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seyn müße? Und so dürfte sich wohl auch wirklich die Sache, 1796. bey einer nähern Untersuchung, verhalten. Solche abgezogene Begriffe, dergleichen im Reiche der Schatten aufgestellt werden, mit einem poetischen Körper bekleiden, ja sie nicht bloß didaktisch, sondern lyrisch ausführen wollen, heißt, nach unserer Empfindung, das Wesen der Dichtkunst verkennen, und das Unmögliche für möglich halten. Aus einem Unternehmen der Art kann offenbahr nichts anders hervorgehen, als Zusammenseßungen, die weder Prosa noch Poesie sind, die durch Dunkelheiten aller Art aufhalten und verwirren, und durch die unaufhörliche Schwierigkeiten des Verstehens, mit denen der Leser zu kämpfen hat, die Wirkung, die das lyrische Gedicht so vorzüglich beabsichtigt, Rührung und Begeisterung, vernichten. Zwar wißen wir wohl, was die Leser einem philosophischen Dichter schuldig sind, und wie sehr dieser berechtigt ist, eine mehrmalige Betrachtung seines Kunstwerkes von ihnen zu fordern; aber wir wißen auch aus eigner Erfahrung, wie eine Theodicee und ein Schattenreich die auf sie angewandte Mühe belohnen, wie in jenem Gedichte, nach wiederhohlter Lesung, alles in Licht und Klarheit sich auflöst, in diesem alles in die Dämmerung des Reiches, von dem es benannt ist, gehüllt bleibt.

Doch wer wollte nicht eines mißgerathenen Versuches, zumal, wenn der Verf. durch mehrere trefliche Versuche seine Leser bereits schadlos gehalten hat, gerne vergeßen? Was man mehr zu bedauern Ursache hat, ist, daß H. S. in so vielen seiner Gedichte, in denen er Ideen, die der poetischen Ausbildung vor so vielen andern fähig sind, ausführt, und durch die er so vortheilhaft auf eine große Classe von Lesern wirken könnte, dieselbe räthselhafte, schwankende Sprache redet, eine übel angebrachte Metaphysik unter die schönsten Gemählde und Bilder mischt, und den Pfad des Wahren und Natürlichen alle Augenblicke verläßt, und in das Gezierte, Kostbare und Schwülstige fällt; mit einem Worte, daß er sich zwar sehr oft als einen Mann von Genie, aber eben so oft als einen Dichter von verderbtem Geschmacke zeigt, und man seine Stücke zwar stellenweise mit Vergnügen und Theilnahme lesen, aber wenige ohne Verdruß durchlesen kann. Freylich ist das Geschäft des Dichtens leicht und angenehm, und das des Prüfens und Verbesserns schwer, und wenn man sich zu monatlichen Spenden an das Publikum anheischig gemacht hat, nicht wohl möglich; freylich ist die Empfindung, die jenes gewährt,

1796. berauschend, und die Empfindung, die dieses verursacht, niederschlagend, jenes ein Spiel, mit dem wahrer Genuß verbunden ist, und dieß eine Anstrengung, die eine beschwerliche Selbstverläugnung erfordert. Ueberdem haben unsre kritischen Sprecher nichts unterlassen, um H. S. in dem Wahn, alles, was er mache, seh sehr gut, zu erhalten. Sie haben nicht, wie denkende Kunstrichter, über ihn geurtheilt, sondern, wie begeisterte Seher, über ihn gedichtet, und seine poetische Sprache zum Vorbilde ihrer Prosa genommen. Unter solchen Umständen ist es kein Wunder, daß es H. S. weder für dienlich noch für nöthig erachtet hat, seine Arbeiten einer sorgfältigen Prüfung zu unterwerfen und unzufriedener mit ihnen zu seyn, als seine Lobredner. Wenn es ihm indeß, wie wir überzeugt sind, nicht um einen vergänglichen, sondern um einen dauernden Ruhm zu thun ist, so wird er hoffentlich, bey mehr Muße, und unbekümmert um allen erhaltenen Beyfall, einen unpartehischen Blick auf seine Gedichte werfen, sich in die Stelle seiner Leser versehen, und seine erste Frage die seyn lassen: Können sie auch verstehn, was du schreibst? Es ist in der That eine eigene Erscheinung, daß die Kunstrichter seit kurzem so unablässig und ängstlich rufen: Leset die neuesten Gedichte doch nur laut: Ihr werdet sie gewiß schön finden. Keinem Verständigen wird es einfallen, den Werth der Declamation herabsehen, oder ihre wohlthätige Gewalt läugnen zu wollen. Daß die Worte eines melodischen Gesangs eine ganz andere Wirkung auf das Herz hervorbringen, wenn sie durch eine liebliche Stimme in süße Töne verwandelt werden, und daß alles lebendiger uns ergreift und anschaulicher vor uns steht, wenn wir hören, als wenn wir lesen, wer sollte das nicht an sich empfunden zu haben oder es nicht zu empfinden wünschen? Mit allem Rechte sagt daher Wieland irgendwo: Die Kunst gut zu lesen solle eigentlich keinem Manne von guter Erziehung abgehn. Indeß ist es doch nicht minder gewiß, daß seine eigenen und die Gedichte hundert anderer guten Dichter, öfter noch das Vergnügen des still lesenden Denkers gemacht haben, und hoffentlich, so lange man liest, machen werden. Und warum sollten sie das auch nicht? Ich verliere in jenem Fall allerdings viel von dem Zauber des Versbaues und dem wechselnden Sylbenfalle, viel von der Harmonie des poetischen Perioden, viel von der Lebendigkeit des Ausdrucks: allein dieser Verlust ist doch auch nicht ohne allen

Ersat. Eine Menge von noch wesentlichern poetischen Schönheiten, 1796. die, wenn ich hörer oder Vorleser wäre, an meinen Ohren vorbey= gleiten, oder doch nicht in ihrer ganzen Fülle und Vortreflichkeit von mir gefühlt werden würden, ergreifen mich bey einem stillen und bedächtigen Lesen, -bey einem Lesen, wo es mehr in meiner Gewalt steht anzuhalten und nachdenkend zu verweilen, nur um desto mächtiger, und prägen sich meiner Seele tiefer und dauernder ein. Ja, die Wahrheit zu gestehn, bey mehrern, vorzüglich bey Gedankenschweren Gedichten scheint uns die Kunst und Kraft des Vorlesers an dem Hörer ganz verloren, wenn dieser sich nicht schon vorher mit dem Inhalte derselben bekannt gemacht und durch eine stille ihnen geweihte Betrachtung sie vollkommen verstehen gelernt hat. Aber gerade hier ist es, wo eine Erfahrung, die wir bey den Gedichten eines Uz, Kamler und anderer gemacht haben und uns beym Lesen der jüngsten lyrischen Gedichte wieder zu machen freuten, unsre Erwartung getäuscht hat. H. Schillers Verse erscheinen nur so lange tadellos, als man sie hört. Die Menge tönender Worte, die vor dem Ohr leicht vorbey rauschen, die bunten Bilder, die dann, eins nach dem andern flüchtig vorübergleiten, der Wohlflang, der dann, unaufhaltsam und durch die laute Stimme verstärkt, auf uns eindringt, alles dieß feßelt, und überredet uns, daß wir etwas ausgezeichnet Vortrefliches vernommen haben. Wir finden, was wir verstanden, schön, und hoffen, das nicht verstandne werde es nicht weniger seyn. Allein kaum schicken wir uns an, den gehabten Genuß zu erneuern, und uns in der Stille noch einmal an ihm zu laben, so erscheint uns alles ganz anders. Die magische Kraft der Melodie und des Rhythmus besticht uns nicht länger, oder reißt uns doch nicht so gebietherisch, wie das erste Mahl, mit sich fort, und die Flecken des Kunstwerkes treten einer nach dem andern hervor. Die Gestalten, die uns in der Ferne bezauberten, werden zu dunkeln Schatten, in denen wir vergeblich deutliche und bestimmte Umrisse zu entdecken suchen, und die uns umrauschende Fluth von Tönen löst sich in einen Dunst auf, in dem wir wenigstens klar und mit Gewißheit erkennen.

Die zweyte Frage, von der wir wünschten, daß sie H. Schiller recht oft an sich möchte ergehen lassen, ist die, auf welche er selbst in den Stanzen an den Leser S. 203 hingewiesen hat,

1796. die Frage, ob er wirklich alles gethan habe, um dem Guten zu gefallen

Den Wahrheit rührt und Flimmer nicht besticht

Wir fürchten, eben darum sind seine Gedichte das nicht, was sie seyn könnten und sollten, weil er sich diese Frage zu selten gethan hat. Es sey uns vergönnt, uns ein wenig umständlicher hierüber zu erklären.

Unstreitig darf H. S. auf das Lob eines denkenden und gedankenreichen Schriftstellers den gerechtesten Anspruch machen. Er hat nicht allein, wenn auch nicht durch eine vertraute Bekanntschaft mit den vorzüglichsten Geistern des Alterthums als an welcher wir immer aus mehr denn einem Grunde gezweifelt haben, doch durch eine aufmerksame Lesung der besten Werke der neuern Zeit gewonnen und auf diese Art seine Kenntnisse erweitert und sich mit Ideen bereichert; sondern er hat zugleich selbst über den Menschen und seine Verhältnisse reiflich gedacht und sich einen Schaß von Beobachtungen und Erfahrungen, dessen der philosophische Dichter in so hohem Grade bedarf, erworben. So bereitwillig ihm aber ein unparthehischer Beurtheiler die Gedankenfülle eines gebildeten Denkers zugesteht, so wenig kann er ihm den Vorzug einräumen, seine Gedanken leicht und ungesucht auszudrücken, und ihnen jedesmal dasjenige Gewand zu geben, in welchem sie sich auf die vortheilhafteste und gefälligste Weise zeigen. Diese Unvollkommenheit seiner Schreibart scheint uns aus einer zwiefachen Quelle zu entspringen. Zuweilen, dünkt uns, sucht H. S. die bequemste und schicklichste Form für den darzustellenden Gedanken, ohne sie finden zu können, und ermattet über dem Suchen; zuweilen aber und noch öfter bemüht er sich einem Gedanken, der, einfach und natürlich gesagt, gefallen, aber nicht als neu und glänzend erscheinen würde, diese Eigenschaften durch die Darstellung zu ertheilen und ihn größer und wichtiger zu machen, als er ist, oder seiner Natur nach seyn kann. Nicht selten entspringt aus dieser vergeblichen Anstrengung die Undeutlichkeit, die wir oben an ihm gerügt haben, allein noch weit häufiger wird er, wenn auch nicht dunkel und räthselhaft, doch spitsindig, geschraubt und kostbar. Jener bescheidene Mittelweg, auf dem die besten Dichter der Alten, und die ihnen gefolgt sind,

einhergehen, ist in Wahrheit derjenige, den H. S. gleichsam ab- 1796. sichtlich verschmäht. Sein Wunsch ist immer das Aeußerste. Erst dann, wenn er den Gedanken entweder so zugespißt hat, daß man ihn kaum noch erkennen kann, oder ihn so überladen hat, daß er unter den ihn umgebenden Zierrathen erliegt, glaubt er sich als einen Dichter gezeigt, oder etwas, das der Bewunderung werth ist, gesagt zu haben. Daher diese unaufhörliche Einmischung fremdartiger Ideen, die mit der Hauptidee nicht verwandt sind, und ihr Eintrag thun, indem sie den Leser von ihr abziehen; daher dieser unaufhörliche Wechsel mit Bildern, der ungewiß macht, ob von derselben Sache die Rede ist, (wie z. B. in den Idealen, wo auf einer Seite die Wahrheit im Glanze der Sonne erscheint, und dann die Sonne selbst ist;) daher die Zweydeutigkeit der Bilder, (wie z. B. in der Macht des Gesangs S. 3., wo man im Zweifel gelassen wird, wie sich die Wirkung des Gesangs äußern soll, ob dadurch, daß er die Liebe zum Vaterland und zu den Vergnügungsörtern der Kindheit in uns hervorruft, oder dadurch, daß er, wenn wir der Natur untreu geworden sind, uns wieder zu ihr zurückführt;*) daher endlich dieß stete Hin- und Herschwanken zwischen riesenhaften und kleinlichen, edlen und unedlen, gemeinen und erhabnen Ideen, wie wenn es in demselben Stücke heißt:

Den hohen Göttern ist er (der Mensch) eigen,
Ihm darf nichts irdisches sich nahn,

Und jede andre Macht muß schweigen,

Und kein Verhängniß fällt ihn an,

Es schwinden jedes Kummers Falten
So lang des Liedes Zauber walten.

Kann man von dem Höchsten zum Untersten schneller herabsteigen, oder das Große mit dem Kleinen unglücklicher paaren? Und doch hat es der Verfasser so ganz in seiner Gewalt, uns reine und vollendete Abdrücke seiner Empfindungen und Gedanken zu geben, und hat sie uns, auch in dieser Sammlung, in dem gleich zu Anfang gerühmten Gedichte und in mehrern treflichen Sittensprüchen (man sehe unter andern den Spruch des Confucius S. 39, die Würden S. 48, den Sämann S. 87, und die zwey Tugendwege S. 110) wirklich gegeben.

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