten Mittel verfügenden Unternehmungen, während unscheinbare Versuche bisweilen zu den überraschendsten Erfolgen führen und ein Erfolg überhaupt ganz vom Zufall abzuhängen scheint.

Um nun auf diesem trügerischen Boden einige Garantie des Gelingens zu gewinnen, wurde die Deutsche Afrikanische Expedition gleich von vorn herein so angelegt, dass man

das Spiel nicht auf eine einzige Karte setzte, sondern einen Angriff von mehreren Seiten durch eine ganze Anzahl Reisende, ein beständiges Ausfüllen entstehender Lücken und Nachschieben von Unterstützungen ins Auge fasste.

Das unbekannte Gebiet, welches die Westhälfte der Äquatorialzone von Afrika ausfüllt und etwa 70.000 Quadrat-Meilen, d. h. 7mal so gross ist als das Deutsche Reich, drängt sich zwischen der Mündung des Congo im Süden und der des Ogowe im Norden bis an das Atlantische Meer heran, denn auf der genannten Strecke kannte man ausser der im Vorübersegeln mangelhaft aufgenommenen Küstenlinie absolut nichts von dem Uferland. Es lag daher nahe, gerade auf diese Küste den ersten und stärksten Angriff zu richten; in der That befindet sich dort auch seit dem Juli 1873 die Hauptabtheilung der Expedition.

Dr. Paul Güssfeldt aus Berlin, ein tüchtiger Alpensteiger, zuletzt Privatdocent der Mathematik in Bonn, war von dem Vorstand der Afrikanischen Gesellschaft zum Leiter der Expedition erwählt worden. Er reiste, von dem Preussischen Lieutenant v. Hattorf begleitet, am 30. März 1873 mit dem Postdampfer von Liverpool ab, litt aber vor Sierra Leone Schiffbruch, verlor fast die ganze, mit 1000 versicherte Ausrüstung und bewerkstelligte zwar im Juli seine Überfahrt nach der Mündung des Congo, musste nun aber auf die Nachsendung der neuen Instrumente und anderer Ausrüstungsgegenstände so lange warten, dass die Regenzeit hereinbrach, bevor er seine grosse Landreise beginnen konnte. Kurz nach ihm war Bastian selbst, welcher schon 1857 San Salvador, die Hauptstadt des alten Congo-Reiches, besucht hatte und der Expedition die erste, immer so schwierige, Orientirung mit seiner reichen Erfahrung erleichtern wollte, in Begleitung eines Lieutenant v. Goerschen von Lissabon aus nach West - Afrika abgereist, und noch früher als Güssfeldt dort angelangt knüpfte er mit den Holländischen Handelsfaktoreien, welche seit der Unterdrückung des Sklavenhandels den vordem von den Portugiesen besorgten Waarenaustausch mit den Eingeborenen am unteren Congo und der nordwärts benachbarten Loango - Küste an sich gezogen haben, freundliche Beziehungen an, unterstützte den inzwischen eingetroffenen Güssfeldt in der Auswahl einer Station, welche dem ganzen Unternehmen einen dauernden Stützpunkt gewähren soll, und zog eine Menge Erkundigungen über Natur und Bewohner der zunächst in Frage kommenden Landstrecken ein. Erst dann, als er Alles wohl vorbereitet und eingeleitet hatte, trat er im Oktober die Heimreise an, bei der er fast einem heftigen Anfall des West-Afrikanischen Fiebers erlegen wäre.

In der Station, welche zu Chinchoxo (Tschintschoscho) unmittelbar an der Küste, 13 bis 14 D. Meilen nördlich

vom Congo, eingerichtet wurde, fanden sich seit dem Herbst. 1873 nach und nach mehrere von der Afrikanischen Gesellschaft nachgeschickte Theilnehmer der Expedition ein: zuerst der Dr. med. Falkenstein und der Techniker Lindner, sodann der Botaniker Soyaux und vor Kurzem auch der weitgereiste Naturforscher Pechuel-Lösche, welcher den Dr. Güssfeldt auf der Reise ins Innere begleiten soll, während die anderen in der Küstenstation zurückbleiben. Bedenkt man, dass nach Güssfeldt's Schätzung der Unterhalt der Station Tschintschoscho jährlich 7000 Thaler und die Reise ins Innere mindestens eben so viel kosten wird, SO sieht man, dass nachhaltig bedeutende Geldmittel flüssig gemacht werden müssen; ja damit nicht genug hat man der Preussischen Umfassungstaktik gemäss ausser dem Gros in der Fronte noch zwei flankirende Expeditionen abgeschickt, den Geologen Dr. Lenz nach dem Ogowe, wo Hamburger Handelsfaktoreien einen Stützpunkt bieten, und den Hauptmann v. Homeyer, einen tüchtigen Ornithologen, nach Angola. Beide sollen mit Güssfeldt gleichzeitig operirend landeinwärts vorzudringen suchen.

Das Correspondenzblatt der Afrikanischen Gesellschaft, welches in zwanglosen Heften die Briefe der ExpeditionsMitglieder veröffentlicht und über alle Vorgänge Nachricht giebt, so wie besonders auch Bastian's vor wenigen Monaten publicirtes Buch „Die Deutsche Expedition an der Loango-Küste" geben Zeugniss, dass mit Eifer gearbeitet worden ist und noch wird. Die Exkursionen Güssfeldt's namentlich enthüllen in Gemeinschaft mit Bastian's Erkundigungen von Neuem die Geographie der nördlich an den unteren Congo angrenzenden Landschaften, deren Kenntniss seit dem 17. Jahrhundert, wo dort mächtige, durch den Sklavenhandel wohlhabende, durch die Portugiesischen Missionäre sogar mit einem sehr zweifelhaften Christenthum beschenkte Reiche blühten, gänzlich in Vergessenheit gerathen war; dass aber seit dem Juli vorigen Jahres bis jetzt nichts weiter erreicht ist als diese doch nebensächliche bessere Kenntniss der Küstenlandschaften, dass noch kein ernstlicher Vorstoss ins Innere versucht wurde, deutet auf das Vorhandensein grosser Schwierigkeiten hin.

Eine Hauptschwierigkeit liegt in dem Fehlen aller Transportmittel. So weit sich die Verbreitung des Kameels erstreckt, also vom Mittelmeer bis zum Sudan, ist der Verkehr, wenn auch langsam, doch verhältnissmässig leicht und sicher, die Karawanenzüge bewegen viele Menschen und grosse Waarenmassen. Im Sudan und in Abessinien bietet der Esel, in Süd-Afrika das Rind als Reitund Lastthier immer noch einigen Ersatz für das Kameel, dagegen fehlt es in dem grossen Gebiete zu beiden Seiten des Äquators an solchen nützlichen Thieren gänzlich und der Mensch muss das Transportmittel abgeben. Proviant,

Waaren, Geschenke, Kleidung, Waffen, Munition, Instrumente, Sammlungen, Alles muss auf den Köpfen gemietheter Eingeborener mitgenommen werden, die schwer zu bekommen und noch schwerer zu leiten, stets zu Flucht und Desertion geneigt sind. Da gilt es, einem Maasse von Widerwärtigkeiten und Verlegenheiten die Stirn zu bieten, wie es anderswo unerhört ist. Doppelt schlimm ist der Reisende daran, wenn er keine Leute findet, die sich schon früher zu solchen Märschen gebrauchen liessen, an Reisen und Gehorchen schon einigermaassen gewöhnt sind. Durch böse auf seinen Exkursionen gemachte Erfahrungen gewarnt konnte sich Güssfeldt nicht entschliessen, es mit ganz roher Trägern zu versuchen, er begab sich vielmehr nach den Portugiesischen Niederlassungen im Süden und engagirte dort hundert Mann, die mit Portugiesischen Händlern grössere Wanderungen ausgeführt hatten. Und um diesen Leuten Verständniss für Disciplin beizubringen, geht der Preussische Major v. Mechow nach Tschintschoscho.

Es lässt sich nicht leugnen, dass etwas militärische Zucht auch bei dem Afrikaner Wunder thut. Der König von Tigre eroberte in den letzten Jahren fast ganz Abessinien mit einigen hundert schwarzen Soldaten, die ein Englischer Offizier einexercirt hatte, und Baker schlug sich am Weissen Nil mit 40 gedrillten Taugenichtsen, die er selbst seine Leibgarde der 40 Diebe nennt, durch Tausende von Wilden durch, welche die Sklavenhändler gegen ihn ins Feld führten. So wäre es auch denkbar, dass Güssfeldt's Hundertgarden gute Dienste leisten, dass er manchen Widerstand mit ihnen zu brechen vermag. Über der Beschaffung der Träger in Angola ist nun aber die günstige Jahreszeit des Jahres 1874 vorübergegangen, vor dem nächsten Mai kann nunmehr die Reise ins Innere nicht unternommen werden. Diess liegt an der zweiten Hauptschwierigkeit, dem Klima.

In der Tropenzone folgt dem Gange der Sonne der Regen. Meist einige Wochen, nachdem das versengende. Tagesgestirn senkrecht über den Häuptern der lechzenden Menschen- und Thierwelt gestanden, treten in Form heftigster, zu regelmässigen Tagesstunden rasch aufsteigender Gewitter wahre Sündfluthen von Regengüssen ein, die dann später mit mehrtägigen Landregen wechseln und je nach der Lage der Gegend zum Äquator eine vier bis sechs Monate andauernde oder zwei durch eine regenlose Zeit unterbrochene Regenzeiten bilden. Am Congo haben die Regen im November begonnen und werden bis zum April anhalten. In solcher Zeit zu reisen ist so gut wie unmöglich. Wie durch einen Zauberschlag belebt sich die Natur, sprosst eine üppige Vegetation hervor, das Gras, 10 bis 12 Fuss hoch, 2 Zoll stark, ist für den Menschen nur da zu durchdringen, wo ein Elephant oder ein Nashorn

Bahn getreten hat; bis an die Kniee und weiter versinkt man in den schlammigen Boden des Waldes, nirgends ein trockenes Fleckchen, nirgends Schutz vor der Feuchtigkeit, die alle Habe in kürzester Zeit verfaulen und verschimmeln macht, keine Rettung vor den Heerschaaren der Insekten, die der raffinirtesten Vorsichtsmaassregeln spotten. Mächtig schwellen Flüsse und Bäche an, meilenweit treten sie über ihre Ufer, man fährt auf Kähnen zwischen den Bäumen hin. Und noch lange nachdem die Regen ausgeblieben, ist die Luft so mit Feuchtigkeit gesättigt, dass das Wasser in den Fusstapfen der Elephanten Monate hindurch stehen bleibt. Wohl hat man es bisweilen gewagt, in der Regenzeit zu reisen, aber selbst Livingstone beklagte sich über die unerhörten Qualen, die er dabei ausgestanden, und ein wochenlanges Waten durch überschwemmte Ebenen war es auch, was die ihm tödtlich gewordene Dysenterie verursacht hat. Es heisst das Leben leichtsinnig aufs Spiel setzen, wenn man in solcher Zeit seine stark mit Stroh bedeckte, auf erhabenem festen Grund gebaute Hütte ohne Noth verlässt; aber bei allen sorglichen Vorkehrungen und bei der verständigsten Lebensweise droht gerade dem Europäer vorzugsweise während und unmittelbar nach der Regenzeit Krankheit und Tod. Keine Gegend der Erde geniesst in dieser Hinsicht einen so schlechten Ruf als die tropische Westküste von Afrika. Als die Engländer in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts ganze Geschwader dort stationirt hatten, um den Sklavenhandel zu unterdrücken, starben ihnen verhältnissmässig mehr Soldaten und Matrosen als in den mörderischsten Feldzügen; bei der Niger - Expedition von 1841 erkrankte sämmtliche Mannschaft, obwohl sie meist aus Negern bestand, und der Verlust an Menschenleben war so gross, dass man lange Zeit von jedem weiteren Versuch abstand; bei Tuckey's Reise am Congo aber starben 14 von den 30, welche tiefer ins Land eindrangen. Seit 1854, wo der Englische Arzt Baikie bei seiner Fahrt auf dem Niger die prophylaktische Anwendung des Chinin, d. h. die tägliche Verabreichung einer Dosis an Alle vor der Erkrankung, mit solchem Glück durchführte, dass er seine 70 Leute vollzählig zurückbrachte, weiss man sich besser zu schützen, aber dieses Verfahren scheint nur einige Monate zu wirken, wird auch von Vielen nicht auf die Dauer vertragen.

Wenn man weiss, dass schon von den eingeborenen Soldaten in den Englischen Garnisonsorten am Gambia, in Sierra Leone, an der Goldküste 75 bis 97 Prozent jährlich erkranken und über 3 Prozent sterben, dass von den jungen Kaufleuten in den West-Afrikanischen Kolonien durchschnittlich im Jahr 7 Prozent sterben, so erscheint es noch als ein Glück, dass von der Deutschen Expedition bis jetzt nur zwei, die Lieutenants v. Goerschen und v. Hattorf,

krankheitshalber zurückkehren mussten, und man darf hoffen, dass sich Tschintschoscho als verhältnissmässig gesund bewährt und auch die zweite Regenzeit wenigstens von einigen Theilnehmern der Expedition ohne Nachtheil überstanden wird.

Rücken sie dann im nächsten Mai aus, so werden sie sehr bald mit der dritten Hauptschwierigkeit Bekanntschaft machen, mit dem Misstrauen, der Feindschaft und Habgier der Eingeborenen. Das Gebiet, in welches die Expedition eindringen soll, gehört nach dem, was man an seinen Rändern gesehen, und nach den Schlüssen, welche die Klimatologie erlaubt, zu den grössten Waldgebieten der Erde; wie die Ebenen am Amazonenstrom bedeckt unabsehbarer Urwald, so dicht, dass selbst die Strahlen der senkrechten Sonne nicht hindurchzudringen vermögen, und so hoch, dass die Vögel in den Wipfeln dem Schrotschuss unerreichbar bleiben, die Thäler und Berge des Congo-Beckens und mitten in diesem Wald liegen zerstreut und isolirt die Dörfer, ausgezeichnet durch den viereckigen Bau der Hütten, der nur hier und an der Westküste den sonst üblichen Rundbau ersetzt. Jedes Dorf hat seinen besonderen Häuptling, nur ausnahmsweise übt ein kleiner König eine wirkliche Herrschaft über seinen Volksstamm aus. Der Reisende sieht sich daher genöthigt, fast in jedem Dorf, das er passirt, mit dem Häuptling sich abzufinden. Kommt er mit einem mässigen Geschenk an Kleidungsstoffen, Waffen und Munition weg, so mag er sich glücklich preisen, denn gewöhnlich suchen die kleinen Machthaber den fremden Gast möglichst lange bei sich zu behalten, um möglichst viel von seiner Habe an sich zu bringen. Das Reisen wird dadurch ungemein kostspielig, ja auf weite Strecken unmöglich, weil man auf den menschlichen Lastthieren nicht viel transportiren kann. Umschifft man diese Klippe durch Glück und Geschick, so schafft der Aberglaube der Eingeborenen bisweilen unüberwindliche Schranken. Du Chaillu musste südlich vom Ogowe in eiligster Flucht umkehren, weil in einigen Dörfern die Blattern grassirten und die Bewohner, in der Überzeugung, dass die Fremden diese Geissel über das Land gebracht, in hellen Haufen über ihn und seine Leute herfielen. Oder der Krieg zwischen zwei Dörfern oder Stämmen bietet plötzlich Halt, denn in Afrika ist nichts gewöhnlicher als solche Kriege; auch die beiden Franzosen, welche zu Anfang dieses Jahres den Ogowe hinauffuhren, wurden mit Waffengewalt zurückgetrieben, als sie die Grenze zwischen zwei feindlichen Stämmen erreichten. Gefahr droht ausserdem die sonderbare Sitte, dass der Gläubiger berechtigt ist, irgend einen Verwandten oder Freund seines Schuldners, dessen er habhaft werden kann, so lange festzuhalten und als Sklave für sich arbeiten zu lassen, bis die Schuld bezahlt ist. Jeder

Europäer aber wird als Verwandter der übrigen Europäer angesehen.

So giebt es denn mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden und man darf an einen ersten und zweiten Versuch nicht gleich zu grosse Erwartungen knüpfen; die Hauptgewähr für das Gelingen des bedeutenden, dem Deutschen Namen zur Ehre gereichenden Unternehmens muss die Ausdauer bieten: ohne Ungeduld und im Vertrauen auf den endlichen Sieg muss die Afrikanische Gesellschaft immer neue Mittel schaffen und darf nicht rasten, bis nach und nach das grösste noch unbekannte Landgebiet der Erde unserer Kenntniss erschlossen ist. Dass diess geschehen wird, unterliegt keinem Zweifel, denn seit Ende des vorigen Jahrhunderts ist das ganze übrige Afrika für die Geographie erobert worden, und lassen wir Deutsche diese letzte Gelegenheit zu grossen Landentdeckungen fallen, so werden sie binnen Kurzem den Ruhm anderer Nationen erhöhen.

In einer Ansprache Bastian's heisst es: Das äquatoriale Afrika dem Handel, dem Weltverkehr zu erschliessen, ist eine heilige Pflicht, ist eine Aufgabe, welche allen Kulturvölkern gestellt wird. Unsere Unkenntniss von dem Central Afrikanischen Gebiet ist um so auffallender, als Afrika der älteste Continent ist. Als die Portugiesen ihre Entdeckungsreisen begannen, war Afrika das Ziel ihrer Bestrebungen; sie machten schon damals weite Reisen durch das Innere, aber plötzlich verstummte Alles und 100 Jahre später herrschte tiefes Schweigen. Erst Ende des vorigen Jahrhunderts, als die Engländer den Sklavenhandel abzuschaffen begannen, trat eine Wendung der Dinge ein. Mungo Park, der Entdecker des oberen Niger, eröffnete eine Reihe der wichtigsten Afrikanischen Entdeckungsreisen, welche, zuerst mit Englischen Kräften ausgeführt und von der 1789 gestifteten „,African Association", der Vorläuferin der späteren Geographischen Gesellschaften, dann auch von Deutschen und Franzosen fortgesetzt, sich allmählich von Nord, Süd und Ost dem mysteriösen Inneren so weit genähert haben, dass nur noch ein bestimmt umgrenzter, äquatorialer, an die Westküste sich anlehnender Raum die schliessliche Enthüllung herausfordert.

,,Mit den grossen wissenschaftlichen Ergebnissen der Entdeckungsreisen der letzten Jahre, seit der Auffindung bis dahin völlig unbekannter Länderstrecken Inner-Afrika's mit ihrem bunten Völkergemisch und ausgebreiteten Stromsystemen, ist uns gleichsam eine neue Welt erschlossen worden. Schweinfurth entdeckte im April 1870 unter 31° N. Br. in dem Gebiete der Monbuttu eine ganz andere geographische Provinz, welche nicht mehr dem Nil-System, nicht mehr der Ostküste, sondern entschieden der Westküste Afrika's angehört. Ein Gleiches geschah, als Livingstone das Land der Manjuema betrat. Seine epochemachende

« ForrigeFortsæt »