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UEBER DEN

KUNSTSINN DER RÖMER

UND DEREN STELLUNG

IN DER

GESCHICHTE DER ALTEN KUNST.

PROGRAM M

DES ARCHÄOLOGISCH-NUMISMATISCHEN INSTITUTS ZU GÖTTINGEN

ZUM

WINKELMANNSTAGE 1855

VON

Dr. KARL FRIEDRICH HERMANN.

GÖTTINGEN,

DRUCK DER UNIVERSITÄTS-BUCHDRUCKEREI VON E. A. HUTH

1855.

221. c.192.

,,So wie die Beredtsamkeit nach dem Cicero aus Athen in alle Länder ausgegangen und aus dem Piräischen Hafen gleichsam mit den attischen Waaren in alle Hafen und an alle Küsten verführt worden, eben so kann von Rom gesagt werden, dass aus dieser Stadt die aus der Asche erweckte griechische Kunst sowohl als die Werke derselben den entlegensten Völkern von Europa mitgetheilt worden; Rom ist dadurch in neueren Zeiten, wie es diese Stadt ehemals war, die Gesetzgeberin und Lehrerin aller Welt geworden, und sie wird auch den spätesten Nachkommen aus dem Schoosse ihrer Reichthümer Werke, die Athen, Korinth und Sicyon gesehen haben, hervorbringen können" - mit diesen Worten schliesst Winkelmann das achte Buch seines unsterblichen Werks und bringt damit der Weltstadt, an deren hinterlassenen Schätzen sein Geist zur Wiederherstellung der alten Kunstgeschichte erstarkt war, die Huldigung der Erkenntlichkeit dar, die ihr Niemand, der würdig in des grossen Meisters Fusstapfen treten will, wird vorenthalten oder verkümmern dürfen. Denn wenn auch daneben andere Gegenden und vor allen Griechenlands eigener Boden in den seitdem verflossenen drei Menschenaltern nicht bloss ebenbürtige Seitenstücke, sondern sogar bedeutendere Leistungen classischer Kunst zu Tage gefördert oder zugänglich gemacht haben, als sie alle Museen des heutigen Italiens zusammen darbieten, so ist doch theils der Sinn und das Verständniss für jene selbst erst an den Sammlungen dieser entzündet, theils nur durch diese auch die praktische Kunstübung der neueren Zeit auf den Weg geleitet worden,

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der zugleich mit dem rohen Stoffe auch die Natur und ihre Nachahmung den ewigen Gesetzen der Schönheit dienstbar macht; und wenn jene Sammlungen und ihre Schätze doch zum wesentlichsten Theile aus den wieder an's Tageslicht gezogenen Resultaten der Neigung bestehen, die die Römer der letzten republicanischen und der Kaiserzeit zur Verpflanzung und Vervielfältigung der Werke griechischer Kunst trieb, so werden wir an dem Verdienste der Wirkungen, welche die letzteren in künstlerischer und wissenschaftlicher Beziehung hervorgebracht haben und noch hervorbringen, auch jenen keinen geringen Antheil zumessen dürfen. solches Volk aber, dessen starke Hand allein die Kunst und Ein ihre Denkmäler aus dem Schoosse des untergehenden Griechenlands gerettet, dessen Verschönerungsliebe Hunderten griechischer Künstler Anregung und Unterstützung zu fortgesetzter Thätigkeit gewährt, dessen Geschmack für alle Nachwelt das Zeichen zur Aneignung und Nachbildung jener unvergänglichen Muster gegeben hat, sollte für die diesen Denkmälern und Mustern einwohnende Macht der Schönkeit kein Gefühl, kein lebendiges Interesse für die darin niedergelegte Meisterschaft, mit einem Worte keinen Kunstsinn gehabt, und bei allen Anstrengungen und Geldmitteln, die es auf den Besitz derselben verwandte, nur den todten Besitz selbst, ja nicht einmal den flüchtigen Genuss, sondern höchstens die Ostentation der pecuniären Allmacht oder der Alterthümelei erstrebt haben? Das ist die Meinung eines Büchleins, das vor drei Jahren zu Königsberg in Preussen unter dem Titel: „Ueber den Kunstsinn der Römer der Kaiserzeit" erschienen ist und es sich zur Aufgabe gemacht hat, jede Anerkennung und Dankbarkeit, die man nach Winkelmann's Vorgange jener Zeit für die Erhaltung, Verbreitung und Fortpflanzung der griechischen Kunst schuldig zu seyn glaubte, zu zernichten; minder zwar, dass es die erwähnten Thatsachen leugnete oder widerlegte, von welchen vielmehr in dem ganzen Werkchen kaum die

Rede ist, wohl aber indem es aus den Schriften der römischen Kaiserzeit die gänzliche Unfähigkeit dieser zur Würdigung bildender Kunst zu beweisen sucht und daraus auch für deren unleugbare Pflege und Begünstigung die niedrigsten und abgeschmacktesten Motive herleitet; nicht ohne scheinbaren Fleiss im Aufsuchen charakteristischer Stellen, die es in chronologischer Folge bis auf die Zeiten des Apollinaris Sidonius herab an einander reiht, noch ohne die schimmernde Sophistik tendenziöser Interpretation, deren Zwecken eben sowohl das Stillschweigen eines Schriftstellers wie die beiläufigste Aeusserung eines andern dienen muss; bei näherer Prüfung jedoch weder aus der nöthigen Uebersicht und Vollständigkeit des einschlagenden Materials noch aus einer Klarheit und Präcision des ästhetischen Standpunctes hervorgegangen, die der Schärfe seiner Kritik. die wünschenswerthe Unbefangenheit mittheilte; und da dasselbe gleichwohl durch Frische und Lebhaftigkeit seiner Darstellung manches Urtheil zu bestechen geeignet seyn dürfte, so wird seine nähere Prüfung kein unangemessener Beitrag zur Geburtstagsfeier des Mannes seyn, dessen Beispiel aller folgenden Forschung gründliches und vorurtheilsloses Quellenstudium zur ersten Pflicht gemacht hat. Ohne Polemik kann es dabei freilich nicht abgehen; je mehr dieselbe aber zunächst gegen rein negative Behauptungen gerichtet ist, desto positivere Resultate wird sie schon von selbst zu erzielen suchen müssen; und wenn es ihr dabei gelingt, die Licht- und Schattenseiten des Gegenstandes in ihr richtiges Verhältniss zu setzen, so darf sie vielleicht auch zu dessen sonstiger Aufklärung Einiges mitzuwirken hoffen. Vier Gesichtspuncte sind es namentlich, aus welchen das Büchlein seine Gründe gegen das Vorhandenseyn eines Kunstsinns bei den Römern herleitet das Fehlen eines Dilettantismus, der ein allgemeineres Kunstinteresse bei den Gebildeten voraussetzen liesse, das Stillschweigen über Kunst und ihre Gegenstände bei vielen Schriftstellern, die

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