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1796. Natur und Schule und Elegie, tragen ein ähnliches Gepräge. In allen redet ein denkender Dichter zu einem denkenden Leser; die meisten könnte man philosophische Epigrammen nennen. Die einfache Erzählung eines seltnen Beyspiels von Edelmuth in dem Stücke: Deutsche Treue, hätte durch jede hinzugefügte Bemerkung nur geschwächt werden können; die unerwartete dramatische Einführung fühlloser Kleinheit in dem Eindruck, welchen die Handlung der beiden Fürsten auf einen dritten macht, hat einen kräftigen Stachel, den man nicht ungern fühlt. In den Stücken: der philosophische Egoist, Weisheit und Klugheit, an einen Weltverbesserer, das Höchste, Unsterblichkeit, werden sittliche Verhältnisse des Menschen mit eben so tiefem Blick in sein Innres, als weite Aussicht in die umgebende Welt gefaßt, und ernste Wahrheiten mit der ihnen entsprechenden nachdrücklichen Würde an das Herz gelegt. In der Anrede der Antike an einen Wanderer aus Norden ließe sich vielleicht ohne Nachtheil des schreckenden Kontrastes die Stärke einiger Ausdrücke mildern. Der neblichte Pol, der eiserne Himmel, die Arkturische Nacht, geben ein Bild von einem Norden, aus welchem nicht leicht jemand zu den Sißen der alten Kunst wallfahrtet. Zwar die Antike spricht nach den Begriffen des Alterthums, dem ein enger Horizont die ganze bewohnbare Welt begränzte: sie weiß noch nicht, daß jezt eben da, wo man vor zweytausend Jahren nur unwirthbare Wüsteneyen sah oder zu sehen glaubte, paradiesische Gegenden mit allen Früchten des Südens prangen. Aber sollten die Einflüsse des Himmels, wie sehr auch die menschliche Organisation_im_Algemeinen von ihr abhängen mag, für den einzelnen Menschen wirklich so ganz unüberwindlich seyn?

Von dem Gedicht: Natur und Schule, ist es schwer zu entscheiden, ob es mehr das Gefühl als dichterische Darstellung, oder den Kopf als Auflösung eines philosophischen Problems beschäftigt. Ein edler Freund (die Antwort verräth nachher, daß er ein unnachahmlicher Künstler ist) befragt den Dichter über den Werth des wissenschaftlichen Ergründens der menschlichen Anlagen und Kräfte für ihren besten und richtigsten Gebrauch, sowohl überhaupt, als in Bezug auf sich selbst insbesondere. Dieser giebt darauf zur Antwort: das goldne Zeitalter, wo die

Leitung des natürlichen, unentwickelten Gefühls hinreichte, um seine Bestimmung vollkommen zu erfüllen, sey dahin; jezt müsse angestrengtes Denken über das Verborgenste und Unsinnlichste im Menschen ihm erst den Weg zur höchsten Ausbildung bahnen; und nur der sey dieses allgemeinen Gesezes überhoben, der, wie der fragende Freund, das goldne Zeitalter noch jezt in seinem eignen Busen trage. Das erhabne Unbewußtseyn, welches sowohl die freyeste Seelengröße, als den selbstständigsten Genius begleitet, und der vollendende Zug ihrer Göttlichkeit ist, wird hinreißend schön geschildert:

Du nur merkst nicht den Gott, der dir im Busen gebeut, Nicht des Siegels Gewalt, das alle Geister dir beuget,

Einfach gehst du und still durch die eroberte Welt.

Um verliehene Vorzüge kann man einen Menschen beneiden; für selbst erworbne muß man ihn preisen; und wer würde nicht mit Theilnahme dem wackern Wettkämpfer folgen, der, von der Natur schon vortrefflich ausgestattet, durch einen mächtigen, ungemeßnen Trieb nach Vollkommenheit angespornt, sich ein so entferntes Ziel steckte, daß er zwar die Palme am Ende seiner Laufbahn bräche, aber nicht genug Kräfte übrig behielte, um mit ihr die Heimath zu erreichen und sich seines Sieges zu freun; und, wie jener Spartanische Bote, ein Opfer seines Eifers würde? Durch jede Uebung im Handeln und Schaffen wird nicht nur das Vermögen dazu verstärkt, sondern der ganze innre Reichthum des Menschen vermehrt. Aber verhält es sich eben so mit lange fortgesezten, abgesonderten Anstrengungen des Verstandes? Und ist nicht zu befürchten, es möchte eine Art von Despotismus dieser Seelenkraft entstehn, wenn sie sich gewöhnt hat, die übrigen ge= bieterisch zu einer unwillkommnen Ruhe zu verweisen? Der Mißbrauch jener Lebensfülle, die allein außerordentliche Thaten, und was uns hier näher liegt, bewundernswürdige Kunstwerke erzeugt, ist ein großes, jedoch heilbares, Uebel; der geringste Verlust an ihr ist unerseßlich. Es giebt Beschäftigungen des Kopfes, die unläugbar etwas ertödtendes an sich haben: warum soll sich gerade derjenige ihnen unterziehen, der am meisten dabey einzubüßen hat? Nur aus innrer Harmonie können harmonische äußre Wirkungen

Braun, Echiller. II.

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1796.

1796. hervorgehen; und kann es für die, welchen sie nicht vollkommen angeboren ist, als allgemeine Regel gelten: sie sollen ihren Verstand bis an die Gränze des abstracten Wissens treiben? Ist nicht vielmehr für jeden, nach der besondern Mischung seiner Anlagen, eine andre Vorschrift der Ausbildung nöthig? Der Günstling der Natur hüte sich, ihr das Geheimniß dessen, was sie für ihn that, mit allzu beharrlich dringender Verwegenheit abzufodern. Ein seltnes, fast beyspielloses, Gelingen darf nicht zum Beyspiele werden. Wenn aber wirklich einmal ein hoher Dichtergeist das gefährliche Abentheuer bestanden hat, sich deutlich zu erkennen; wenn er bald als zergliedernder Denker und bald als beselender Künstler Bewunderung erregt; wenn er „erhalten ,,aus dem modrigen Grabe zurückömmt, und Trost für die Leben ,,den von den Mumien herbringt:" wer wird ihn nicht froh und dankbar begrüßen?

Die Elegie im 10ten Stücke besingt einen großen, ja für uns Menschen den größesten aller Gegenstände: die Schicksale der gesammten Menschheit. In den kühnen Umrissen eines idealischen Gesichtes ziehen sie vor dem Geiste des Dichters vorüber. Erst durchwandert er eine blühende Gegend, woran aber noch keine Spur der ordnenden Menschenhand sichtbar ist. Dann entdeckt er von einem Berge herab weit ausgedehnte, angebaute Gefilde: in ihrem anmuthigen Anblick mahlt sich das Glück des ländlichen Fleißes. Bald entsteht der Unterschied der Stände; in den Städten bilden sich Mittelpunkte der Geselligkeit, und die natürlichen Erzeugnisse werden mannichfaltiger benutzt. Die Jugend der Staaten bringt patriotischen Heldenmuth hervor, und gedeiht wieder durch ihn; Thaten die für die äußre Sicherheit der Gesellschaft unternommen werden, gelingen, und theilen jeder Art der Thätigkeit in ihr einen raschern Umschwung mit. Gewerbe, Handel, Kunst und endlich Wissenschaft, nähern sich durch schnelle Fortschritte ihrem höchsten Flor. Allein unterdessen ist Unschuld und Einfalt der Sitten zu Grunde gegangen; lasterhafter Egoismus gewinnt ein unermeßlich weites Feld; der Mensch ergiebt sich den ungeheuersten sittlichen Ausschweifungen, bis endlich die Zerrüttung so weit geht, daß das Gebäude der bürgerlichen Einrichtungen zusammenstürzen und ein zweyter wilderer Naturstand folgen muß. Hier findet sich der Dichter wieder mit der Natur allein, aber nicht mit der freundlich blühenden, sondern

mit der leblosen und furchtbaren Natur. Dennoch wendet 1796. er sich auch so mit Liebe zu ihr, und schließt mit einem Hymnus auf die wohlthätige Unwandelbarkeit ihrer Gesetze, die allein dem Menschen eine unfehlbare Richtschnur des Handelns darbieten.

In allem diesem herrscht ein großer Zusammenhang. Ob die unendlichen Vortheile der Vervollkommnung des geselligen Lebens für die zahllosen Uebel, welche sie erschafft, entschädigen, mehr als entschädigen können, ist eine uralte und vielleicht nie rein aufzulösende Frage. Schon Promethens mußte ja nach der Fabel für diese, als Folgen seiner That, büßen; aber er rechtfertigte sich durch jene: und wer hatte mehr Recht, Jupiter oder der weise Titane? Muß das Menschengeschlecht durchaus an seinem Heil verzweifeln, weil es mit jedem Schritt zur Entwicklung seiner Kräfte auch seiner Verderbniß entgegengeht, oder wird es ihm gelingen, dem Schicksale zum zweytenmal ein goldnes Zeitalter abzunöthigen? Was für das Ganze zu hoffen vermessen wäre, darnach darf doch der Einzelne für sich selbst streben: nämlich bey der vielseitigsten Ausbildung die ursprüngliche sittliche Einfalt zu bewahren; und das ist es auch, womit sich der Dichter am Schluß über die Verirrungen der Menschheit tröstet. Sein Hauptgedanke ist folgender: die Menschen, die zur Geselligkeit geboren scheinen, und durch sie in den Stand gesezt werden, wundernswürdige Dinge auszuführen, verderben sich dennoch untereinander. Das Gefühl, welches ihn auf die Betrachtungen leitet, ist das Verlangen im einsamen vertrauten Umgange mit der Natur sich vor dem verderblichen Einflusse der Gesellschaft und ihren einengenden Verhältnissen zu retten. Hievon geht er aus:

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Und hierauf kömmt er auch zurück, nachdem sowohl die glänzenden als die schrecklichen Scenen des menschlichen Lebens wieder verschwunden sind:

Bin ich wirklich allein? In deinen Armen, an deinem
Herzen wieder, Natur?

1796. Das Gedicht ist also nicht nur nach seinem Gegenstande, sondern durch die Beziehung desselben auf die Seele des Dichters ein Ganzes: es hat Einheit, sowohl lyrisch als philosophisch betrachtet.

In der Ausführung wird die strömende Fülle des Ausdrucks vielleicht hier und da zum Ueberflusse. Beym Eingange könnte man einige Augenblicke zweifeln, ob man hier nicht bloß ein Landschaftsgemälde zu erwarten habe. Die Schilderung der wirklichen Scene und der Anfang der Vision fließen in einander: sind ihre Gränzen mit Absicht nicht genau gezogen? Von den einzelnen Anschauungen, worunter die Phantasie lustwandelt, ist fast jeder Zug auf das bedeutendste gewählt; sie sind immer kräftig, größtentheils mit auffallender Neuheit, und oft wahrhaft erhaben dargestellt. Unter vielem Schönen sind folgende Zeilen über allen Ausdruck schön:

Jene Linien, die des Landmanns Eigenthum scheiden
In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt,
Freundliche Schrift des Gesezes, des Menschen erhaltenden
Gottes

Seit aus der ehernen Welt fliehend die Liebe verschwand.

"

"

Doch scheint der lezte Vers mit dem glücklichen Volk der Gefilde," das gleich darauf geschildert wird, im Widerspruche zu stehn. So wäre auch die Länderverknüpfende Straße," so treffend sie gezeichnet ist, bey der Schilderung des Handelsverkehrs wohl mehr an ihrer Stelle, als neben der genügsamen Eingeschränktheit des Landbaues. Die Einführung der griechischen Götter darf nicht befremden, eben so wenig, als das ganz individuelle Beyspiel von spartanischer Aufopferung für das Vaterland. Da der Dichter die Geschichte des ganzen Menschengeschlechts in einer Bilderreihe aufstellt, so ist er berechtigt, von einzelnen Völkern zu entlehnen, was gerade bey jedem in der ausgezeichnetsten Vortrefflichkeit erscheint. Hiedurch läßt sich auch die Erwähnung der Presse so kurz nach der Kunst im griechischen Styl rechtfertigen.

Da die eben angezeigten Gedichte mit den Elegien im 6ten Stück das Sy benmaß gemein haben, so sind einige prosodische

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