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die bei dem andern vorleuchten, versteht sich: sonst wäre keiner 1800. ein großer Dichter. Schillers größtes Talent ist feierlicher Ernst und Erhabenheit der Darstellung, Göthe'ns, einfache Wahrheit des Gefühls.

Diese Verschiedenheit zwischen beiden zeigt sich auch an den Fehlern, in die sie gerathen. Wer immer erhaben seyn will, verfällt leicht in Bombast und Preciosität; wer sich in seiner Einfachheit ganz unbeachtet gehen läßt, wird nur zu leicht platt, niedrig und unrichtig. Die Vorzüge unsrer Dichter bedurften keines Beleges; daß sie aber wirklich in jene Fehler gerathen, darüber, mein Freundin, muß ein Beweis geführt werden.

Erlauben Sie mir dazu eine kleine kritische Operation. Die Gedanken des Dichters sind sein Gesang; das Metrum seiner Verse ist sein Akkompagnement. Damit wir jenen besser beurtheilen können, schweige dieses. Echte Poesie muß auch dann noch Poesie seyn, wenn ihre Wortfügung in Prosa aufgelöst wird; und als Prosa werde ich Ihnen ein Paar Stellen aus beiden Dichtern hinschreiben. Käme es darauf an, den Werth eines einzelnen zu bestimmen, so wäre das vielleicht unrecht: aber bei einer Vergleichung zweier ist es erlaubt, da beiden gleichviel dabei genommen wird.

Eine der Götheschen Romanzen fängt mit folgenden Worten an, zu denen ich kein überflüssiges hinzuseße:

„Ein Knabe war frech genug und" eben aus Frankreich gekommen. Er hatt' ein armes junges Mädel oft in Arm genommen und geliebkost und liebgeherzt, als Bräutigam herum gescherzt und endlich es verlassen. Als" das braune Mädel das erfuhr, vergingen ihr die Sinnen (Sinne); sie lacht' und weint und bet't und schwur: so fuhr ihre Seele von hinnen."

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Finden Sie darin etwas Poetisches, außer die Licenz des Sprachfehlers und der Härten? Ich muß gestehen, wüßť ich nicht, daß diese Zeilen von Göthe sind, und wär' es nicht völlige Unmöglichkeit, daß er etwas Ungöttliches lieferte: ich würde sie nicht nur gemein, sondern platt finden.

Der Anfang von Schillers Kranichen lautet so:

,,Jbikus, der Götterfreund, zog zum Kampf der Wagen und Gesänge, der die Stämme der Griechen auf Korinthus Landesenge froh vereint. Ihm schenkte. Apoll die Gabe des Gesangs und

Braun, Schiller. II.

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1800. den süßen Mund der Lieder. So wandert er, des Gottes voll, am leichten Stabe aus Rhegium.“

Bei Schillern darf man eher etwas wagen, und so will ich Ihnen nicht verhehlen, daß mir der Vortrag gesucht und schwerfällig, und der füße Mund der Lieder sehr preciös scheint: ich muß aber zugleich hinzu sehen, daß dies vielleicht die schlechteste Strophe in der ganzen Sammlung ist. Wir wollen ihn sowohl als Göthe in einem bessern ihrer Gedichte sehn. Göthe sagt in seiner Braut von Korinth:

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Ein Jüngling kam von Athen nach Korinth gezogen, wo er noch unbekannt war. Einen Bürger hofft er sich gewogen (zu finden); beide Väter (Welche? Wessen?) waren gastverwandt, hatten schon früh voraus Töchterchen und Sohn Braut und Bräutigam genannt. Aber wird er auch willkommen scheinen, wenn er die Gunst nicht theuer erkauft? Er ist, mit den Seinen noch ein Heide und sie (Wer?) sind schon Christen und getauft. Keimt ein neuer Glaube, wird oft Lieb' und Treue wie ein böses Unkraut ausgerauft.“

Gestehen Sie, meine Freundin, wenn Sie diese Zeilen irgendwo so fänden, würde es Ihnen wohl einfallen, daß sie möglicher Weise nicht etwa nur schlechte fehlerhafte Prosa seyen, sondern der Anfang eines hochberühmten Gedichts? - Vielleicht wird aber aus jedem Gedichte durch die Auflösung etwas Ähnliches. Vielleicht macht der Zwang des Sylbenmaßes die Sprachfehler nothwendig. Schiller mag Ihnen antworten:

„Was rennt das Volk? Was wälzt sich dort die langen Gassen brausend fort? Stürzt Rhodus unter Feuersflammen? Es rottet sich im Sturm zusammen, und aus dem Menschentroß gewahr ich einen Ritter, hoch zu Roß, und hinter ihm, welch Abentheuer! bringt man ein Ungeheuer geschleppt.“

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Wie täuschend lebhaft! wie schön, wie erhaben dichterisch ist die Diftion! Aber, rufen Sie aus, das sind ja beinahe die Verse selbst, nicht eine Auflösung! das ist es eben, meine Freundin. Versuchen Sie einmal diese Verse mehr in Prosa aufzulösen. Kein Wort können Sie anders stellen, ohne der Sprache selbst Gewalt anzuthun. Weit entfernt, daß das Sylbenmaß Härten, Verwerfungen, oder gar Sprachfehler nöthig machte: keine Prosa könnte natürlicher und fließender seyn, als diese Verse und fast alle Schillerschen sind. Bemerkt man, was hierin dem

Einen großen Dichter möglich war, so sieht man, daß der andre 1800. wohl was man so lange von ihm läugnete eine Manier hat, nehmlich die der Vernachlässigung und Fehlerhaftigkeit.

Wir wollen Beide jezt in einer andern Dichtungsart sich begegnen sehn, in dem Liede. Das Lied soll bloß Ausbruch des Gefühls seyn, und ist dieses leidenschaftlich erhöht, so strömt der Dichter es in einer Ode aus. In dieser leztern Gattung, in der uns Schiller vorzüglich das Lied an die Freude, und seine Resignation lieferte, hat sich Göthe hier nicht versucht. Was das eigentliche Lied betrifft, so bitte ich Sie um die Schonung gegen ihn, die drei ersten Lieder dieser Sammlung gar nicht zu bemerken: Sie könnten sonst in Versuchung gerathen, Göthe mit Schmidt und Tieck in Eine Classe zu sehen.

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Wählen Sie die beiden besten aus, die Nähe des Geliebten" und die Verschiedenen Empfindungen," und vergleichen Sie damit die lage des Mädchens in den Schillerschen Gedichten. Auch hier werden Sie finden, daß Göthe uns die mannigfaltigsten Empfindungen gewöhnlicher Menschen mit glücklicher Individualität auszudrücken weiß, Schiller hingegen alles veredelt, alles bis zur Erhabenheit idealisirt. Sollte Ihnen dabey zufällig das Lied: Musen und Grazien in der Mark", vorkommen, und Sie haben über das Treffende dieser Satire hinlänglich gelacht, so lesen Sie, um das Gemeine in derselben, den Quark, den Mist u. s. w., geschwind zu vergessen, die Schillersche Satire: „Shakespeares Schatten“ nach. Ich wüßte nicht zwei andre Gedichte aufzufinden, welche die Geistes-Physiognomie beider Dichter in so ausdrucksvollen Zügen einander entgegenstellten. Beide treffen tödtlich: aber dieser mit dem Schwert, jener mit dem Prügel.

Die dritte Gattung, in der wir Schiller und Göthe vergleichen können, ist die Elegie.

Die Elegieen, welche Göthe in Rom schrieb, bilden zusammen einen kleinen Roman, indem sie uns eine Reihe von Situationen, und die Empfindungen und Betrachtungen schildern, die jene einflößen. Hier, wie überall, ist der Dichter sehr glücklich im Ausdruck, aber hier, wie fast überall, nicht delikat genug in der Wahl dessen, was er ausdrücken will. Er beschreibt uns nicht nur die schönen Formen seiner Geliebten, sondern auch die Handlungen, zu denen sie den Liebenden anreizen; und das ist doch wohl um fein stärkeres Wort zu brauchen unsittlich. Wenn die

1800. Mätresse erzählt: sie habe „Rothstrumpf immer gehaßt, und Violetstrumpf dazu“; so ist das gemein. Erzählt Göthe uns aber gar, in der achtzehnten Elegie, warum er sich eine eigene Mätresse halte, nehmlich aus Besorgniß für seine Gesundheit, ich kann mir nicht helfen, meine Freundin, ich find' es niedrig. Hatte Göthe den Schillerschen Oden nichts entgegen zu stellen, so bleibt ihm Schiller hier das Gegenstück schuldig.

*) S. Adelungs Sprachlehre, Berlin, 1792. S. 164.

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**) Mit aller Achtung, die Göthen gebührt: dieser Ruhm ist etwas zweideutig. Seine fehlerfreieren Werke, Tasso und Iphigenia, haben feinen Nachahmer erweckt; es möchte also wohl der Mühe werth ́seyn, zu untersuchen, ob es die erhabenen Züge in den übrigen, oder die Gemeinheiten, mit denen sie untermischt sind, waren, was dem Haufen, mit der Luft, auch den Muth einflößte, sich au niveau mit Göthen stellen zu wollen. Zudem was ahmt man nicht nach! Hat doch so gar schon das non plus ultra flacher Geschmacklosigkeit, Rinaldo Rinaldini, Nachahmer gefunden.

Sechster Brief.

Am 7ten Oktober 1800.

Ich dachte es wohl, meine Freundin, daß die Sachen, die ich von Göthen sagte, Sie nicht angenehm überraschen, und daß Ihnen vorzüglich die Ausdrücke, mit denen mein voriger Brief schließt, etwas stark scheinen würden. Glauben Sie indeß ja nicht, daß ich hier etwas zurücknehmen werde. Auch ich weiß, welche Achtung man einem großen Manne selbst da schuldig ist, wo man seine Mißgriffe rügt; auch ich weiß, daß es Krittelei scheint, wenn man, wo so viele Vorzüge glänzen, wie in Göthens Gedichten, die Fehler derselben nicht übersieht: aber die Litteratur verträgt keinen Monarchen, und den will man ihr jezt in Göthen aufdringen. Mit Recht preist man von ihm, daß er so manche Schulfesseln in der Dichtkunst zerrissen habe: aber sollen wir uns deshalb gefallen lassen, daß uns seine lächerlichen Vergötterer die seinigen anlegen? Wenn diese Menschen in kriechenden Lobreden alles neben ihm herab würdigen; wenn sie verlangen, daß man nur ihm anbetend huldigen solle, indeß die Nation noch Klopstock, Wieland, Herder, Voß und Schiller besigt; wenn Er selbst

endlich anfängt, sich auf das Wort seiner Schmeichler für einen 1800. Halbgott zu halten, dem alles erlaubt sey: - dann, meine Freundin, ist es Zeit, daß ihn jedermann, so laut er es vermag, an seine Menschheit erinnere und das betäubte Publikum dazu. So wahr alle Rügen sind, die ich bis jetzt aufstellte, und alle, die dieser Brief noch enthalten wird, so werden sie doch niemand auf einen Augenblick vergessen lassen, daß Göthe einer der größten Dichter ist, welche die Nation hat: aber als den Einzigen, als fehlerloses Muster soll man uns ihn nicht aufdringen, und er soll das Publikum wenigstens nicht ungerügt so verächtlich behandeln, als er in dieser Sammlung wirklich gethan hat. —

Ohne weitere Einleitung will ich jezt fortfahren, wo ich im vorigen Briefe abbrechen mußte.

Außer jenen berufenen Römischen Elegien giebt Göthe uns in diesem Bande noch sieben andre, unter denen Alexis und Dora, der neue Pausias, Euphrosyne und Amyntos die vorzüglichsten sind. Den meisten Schillerschen: der Tanz, das Glück, der Genius, der Spaziergang, die Geschlechter u. s. w. fehlt, mit jenen vier von Göthe verglichen, die Lebendigkeit des Interesse. Sic sind nicht, wie diese, Gemälde von genialisch erfundenen Situationen und den Empfindungen, die sie einflößen, sondern theils Gemälde von wirklichen Gegenständen, theils nur philosophische, dichterisch behandelte Reflexionen. Schiller ist in der Elegie Maler und Redner, Göthe meistentheils wahrer Dichter: wagt er sich aber in Schillers Gebiet, so bleibt er tief unter ihm. Wie matt ist der Anfang seiner Metamorphose der Pflanzen:

Dich verwirret, Geliebte, die tausendfaltige Mischung
Dieses Blumengewühls über den Garten umher;
Viele Nahmen hörest du an, und immer verdränget

Mit barbarischem Klang einer den andern im Chr.

Ist das etwas anderes, als in metrische Bissen zerrissene Prosa? Er fährt fort, uns, wiewohl in sehr gewählten Ausdrücken und einer wohl tönenden Diktion, ein Kollegium über die Botanik zu lesen: er beschreibt uns, wie sich der Keim durch die Feuchtigkeit entwickelt; er beschreibt uns die Stengel, die Blätter, die Ordnung der Blumen, und endigt dann, mit einer Anspielung auf den behandelten Gegenstand:

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