Hat in den Fällen, wo sich eine Berührung zwischen Heidentum und Christentum nachweisen läßt, kluge Rücksichtnahme auf die Anschauungen der Neubekehrten die Wahl der Kirchenpatrone bestimmt1), so war in den übrigen, weit zahlreicheren Fällen der Wille der Missionare2) maßgebend, ihr Reliquienbesitz, ihre Vorliebe für einen bestimmten Heiligen, meist den Heiligen, der in ihrer Heimat oder in dem Kloster, das sie ausgesandt hatte, vorzüglich verehrt wurde.) Ich erinnere an die Missionstätigkeit St. Fridolins. Was wir über diesen Heiligen wissen, ist mehr als dürftig. Die einzige sichere Nachricht, die wir über ihn besitzen, ist vielleicht die, daß er, ein besonderer Förderer des Hilariuskultes, von Poitiers aus mit einem Teil der Reliquien dieses Heiligen nach Alemannien zog und allenthalben Hilariuskirchen gründete.4) Ähnlich errichtete St. Rupert zahlreiche Peterskirchen, 1) Dieser Ersatz heidnischer Kultorte durch christliche reicht mancherorts ziemlich weit ins Mittelalter hinein. Noch Erzbischof Unwan von Bremen (1013-1029) suchte auf diese Weise dem Paganismus seines Sumpfvölkchens zu steuern:,,ille omnes ritus paganicos, quorum adhuc supersticio viguit in hac regione, praecepit funditus amoveri, ita ut ex lucis, quos nostri paludicolae stulta frequentabant reverentia, faceret ecclesias per dioecesim renovari; ex quibus etiam basilicam sancti Viti, extra oppidum construi et capellam sancti Willehadi combustam iussii reparari." MG. SS. 7, 322. 3) Denen aber scharfsinnige Motivierungen der Patroziniumswahl ebensowenig untergeschoben werden dürfen wie späteren Kirchengründungen. Pullach erhielt sein H. Geistpatrozinium sicher nicht, wie Fastlinger (355) meinte, deswegen, weil dieses ein Bekehrungspatrozinium (Pfingstfest!) war und das Kanonissenstift Buchau die h. Kornelius und Cyprian nicht, weil Cyprian eine Mahnung an die gottgeweihten Jungfrauen" schrieb und Kornelius der Sanktimonialen Erwähnung tut (so Karl Otto Müller, Die oberschwäbischen Reichsstädte [1912], 320*). *) Über die Heiligen, die im Frankenreiche verehrt wurden und von da zu uns kamen, unterrichtet uns das schöne Buch von Carl Albrecht Bernoulli: Die Heiligen der Merowinger (1900). Mehrfach wird behauptet, daß an Orten, die eine größere Zahl von Kirchen besitzen (z. B. Trier, Köln, Konstanz, Reichenau), die Patrozinien in Anlehnung an die Hauptkirchen Roms gewählt seien. Einzelne Anlehnungen sind zuzugeben (z. B. S. Paulus extra muros in Konstanz). Für Rom selbst soll H Grisar in einem mir zurzeit unzugänglichen Aufsatz in der Civiltà cattolica v. 13. Sept. 1895 einen Einfluß der hl. Orte in Jerusalem nachgewiesen haben. — Über die H. Grabkapellen vgl. Abschnitt IV unter Grab. 4) Vgl. hierzu Jos. Sauer, Die Anfänge des Christentums und der Kirche in Baden 31-35. Außer Hilarius und Martinus deuten auf fränkische Mission: Arnulf, Briktius, Desiderius, Dionysius, Germanus, Archiv für Kulturgeschichte. XIII. 1/2 3 und ähnlich verdankt ein Teil der im ganzen südlichen und westlichen Deutschland außerordentlich dicht gesäten Martinskirchen seine Gründung fränkischer Missionstätigkeit. Die Kirchen der übrigen fränkischen Heiligen, Dionysius, Germanus, Remigius usw., erreichten in unsern Gegenden bei weitem nicht die Zahl der Martinskirchen, eben weil jene im westfränkischen Reich selbst einen örtlich beschränkten Kult genossen, während Martinus in aller Herzen lebte.) Er war der fränkische Nationalheilige, in dessen Namen die Krieger in die Schlacht und die Streiter Christi in heidnische Länder zogen. Man hat beobachtet, daß gerade die ältesten Martinskirchen vielfach an römischen Straßenzügen liegen.) In die Römerzeit können sie schon des Patroziniums wegen nicht zurückreichen (S. Martin starb erst um 400). Sie samt und sonders als Gründungen der ersten Glaubensboten aus dem Westen anzusehen und, wie auch schon versucht wurde, an der Hand der Martinskirchen den Weg feststellen zu wollen, auf dem die fränkischen Missionare das Evangelium zu unseren Vorfahren gebracht haben, geht auch nicht an. Zwar kamen die Glaubensboten auf den alten Römerstraßen in unsere Heimat. Aber die Mehrzahl der Martinskirchen verdankt nicht ihnen ihre Entstehung, auch nicht etwa Klöstern und Stiften, die selbst den hl. Martin als Patron ver Leodegar, Medardus, Remigius. Dagegen verbreiteten die irischen Missionare die Verehrung der Heiligen Augustinus (von Canterbury), Kolumban, Patritius, besonders auch der h. Brigida. Gleich den irischen Manuskripten der alten Klosterbibliotheken deuten diese Patrozinien und die Reliquien irischer Heiliger auf die Kulturarbeit des irischen Mönchtums im Frühmittelalter. 1) Albert Marignan, Études sur la civilisation française, Tome 2: Le culte des saints sous les Mérovingiens (1899), 11: Les noms des lieux en France peuvent attester la popularité des saints évêques: s. Martin en compte 700, s. Germain 274, s. Aubin 148, s. Medard 50, s. Éloi 30, s. Avit 29. Les apôtres même cèdent le pas à s. Martin. S. Pierre en possède 461 et s. Jean 444; 185 localités seulement portent le nom de l'apôtre Paul. *) Vgl. Gauß in Basler Zeitschrift f. Gesch. 2 (1903), 123; ferner die obenerwähnten Aufsätze von Bossert in der Schwäbischen Kronik 1887, 817, 1133 und 1985. Auch die erstbezeugten Kirchen anderer frühmittelalterlicher Patrozinien liegen vielfach an Römerstraßen und in Römerorten. Möglich, daß die eine oder andere davon in die Römer zeit zurückreicht; nachweisen läßt sich dies aber nirgends. ehrten, sondern dem Fiskus. Fast allenthalben, wo sich Krongut befand somit gerade auch auf ehedem römischem Boden, da römisches Staatseigentum nach der Eroberung fränkisches Fiskalgut wurde, gab es auch Martinskirchen. Ein Beispiel: Eine Urkunde Kaiser Ludwigs des Frommen von 823 bestätigt der Würzburger Kirche Schenkungen der Könige Karlmann und Pippin. Unter den 26 Kirchen, die dort aufgezählt sind, die also vor ihrer Vergabung an das Bistum königliche Eigenkirchen waren, haben 13, also die Hälfte, St. Martin (und drei St. Remigius) zum Patron.1) Damit haben wir bereits einen Punkt berührt, der für das gesamte mittelalterliche Kirchenwesen von höchster Bedeutung wurde und der auch auf die Wahl der Kirchenpatrozinien großen2) Einfluß gewann: das Eigenkirchenwesen.3) Eigenkirchen waren weitaus die meisten niederen Kirchen auf deutschem Boden1), und, die es nicht waren, wurden bald als solche behandelt.,,Eigenkirchen waren alle die zahlreichen Gotteshäuser, welche die Könige auf dem Fiskalland erbauten oder erbauen ließen. Eigenkirchen waren ferner die Kirchen der Klöster, sowohl die, welche sie selbst errichteten, als auch die, welche sie durch Schenkung oder auf andere Weise erwarben. Eigenkirchen wurden endlich alle Kirchengründungen von Privaten geistlichen oder weltlichen Standes."5) Errichtete eine einzelne Person, gleich viel ob Laie oder geistlich, eine Kirche, so blieb die Wahl des Patroziniums natürlich ihm anheimgestellt. Er nahm einen Heiligen, zu dem er persönlich besondere Verehrung trug, von dem er Reliquien besaß oder, z. B. von einem benachbarten Kloster, leicht bekommen 1) Monumenta Boica 28, 16 nr. 11. *) Zu weit geht indes Oppermann, der glaubt, daß zwischen dem Patrozinium der Kirchen und ihrem Besitzer ein Zusammenhang bestanden haben müsse (Annalen d. hist. Ver. f. d. Niederrhein 84 1907], 209). *) Den besten Überblick über das Eigenkirchenwesen und die gesamte einschlägige Literatur gibt nunmehr der Artikel,,Eigenkirche", den U. Stutz für den 23. (= 1. Ergänzungs-) Band der Protestantischen Realencyklopädie (S. 364-377) schrieb. ) Fastlinger hat unrecht, wenn er (Oberb. Arch. 50, 342) meint, Eigenkirchen hätten sich nur ausnahmsweise zu Pfarrkirchen erhoben. Stutz a. a. O. 368. konnte.1) Errichtete hingegen eine geistliche Körperschaft, ein Domstift, Kollegiatstift oder Kloster, auf seinem Grund und Boden ein Gotteshaus, so erhielt dies regelmäßig den Stifts- bzw. Klosterheiligen auch zu seinem Patron.) So weihte die Kirche von Salzburg die Kirchen auf ihren Besitzungen dem h. Petrus oder Rupert, die von Regensburg die ihrigen dem h. Emmeran, Freising weihte die seinigen der Gottesmutter oder S. Korbinian, Passau dem h. Stephan3), das Kloster Tegernsee dem h. Quirinus, Schäftlarn Dionysius, Moosburg Castulus, Kempten Gordianus und Epimachus, St. Gallen Gallus usw. Das geschah nicht bloß deshalb, weil von den eigenen Heiligen am leichtesten Reliquien zu erhalten waren, sondern vor allem, weil durch diese Patroziniumsübertragung schon der Name der Kirche ihren Eigentümer deutlich zum Ausdruck brachte.) Der Heilige, nach dem das Kloster und seine Eigenkirche benannt war, wurde als Eigentümer beider angesehen. Ja soweit ging man, daß man, im Falle ein 1) So erbaute ein Ruothans,,in honorem Dei et sancti Galloni" im Orte Wilmatingen (OA. Reutlingen) eine Kirche und stattete sie mit Leibeigenen und Gütern aus. Später schenkte er sie dem Kloster St. Gallen (Württemberg. Urkundenbuch 1, 14 nr. 14). ) Hat das Stift oder Kloster seinen Heiligen zu irgendeiner Zeit gewechselt, so läßt sich aus der Tatsache, daß die Kirchgründung den früheren oder späteren Patron erhielt, ein terminus ante der post quem für die Gründungszeit erschließen. Es läßt sich überall beobachten, daß der Patron der Kathedrale in der betreffenden Diözese bedeutend häufiger als anderwärts als Kirchenheiliger vorkommt. Bei den vielen Bistümern, die Marien- oder Peterskathedralen haben, fällt dies wegen der allgemeinen Häufigkeit des Patroziniums weniger auf, mehr z. B. im Passauer Bistum, das zahlreiche Stephanskirchen besitzt, von denen die meisten seit alters bischöflicher Kollatur sind. Auch Bischof Hildegrim von Halberstadt (Kathedrale S. Stephan) gab den 35 von ihm erbauten Kirchen den Namen S. Stephan (Naumann, Weihenamen 2165). Ferner hat bereits Friedr. Wiggert, Historische Wanderungen (Neue Mitteilungen aus dem Gebiet hist.antiqu. Forschungen 6, 2 [1842], 2), die interessante Beobachtung gemacht, daß eine Anzahl der ältesten Kirchen des Erzbistums Magdeburg dem Patron des älteren Bistums Halberstadt geweiht sind, und daraus geschlossen, daß diese Kirchen alle oder größtenteils schon vor Errichtung des Magdeburger Erzstiftes vorhanden waren. *) Vgl. Bezeichnungen wie „,terra s. Petri“, „s. Nazarius“ für Grundbesitz der Kölner Kirche bzw. des Klosters Lorsch oder Eigentumsvermerke wie,,s. Galli",,,s. Mariae et s Corbiniani" in Handschriften von St. Gallen bzw. der Freisinger Dombibliothek. Gotteshaus aus den Händen eines anderen Eigentümers an ein Stift oder Kloster überging, den alten Heiligen nicht selten durch einen neuen ersetzte1) oder wenigstens auf die zweite Stelle zurückdrängte.2) Derartigen Patrozinienwechsel können wir übrigens auch bei Klöstern, ja selbst bei Domkirchen3) beobachten. Doch erfolgte er wohl nie ohne besonderen äußeren Grund.4) Häufig geschah es, daß römische und frühmittelalterliche Patrone einheimischen Heiligen Platz machen mußten, die in den betreffenden Gotteshäusern beigesetzt waren. Aus diesem Grunde begegnen Patroziniumsänderungen sehr oft bei den im Suburbangebiet der alten Bischofsstädte gelegenen Kirchen; in Köln z. B. verdrängte Bischof Kunibert, der dem hl. Klemens im 7. Jahrhundert eine Kirche außerhalb der Stadt erbaut hatte und in dieser begraben 1) So in Eßlingen, das erst, als das Kloster S. Denys hier Besitzungen erhielt, auch den h. Dionysius zum Kirchenheiligen bekam. Ähnlich mußte S. Michael in Heilbronn dem h. Kilian weichen, nachdem Karlmann die Kirche an das Würzburger Bistum geschenkt hatte (Bossert, Arch. d h. Ver. f. Unterfr. 31, 5). Auch die Kirchen von Frechen, Pingsdorf und Schwadorf z. B. erhielten die h. Audomarus, Pantaleon und Severin als Patrone sicher erst, nachdem sie in den Besitz der Klöster S. Omer und S. Pantaleon (zu Köln) und des Stiftes S. Severin (zu Köln) übergegangen waren (Robert Wilh. Rosellen, Geschichte der Pfarreien des Dekanates Brühl (1887), 272f.; 463f.; 526). Umgekehrt: Handschuhsheim verehrte als Gründung von Lorsch ursprünglich den h. Nazarius; beim Bau der gotischen Kirche wählte man, da inzwischen das Zugehörigkeitsverhältnis zu Lorsch verloren gegangen war, die h. Vitus u. Georg (Sauer, Anf. d. Christent. i. Baden 124). *) Darum ist bei Doppelpatrozinien, wo es sich nicht um ein zusammengehöriges Heiligenpaar (z. B. Kosmas und Damian) handelt, meist der zweite Heilige der ursprüngliche. Maria jedoch läßt sich infolge ihrer die anderen Heiligen überragenden Stellung nur selten den ersten Platz wegnehmen. *) Irrtümlich wurde ein Patrozinienwechsel angenommen für die Kathedralen von Mainz und Köln; Literatur in Abschnitt IV unter Martin und Peter. *) Durchaus unwahrscheinlich ist die systematische Tilgung irgendeines Patroziniums. Benzerath, Kirchenpatrone 20, hat sicher unrecht, wenn er die häufige Verdrängung des frühmittelalterlichen Salvatorpatroziniums auf eine bewußte Nachahmung des Patroziniumswechsels der Lateranbasilika in Rom zurückführt. Hätte solch eine Nachahmung stattgefunden, so wären diese Salvatorkirchen sicher alle auch dem h. Johannes Bapt. geweiht worden. Die Gründe für die Konstanz der Kirchenpatrozinien sind schön zusammengestellt von Buchner, Patrozi niumsstatistiken 154–156. |