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1795. derselben keine Ehre, sondern macht vielmehr sie und die gute Sache verdächtig, daß sie noch bis diesen Augenblick größtentheils an Formeln hängen, und sich nur in und durch diese Formeln auszudrücken wissen. Die Leibniz-Wolfische Philosophie hatte auch ihre Kunstausdrücke und ihre Sprache. Aber als Männer von Geschmack fie bearbeiteten, warfen sie jene hinweg und gaben dieser Faßlichkeit und Anmuth, und kein Mensch klagte über Undeutlichkeit und Mißverständnisse, dahingegen diese Vorwürfe, nun zehn Jahr lang, bey den Streitigkeiten über die kritische Philosophie, der Gegenstand einer bis zum Ekel wiederholten Klage gewesen sind. Möchte es doch den Männern, die sich unter H. Campe zur Prüfung der deutschen Sprache und Reinigung der Sprachfehler unserer Schriftsteller verbunden haben, gefallen, einigen neuern kritischen Philosophen ihre Aufmerksamkeit zu schenken, oder einige Abhandlungen, seys von Hr. Schiller oder von seinem Freunde H. Fichte, der es ihm in der Abenteuerlichkeit der Schreibart schon um ein großes zuvorthut, ins Deutsche zu überseßen. Ein Mitglied jener Gesellschaft, H. Mackensen, hat in seinen Beyträgen zur Kritik der deutschen, Sprache sich über die Manier, in welcher unsere kritische Philosophen arbeiten, auf eine Weise erklärt, die uns neugierig macht, einmahl etwas ausführlicheres über diesen Gegenstand von ihm zu lesen.

Es bleibt uns noch übrig, unsere Meinung von den andern in den Horen enthaltenen Auffäßen zu sagen. Wir werden uns aber dabey kurz fassen, da die Beurtheilung des ersten Auffahes uns schon weit über die Gränzen einer gewöhnlichen Anzeige hinausgeführt hat.

Eines der vorzüglichsten Stücke ist unstreitig die Belagerung der Stadt Antwerpen in dem Jahre 1584 und 85. Wenn es, wie wir glauben, von dem Herausgeber selbst ist, so gewährt es uns eine zweyfache angenehme Hoffnung, einmal die, ein Werk, das wir, im Ganzen genommen, hochschäßen, die Geschichte der Niederlande, vollendet, und zweytens, die, es auf eine unsern Wünschen entsprechende Art vollendet zu sehn. Das Ganze ist in einem ächt historischen Styl abgefaßt, und die Schilderung der von den Minenschiffen hervorgebrachten Wirkung (St. 4. S. 110.) in Wahrheit meisterhaft. Wir würden der Versuchung sie abzuschreiben nicht widerstehn, wenn wir nicht fürchten müßten,

für den größten Theil der Leser unserer Bibliothek eine vergeb= 1795. liche Arbeit zu thun.

Die Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten find freylich nur eine leichte, aber darum doch nicht uninteressante Lectüre. Sie enthalten manche recht niedliche Schilderung und eine Menge feiner Betrachtungen, unter denen sich die über die Erfordernisse einer guten Erzählung, St. 4. S. 41. vorzüglich auszeichnet. „Ihre Geschichte, sagt die Baronesse unter andern zu ihrem Hausfreunde, sey unterhaltend, so lange wir sie hören, befriedigend, wenn sie zum Ende ist, und hinterlasse uns einen stillen Reiz weiter nachzudenken." Vortreflich! Möchten doch alle unsere stets fertigen Romanschreiber diese Lehre beherzigen! Was uns nicht ganz in diesen Unterhaltungen gefallen hat, ist das Gespräch über Anzeigen und Vorbedeutungen im zweyten Stück. Abenteuerliche Erzählungen, ohne einen vernünftigen Aufschluß, entsprechen den Forderungen, welche die Baronesse an den Erzähler thut, gerade am wenigsten.

Der Auffaß über Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit enthält größtentheils bekannte und oft gesagte Ideen, die durch die gewählte Darstellung nicht anziehender geworden sind.

Die Abhandlung, die das dritte Stück eröffnet, ist ein kleiner Commentar über die Frage: Was ist eignes Schicksal? in Herderischem Geschmacke, d. h. sehr blumenreich und ziemlich unbestimmt. Wir sind indeß doch auf mehrere Gedanken gestoßen, die uns theils durch sich, theils durch ihre Einkleidung vergnügt haben. Ein solcher ist der S. 9. „Am Loose eines andern, der uns nahe ist, Antheil zu nehmen, ihm wo wir können mit Rath zu helfen, seine Last zu erleichtern, sein Glück zu fördern, gebietet uns Allen Menschenliebe, oft Freundschaft, Pflicht und Tugend. Aber uns selbst, vielleicht auf Lebenslang, zu verlassen, um einem fremden Genius zu dienen, ihm mit Aufopferung unsrer selbst blind zu folgen, das verbietet uns unser Genius, der, wenn wir seine Warnung nicht achten, zu seiner Zeit dafür hart strafet. Es giebt imperatorische Menschen, die von der Natur dazu bestimmt zu seyn glauben, die Führer Anderer zu seyn, in entscheidenden Augenblicken über ihr Schicksal zu gebieten und mit einem Wink zu lenken. Wohl, wenn sie auch Herren dieses Schicksals wären, und ihre Macht sich bis in die Brust des Andern erstreckte, dessen

1795. Verhängniß aus ihrer Meinung sie zu bestimmen wagen. Da dieß aber nicht ist, so bleibet dem, der andere für sich rathen, wählen, sorgen ließ, zuleßt nichts übrig, als entweder die von einem fremden Verstande verwickelten Fäden mit eignem Verstande, so gut er kann, aufzulösen, oder dem Wagen des andern, der über sein Schicksal geboth, demüthig zu folgen. Will er großmüthig ein Auge auch dich werfen, und mit den Zügeln, in denen du daherschleichst, seine Hand bemühen, so ists Gnade; wo nicht, so schreibe dirs selbst zu, wenn du dafür geachtet wirst, wofür du dich selbst achtetest, da du dich als eine unbedeutende Zahl der hohen Nummer beygeselltest. Versöhne deinen Genius, so viel du kannst, und mache dich selbst geltend."

Die Ideen zu einer künftigen Geschichte der Kunst liefern einen Versuch die griechischen Werke in Marmor, nach der Zeitfolge, in eine solche Ordnung zu stellen, in welcher sich der Gang, den die Kunst bey den Griechen von ihrem Entstehen an genommen habe, überschauen lasse. Der Verfasser unterscheidet den alten Styl, den hohen Styl und den gefälligen Styl, und nennt die Kunstwerke, die ihm unter jeden zu gehören scheinen. Wir halten den Versuch für nüßlich: ob sich aber aus ihm für die Gewißheit der Kunstgeschichte so viel ergeben werde, als der Verfasser zu glauben scheint, bezweifeln wir. Nach bloßem Gefühl, und ohne von historischen Zeugnissen unterstüßt zu seyn, über das Alter der Kunstwerke zu entscheiden, führt immer etwas Mißliches und Unsicheres mit sich, und doch sind die legten so selten, daß sie sogar beym Laokoon fehlen.

Die Abhandlungen über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische Natur und eine andere über männliche und weibliche Form sind beyde in dem Geist der ästhetischen Briefe geschrieben und überheben uns einer weitern Beurtheilung. Wir sind überzeugt, daß die erste viele recht gute Ideen enthält, die, in einer ge= fälligen Sprache vorgetragen, würden gefallen haben. Aber freylich hätten sie dann nicht so fremd und ungewöhnlich geschienen, als izt, und größtentheils den blendenden Schimmer der Neuheit verloren; und ungehört und ungesagt soll alles seyn, was die Speculation in unserm Zeitalter hervorbringt.

Den Auszug aus Dantes Hölle kennen unsere Leser bereits aus Bürgers Academie der Redekünste. Auch stehen,

wenn wir nicht irren, Proben davon in der Leipziger Monatschrift 1795. für Damen. Wir sind weit entfernt, einem Ueberseßer, der einen reimenden Dichter in gereimten Versen wiedergiebt, die Abweichung von der Urschrift vorzurücken und ihn jeder Veränderung anzuflagen, zu der ihn Reim und Sylbenmaaß nothwendig zwingen müssen, so sehr dieses Verfahren auch vor unsern kritischen Tribunalen gewöhnlich ist. Aber für diese höchst billige Nachsicht verlangen wir auch, daß sein Ausdruck richtig, leicht und natürlich, und sein Vers nett und rund seyn soll. Und diese eben so billige Forderung scheint uns Hr. Schlegel allerdings bey einem fortgesezten Fleiße und durch eine unverdroffene Feile erfüllen zu können, allein igt noch nicht erfüllt zu haben. Einige Beyspiele mögen unsere Behauptung rechtfertigen. St. 3. 6. 22 heißt es, gleich im Anfange des Gedichts:

Es fällt mir hart zu sagen, wie der wilde
Gewalt'ge rauhe Wald beschaffen war,

Denn noch ergraut mein Geist vor seinem Bilde.
An Bitterkeit kommt er dem Tode nah,

Doch um des Heils, das ich darin gefunden,
Will ich das andre melden, was ich sah.

In diesen Strophen gefällt uns mehreres nicht: Erstlich ist wie der Wald beschaffen war doch selbst für diesen Styl noch zu prosaisch. Zweytens heißt ergrauen nicht sich entsehen, sondern jederzeit, grau werden. Drittens kann der Wald unmöglich an Bitterkeit dem Tode nahen können, auch sagt Dante das nicht: Tanto è amara geht offenbar auf cosa nicht auf selva. Viertens ist um des Heils für um des Heils (hier besser Glücks,) willen sprachwidrig. S. 28. heißt es von dem Orte der Quaal:

Verschiedner Sprachen, grauenvolle Zungen,
Des Jammers Worte, Stimmen hohen Zorns
Und heis'res Schreyn, wo zwischen Fäuste klungen,
Erregten ein Getös', das ohne Rast

In diesen ewig schwarzen Lüften kreiset,

So wie der Staub, vom Wirbelwind erfaßt.

1795.

Und ich, deß Haupt vom Irrthum war umschlungen,
Sprach: Was vernehm' ich, Meister? Welch ein Volk
Ist dieses da, von Quaalen so bezwungen?

Bekanntlich gehört diese Stelle unter diejenigen, die von den Italiänern ganz vorzüglich bewundert werden; wir fürchten, daß das der Fall bey den Lesern dieser Uebersetzung nicht seyn dürfte.. Wozwischen Fäuste klungen ist für die Phantasie, wie für das Ohr, höchst widrig; erfaßt für gefaßt für diesen Styl zu fremd; ein Haupt von Irrthum umschlungen eine für unsre Sprache unerträgliche Metapher; ein Volk von Duaal bezwungen, weder natürlich noch eigentlich genug gesagt, und die ganze Stelle, gegen das Original gehalten, schwach. Hier ist das Italiänische:

Diverse lingue, orribile favelle,

Parole di dolore, accenti d'ira,

Voce alte fioche e suon, di man con elle'
Facerano un tumulto, il qual s'aggira.
Sempre'n quell' aria senza tempo tinta,
Came l'arena quando il turbo spirà,

Ed io ch'avea d'error la testa cinta
Dissi: Maestro, che è quel ch'i' odo?

E che gent' è, che par nel duol si vinta?

Wir wissen nicht, ob die göttliche Comödie viel Liebhaber unter uns finden wird. Aber sie wird deren sicher noch weniger finden, wenn H. Schlegel seinen Versen und Ausdrücken nicht mehr Sorgfalt schenkt, und die Arbeit, deren er sich unterzogen hat, statt sie ganz zu thun, halb thut.

Noch liefert das dritte Stück eine sinnreiche Dichtung unter der Aufschrift: Entzückung des Las Casas und das erste und zweyte Stück, jedes eine Epistel in Hexametern. Wenn jede folgende, (denn der Verfasser verspricht mehrere,) sich über die vorhergehende so erhebt, wie die zweyte über die erste, so ist kein Zweifel, daß die sechste eine vortreffliche Epistel werden wird.

Neue Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen
Künste, Leipzig, 1795, 55. Band, 2. Stück, pag. 283–330.

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