Leibnitz, Descartes etc. Bei Voltaire dagegen zeigen sich ausser den englischen Einflüssen auch diejenigen des classischen Alterthums, sowohl in seinen Werken, als auch (im reiferen Alter) in seinem humanitären Wesen, das auf heidnischen, antiken Grundlagen ruhte. Die Wirkungen der altclassischen Literatur ziehen sich auch noch durch die spätere Literatur der Epigonen und Classiker der Décadence von Gilbert, dem frühverstorbenen „französischen Juvenal", bis zu den Dichtern des Kaiserreichs, den beiden Arnault, und bis zu den Romantikern, von denen Courier die Naivetät Herodots mit der Beredsamkeit eines Demosthenes vereinigte. Lemercier erntet mit seinem Agamemnon einen bedeutenden seit Voltaire nicht erlebten Beifall. Delille wird der ,,französische Virgil", und Chénier schöpft direct aus den besten alten Mustern, namentlich der Griechen. Die Romantiker griffen, den Anregungen Rousseau's, Châteaubriands und der Staël folgend, durcheinander nach der Bibel, nach den Engländern und den Deutschen, aber auch nach Homer und den Alten, Lamartine mischt la mort de Socrate mit einer christlichen Stimmung, Béranger erscheint im anakreontischen Styl, und Nodier trägt die sonderbare Erzählung Smarra ou les Démons de la nuit aus Uebersetzungen von Homer, Theokrit, Virgil, Catull, Statius, Lucian etc. zusammen. Als der Rausch der Romantik verflogen, war mit der Wiedererweckung der classischen Tragödie des 17. Jahrhunderts auch die Rückkehr in das Alterthum verbunden, doch hat Ponsard in seinem Ulysse mit weniger Glück als Racine, Voltaire, Crébillon die antike Bahn betreten. Mehr oder minder glückliche Versuche, aus dem Born des classischen Alterthums zu schöpfen, finden sich noch bei Legouvé, Delavigne, selbst bei Dumas (Orestie) und bei Barbier in seiner juvenalischen Muse. Ein nicht zu unterschätzendes Verdienst um die dramatischen Werke des grossen Zeitalters" hat das Théâtre français, das erste Theater von Frankreich, mit seinem Glorienschein von zwei Jahrhunderten literarischen Ruhmes, welches neben den Novitäten bis diesen Tag die classischen Stücke nicht vergisst. Eine ganz besondere Gattung von Schriften besitzt Frankreich in der Bearbeitung antiker Autoren in einer dem Geschmack und dem Verständniss des gebildeten Publicums angemessenen Form, z. B. Boissier: Cicero und seine Freunde, Patin: Studien über die griechischen Tragiker, Vidal: Juvenal und seine Satiren; im letzteren Werke werden die Satiren des Juvenal nicht bloss in literarischer, sondern auch in moralischer und socialer Beziehung zergliedert und betrachtet. In Deutschland fehlt es zwar nicht an Uebersetzungen und Bearbeitungen der Alten, aber schon Goethe meinte, dass diese Bücher eigentlich nur zur Unterhaltung der Gelehrten untereinander dienen und dem grossen Publicum keinen Geschmack an antiken Schriften beibringen können. Doch haben bereits Wieland, Lessing, Voss u. a. verstanden, den antiken Geist in moderner Sprache zu reproduciren. - Das Streben, den Alten nachzueifern, geht durch die ganze französische Literatur, und hat trotz des Gegensatzes der modernen Geistesrichtung gegen die antike Grösse bis in die neueste Zeit fortgedauert. Man sollte meinen, dass neben der Vorliebe für das classische Alterthum eine so mystische und transcendentale Religion wie der Katholicismus wenig Pflege gefunden hätte. Und dennoch zeigt sich auf jeder Seite der französischen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart der Einfluss des Christenthums, und zwar nicht bloss im äusseren Lippenbekenntniss kirchlicher Symbolgläubigkeit oder im finstern Geiste der Frömmelei, sondern auch in wahrhaft sittlicher Denk- und Handlungsweise. Die älteste Literatur Frankreichs war bis tief in das Mittelalter hinein kirchlich-religiöser Art. Noch im 11. und 12. Jahrhundert bilden Heiligenlegenden und Kirchengesänge die einzigen literarischen Schätze, und auch die epische Poesie des Ritterthums war aus der mittelalterlichen Kirchenpoesie hervorgegangen; selbst die Volkssage wurde mit legendenartigen Elementen verbunden. Die christliche Lebensanschauung hatte das ganze Mittelalter hindurch geherrscht, und es kommen noch bis in das 16. und 17. Jahrhundert Erscheinungen vor, welche den Anschauungsinhalt des Mittelalters bewahren (z. B. Pascal). Es war nicht zufällig, dass der Classicismus bald nach dem Zeitalter der Reformation begann. Auch in Frankreich hatte das Reformationszeitalter viele aufgeklärte lebensfrische Geister hervorgebracht; da aber dort der Katholicismus siegte, so wurde Archiv f. n. Sprachen. LIV. 10 der unterdrückte protestantische Geist nothwendig in andere Bahnen gelenkt: in die französische Gesellschaft kam der Zweifel, in der Literatur erschienen die Voltaire, Holbach, Helvetius etc., bis endlich durch die grosse Revolution alle Vorurtheile und Privilegien bekämpft und abgeschafft wurden. Hätte der Protestantismus gesiegt, der kein Feind ernster wissenschaftlicher Forschung ist, so wäre der französische Volksgeist durch die Eigenschaften der Ruhe, des inneren Gehaltes, der Selbständigkeit Eigenschaften, welche der Protestantismus verleiht vielleicht ein anderer geworden, und ohne den scharfen Gegensatz zwischen den Lehren des Katholicismus und den philosophischen Ideen wäre die geistige Strömung nicht in jene Wildheit ausgeartet, welche schliesslich statt der Reformation die Revolution brachte. Auch in Frankreich war (wie durch Luther in Deutschland) die Reformation von grosser Wichtigkeit für die Sprache und Literatur. Calvin, der den philosophischen Styl in Frankreich geschaffen, hat durch seine Institution de la religion chrétienne, ein Werk von wissenschaftlichem Geist und wissenschaftlicher Sprache, eine unvergängliche Stelle in der französischen Nationalliteratur. Die beiden Hugenotten Dubartas (la Semaine, 1579) und d'Aubigné gehören zu den bedeutendsten Schülern Ronsards. Es wäre ferner nicht uninteressant, die Leistungen der Jansenisten mit denen der Jesuiten zu vergleichen. Bei den Schülern von Port-Royal findet sich neben grossen Talenten und ausgebreiteter Gelehrsamkeit aufrichtige Frömmigkeit. Racine's Athalie zeichnet sich durch Würde, Kraft, Innigkeit und echt biblisches Colorit aus. Sein Sohn Louis Racine ist durch geschätzte religiöse Dichtungen bekannt. Dem Kreise gehörte auch Larochefoucauld an, der freilich bald eine misanthropische Weltanschauung zeigte. Nicole, der mit Arnault die bekannte Logique de Port-Royal herausgab, ist auch Verfasser der Essais de morale. Schon Descartes' Schüler Malebranche vereinigte aufrichtige Frömmigkeit mit brennender Wahrheitsliebe. Bekannt ist sein mystischer Idealismus und seine Vision en Dieu. Mit dem Satze: „Dieu est le lien des esprits comme l'espace est le lien des corps," bildet er bereits den Uebergang zu Spinoza. Erwähnenswerth ist sein Traité de morale. Der bedeutendste Freund Port-Royals, Pascal, in dessen Schriften ein hoher Geist weht, war ein streng christlicher Moralist, und Fénelon will durch die Kraft des Evangeliums religiöse Begeisterung erwecken. In der Poesie neigte schon Corneille zum religiösen Mysticismus hin, im Polyeuct verherrlichte er das christliche Martyrthum unter der Römerherrschaft, und seine gereimte Uebersetzung der Nachfolge Christi hatte anfangs einen bedeutenden Erfolg. Aber selbst Voltaire war dem Christenthum nicht so fremd, als gewöhnlich, jedoch mit Unrecht, angenommen wird. Seine häufigen Angriffe gegen die Religion richten sich mehr gegen deren Missbräuche, er ist kein Gottesläugner, denn er ruft: Si Dieu n'existait pas, il faudrait l'inventer! und in seinen gemüthergreifenden christlichen Stücken Alzire, Zaïre sind manche rührend- und erhaben-schöne Stellen. So sagt Gusmann in Alzire zu seinem Mörder: Des dieux que nous servons connais la différence: Durch den Mahomet wollte er Abscheu vor dem Fanatismus einflössen. In der Henriade heisst es über die Dreieinigkeit: La puissance, l'amour avec l'intelligence Diderot und seine Anhänger betrachteten Voltaire insofern nicht als den Ihrigen, als er ihnen in der materialistischen Gottesläugnung der Encyklopädisten nicht weit genug ging. Und dennoch hingen diese, zwar nicht in der Theorie, aber in ihrer Lebenspraxis und in den social - politischen Reformen, welche sie vorschlugen, einer strengen und oft sehr ideologischen Tugendlehre an, die mit der ethischen Corruption des Zeitalters in einem wohlthuenden Gegensatz steht. Als Lyriker glänzt Lamartine, der allerdings schon der neuen Zeit angehört; seine Méditations poétiques haben auch in Deutschland vielen Beifall gefunden. In seinen theosophisch gefärbten Oden und elegischen Liedern schweift er mit lyrischem Schwung in den idealen Regionen der modernen Sentimentalität, er hat etwas von der edlen Reinheit und metaphysischen Erhabenheit Schillers. Wie schön ist der Anfang von: les étoiles. Hélas! combien de fois seul veillant sur ces cimes Lamartine war von J. J. Rousseau und Châteaubriand begeistert worden. Die ethischen Anschauungen des ersteren sind bekannt: Rousseau gehört der Welt-Literatur an, und sein Emile ist ein welthistorisches Buch genannt worden. Châteaubriands ,,Le génie du Christianisme ou les Beautés de la religion chrétienne" und Les martyrs ou le Triomphe de la religion chrẻtienne kamen zur günstigen Zeit religiösen Bedürfnisses; weniger anziehend wirkte dagegen seine sentimentale Naturschwärmerei in Les Natchez, wo er in Rousseau's Manier die Sache der Natur gegen die Civilisation vertheidigen wollte. Die wahre und unerschöpfliche Quelle aller Poesie, die Natur, hat eine bedeutende Anzahl von Schriftstellern begeistert, von denen namentlich Bernardin de St. Pierre beachtet werden muss, der durch seine Études de la nature und Paul et Virginie das menschliche Gemüth tief ergriff, Gott und die Natur in der Literatur zu Ehren brachte, und überhaupt von sittlich-religiösem Einfluss war. Obgleich von seinen Zeitgenossen, z. B. Lamartine, sehr beachtet, bildete er doch keine literarische Schule wie Châteaubriand. Auch L. Racine hatte im Poème de la Religion die wunderbare Grösse der Naturwerke besungen, welche dem Menschen einen Gott verkünden. Von den andern Naturdichtern sind Saint-Lambert, besonders aber Delille zu erwähnen |