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1797. ruhiger, aufgeblasener, abgeschmackter Wiglinge, Pritsschmeister, Bedanten und Sahlbäder von ihnen behandelt, und, nachdem man sich allenfalls ein paar Minuten an dem possierlichen Schauspiel, wie wir uns, gleich den Affen, unter einander herum beißen und einander mit den Exkrementen unsers Wizes besudeln, er= luftiget, mit gebührender Verachtung aus jeder guten Gesellschaft mit den Absätzen hinausgestoßen würden, was für Ursache hätten wir, uns über großes Unrecht zu beklagen? - Gewiß keine, wofern wir nicht alle mit gesammter Hand gegen diejenigen aufstehen, die uns durch einen so ungeheuren Mißbrauch ihres Ansehens, ihres Wizes und ihres Talents Distichen zu drechseln, diese Schmach zugezogen haben. Verzeihen Sie mir, wenn ich zu warm geworden bin. Aber die Sache, wiewohl die Herren nur ein Spiel daraus gemacht wissen möchten, ist zu wichtig, und hat zu ernsthafte Folgen, als daß sich darüber scherzen ließe. überdieß sollt ich denken, wer vor keinem andern Respekt hat, und sich, sobald ihn die Laune dazu anwandelt, von allen Regeln der Anständigkeit und guten Sitte dispensiert, habe kein Recht zu erwarten, daß ein Bidermann, aus Schonung und Respekt gegen ihn, Bedenken trage, ihm die bloße Wahrheit zu sagen.

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Ich. Ich habe Sie ausreden lassen, lieber Herr, wiewohl ich die Hize, in welche Sie aus einem übrigens sehr gerechten Eifer gerathen find, weder liebe noch billige. Auch ich sehe zwar die Sache, wovon wir reden, für wichtiger an, als manche Leser, und vermuthlich auch als die jovialischen Herrn selbst, die Ihnen zu diesem heißen Ausfall Gelegenheit gegeben haben. Aber eben darum lassen Sie uns, so viel möglich, gelassen bleiben, damit wir nicht, indem wir über Andere urtheilen, uns selbst irgend eines verdienten Vorwurfs von Uebereilung oder leidenschaftlicher Einseitigkeit schuldig machen. Sie glauben die Verfasser der Xenien zu kennen, und der Eifer, womit Sie Sich über diese Sammlung von kritischen und antikritischen, scherzhaften und satyrischen, gesalznen, ungesalznen und übersalznen Epigrammen erklärt haben, wurde gerade durch diese Voraussetzung, daß der Unfug von Männern vom ersten Rang in der litterarischen Welt ausgeübt worden sey, in Ihnen angezündet. Ich glaube, oder vielmehr ich bin völlig überzeugt, daß Sie Sich hierin irren, und ich hoffe, auch Sie, mein Freund, in der Folge hievon hinlänglich zu überzeugen. Aber vor allen Dingen lassen Sie uns vorher

den Xenien selbst, so wie sie hier vor uns liegen, ohne uns 1797. jezt um das Bersonale der Verfasser zu bekümmern, etwas schärfer unter die Augen schauen. Ich habe sie, wie Sie sehen, zu meiner eigenen Bequemlichkeit, numerirt, und dadurch gefunden, daß ihrer 422 Stücke sind! Vierhundert zwey und zwanzig Epigrammen in lauter einzelnen Distichen, in Einem Zug, ist sehr viel, wenn Sie bedenken, was zu einem guten Epigramm und zu einem untadelichen Distichon erfordert wird. Vermuthlich war es gerade die ungemeine Schwierigkeit dieser Art von Spielwerken des Wizes und der Laune, was die beiden Dichter, denen wir überhaupt das Beste in diesem M. A. zu danken haben, auf den Einfall gebracht haben mag, in einigen heitern Stunden sich gleichfam in die Wette damit zu beschäftigen oder zu erlustigen. Auch würden die Distichen, welche zwischen S. 28 und 196 des Schill. M. A. theils einzeln verstreut, theils in größern und kleinern Gruppen zusammengestellt sind, die Hand der Meister unfehlbar errathen lassen, wenn gleich die Namen Göthe und Schiller oder die Anfangsbuchstaben G. und S. weggelassen worden wären. Das wenigste, aber auch das unnachläßlichste was von einem nach griechischer und lateinischer Versart modelirten zweizeiligen Epigramm gefordert wird, ist, daß es ohne Fehler gegen die Prosodie sey; und gerade dieß ist eine Hauptursache, warum es unsrer Sprache so schwer ist, gute Distichen zu machen. Die Distichen, zu welchen G. und S. sich namentlich bekannt haben, sind auch in dieser Rücksicht größtentheils musterhaft. In den Epigrammen auf der 28-33. S., wovon die sechzehn ersten von Göthe und die übrigen von Schiller sind, habe ich nur ein paar kleine Fehler gegen die Prosodie gefunden, die kaum bemerkt zu werden verdienten, wenn Licenzen dieser Art, zumal in einem so kleinen Produkt als ein Distichon ist, den Meistern der Kunst übersehen werden dürften. Daß diese Epigrammen (mehr als 220 an der Zahl) welche, theils unter andere Gedichte verstreut, theils unter besondere Titel, als die Eisbahn, Tabulae votivae, Vielen, Einer, gebracht, und von welchen die drei lezten Rubriken mit G. und S. zugleich unterzeichnet sind, einen Schatz von reichhaltigen Gedanken, scharfsinnigen Bemerkungen, zarten Empfindungen, oder leichten und feinen Scherzen, von Lebensweisheit, Lebensklugheit nnd Kritik der Kunst, enthalten, mit welchem, meines. Wissens,

1797. keine ähnliche Sammlung von Gnomologen und Epigrammendichtern, weder unter den Alten noch den Neuern die Vergleichung aushält, ist nicht mehr als man von ihren Verfassern zu erwarten berechtigt ist; und wer wird es nicht ganz natürlich finden, daß fie, zusammengenommen, alle Schönheiten und Grazien, deren die verschiedenen Gattungen des Sinngedichts fähig sind, in sich vereinigen? Viele sind wahre goldne Sprüche, und so schweren und tiefen Inhalts, daß die Entwicklung ihres ganzen Sinnes zu einem kleinen Buche werden könnte.

Manchen könnte vielleicht ein kleiner Kommentar nicht schaden; mehrere, besonders unter den metaphysischen, ästhetischen und kritischen, die den größten Theil der tabulae votivae ausmachen, fordern zur Prüfung auf; von einigen gestehe ich, daß fie für mich Räthsel sind, und ich bin leider! kein Ödipus. Unter diese Rubrik gehören wohl auch, für die meisten Leser, die Distichen Vielen gewidmet, (S. 187–192.) worin, wie es scheint, individuelle, meistens mit Anfangsbuchstaben bezeichnete Damen unter dem Bilde von Blumen karakterisirt, oder kompli= mentirt, oder satirisirt werden. Da die meisten dieser kleinen Mignaturbildchen nur für den, der das Gesicht kennt, Interesse haben, so ist die Zierlichkeit und Zartheit des Pinsels alles, was uns übrigen daran behagen kann. Aber desto reichlicher werden wir durch den größten Theil der niedlichen Distichen für Eine entschädigt; zumahl da sich jedermann eine solche Eine träumen lassen kann, wofern er nicht etwa selbst so glücklich ist, oder zu seyn glaubt, Eine zu haben, die ihn durch Empfindung überzeugt, „daß Raum und Zeit nur bloße Formen des Denkens find, weil ihm das Ecchen mit seinem Liebchen unendlich scheint." Auch könnten sie das Gute stiften, unsere Schönen zur Kantischen Philosophie zu bekehren, wenn sie sehen, daß die Kritik der reinen Vernunft auch zum Tändeln mit einem Liebchen nüße ist. Kurz, diese ganze Lieferung von Sinngedichten, die von den ersten zwey Dritteln des Sch. Musenalmanachs beynahe wieder den dritten Theil ausmacht, gewährt entweder dem Verstande, oder dem Wiß und Geschmack des Lesers eine so angenehme Unterhaltung, daß nicht leicht etwas anders an ihre Stelle hätte gesezt werden können, das zu diesem Zwecke tauglicher wäre. Überdieß würde sie allein zureichend seyn, denjenigen, der eine Theorie des Epigramms schreiben

wollte, mit allen nöthigen Beyspielen und Mustern zu 1797. versehen; und wenn sich auch unter so viele einige wenige eingeschlichen hätten, die auf einer scharfen Wage zu leicht befunden würden: so glaube ich doch behaupten zu können, daß auch nicht eines darunter ist, dessen sein Verfasser sich zu schämen hätte.

Dies ist nun freylich der Fall keineswegs bey den Xenien, die diesem M. A. gleichsam als eine Zugabe beygefügt sind, und zu welcher niemand, auch nicht einmahl mit dem ersten Buchstaben seines Namens, sich bekennen mochte. Dieses seltsame Gemengsel von den ungleichartigsten Wißspielwerken, die wohl jemahls der Lesewelt auf einmal in Form einer olla podrida vorgesezt worden sind, verräth, däucht mich, schon beym ersten Anblick auch sehr ungleichartige Urheber.

Daß viele dieser Xenien ächten Wit, und feines, wiewohl scharfes Salz in sich haben, wird wohl Niemand läugnen wollen: aber eben so wenig ist zu läugnen, daß die falschwigelnden, platten, schiefen, leichtfertigen, unartigen, pöbelhaft groben und boshaften, zusammengenommen die große Majorität ausmachen; und daß auch nur eines von diesen leztern, einen Mann von Verstand, Lebensart und achtungswürdigem Karakter, geschweige dann einen Mann von Ansehen und Namen, dem die öffentliche Meinung nichtsweniger als gleichgültig seyn kann, zum Urheber haben könnte, credat Iudaeus Apella! Ein Mann, der das alles und ein Dichter dazu ist, kann wohl in einer Stunde, wo Wig und Laune die Oberhand haben, über die menschlichen Thorheiten in Prose oder Versen scherzen und lachen. Was immer erlaubt gewesen ist, einbildische Gecken, Pedanten, Wiglinge, Schwärmer, Hypokriten und Prätensionsmacher von allen Gattungen und Farben, mit attischem Salze zu reiben, warum sollte das nicht auch ihm erlaubt seyn? Oder von welchem andern als von einem solchen Manne kann man gewiß erwarten, daß er sich dieser Freiheit mit Mäßigung, Unterscheidung, Anständigkeit und Achtung für Verhältnisse bedienen werde? Freilich wollen Wig und Laune einen etwas freien Spielraum haben: aber auch dem Wiß und der Laune sezt wo nicht Humanität und Güte des Herzens, doch Urbanität, Klugheit und Achtung für sich selbst Grenzen, über die ihnen nie auszuschweifen erlaubt wird. Nimmermehr wird ein

1797. solcher Mann sich anmaßen, vor das Publikum hinzutreten, und ihm eine Impertinenz wie diese zu sagen:

Viele Bücher genießt ihr, die ungesalznen; verzeihet

Daß dieß Büchelchen uns überzusalzen beliebt.

Nimmermehr wird ein solcher Mann die egoistische Prätension an uns machen:

Lies uns nach Laune, nach Lust, in trüben, in fröhlichen

Stunden,

Wie uns der gute Geist, wie uns der böse gezeugt.

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Denn, wofern ihm ja einmal das seltsame Unglück begegnete, daß seine Muse oder Laune hinter seinem Rücken mit dem bösen Feinde zugehalten hätte, und irgend ein Wechselbalg, den sie zur bösen Stunde geworfen, zum Verräther dieser Unthat würde: so wäre doch wohl das erste was er thäte daß er den kleinen Kielkropf eigenhändig ins Feuer würfe, bevor er noch irgend einer ehrlichen Christenseele vor die Augen gekommen wäre. Aber am allerwenigsten wird es jemahls moralisch möglich seyn, daß ein solcher Mann, selbst in seiner schlimmsten Stunde, andere wackere Männer, die ihrer persönlichen Eigenschaften, ihres Standes und Rangs in der Gesellschaft, ihrer Verdienste, ihres Alters, oder anderer Rücksichten wegen Anspruch an Achtung für ihre Verdienste und Schonung ihrer Schwachheiten zu machen haben, um irgend einer verzeihlichen Menschlichkeit willen, zu hohnnecken, dem öffentlichen Gelächter Preis zu geben, oder, wenigstens in den Augen der leichtsinnigen Jugend und des unverständigen Lesepöbels verächtlich zu machen, fähig seyn sollte. — Personal-Satyre ist überhaupt etwas verhaßtes, und gränzt nahe an's Pasquill, als daß ein Mann von Ehre sich anders als mit der größten Behutsamkeit zu ihr herablaffen sollte. Aber vollends in Distichen, deren Kürze selten erlaubt einen Gegenstand durch mehr als Einen Zug zu bezeichnen, ist diese Art von Sathre, wenn sie auch im Grunde nichts mehr als Kritik oder Elenchus seyn sollte, gefährlicher und verhaßter als unter irgend einer andern Form; denn es ist beinahe unmöglich, dem Getadelten oder Bespotteten in zwey Versen, (zumahl in solchen, worin selbst der leichteste und gewandteste Wig in unsrer Sprache.

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