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οὐδ ̓ εἰα κλαιειν Πριαμος μεγας'. Gr berbietet ihnen u weinen, sagt die Dacier2, weil er besorgt, sie möchten sich zu sehr erweichen und morgen mit weniger Mut an den Streit gehen. Wohl; doch frage ich: warum muß nur Priamus dieses besorgen? Warum erteilet nicht auch Agamemnon seinen Griechen das 5 nämliche Verbot? Der Sinn des Dichters geht tiefer. Er will uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer sein könne; indem der ungesittete Trojaner, um es zu sein, alle Menschlichkeit vorher ersticken müsse.,,Neμεooμai ye μev ovdev xlaiev3“ läßt er an einem andern Orte* den 10 verständigen Sohn des weisen Nestors1 sagen.

Es ist merkwürdig, daß unter den wenigen Trauerspielen, die aus dem Mtertume auf uns gekommen sind, sich zwei Stücke finden, in welchen der körperliche Schmerz nicht der kleinste Teil des Unglücks ist, das den leidenden Helden trifft. Außer dem 15 „Philoktet" „Der sterbende Herkules"5. Und auch diesen läßt Sophokles flagen, winseln, weinen und schreien. Dank sei unsern artigen Nachbarn, diesen Meistern des Anständigen, daß nunmehr ein winselnder Philoktet, ein schreiender Herkules die lächerlichsten, unerträglichsten Personen auf der Bühne sein 20 würden. Zwar hat sich einer ihrer neuesten Dichter** an den Philoftet gewagt. Aber durfte er es wagen, ihnen den wahren Philoftet zu zeigen?

Selbst ein,,Laokoon" findet sich unter den verlornen Stücken des Sophokles. Wenn uns das Schicksal doch auch diesen Lao- 25 koon gegönnet hätte! Aus den leichten Erwähnungen, die seiner einige alte Grammatiker tun, läßt sich nicht schließen, wie der Dichter diesen Stoff behandelt habe. So viel bin ich versichert,

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1,Nicht ließ sie weinen der große Priamus.“ 2 Anna Dacier, geborene Lefèbre (1654-1720), gelehrte Philologin, deren Übersegung der „Ilias“ 1699, der „Ddyffee" 1708 erschien. Sie verfaßte zwei Schriften, in denen sie Homer gegen seine Angreifer Lamotte und Hardouin verteidigte. 8,Ich table das Weinen indessen durchaus nicht.“ - 4 Pisistratus, der Telemach nach Sparta begleitete. 5 Der eigentliche Titel des Dramas des Sopholles, das den Tod des Herakles behandelt, lautet „Die Trachinierinnen“. — 6 Über den „Philoktet“ des unbedeutenden französischen Dichters Jean Baptiste Chateaubrun (1686-1775) vgl. Abschnitt IV (S. 45 f. dieses Bandes). 7 Beiläufigen.

daß er den Laokoon nicht stoischer als den Philoktet und Herkules wird geschildert haben. Alles Stoische ist untheatralisch; und unser Mitleiden ist allezeit dem Leiden gleichmäßig1, welches der interessierende Gegenstand äußert. Sieht man ihn sein 5 Elend mit großer Seele ertragen, so wird diese große Seele zwar unsere Bewunderung erwecken, aber die Bewunderung ist ein kalter Affekt, dessen untätiges Staunen jede andere wärmere Leidenschaft sowie jede andere deutliche Vorstellung ausschließet.

Und nunmehr komme ich zu meiner Folgerung. Wenn es 10 wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann, so kann der Ausdruck einer solchen Seele die Ursache nicht sein, warum demohngeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht 15 nachahmen wollen; sondern es muß einen andern Grund haben, warum er hier von seinem Nebenbuhler, dem Dichter, abgehet, der dieses Geschrei mit bestem Vorsage ausdrücket.

II.

Es sei Fabel oder Geschichte, daß die Liebe den ersten Ver20 such in den bildenden Künsten gemacht habe2, so viel ist gewiß, daß sie den großen alten Meistern die Hand zu führen nicht müde geworden. Denn wird ist die Malerei überhaupt als die Kunst, welche Körper auf Flächen nachahmet, in ihrem ganzen Umfange betrieben, so hatte der weise Grieche ihr weit engere 25 Grenzen gesezet und sie bloß auf die Nachahmung schöner Körper eingeschränket. Sein Künstler schilderte nichts als das Schöne; selbst das gemeines Schöne, das Schöne niedrer Gattungen, war nur sein zufälliger Vorwurf, seine Übung, seine Erholung. Die Vollkommenheit des Gegenstandes selbst mußte in seinem Werke 80 entzücken; er war zu groß, von seinen Betrachtern zu verlangen, daß sie sich mit dem bloßen kalten Vergnügen, welches aus der getroffenen Ähnlichkeit, aus der Erwägung seiner Geschicklichkeit

1 In der Handschrift „proportioniert“.

2 Nach der griechischen Sage, die Plinius („Naturalis historia", Buch 35, Kap. 151) erzählt, soll die Tochter des Löpfers Butades aus Sikyon den Schatten ihres scheidenden Geliebten an die Wand gezeichnet haben; so sei das erste Bildnis entstanden. 3 Nicht über den Durchschnitt hinausreichend.

entspringet, begnügen sollten; an seiner Kunst war ihm nichts lieber, dünkte ihm nichts edler als der Endzweck der Kunst.

„Wer wird dich malen wollen, da dich niemand sehen will", sagt ein alter Epigrammatist* über einen höchst ungestaltenen Menschen. Mancher neuere Künstler würde sagen: „Sei so 5 ungestalten wie möglich, ich will dich doch malen. Mag dich schon niemand gern sehen: so soll man doch mein Gemälde gern sehen; nicht insofern es dich vorstellt, sondern insofern es ein Beweis meiner Kunst ist, die ein solches Scheusal so ähnlich nachzubilden weiß."

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Freilich ist der Hang zu dieser üppigen Prahlerei mit leidigen Geschicklichkeiten, die durch den Wert ihrer Gegenstände nicht geadelt werden, zu natürlich, als daß nicht auch die Griechen ihren Pauson3, ihren Phreicus1 sollten gehabt haben. Sie hatten sie; aber sie ließen ihnen strenge Gerechtigkeit widerfahren. 15 Pauson, der sich noch unter dem Schönen der gemeinen Natur hielt, dessen niedriger Geschmack das Fehlerhafte und Häßliche an der menschlichen Bildung am liebsten ausdrückte**, lebte in

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Antiochus1 (Antholog. lib. II. cap. 43.). Hardouin, „Über den Plinius" (lib. 35. sect. 36. p. m. 698.), legt dieses Epigramm einem Piso bei. 20 Es findet sich aber unter allen griechischen Epigrammatisten keiner dieses Namens. ** Jungen Leuten, befiehlt daher Aristoteles, muß man seine Gemälde nicht zeigen, um ihre Einbildungskraft, soviel möglich, von allen Bildern des Häßlichen rein zu halten. (Polit. lib. VIII. cap. 5. p. 526. Edit. Conring.) Herr Boden 5 will zwar in dieser Stelle anstatt Pauson Pausanias 25 gelesen wissen, weil von diesem bekannt sei, daß er unzüchtige Figuren gemalt habe. (,,De Umbra poetica", Comment. I. p. XIII.) Als ob man es erst von einem philosophischen Gesetzgeber lernen müßte, die Jugend von dergleichen Reizungen der Wollust zu entfernen! Er hätte die bekannte Stelle in der „Dichtkunst" (cap. II.) nur in Vergleichung ziehen dürfen, um seine Vermutung 30 zurückzubehalten. Es gibt Ausleger (z. E. Kühn, über den Aelian Var.

1 Griechischer Epigrammatiker, dessen erhaltene Gedichte in der „Anthologia graeca" stehen. -- 2 Jean Hardouin (1640—1728), Pliniuskommentator. -3 Von dem Maler Pauson, seinem Zeitgenossen, spricht fast nur Aristoteles an den von Leffing in der Anmerkung genannten Stellen. An der zweiten (,,Poetik“, Kap. 2) sagt er, daß Pauson die Menschen niedriger, Polygnot, der große griechische Maler des 5. Jahrh. v. Chr., edler, Dionysios, der Zeit- und Kunstgenosse des vorigen, der Natur gemäß gemalt habe. — 4 Piraiitos, wie der Name wohl richtig zu schreiben ist, lebte etwa zur Zeit Alexanders des Großen. - 5 Benjamin Boden (1737-82), ,,De umbra poetica dissertationes III" (Wittenberg 1764). 6 Joachim Kühn (Kuhnius; 1647-97), Herausgeber des Aelian und des Pausanias (Leipz. 1696).

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der verächtlichsten Armut*. Und Phreicus, der Barbierstuben, schmußige Werkstätte, Esel und Küchenkräuter mit allem dem Fleiße eines niederländischen Künstlers malte, als ob dergleichen Dinge in der Natur soviel Reiz hätten und so selten zu erblicken 5 wären, bekam den Zunamen des Rhyparographen**, des Kotmalers; obgleich der wollüstige Reiche seine Werke mit Gold aufwog, um ihrer Nichtigkeit auch durch diesen eingebildeten Wert zu Hülfe zu kommen.

Die Obrigkeit selbst hielt es ihrer Aufmerksamkeit nicht für 10 unwürdig, den Künstler mit Gewalt in seiner wahren Sphäre zu erhalten. Das Geseß der Thebaner, welches ihm die Nachahmung ins Schönere befahl und die Nachahmung ins Häßlichere bei Strafe verbot, ist bekannt. Es war kein Gesetz wider den Stümper, wofür es gemeiniglich und selbst vom Junius***3, 15 gehalten wird. Es verdammte die griechischen Ghezzi1, den

unwürdigen Kunstgriff, die Ähnlichkeit durch Übertreibung der Häßlichern Teile des Urbildes zu erreichen, mit einem Worte die Karikatur.

Aus eben dem Geist des Schönen war auch das Geseß der 20 Hellanodiken geflossen. Jeder olympische Sieger erhielt eine

Hist. lib. IV. cap. 31), welche den Unterschied, den Aristoteles daselbst zwi= schen dem Polygnotus, Dionysius und Pauson angibt, darin seßen, daß Polygnotus Götter und Helden, Dionysius Menschen und Pauson Tiere gemalt habe. Sie malten allesamt menschliche Figuren; und daß Pauson einmal 25 ein Pferd malte, beweiset noch nicht, daß er ein Tiermaler gewesen, wofür ihn Herr Boden hält. Ihren Rang bestimmten die Grade des Schönen, die sie ihren menschlichen Figuren gaben, und Dionysius konnte nur deswegen nichts als Menschen malen und hieß nur darum vor allen andern der An= thropograph, weil er der Natur zu sklavisch folgte und sich nicht bis zum 30 Ideal erheben konnte, unter welchem Götter und Helden zu malen ein Religionsverbrechen gewesen wäre. Aristophanes Plut. v. 602. et Acharnens. v. 854. - ** Plinius lib. XXXV. sect. 37. Edit. Hard.2*** De Pictura vet. lib. II. cap. IV. § 1.

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1 Der Sophist Claudius Aelianus schrieb im 2. Jahrh. n. Chr. griechisch Variarum historiarum libri XIV". - 2 Vgl. S. 26 dieses Vandes, Anm. 2. 3 Der holländische Philolog Franziscus Junius (1589—1677), namentlich als erster Herausgeber der Bibel des Ulfilas und anderer germanischer Sprachdenkmäler verdient, ließ das hier angeführte Wert,,De Pictura Veterum Libri III“ in Amster= dam 1637 erscheinen. 4 Pietro Leone Graf Ghezzi (1674—1755), römischer Maler, der namentlich wegen seiner Karikaturen bekannter Persönlichkeiten gerühmt wurde. 5 Preisrichter bei den Olympischen Spielen.

Statue; aber nur dem dreimaligen Sieger ward eine ikonische1 geseßet*. Der mittelmäßigen Porträts sollten unter den Kunstwerken nicht zu viel werden. Denn obschon auch das Porträt ein Ideal zuläßt, so muß doch die Ähnlichkeit darüber herrschen; es ist das Ideal eines gewissen Menschen, nicht das Ideal eines 5 Menschen überhaupt.

Wir lachen, wenn wir hören, daß bei den Mten auch die Künste bürgerlichen Geseßen unterworfen gewesen. Aber wir haben nicht immer recht, wenn wir lachen. Unstreitig müssen sich die Geseze über die Wissenschaften keine Gewalt anmaßen; 10 denn der Endzweck der Wissenschaften ist Wahrheit. Wahrheit ist der Seele notwendig; und es wird Tyrannei, ihr in Befriedigung dieses wesentlichen Bedürfnisses den geringsten Zwang anzutun. Der Endzweck der Künste hingegen ist Vergnügen; und das Vergnügen ist entbehrlich. Also darf es allerdings von 15 dem Gesetzgeber abhangen, welche Art von Vergnügen und in welchem Maße er jede Art desselben verstatten will.

Die bildenden Künste insbesondere, außer dem unfehlbaren Einflusse, den sie auf den Charakter der Nation haben, sind einer Wirkung fähig, welche die nähere Aufsicht des Geseßes 20 heischet. Erzeigten2 schöne Menschen schöne Bildsäulen, so wirkten diese hinwiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken. Bei uns scheinet sich die zarte 3 Einbildungskraft der Mütter nur in Ungeheuern zu äußern1.

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Aus diesem Gesichtspunkte glaube ich in gewissen alten Erzählungen, die man geradezu als Lügen verwirft, etwas Wahres zu erblicken. Den Müttern des Aristomenes, des Aristodamas5, Mexanders des Großen, des Scipio, des Augustus, des Galerius träumte in ihrer Schwangerschaft allen, als ob sie mit 30 einer Schlange zu tun hätten. Die Schlange war ein Zeichen der

*Plinius lib. XXXIV. sect. 9.

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1 Porträtstatue. 2 Die Formen zeigen“ und „zeugen“ schwanken in früherer Zeit vielfach. 3 Besonders empfindliche. · 4 Mißgebildete Kinder werden auf schreckenerregende oder widerwärtige Eindrücke der Mütter zurückgeführt. tümlich schreibt Lessing, an den Namen der Mutter Aristodama denkend, Aristodamas. Er meint den Feldherrn des Achäischen Bundes Aratos (271–213 v. Chr.), dessen Biographie Plutarch schrieb. Römischer Kaiser 305-311 n. Chr.

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