TIBULL. I. An Delia (lib. I). Nr. I (c. 1). Divitias alius fulvo sibi congerat auro I. Tibull, froh endlich dem ruhelosen Lagerleben entronnen zu sein, das er im aquitanischen Kriege in der Begleitung des Messala sattsam kennen gelernt hatte, lobt sich die Musse des Landlebens und seine Delia: somit treten uns sogleich in der ersten Elegie die beiden Hauptthemata tibullischer Poesie entgegen, und darum bildet sie sehr passend den Anfang des ersten Buches, obwohl sie der Zeit nach nicht die erste ist. Sie ist wahrscheinlich nach der Rückkehr von Corcyra, also etwa im Frühjahr des J. 29 vor Chr. gedichtet. 1-6. „Mögen andere sich Reichthümer im Krieg erwerben, ich lobe mir den Frieden bei bescheidenem Vermögen." 1. fulvo auro] abl. instr.; divitias congerat congerendo auro. 4. classicum] das Signal zum Kampf, oder, wie hier, das Instrument, mit welchem dasselbe gegeben ward. pulsa] pellere kommt eigentlich 5 nur den Instrumenten zu, die mit dem plectrum oder den Fingern geschlagen wurden. Das Wort ward aber dann freier auch von den geblasenen Instrumenten gebraucht. 5. paupertas] ist oft nicht drückende Armuth, sondern ein mässiges Einkommen. Porphyrio zu Hor. ep. II, 2, 199: paupertas honestae parsimoniae nomen est et usurpatur pro fortuna mediocri; vgl. v. 77 s. mea p.] dem Streben der andern nach Reichthum stellt der Dichter seine eigene geringe Habe gegenüber, daher mea vorangestellt; beachte ausserdem me mea: die Dichter lieben es auf diese Weise die Pronomina nebeneinander zu stellen. 6. Das erloschene Herdfeuer war ein Zeichen grosser Armuth; vgl. Cat. 23, 1 s.: Furi, cui neque servus est neque arca, nec cimex neque araneus neque ignis; Martial. 10, 47, 4: focus perennis. Bei der Schilderung des glücklichen Landlebens fehlt selten der Herd; so erwähnt ihn Ipse seram teneras maturo tempore vites Nam veneror, seu stipes habet desertus in agris Et quodcumque mihi pomum novus educat annus, Vos quoque, felicis quondam, nunc pauperis agri 7-36. „Ich will auf dem Lande leben, mich ganz ländlichen Beschäftigungen widmen und den ländlichen Göttern meine Opfer darbringen." 7. ipse] mit eigener Hand; beachte den Gegensatz zwischen teneras und grandia. 8. facili manu] gewandt. 10. pinguia] klebrig, stark; ein Zeichen, dass der Wein gerathen ist, so pingue merum Hor. sat. II, 4, 65. lacus] bezeichnet ursprünglich jede trogartige Vertiefung, so einen Wassertrog; hier den Trog, in welchen man den gepressten Weinsaft fliessen liess. Diese Sitte, welche sich heutzutage noch im Orient finden soll, erwähnt bereits Xenoph. Anab. IV, 2, 22: καὶ γὰρ οἶνος πολὺς ἦν, ὃν ἐν λάκκοις κονιατοῖς sixov: d. h. den sie in ausgetünchten Cisternen aufbewahrten. 11 s. „Ich darf auf reichlichen Ertrag hoffen; denn ich verehre die Feldgötter, mag ihr Bild ein Grenzpfahl oder Grenzstein sein"; brachte denselben Kränze dar; vgl. Ovid fast. 2, 641 ss.: Termine, sive man 10 15 Custodes, fertis munera vestra, Lares. Tum vitula innumeros lustrabat caesa iuvencos: Parcite: de magno est praeda petenda grege. 20. Die Laren, sowie Ceres und Bacchus, wurden im Frühling am Fest der Ambarvalia („des Feldumganges") feierlich um ihren Segen für die Gefilde angerufen; dabei brachte man ihnen ein Lamm oder ein Kalb dar, je nach Vermögen. munera vestra] die euch zukommenden Gaben. munera ferre] vgl. Hor. od. 4, 8, 4 s.; Ovid am. 3, 6, 66; Hor. sat. II, 5, 12 ss.: dulcia poma et quoscumque feret cultus tibi fundus honores, ante Larem gustet venerabilior Lare dives; od. 3, 23, 3 s.: si ture placaris et horna fruge laris avidaque porca. 25. Ein Opfer will ich euch darbringen, wofern ihr mir nur ein bescheidenes Einkommen gönnt." Iam iam durch dazwischen tretende Worte getrennt, wie Verg. Aen. 12, 179. 28. rivos] künstlich angelegte Bäche im Park. 35. Am Palilienfest, den 21. April, besprengte man das Bild der Hirtengöttin Pales mit Milch und zündete Strohfeuer an, durch welche die Hirten sprangen, um sich zu entsühnen; cf. Tib. Nr. VII, 85 ss.; Prop. Nr. IV, 77 s.; Ovid fast. 4, 721 ss. Letzterer giebt eine ausführliche Schilderung eines solchen Festes. hic] auf meinem Gütchen. 36. placidam] proleptisch; vgl. Tib. Nr. VII, 27 s.; Verg. buc. 7, 33 s.: sinum lactis et haec te liba, Priape, quotannis expectare sat est: custos es pauperis horti. 37-49. Anrufung der Götter; man lud dieselben zu den heiligen Festgelagen ein; vgl. Ovid fast. 6, 305 s.: ante focos olim scamnis considere longis mos erat et mensae credere adesse deos. Verg. Aen. 5, 62 s. : adhibete Penates et patrios epulis. 38. fictilibus] Thongeschirr war ärmlich; Reichere hatten Silberund Goldgeschirr. Aber nach alter Fictilia antiquus primum sibi fecit agrestis Non ego divitias patrum fructusque requiro, Parva seges satis est, satis est, requiescere lecto Aut, gelidas hibernus aquas cum fuderit Auster, Sitte gebrauchte man auch später 42. Das Verbum condere wird stehend vom Hereinbringen der Ernte gebraucht; so sagte man fructus condere, frumenta condere. 43 s. Vgl. Cat. Nr. 4, 7 ss. Ovid beklagt sich in seiner Verbannung wiederholt, dass er nicht im gewohnten Bett ruhen könne; trist. I, 11, 38: nec, consuete, meum, lectule, corpus habes; III, 3, 39: nec mea consueto languescent corpora lecto. 45 ss. audire delinuisse qui] der Infin. perf. wird hier aoristisch nach griechischem Sprachgebrauch, den die Dichter Roms im augusteischen Zeitalter nachahmten, ohne Unterschied neben dem Infin. praes. gebraucht. Diese Inf. perf. waren metrisch besser verwendbar als die Inf. praes. 48. Aehnlich schon bei Sophokles 40 45 50 55 (Cic. Alt. 2, 7): κἂν ὑπὸ στέγῃ πυκνῆς ἀκούειν ψεκάδος εὑδούση φρενί. Das eintönige Geräusch des herabfallenden Regens schläfert ein; reiche Römer erzeugten es deshalb künstlich als Mittel gegen die Schlaflosigkeit. Vgl. Hor. epod. 2, 25 ss.: labuntur altis interim ripis aquae, queruntur in silvis aves, fontesque lymphis obstrepunt manantibus, somnos quod invitet levis. 50-75.,, Bescheidenes Vermögen und die Zuneigung meiner Delia gewährt mir, ihr Götter." 51. pereat potius] steht anò xoιvov, es ist zu beiden Satzgliedern zu denken, obwohl es nur ein Mal gesetzt ist. 52. vias] vgl. zu v. 26. 54. Die Rüstungen besiegter Feinde zierten die Vestibula der Häuser tapferer Römer; vgl. Verg. Aen. 7, 183 ss.: multaque praeterea sacris in postibus arma, captivi pendent currus curvaeque secures etc. 57. laudari] oft, wie hier, vom Kriegsruhm; so Ovid e P. 2, 1, 30; Prop. Nr. VIII, 29. Dum modo sim, quaeso segnis inersque vocer. Vincta, neque in tenero stat tibi corde silex. Nunc levis est tractanda Venus, dum frangere postes Hic ego dux milesque bonus: vos, signa tubaeque, Ferte et opes: ego conposito securus acervo Nr. II (c. 10). Quis fuit, horrendos primus qui protulit enses? 60. Auf diesen Vers spielt Ovid am. III, 9, 58 an: me tenuit moriens deficiente manu. 61 s. et et; arsuro lecto] das Leichenbett, auf dem die Todten verbrannt wurden. 63 s. Vgl. Nr. II, 59. - Ovid am. III, 6, 59 s.: ille habet et silices et vivum in pectore ferrum, qui tenero lacrimas lentus in ore videt; und oft. 67. Allzugrosse Trauer lässt die Manen des Verstorbenen nicht zur Ruhe kommen und ruft sie aus dem Grab; vgl. zu Prop. Nr. XLIV, 1 ss. 70. Der Tod beschleicht die Menschen heimlich. 71. Vgl. Ovid am. I, 9, 3 s.: quae bello est habilis, Veneri quoque con venit aetas; turpe senex miles, turpe senilis amor. 76. cupidis] nach Reichthum strebend. 77. Hiermit kehrt der Dichter zu dem einleitenden Gedanken der Elegie zurück. II. Dies ist die älteste der tibul-. lischen Elegien; sie stammt ungefähr aus dem J. 31 v. Chr. Kriegsgefahr droht dem Dichter (wahrscheinlich der aquitanische Krieg 31, in welchen er den Messala begleiten sollte); noch hofft er freizukommen. 1-14. Verwünschungen des Krieges und Lob der friedlichen, guten alten Zeit. 2. ferus et ferreus] allitterierend, |