veredelt habe,) so ist die Frage, wie wir dieses halsstarrige 1795. Mannigfaltige, dem wir keinen Zwang anthun dürfen, auf eine glimpfliche Weise werden auf Einheit bringen können? „Totalität des Characters muß also bey einem Volke gefunden werden, welches fähig und würdig seyn soll, den Staat der Noth mit dem Staate der Freyheit zu vertauschen.“ (Totalität des Characters c. kann heißen: die Individuen im Volke müßten einen und denselben Character haben; aber auch: der Character der Nation muß mit sich selbst übereinstimmen. Was aber am merkwürdigsten ist, ist: daß wir hier ein zweytes Thema erhalten. Das erste war: Da der Nothstaat aufgehoben werden soll, der Vernunftstaat aber noch nicht angehen kann, was wird da dem physischen Menschen zur Stüße dienen? Das zweyte: Da der Staat den empirischen Menschen aufheben soll, aber doch die Mannigfaltigkeit der Natur ehren muß, wie wird diese Mannigfaltigkeit auf Einheit zu bringen seyn?) Fünfter Band. Hier eröffnet sich die Scene mit einer interessanten Situation. Der Character des Zeitalters zeigt jene Totalität des Characters nicht. (Der Absah: „Wahr ist es“, bis zu Ende, ist vortrefflich, obgleich die Ungehörigkeiten im Ausdrucke auch hier nicht ausbleiben, 3. B. vergebliche Hoffnung; man hofft nicht, um etwas zu erlangen.) Die Depravation der höheren Volksclaffen, (der Verf. hat noch die altfränkische Mode beybehalten, seinen Vortrag durch lateinische und französische Wörter zu schmücken,) wird nun mit einer ausnehmenden Pracht geschildert. Unsern V. hat das Schicksal des Midas getroffen: alles, was er berührt, wird Gold, nur Schade, daß es nicht zu genießen ist. Die affec= tierte Decenz unsrer Sitten verweigert der Natur die verzeihliche erste Stimme, um ihr, in unsrer materialistischen Sittenlehre, die entscheidende leßte einzuräumen.“ (Wie viel ist hier aufzuräumen! Der Gedanke ist: die ersten und natürlichsten Regungen der Natur, lassen wir, aus einer abgeschmackten Schaam nicht laut werden, dennoch aber bestimmen wir uns insgeheim lediglich nach Naturgeseßen, und suchen nichts als Genuß. Dieser ganz gemeine Gedanke, wird nach der Manier des V., das Gemeine durch übertreibung zu veredeln, in einen Bombast gekleidet, der selbst als Bombast falsch ist. Wir verweigern der Natur die erste Stimme", heißt: wir geben ihr unsere erste Stimme nicht, der Verf. wollte aber sagen: wir räumen ihr die erste " 1795. Stimme nicht ein. Was ist ferner eine verzeihliche Stimme ? Ein Irrthum, eine Schwäche, kurz, was nicht seyn sollte, kann unter gewissen Umständen verzeihlich seyn, eine Stimme, die verzeihlich ist, ist gar nichts. Man sieht, daß der V. sagen wollte: wir könnten ihr verzeihen, daß sie die erste Stimme hat. Aber zu geschweigen, daß die Zusammenziehung dieses Sazes in den Ausdruck: verzeihliche Stimme ein ganz unstatthaftes Verfahren ist, sagt auch der Satz selbst nichts. Hier kann von keiner Verzeihung die Rede seyn, sondern die Frage ist: Hat sie die erste Stimme mit Recht, gebührt sie ihr? und nun dächte ich, daß, wenn es irgendwo Rechtmäßigkeit giebt, sie gewiß hier anzutreffen ist. Das verzeihlich ist dem entscheidend entgegengesett, es kann ihr aber nur das Unverzeihliche entgegengesezt werden. Eine solche genauere Untersuchung der Säße unsers V. ist desto nöthiger, da selbst in unsern Büchern über den Styl dergleichen Stellen als unübertreffliche Muster der Schreibart aufgestellt werden. Wahrhaftig, das sicherste Mittel, bei dem Jünglinge, der sich bilden soll, alles Gefühl fürs Wahre und Gute im Keime zu ersticken. Wie muß es doch mit der Urtheilskraft in dem Kopfe desjenigen stehen, der eine solche Periode, in welcher jeder Gedanke falsch ist, bloß deswegen schön findet, weil, wenn man sie ausspricht, der Mund so schön voll wird; und ist es nicht eine armselige Mühe so faules Wasser durch so prächtige Cascaden zu treiben?) Sechster Band. Der V. macht sich den Einwurf, daß dies Gemählde nicht allein unserm Zeitalter, sondern allen Völkern gleiche, die in der Cultur begriffen sind. Hier folgt nun ein Langes und Breites über die Griechische Menschheit. Der Ruhm der Ausbildung und Verfeinerung, den wir mit Recht gegen jede andere bloße Natur gelten machen, kann uns gegen die griechische Natur nicht zu statten kommen, die sich mit allen Reißen der Kunst, und mit aller Würde der Weisheit vermählte, ohne doch, wie die unsrige, das Opfer derselben zu seyn. (Das Opfer? wovon? der Weisheit? oder der Ausbildung? und ist dies nur der Unterschied zwischen unsrer Cultur und der griechischen, daß wir uns zwar, wie fie, mit allen Reißen der Kunst, und mit aller Würde der Weisheit vermählen, aber dabey das Opfer unsrer Ausbildung werden?) Was der V. von der Vorzüglichkeit der Griechen-Natur sagt, ist größtentheils richtig, aber längst besser gesagt worden. Er rühmt an "1 den Griechischen Staaten ihre Polypen-Natur, (freylich ein 1795. sonderbares und selbst unrichtiges Bild, aber lassen wir's! wer kann immer gäten und pußen!) „Jedes Individuum konnte bey den Griechen, wenn es Noth that, zum Ganzen werden." (Was der unvergleichliche Lessing längst weit schöner und bestimmter in den Worten gesagt hat: „Der Staat seßt seine Trennung sogar bis auf den Einzelnen fort," wird hier in einem mystischen Tone durch mehrere dunkle Perioden geschleppt. Wir wollen dem V. nur zu bedenken geben, ob der Fall mit unsern Staaten wohl derselbe, seyn könne, der bey den Griechen war. Bey unsern Staaten, die meistentheils von großem Umfange find, ist die Aufgabe: Einen Willen hervorzubringen; wahrlich, ein schweres Problem! Dieser Noth staat, auf den der V.. mit einer verächtlichen Miene so lächerlich herabsieht, hat etwas sehr Erhabenes. Daß Menschen, die von Natur ungesellig sind, sich in einen Staat zusammenfügen, um gesellig zu werden, daß sie sich Einer dem Andern unterordnen, und sich von einander abhängig machen, dieß Alles konnte wohl jenen Griechen, der sich besser auf das Erhabene verstand, zu dem Ausrufe bringen: sogar ein Bürger konnte der Mensch werden! Ganz etwas anderes ist es, wenn dem Willen Mehrerer dasselbe Object angewiesen wird, also nur Uebereinstimmung zu einem Zwecke hervorgebracht werden soll. Man sollte die Staaten, in welchen sich die Mitglieder eines Zwecks wegen, der außer ihrer Verbindung selbst liegt, (als etwa Handel,) verbinden, nicht einmal Staaten nennen; es sind Gesellschaften. Nun ist aber offenbar, daß in einer solchen Gesellschaft, eine solche Trennung der Mitglieder nicht nöthig gemacht wird, sie vereinigen sich zulezt alle in ihrem gemeinschaftlichen Objecte. Daher ist unter ihren Mitgliedern eine gewisse Aehnlichkeit, man kann den Einen für den Andern nehmen. Die Holländer sind alle ähnlich, jedes Individuum ist hier, (um in der Sprache des V. zu reden, die mir freilich schlecht stehen wird,) Staat. So geht es den Wilden, so geht es den mehr cultivierten Nationen, die ein Object des Willens haben, als etwa Jagd, Fischeren, Caperey, auch das Lootsen. Die Römer nannten die Deutschen ihrer Aehnlichkeit unter einander wegen, Germa= nos. (Hier hätte der Verf. also ganz die verlangte PolypenNatur finden können. Nun ist jenes aber gerade der Fall bey den Griechen. Hier waren kleine Ochlocratien, die sich eines 1795. Zweds wegen verbunden hatten, nämlich: einander den Hals zu brechen. Hier war ein Object des Willens, der Krieg. Es ist gar nicht zu verwundern, daß man unter solchen Menschen die Verschiedenheiten nicht findet, in welchen die Menschen in unsern Staaten erscheinen, wo das Ganze durch ganz andere Machinationen zusammengehalten werden muß.) Der V. gesteht nun zwar, daß durch eine solche Vertheilung und Zerstückelung der Kräfte, die Gattung zur Wahrheit geführt werde, wenn auch in dem Individuum die Menschheit nicht vollständig entwickelt werde; allein, da es doch billig scheint, daß diese dafür entschädigt werden, daß sie der folgenden Menschheit, mit Aufopferung ihrer Kräfte ein goldenes Zeitalter bereiten, so müsse ein solches Entschädigungsmittel aufzufinden seyn. Kann der Mensch dazu bestimmt seyn, über irgend einem Zwecke sich selbst zu versäumen? es muß also falsch seyn, daß die Ausbildung der einzelnen Kräfte das Opfer ihrer Totalität nothwendig macht, oder, wenn auch das Gesetz der Natur noch so sehr dahin strebte, so muß es bey uns stehen, die Totalität in unsrer Natur, welche die Kunst zerstöhrt hat, durch eine höhere Kunst wieder herzustellen?“ (Hier könnte man nun dem V. einwenden, daß doch so mancher die Totalität in seiner Natur habe aufopfern müssen, ohne daß ihm dafür eine Entschädigung geworden, und daß er von der Bühne dieses Lebens abgetreten, ohne daß weder Hund noch Hahn darnach gekräht habe. Doch wir wollen ihm das Spiel nicht verderben, sondern nur anmerken, daß hier nur ein drittes Thema aufgestellt ist, ohne daß die ersten beyden ausgeführt sind.) So lang diese Anzeige auch schon geworden ist, so können wir uns doch nicht enthalten, aus der Fortsegung dieser Briefe im zweyten Stücke einiges auszuheben, um eine Probe zu geben, wie der Verf. Kants Ideen mißhandelt, und zu welchen Zwecken sie ihm dienen müssen. Man lese einmal den 11. 12. und 13. Brief. Sganarelle in der Comödie, als médicin malgré lui kann nicht lächerlicher über Aristoteles und die Arzneikunst sprechen, als hier über Kantische Philosophie gesprochen wird. Man sieht hier mit Verdruß den Poeten, der die Kritik in der Absicht durchblättert hat, um etwas zu finden, was in seinen Kram diente, und was er verpoetisieren könnte. So hat er gelesen, daß wenn der Verstand ein gegebenes Mannigfaltiges zusammenfaßt, er dadurch den innern Sinn afficiert, und die Zeit erzeugt. Hier ist ein Gedanke, aus dem sich etwas machen läßt: wir machen 1795. die Zeit. Nun gebe ich zu bedenken, ob es wohl Kunst sey, einem Gedanken, den man mit der größten Nüchternheit denken muß, durch gräßliche Uebertreibung ein riesenhaftes und barockes Ansehen zu geben, um damit, wie mit einem Popanz, den armen Leser, der nicht weiß, wo das herkömmt, zu erschrecken und zu betäuben? Man höre nur: „Der Mensch sezt die Zeit, er hebt die Zeit auf; um nicht bloß Welt zu seyn, muß er der Materie Form ertheilen, um nicht bloß Form zu seyn, muß er der Anlage, die er in sich trägt, Wirklichkeit geben. Er verwirklicht die Form, wenn er die Zeit erschafft. Sobald der Mensch Form ist, so hat er keine Form." Das sind die Schreckenbilder, mit denen der Leser hier außer Athen gesezt wird. Das Traurigste, oder, wenn man will, das Lustigste dabey ist, daß der V. sehr wenig von diesen Philosophemen verstanden hat. Man höre nur: „Die Zeit ist die Bedingung alles Werdens, ist ein identischer Saß, denn er sagt nichts anders, als: die Folge ist die Bedingung, daß etwas erfolgt.“ ihr Freunde der Logik und der gesunden Vernunft! Ein identischer Sat! Hat diese erhabene Philosophie sich denn nie herablassen können, einmal in die Logik zu blicken, und zu sehen, was ein identischer Satz sey? Noch dazu ist dieser, so die Götter wollen, identische Sat grundfalsch, denn die Ursach ist die Bedingung des Werdens. Ferner: „die Folge ist die Bedingung, daß etwas erfolgt." Meint denn der V., daß Folge und Zeit einerley sey? weiß er nicht, daß Folge schon etwas durch einen Begriff Gedachtes ist, und daß wenn Zeit und Folge einerley wären, es noch eine Zeit geben müsse, in der die Folge erfolgte? Wenn wir unsern V. sein Wesen ferner ungestöhrt treiben ließen, so würden wir am Ende eine travestierte Vernunftkritik erhalten. Die drey Triebe, die in ihrer Verbindung den vollkommenen Menschen ausmachen sollen, der Sachtrieb, Formtrieb und Spieltrieb, (welch ein widriges Wort!) wollen wir hier unkritisiert lassen. Rec. kann gleichwohl an diese Dreyeinigkeit noch nicht glauben. So viel ist indessen klar, daß der Name Spieltrieb unglücklich gewählt ist, um die eigentlichste Aeußerung der Freyheit zu bezeichnen. Wo Trieb ist, ist immer Nothwendigkeit, er ist nie sein selbst wegen da, er ist nur, damit etwas anderes sey. Noch weniger kann Rec. dem Spieltriebe die Ehre lassen, daß die Moralität ihn um seine bons offices ansprechen müsse. Bey der |