geschrieben worden. Hier sei mir nur erlaubt auf einige Auffälligkeiten im Ungarischen aufmerksam zu machen. Die neuhochdeutsche Sprache setzt das besitzanzeigende Fürwort vor das Hauptwort; das älteste Gebet der Christenheit aber beweist dass dies früher nicht der Fall gewesen; denn wir beten das Vaterunser und nicht das Unser Vater. Dies ist aber ganz und gar die ungarische Satzverbindung, denn der Magyare betet auch sein Mi-atyá-nk. Aber noch mehr: Zwischen dem deutschen Vater und dem ungarischen atya besteht eine Wurzelverwandtschaft, welche gewiss nicht mit Unrecht auf eine Verwandtschaft der Wurzeln beider Sprachen schliessen lässt. Denn wenn das Vater unser nach der Aufzeichnung des Mönches Notker von St. Gallen ums Jahr 1000 noch begann: Vater unser, du in Himile bist; Din Namo werde geheiligot so lautet derselbe, rückwärts gehend nach der Evangelien - Harmonie Ottfrieds anno 870: Fater unser thu in Himilon bist; Wichi si Namo thiner und endlich in der ältesten Urkunde, im gothischen Vaterunser nach Ulfilas anno 500: Atta unsar, thu in Himinam, weichnai namo thein. Der stammverwandtschaftliche Klang des ungarischen atya und des gothischen atta, aus welchem das neuhochdeutsche Vater entstanden,* dürfte kaum zu verkennen sein. Ebenso ist die Wortverbindung des Namo thein statt Dein Name ganz ähnlich der ungarischen Wortverbindung. Rechnen wir hierzu die Aehnlichkeit einzelner Worte, welche durch alle Sprachen der Welt eine unverkennbare Verwandtschaft haben, so ist der Schluss auf eine gemeinsame Wurzel wohl kein ungerechtfertigter. Oder sollt' es nur Zufall sein, dass das Verneinungs-Wörtchen nein oder nicht in den meisten Sprachgebieten sich klangverwandt zeigt und überall mit n beginnt. Es heisst dasselbe im Französischen non, im Spanischen und Italienischen no, im Englischen no, im Slawischen nie und im Ungarischen nem. Ebenso beginnt die zweite Person des Fürwortes Dein höchst auffälliger Weise in den indogermanischen Sprachen sowohl als im Ungarischen mit einem d oder t. Im Französischen heisst es ton, im * Dass dies nicht der Fall ist, beweist Curtius, Grundzüge der griech. Etymologie (IV. Aufl.) Nr. 207 wo über atta, und Nr. 348 wo über Vater gehandelt wird. atta und atya ist ein zufälliges Zusammentreffen. Beide Wörter sind der Kindersprache entsprungen und aus ihr in die Sprache der Grossen aufgenommen worden. Italienischen tuo, im Spanischen tuyo, im Englischen thine, im Slawischen (Polnischen) twoy und im Ungarischen tied. Sollte diese Gleichheit des Wortbeginnes in Sprachen, deren Gesetze sich gegenseitig gradezu abstossen und verneinen, wirklich blos nüchternem Zufall zu verdanken sein? Nehme man hierzu den Gleichklang sogenannter Allerweltsworte, deren wir weiter oben Erwähnung gethan haben, so wird der menschliche Geist unwillkürlich wenn auch nicht zu feststehenden untrüglichen Schlüssen, so doch gewiss zu tieferem Nachdenken angeregt. Es ergeht den menschlichen Sprachen ganz wie den menschlichen Physiognomien. Je älter, um desto schwieriger sind die Züge der Kindheit wiederzuerkennen, und je ausgebreiteter und weitverzweigter die Verwandtschaft, um so schwieriger werden die Züge des Urstammes in seinen Ausläufern wiederzuerkennen sein. Und so nehmen wir denn vorläufig Abschied von dem höchstmerkwürdigen Sprach-Idiom der Magyaren das dem Fremdling zwar schroff und räthselhaft entgegentritt, bei näherem Vertrautwerden aber eine Zauberkraft entwickelt, welche dauernd fesselt. In neuerer Zeit sind mehrfache grammatikalische Bearbeitungen der ungarischen Sprache erschienen und dürfte diejenige von Franz Ney (Pest, Robert Lampel, 5. Aufl.) die vorzüglichste sein, welche auch vorliegender Arbeit als Grundlage gedient hat. Sie folgt zwar in der Grund-Idee dem Ollendorfschen Prinzipe, ohne sich jedoch zum Sklaven von dessen langweiliger Eintönigkeit zu machen. Das beste ungarisch-deutsche Wörterbuch ist das von Alexius Farkas (Farkas Elek) in Stereotyp-Druck bei Heckenast in Pesth erschienen. Es versteht sich von selbst, dass man nach der ungarischen Grammatik wohl ungarisch schreiben lernen kann, um es aber richtig zu sprechen, bedarf es des persönlichen Verkehrs mit geborenen Ungarn oder eines ungarischen Lehrers.* Die Vortheile aber, welche aus dem Studium der ungarischen Sprache hervorgehen, sind kurz zusammengedrängt folgende: Der Schönheitszwang der ungarischen Sprache nöthigt den Lernenden zu einer klaren Modulation und Vokalmessung seiner Rede. * Von wissenschaftlichem Werthe ist einzig Riedl's Magyarische Grammatik. Wien, 1858, Wilh. Braumüller. Das neueste und vollständigste Wörterbuch der ungarischen und deutschen Sprache ist von Prof. Ballagi, Pesth, 1872. Gustav Heckenast. Der Sprechende wird genöthigt jedwedem Vokal, jedwedem Consonant sein Recht widerfahren zu lassen. Die Zunge wird nicht durch das Ungarische gebrochen, der Ethnograph Kohl der solches behauptet ist im Unrecht; schon aus dem Grunde weil der Ungar keine ConsonantenAnhäufung duldet. Kein Wort beginnt mit mehr als einem Consonanten und stellen sich in der Mitte oder zum Schluss der Worte mehrere Mitlauter nebeneinander, so sorgen die ungarischen Sprachgesetze dafür, dass sie verschliffen und ihre Härten in Weichheiten abgewandelt werden. Dergleichen zungenbrechende Turnübungen wie sie die slawischen Dialekte vorführen, kennt die ungarische Sprache nicht. Nach einer nur annähernd ähnlich raffinirten ConsonantenZusammenstellung wie z. B. in der czechischen Redensart Strc prst skrz krk! d. i. Steck' den Finger in den Hals! die zwischen den 15 Consonanten der fünf Wörter keinen einzigen Vokal besitzt, würde man im Ungarischen ganz und gar vergeblich suchen müssen. Zungenmarternde Verse, wie z. B. das Gedicht eines unserer edelsten HeldenSänger aufweist: Er hält an des Zschopauthals schwindelndem Rand sind im Ungarischen nicht möglich. Dasselbe bricht also nicht die Zunge, aber es lehrt dieselbe sie zu runden; und dass unsre deutsche Sprache diese Rundung zu ihrem Vortheil gewinnen würde, dürfte ohne Zweifel stehen. Die ungarische Sprache lehrt aber ferner eine richtige und feine Betonung (Accentuirung). Gewiss früher oder später wird auch in Deutschland eine Autorität, eine sprachgesetzliche Gewalt auftreten, welche der grenzenlosen Willkür im Gebrauch oder Nichtgebrauch deutscher Buchstaben ein Ende macht. Entweder wird sich die bereits angebahnte Meinung durcharbeiten, dass uns Betonungszeichen (Accente) nothwendig sind, oder wir werden uns gezwungen fühlen neue Redezeichen zu schaffen, welche sich gegenseitig schärfer begrenzen als dies bis jetzt der Fall. Ganz zweifellos werden die Anhänger des alten Systems, will sagen Schlendrians, hierbei wegwerfend die Achsel zucken; wessen Ohr sich jedoch an dem Wohlklang anderer Sprachen verfeinert hat, wird zugestehen müssen, dass unsre VokalBezeichnungen höchst ungenügend sind. Man nehme z. B. * In der Regel. Es finden sich aber auch ein zwei Ausnahmen. die einfachen Worte gegen" und „Degen" mit denselben Vokalen bezeichnet, haben sie doch beide einen völlig unähnlichen Klang. Das e in „Degen" hat einen Anlaut des ä, das andere hingegen mehr den des Doppel-e. Der Ungar würde ersteres als dunkles e, letzteres als offenes é bezeichnen. Oder man nehme die Worte „Duft" und „ruft“, in ersterem ist das u kurz, in letzterem lang, wie das ungarische volle ú. Ein formensinniger Dichter wird beide Worte nicht auf einander reimen mögen. Ferner möge der Genius der deutschen Sprache dahin wirken, dass wir die melodischen Sylbenauslautungen früherer Tage wieder gewinnen und dass dem knarrenden und schnarrenden Klippklapp unserer eintönig harten Wort-Endungen, besonders auf n, en, gen u. s. w. kurzer Prozess gemacht werde. Diese harten „Abklänge" sowohl im Infinitiv der Zeitwörter als im Plural der Hauptwörter bringen den Dichter oftmals zur Verzweiflung. Nirgends ein vokalreiches Ausklingen der Wörter, überall der dumpfe Holzschlag eines dringen, klingen, bangen, drängen, nennen, brennen u. S. W. 11. 8. W. Die Endungen auf r und er gehören auch in dies Gebiet der Dissonanzen. Die Verabredung „Mehrerer" zu Abstellung dieser schnarrenden Uebelstände that wahrlich noth. Die Zeit wird auch hierin einst als gebietende Facultät säubernd und reinigend auftreten. Der dritte Vortheil, welcher aus der Erlernung der ungarischen Sprache entsteht, ist die Gewinnung kurzen lakonischen Ausdrucks und Vermeidung geschwätziger Redeseligkeit. Der Lateiner der da lakonisch sagt: Sta viator heroem calcas! (Steh Wandrer, du trittst die Asche eines Helden) und der Ungar mit seinem patriotischen Grabund Gedenkspruch: Addig éljen mig a honnak él! Er lebe so lange als er seinem Vaterlande lebt! Beide, Lateiner wie Ungar und unter den Deutschen unser Lessing können uns als Muster der kurztreffenden Ausdrucksweise dienen. Endlich aber lernen wir aus dem Ungarischen die Reinheit einer Sprache hochschätzen. Ebenso wie der Ungar keinen fremdländischen Bestandtheil in seiner Sprache duldet ohne ihn vorher magyarisirt und ihm den heimathlichen Sprachstempel aufgedrückt zu haben, ebenso muss und wird die Zeit kommen, wo der Deutsche sich schämen mag auf das Leihhaus fremder Nationen zu gehen um für Philosophie, Technik, Mathematik, Theologie, Philologie, Photographie und wie die ik's und gie's alle heissen mögen sich seine gelehrten Ausdrücke mit Hintansetzung und Unterschätzung des eigenen Sprachschatzes zu erholen. Wollte Gott, es gelänge dem reinen Elemente Deutschlands sich klar emporzuarbeiten, auf dass die gemeine Trübung zu Boden sinke und das schöne, klare Bewusstsein, ein Mann der deutschen Heimath zu sein, auf der heitern Oberfläche tiefgeistigen deutschen Wesens sich abspiegle. Ja, wie der Ungar mit hohem Patriotenstolze über die Grenze seines Reiches hinausruft: Extra Hungariam non est vita, si est vita, non est ita! so möge nicht fern die Zeit sein, wo der Deutsche zum Bewusstsein eines edlen Deutschthums herangereift mit Stolz nach Ost wie nach Westen hin ausruft: Ich bin ein Deutscher schön nur lebt sich's in den deutschen Landen! Dresden. --- und |