Billeder på siden
PDF
ePub

wie sein Gedanke selber. Kaum bemerkt es der Zuhörer, wie viel er in jedem Augenblicke lernt und erkennt, und nicht bloss Intelligenz und Phantasie werden erregt, auch das Herz wird erwärmt. Daher bilden diese Vorlesungen den Vereinigungspunkt für Studenten aller Fächer, und so wollte sie der Lehrer selbst verstanden wissen. Die Literatur bildet nach seiner Auffassung die wahre Ergänzung des Fachstudiums; sie ist „der reine Cultus der Wissenschaft, der Enthusiasmus der Kunst, die Liebe zu dem, was edel, fein und schön ist". Sie ist es, die uns das wahrhaft Menschliche giebt, und dient nicht bloss zu äusserlichem Schmuck; sie geht in das Leben selbst ein, wird zum Sinn des Schönen und Edlen, der uns alles Niedere und Gemeine fliehen lässt (s. A' miei Giovani in den S. cr.).

Das Wissen soll kein müssiges Gut sein, welches nur im Intellekte verweilt, ohne thätig zu werden. Daher muss mit dem Verstande auch das Herz gebildet werden, oder vielmehr die Bildung des Herzens muss der des Verstandes voraufgehen. In der kleinen Schrift über die Schularbeiten" (S. cr. p. 159 ff.) tadelt er die falsche Art, den Kindern den Kopf mit gelehrten Notizen und moralischen Abstraktionen vollzustopfen, anstatt sie im Contakte mit der frischen Fülle des Lebens zu erhalten. Es genügt nicht, sagt er, das Volk zu unterrichten, man muss es erziehen. Der Dieb stiehlt nicht, weil er nicht weiss, dass es unerlaubt ist, sondern weil sein Herz verdorben ist. Man beginne, anstatt so vieler abstrakten Weisheit, mit der Erziehung des Herzens. Und dazu eben dient die Literatur; sie lehrt nicht bloss correkt schreiben; sie bildet die Seele. So giebt er selbst in Turin seiner jungen Schülerin die Promessi Sposi in die Hand und als Lehrer im Militärcolleg der Nunziatella liest er in den Mussestunden seinen jüngeren Eleven die ergreifendsten Stellen des Ariosto, den Saul Alfieri's, den Manzoni vor.

„Die Liebe ist das erste Geheimniss des guten Unterrichts", so sagte De Sanctis bei Gelegenheit seines Lehrers Puoti, und diesen Ausspruch kann man auf ihn selbst anwenden; was ihm die Wärme, Kraft und Eindringlichkeit giebt, ist die heilige Liebe zur Sache und die innige Liebe zu seinen jungen Schülern. „Die Enttäuschungen", so schreibt er einstmals (S. cr.

p. 341 f.), „haben mir nicht den Glauben vermindert, und die Zeit konnte wohl meine Haare berühren, aber nicht mein Herz. Wenn eine hohe Wahrheit mir entgegentritt, so leuchtet sie vor meinem Blicke wie ein Stern; wenn ich eine schöne Dichtung lese, fühle ich in mir etwas von dem, was des Dichters Seele in der Wärme der Inspiration bewegte. Auch heut' kann ich den Katheder nicht betreten oder verlassen, ohne dass mir das Herz klopft und die Glieder zittern, und bisweilen fühle ich in Gegenwart meiner zwanzigjährigen Zuhörer meine eigene Jugend." Und wie rührend ist die Klage aus dem Kerker (1850, S. cr. p. 9): „Nicht ohne Thränen kann ich an euch denken; der Verkehr mit der Jugend ist mein Universum, das Licht meiner Seele gewesen. Wie sehr habe ich sie geliebt! Wie schön erschien mir das Leben in ihrer Mitte! Wie viele Träume, wie viele Hoffnungen! Wir waren so zufrieden, sere Tage flossen dahin in einer himmlischen Harmonie!"

un

Die Schule für literarisches Studium, welche De Sanctis in jüngeren Jahren begründet, welche die Reaktion nach 1848 umgeworfen, und die er in gewissem Sinne dann in Zürich fortgesetzt, ist nun mit seinen übrigen Vorlesungen auch wieder auferstanden. Die Schullektionen wechseln mit den eigentlichen literarhistorischen Vorträgen des Lehrers ab. Hier ist es, wo De Sanctis mit seinen Schülern in noch unmittelbarere, herzlichere Berührung tritt und sich die Liebe Aller erobert. Diese Schule ist, wie die ehemalige des Puoti, ein freies Studium, an welchem Jeder nach Belieben Theil nehmen kann, entweder thätig oder bloss als Zuhörer, und, da die Universität Neapel bis jetzt durch keine vorgängigen Examina abgesperrt, und der Unterricht durchaus unentgeltlich ist, so finden sich hier Jünglinge des verschiedensten Alters und der verschiedensten Bildungsstufen zusammen. Die Anfertigung kleinerer und grösserer, literarischer und wissenschaftlicher Arbeiten bildet die Beschäftigung der Schüler; das Thema ist meist frei gewählt, und gewöhnlich sind es Poesieen, Dialoge, Erzählungen, Briefe, seltener wissenschaftliche Diskurse. Am Ende jeder Woche werden die Arbeiten abgeliefert. Der Lehrer durchliest sie mit erstaunlicher Sorgfalt und bespricht die unbedeutenderen in der Kürze. Die Produktionen von allgemeinerem Interesse lässt er vorlesen

[ocr errors]
[ocr errors]

und von den Schülern diskutiren, worauf er selbst ein zusammenfassendes und abschliessendes Urtheil giebt, aber meist nachdem schon von jenen das Richtige gefunden worden. Die Absicht ist überall, den freien Trieb zur Arbeit zu wecken, diese zu etwas innerlich Lebendigem werden zu lassen. De Sanctis hatte den segensreichen Einfluss solcher Thätigkeit in seiner eigenen Jugend kennen gelernt. Ich bin überzeugt", sagt er (S. cr. p. 500) in Bezug auf die Schule Puoti's, dass nichts so sehr dazu beiträgt, die literarischen Studien zu heben und den Geist zu erziehen, wie dieses eifrige Arbeiten des Jünglings, dieses Lesen, Uebersetzen, Schreiben, Anmerken, das nützlicher ist als Grammatiken, Rhetoriken, Styllehren aus wendig zu lernen." Es gilt, in dem Schüler die Selbstthätigkeit anzuregen, ihn glauben zu machen, dass er selbst findet, was er lernt; nur so wird dieses ein bleibendes Gut, ein organisches Eigenthum. De Sanctis geht in dieser Beziehung so weit, dass er aus seinen Schülern wirklich seine Mitarbeiter machen will, oder vielmehr er glaubt schon jetzt, ihnen nicht zu viel zuzumuthen, wenn er für seine künftigen Vorlesungen über Guerrazzi, Giusti und Leopardi ihre Unterstützung in der Vorbereitung des Materials und der kritischen Untersuchung selbst in Anspruch nimmt.*

Die Absicht von De Sanctis' Schule ist im Allgemeinen dieselbe, wie die von Puoti's gewesen war. Aber sofort fällt es in die Augen, in wie weit höherem Sinne die Mittel zu ihrer Verwirklichung gefasst sind. Es hängt dies mit dem gänzlich veränderten Begriffe von Literatur und Kritik zusammen. Der Purismus war nichts weiter als eine Erneuerung der sogenannten literarischen Form des 16. Jahrhunderts und nothwendig und segensreich im Anfang, um die in Bezug auf geistige Bildung gänzlich heruntergekommenen südlichen Provinzen wenig stens in das allgemeine italienische Leben zurückzuführen; als sie aber über ihre Zeit fortdauerte, wurde diese Richtung ebenso schädlich als lächerlich, weil sie ganz an äusserlichen Formen klebte. Für Puoti hatte nur die Sprache Bedeutung;

[ocr errors]

um den

*Am 29. Mai 1874 schloss er seine Vorlesungen, indem er zunächst fünf verschiedenartige Monographien über Guerrazzi als Aufgabe stellte. ** Wie De Sanctis im Saggio „der Letzte der Puristen vorzüglich die

Inhalt kümmerte er sich wenig. Die Lektüre ausländischer Schriftsteller und sogar die der modernen italienischen war verpönt. Bei De Sanctis sahen wir gerade das Gegentheil, eine eifrige Beschäftigung mit den Modernen, das Streben, sich die ganze europäische Cultur anzueignen. In Puoti's Schule hatte ein Jeder sein Heft, in das er die schönsten bei den verschiedenen Schriftstellern gefundenen Worte und Phrasen eintrug, und mit diesem Flitterputz schmückte er dann seine eigenen Arbeiten aus; man sollte mit den Vokabeln der Trecentisten und den Wendungen der Cinquecentisten schreiben, eine Manier die zu grossem Schaden des guten Geschmacks in manchen Schulen Italiens noch fortbesteht?*

De Sanctis' kritische Grundsätze haben wir genugsam aus seinen Schriften kennen gelernt. Seine Ansichten über Sprache und Styl stimmen im Ganzen mit denen Manzoni's überein.** Die Form, die Sprache, der Styl ist ihm nicht eine Sache, die man sich nach Belieben aneignet, die man sich willkürlich zusammenliest. Wenn wir die Schriftsteller studiren, sagt er, so dürfen ihre Ausdrücke nicht gesondert in unserem Style verharren; man muss nicht sagen können: hier ist Boccaccio, hier Manzini, hier Guerrazzi; es gilt, uns wirklich anzucignen, was wir gelernt, das Verschiedenartige zusammenzuschmelzen, ihm den Stempel unserer eigenen Individualität aufzudrücken. Er warnt vor jener literarischen Form, der Nachahmung der Cinquecentisten und Trecentisten; wir leben im 19. Jahrhundert; unser Gedanke ist der des 19. Jahrhunderts und muss sich seine eigenthümliche Form schaffen. Statt prunkender Rhetorik verlangt er Einfachheit, Klarheit und Prägnanz, eine Sprache, die den Gedanken unmittelbar wiedergiebt, ohne ihn in gezierten Wendungen zu umkreisen. Seine eigenen Schriften und Vorträge sind hier stets das beste Vorbild. In der Diskussion

wohlthätigen Einflüsse von Puoti's System hervorhob, so stellte Pasquale Villari in der Vorrede zu den Memorie e Scritti di Luigi La Vista (Firenze, Le Monnier 1863) deren üble Folgen dar.

Wir haben jetzt", sagt De Sanctis einmal in seinen Vorlesungen, „eine Art Neopurismus, der in den Schülern vielen Schaden thut. Einer von diesen Neopuristen ist Fanfani, der das ganze Werk Manzoni's verdirbt."

** Eine vortreffliche Ergänzung zu Manzoni's und De Sanctis' Schriften bildet in dieser Beziehung das Buch von Bonghi: Perchè la letteratura italiana non sia popolare in Italia. 3a ed. Milano e Padova 1873.

fordert er, dass seine Schüler sich nicht an Einzelheiten und Aeusserlichkeiten heften, sondern sofort das Wesen, den Kern der besprochenen Produktion zu ergründen suchen, sie in ihrer vollen Eigenthümlichkeit auffassen, wie sie sich im Geiste des Verfassers gestaltete. Die Kritik geht stets von innen nach aussen, von dem Ganzen des künstlerischen Organismus, der Seele, die ihn durchweht und belebt, auf die äussere Gestaltung, in der sie sich manifestirt. So springen aus dem besonderen Fall beständig die allgemeinen Fragen hervor, und die Prinzipien der Methode werden ins Licht gestellt, so dass der Schüler an der Hand der Praxis immer weiter in der theoretischen Erkenntniss vordringt. Es ist die vortrefflichste Erziehung des ästhetischen Urtheils.

Von De Sanctis' politischer Thätigkeit, deren moralischen Hintergrund wir in seinen Schriften betrachtet, eingehender zu handeln, dürfte mir schwerlich zustehen; ich wollte von dem Schriftsteller und Lehrer sprechen. Sollte es mir gelungen sein, für die Wirksamkeit dieses Mannes bei meinen Landsleuten eine grössere Aufmerksamkeit zu erregen, so ist der Zweck dieser Zeilen erreicht. Ein Geist wie De Sanctis muss uns Deutsche ganz besonders anziehen, weil wir in ihm, trotz seiner echt italienischen Gesinnung und Begabung, so viel unserem Wesen Verwandtes finden. Es bleibt mein Wunsch, seine Werke bald in unsere Sprache übertragen zu sehen. De Sanctis wendet seinen Blick nach Deutschland, möchte sein Volk durch das Vorbild deutscher Kraft und deutschen Ernstes stärken und erfrischen; uns im Gegentheil wird es nicht unnütz sein, wenn wir unsere Blicke häufig nach Süden schweifen lassen; wir können von den Italienern noch immer so unendlich viel lernen, und was wären wir ohne unsere vom Süden gekommene klassische Jugendbildung? Vielleicht ist es doch möglich, im innigen Verkehr der Nationen dereinst die Vorzüge der germanischen und die der romanischen Race in schöner Harmonie zu verschmelzen.

« ForrigeFortsæt »