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winnt die Poesie ihre Freiheit wieder. „Mag auch die andre Welt das Abbild der Wissenschaft sein, zuerst und vor Allem ist sie doch die andre Welt, und Virgil ist Virgil, und Beatrice ist Beatrice, und Dante ist Dante, und, wenn wir uns über etwas zu beklagen haben, so ist es gerade da, wo sich die zweite (allegorische) Bedeutung hineindrängt und das Bild verdirbt und die Illusion zerstört."

Das ist eben der grosse Irrthum der meisten bisherigen Beurtheiler Dante's gewesen, dass sie seinen eigenen Worten und Absichten zu sehr trauten und wirklich in dem allegorischwissenschaftlichen Bestandtheil den Werth der Komödie suchten, während aus ihm gerade ihre grossen Fehler herrühren. Daher die ungeheure Menge der Commentare, von denen jeder neue Erklärungen bringt, ohne unser wahres Verständniss einen Schritt vorwärts zu führen; daher das Urtheil eines Voltaire, eines Lamartine, die endlich an Dante selbst verzweifelten, weil sie ihn suchten, wo er nicht war, und so natürlich nicht fanden. Jener abstrakte Gehalt ist lange todt; man löse ihn aus dem Zusammenhange mit dem, was in der Komödie wahrhaft poetisch ist, und Niemand brauchte sich mehr darum zu kümmern.

Dante's Komödie ist das poetisch realisirte Mittelalter, und sein abstrakter, spiritueller, mystischer Stoff lässt es zu keiner harmonischen, rein poetischen Schöpfung kommen. „Es ist kein griechischer Tempel; es ist eine gothische Kirche, voll von grossen Schatten, wo entgegengesetzte Elemente mit einander streiten. Bald ist er roh, bald zart; bald feierlich, bald populär. Bald verliert er das Wirkliche aus dem Auge und giebt sich Subtilitäten hin; bald ergreift er es mit Rapidität und drückt es mit Einfachheit aus. Bald ist er roher Chronist, bald vollendeter Maler. Bald verliert er sich in Abstraktionen, bald lässt er mitten aus ihnen das Leben spriessen. Hier verfällt er in Kindereien, dort steigt er zu übermenschlicher Höhe empor. Während er einen Syllogismus verfolgt, erglänzt das Licht der Imagination, und, während er theologisirt, sprüht die Flamme des Gefühls. Bisweilen finden wir uns vor einer kalten Allegorie, und plötzlich fühlen wir drinnen das lebendige Fleisch erzittern." Es ist im Kleinen die ganze damalige Existenz, die

kämpfenden Elemente einer noch in der Gährung begriffenen Gesellschaft (ib. p. 176).

Die andre Welt, Dante's Stoff, ist eine unbewegliche Welt; das Getriebe des Lebens mit allen seinen mannichfaltigen Beziehungen ist erstorben; es giebt keine Zeit und keine Succession der Begebenheiten mehr; die Persönlichkeit und das Individuum verschwinden; das Drama des Lebens ist zu Ende. Es bleibt nur Raum für die Vision, die einfache Beschreibung gleich einer Naturgeschichte. „Aber wenn Dante in das Reich der Todten eintritt, bringt er dorthin alle Leidenschaften der Lebendigen und zieht die ganze Erde nach sich. Er vergisst, dass er nur ein Symbol oder eine allegorische Figur ist, und wird Dante, die machtvollste Individualität jener Zeit, in welcher die ganze Existenz zusammengedrängt ist, wie sie damals war, mit ihren Abstraktionen, ihren Ekstasen, ihren stürmischen Leidenschaften, ihrer Cultur und ihrer Barbarei. Bei dem Anblick und den Worten eines Lebendigen werden die Seelen für einen Augenblick wiedergeboren, fühlen wieder das alte Leben; in der Ewigkeit erscheint wieder die Zeit; im Schoosse der Zukunft leb und regt sich das Italien, ja das Europa jenes Jahrhunderts. So umfasst die Poesie das ganze Leben, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit, Menschliches und Göttliches, und das übernatürliche Gedicht wird menschlich und irdisch, mit dem eigenthümlichen Stempel des Menschen und der Zeit" (ib. p. 179).

Die Grundidee der Dichtung ist die Rettung der Seele, der fortschreitende Sieg des Geistes, seine fortschreitende Entkörperung bis zu Gott, dem absoluten Geiste. Die Hölle ist der Sitz der Materie und der Sünde; das Irdische ist in ihr gegenwärtig, die Charaktere und Leidenschaften dauern fort; die Sünde wird unbeweglich in den der Reue unfähigen Seelen. Im Purgatorium beginnt das Licht des Geistes wieder zu leuchten, und das Irdische besteht nur noch als schmerzliche Erinnerung, die der sich reinigende Geist zu verscheuchen strebt. Im Paradiese verschwindet die menschliche Person; die Formen lösen sich immer mehr, bis sie im Anblick Gottes ganz zerfliessen, und nur das Gefühl zurückbleibt. Man steigt zu immer grösserer Vollkommenheit empor; aber das ist christliche, moralische Vollkommenheit, nicht poetische. Die Hölle allein hat

volles, körperliches Leben, das sich in den anderen beiden Reichen mehr und mehr verflüchtigt. Das irdische oder höllische Leben ist aus der frischen Realität geschöpft, inmitten derer der Dichter sich befand. Es ist die Darstellung der Barbarei in der blühenden Fülle der Leidenschaft, dem Ueberströmen des Lebens, und Dante selbst ist ein Barbar, ein heroischer Barbar, hochmüthig, rachsüchtig, voller Leidenschaft, eine freie und energische Natur" (p. 187). Wo sollte er dagegen für die beiden andern Reiche ein Muster hernehmen? So ist denn auch die Hölle der populärste Theil der Komödie. Die moralische Klassifikation hat keinen poetischen Werth. Die Poesie betrachtet das Individuum nicht als moralisches Wesen, sondern als lebendige, wirkende Kraft. Je mehr in ihm Leben ist, um so poetischer ist es. Und aus den Klassen von Gepeinigten, aus den Gruppen der Sünder lösen sich die grossartigsten Individuen Dante's los. „Im Reiche der Todten fühlt man zum ersten Male das Leben der modernen Welt" (p. 213). Die Hölle ist der vollkommen als Individuum realisirte Mensch, in der Fülle und Freiheit seiner Kräfte. Bis dahin waren die Gestalten abstrakt, oft ohne Namen; es waren Generalitäten und Typen, das Weib, der Heilige im Allgemeinen. Dante findet mitten in den Formeln und Allegorien seiner Zeit „den wahren Menschen, wie er ist, mit seiner Grösse und seinem Elend, und nicht beschrieben, sondern handelnd dargestellt, und nicht bloss in seinen Handlungen, sondern in seinen innersten Motiven. So erschienen über dem poetischen Horizonte Francesca, Farinata, Cavalcanti, die Fortuna, Pier delle Vigne, Brunetto, Capaneo, Ulisse, Vanni Fucci, der schwarze Cherubin, Niccolò III und Ugolino. Und inmitten ragt Dante selbst hervor, der höllischste und lebendigste von Allen, mitleidsvoll und hochmüthig, liebenswürdig, grausam, sarkastisch, rachsüchtig, wild, mit seinem hohen moralischen Gefühl, mit seiner Verachtung des Niedrigen und Gemeinen, hoch über dem Pöbel, so erfinderisch in seiner Rache, so beredt in seinen Schmähungen" (p. 214). Dieses ist der wahre Charakter Dante's, hochpoetisch gerade in seiner Mischung, und diejenigen verstanden sich schlecht auf die Kunst, welche ihn zum Ideale moralischer Vollkommenheit machen wollten. Der Saggio über Dante's Charakter

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und seine Utopie zeichnet uns noch mehr im Einzelnen diese grossartige, so überaus interessante Figur des Dichters, und die vier Arbeiten über Pier delle Vigne, Francesca, Farinata und Ugolino führen uns in die innersten Geheimnisse seiner Kunst bei Darstellung jener gewaltigen Individuen ein. Diese grossen Figuren“, fährt De Sanctis fort, „starr und episch, wie Statuen auf ihren Piedestaler, erwarten den Künstler, der sie an die Hand nimmt, sie in den Tumult des Lebens wirft und zu dramatischen Wesen macht. Und dieser Künstler war kein Italiener; es war Shakespeare."

Im Purgatorium ist die Realität nicht mehr gegenwärtig, sondern nur in der Imagination, in der Erinnerung; sie drückt sich in Malereien, Reliefs und endlich in Visionen aus. Es herrscht die philosophische Ruhe, die das Leben in seiner Eitelkeit und seinem Nichts enthüllt, und sie verengt den Cirkel der Persönlichkeit und der irdischen Realität. Die Individuen erscheinen, und, kaum hingezeichnet, verschwinden sie wieder; sie haben die Schönheit, aber auch die Unbeweglichkeit und Monotonie der Ruhe. Und die Reinigung der Seele, ihre Reue und Umkehr vom Wege der Leidenschaft und Sünde ist nur äusserlich und symbolisch dargestellt. Eine innere, persönliche, dramatische Geschichte der Seele wie im Faust war unmöglich in den noch epischen, symbolischen, mystisch - scholastischen Zeiten. Erst die Erscheinung Beatrice's löst die Starrheit der Symbole; das Gefühl, die Poesie Dante's beginnen wieder frei zu sprudeln. Dieses Weib ist seine Beatrice. Wir fühlen uns vor einer menschlichen Seele; das liturgische Mysterium wandelt sich in ein modernes Drama, in welchem die intimsten, flüchtigsten Regungen des Inneren hervorbrechen.

Im Paradiese löst sich die Form vollständig auf. Sie wird lyrisch und musikalisch, unmittelbare Erscheinung des Geistes. Aber auch bis hieher dringt die irdische Realität, und sie ist es, welche Dante's Paradies liebenswerth macht. Zuerst ist es das lebendige Naturgefühl, mit welchem der Dichter entzückende Bilder des Zartesten und Flüchtigsten auf Erden zur Veranschaulichung seiner übernatürlichen Erscheinungen sucht. Die Gleichnisse sind die wahren Perlen des Paradieses, das Bild weit poetischer als das Verglichene (p. 243). Und ferner dringt das

Irdische ein als Gegensatz gegen diese Welt der Liebe und des Friedens. Es ist die Welt des Hasses und des eitlen Wissens und ruft den Zorn und die Sarkasmen der Himmlischen hervor. Und das Laster wird nicht etwa in allgemeiner deklamatorischer Form, sondern in der Fülle der Einzelheiten, mit genauer Wiedergabe des Colorites gezeichnet, welche sogar rohe und unsaubere Ausdrücke nicht verschmäht. Dennoch bleibt in dem Paradiese viele Schlacke, gerade das, was Dante selbst für das Höchste und Poetischste hielt, der Scholastizismus, die Definitionen, die Argumentationen, der ganze wissenschaftliche Pomp. Das Paradies wird wenig gelesen, besonders wegen seiner Monotonie, die es fast zu einer Kette von Fragen und Antworten zwischen Lehrer und Schüler macht (p. 253).

Dante's Dichtung ist der Spiegel des ganzen Menschen in seiner Aufrichtigkeit und Wahrheit, das Echo seiner Schmerzen, seiner Hoffnungen, seiner Verwünschungen. „Geboren nach dem Bilde der Welt, die ihn umgab, symbolisch, mystisch und scholastisch, verwandelt sich diese Welt und färbt sich und bekleidet sich mit Fleisch von seinem Fleische und wird sein Sohn, sein eigenes Abbild." - Dort lebt noch verhüllt und verstrickt und geheimnissvoll jene Welt, die analysirt, vermenschlicht und realisirt heut' moderne Literatur heisst" (p. 260 f.).

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Ich habe hier ein Kapitel von De Sanctis' Literaturgeschichte vorweggenommen; mir bleibt übrig von ihr im Ganzen zu sprechen.

In dem Saggio über Settembrini hatte De Sanctis die Zeit für eine Geschichte der italienischen Literatur noch nicht für gekommen erklärt. Sie sei die Synthesis, die Krone der Arbeit einer ganzen Generation, und es bedürfe mannichfaltiger vorgängiger Studien, besonders der Monographien über einzelne Epochen der Schriftsteller, die ihren Gegenstand erschöpfend behandeln. In Italien fasse man gar zu leicht grosse Pläne, für welche dann die Kräfte nicht ausreichen. Echt wissenschaftlich könne eine so umfassende Arbeit heut' nicht gemacht werden.

Indessen versetzte ihn selber ein eigenthümlicher Zufall in die Nothwendigkeit, eine Geschichte der italienischen Literatur zu schreiben und so gewissermassen in Widerspruch mit sich

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