Dies alles sind eigentlich selbstverständliche Dinge, aber notwendige Voraussetzungen zum folgenden. Weit verbreitet, von mir selbst und anderen oft beobachtet, ist im Mittelmeergebiet die Sitte, das Innere von Behältnissen, in die der Tote oder seine Reste gebettet wurde, rot auszumalen, und zwar stets mit einem Zinnober- oder Mennigrot, der Farbe des Blutes vergleichbar. So sind mir inwendig rot gemalte Bretter von Holzsärgen bekannt aus Athen, Kyme, Karthago, Cadix; so gibt es unter den klazomenischen Sarkophagen aus Ton solche, die im Inneren rot ausgemalt sind; so sind aus Syrakus, Gela und Akragas inwendig rote Steinsarkophage des 5. Jahrhunderts vorhanden; so sind aufgemauerte Steingräber bei Tanagra rot ausgemalt gefunden; so zeigen die Steinwürfel, in denen man z. B. in Attika so gut wie in Kampanien (Kyme, Capua, Suessula) die bronzenen Aschenurnen barg, regelmäßig hochrote Ausmalung.1 Noch bei spätrömischen Ziegelgräbern, die ich im Valle Taggiasco (Riviera di ponente) vor einigen Jahren mit ausgrub, waren die Innenseiten der dachförmig gestellten Ziegel ebenso bemalt. Diese Beispiele, die sich gewiß beträchtlich vermehren ließen, mögen genügen, um die Sitte zu erhärten. Also: wie man überall auf unserer Erde, besonders greifbar bei Naturvölkern und in unseren eigenen Frühzeiten, sich bemüht, dem Toten den Übergang in die andere Welt möglichst wenig schmerzlich zu gestalten, namentlich dadurch, daß man ihm durch Form und Inhalt des Grabes die Vorstellung zu erwecken bestrebt ist, er sei eigentlich noch in seiner gewohnten Umgebung, wie man durch regelmäßige Opfer und Spenden am Grabe dies Gefühl des weiteren zu nähren sucht, so möchte man diese Illusion dadurch noch weiter führen, daß man mit der Farbe ja gewissermaßen dem Stoff des Lebens ihm die 1 Vgl. z. B. Röm. Mitt. 1887, 238 und die dort von mir gegebenen Hinweise; Orsi Not. 1893, 474, XCIV; 1900, 247; Delattre CRAcad. 1903, 12, 14, 24; Pellegrini Mon. Linc. XIII (1903) 280–282. Wände seiner engen Behausung anstreicht. Das alles tut man ursprünglich ja nicht aus frommer Pietät, Mitleid oder sonstiger den Völkern im Kindheitsalter gewiß fremden Sentimentalität, sondern weil man alles tun muß, um den Toten für die Lebenden möglichst unschädlich zu machen, ihn nach Kräften zufrieden zu stellen, damit er nicht wiederkommt, nicht andere Lebende nach sich zieht. Ist doch die Furcht vor möglichem Wiederkommen des Toten es gewesen, die zuerst zu mechanischer Erschwerung solcher Rückkunft geführt hat, indem man den Toten in ausgestreckter oder zusammengezogener Haltung kräftig einschnürte und so fesselte, oder ihn selbst stark belastete mit Erdmassen, sogar mit schweren Steinen, oder indem man ihn einschloß in feste Behälter, in Bauten, vor deren Eingang man große Steine wälzte; die alsdann den Wunsch erwecken mußte, den Leib des Toten möglichst rasch ungeeignet zu machen zur Wiederaufnahme dessen, was man als,,Seele" verstand: so kam man zu mechanischer Zerstückelung, Handabschlagung, sogar Verzehrung des Leichnams (wobei freilich oft noch eine andere Vorstellung Übertragung von Kraft und Leben mitwirkte), zu jeder Art von Beförderung seiner raschen Zersetzung, schließlich natürlich nicht absolut chronologisch gemeint Einführung der Verbrennung. Solange die Verwesung keine vollzogene Tatsache war, behielt nach allgemeiner Vorstellung unserer und vieler anderer Völker der Tote eine Art von zur Empfindungsvermögen, sei es immanent, sei es geweckt durch gewisse Mittel. Der Tote verlangt in dieser Zeit instinktiv nach dem Leben, nach Blut: daher die Totenopfer mit allen ihren unendlich abgestuften Ablösungsformen. Daher auch die rote wenigstens im letzten Grunde Farbe bei der inneren Ausstattung des Grabes. Aber auch bei der äußeren. Noch um die Grabstelen auf den weißgrundigen Lekythen des 5. und 4. Jahrhunderts schlingen sich blutrote Tänien. Ja, zur Ausstattung des Toten selbst war vielfach die rote Farbe unerläßlich. Varro hatte noch eine ganz klare Vorstellung von diesen Dingen: „Varro dicit, mulieres in exsequiis ideo solitas ora lacerare, ut sanguine ostenso inferis satisfaciant. quare etiam institutum est, ut apud sepulcra et victimae caedantur. apud veteres etiam homines interficiebantur... sed quoniam sumptuosum erat et crudele victimas vel homines interficere, sanguinei coloris coepta est vestis mortuis inici" (Serv. III 67 vgl. Diels, Sibyll. Bl. 72). Das Zwölftafelverbot „mulieres genas ne radunto" sei nur nebenbei erwähnt. Die Ablösungsfrage geht uns im Augenblick nichts an, wohl aber die Tatsache selbst und die Verbindung, in die Varro sie rückt. Ebenso wird uns für Sparta die rote Decke über dem Toten bezeugt (Plut. Lyk. 27). Und so heißt es schon bei Homer, daß Hektors zu Asche verbrannte Gebeine in ein rotes Linnentuch gewickelt seien (II. 24, 796). So bringen die Athener in einem Purpurtuch die Gebeine des Rhesos zum Strymon, um durch sie das neu zu gründende Amphipolis zu sichern (Polyaen. VI 53). So hüllen die Kabiren das Haupt ihres verstorbenen Bruders in ein blutrotes Gewand und bestatten es so (Clem. Al. zuletzt zitiert von Samter, Familienfeste 56). So läßt Vergil (Aen. VI 221) die Troianer den Leichnam des Misenus auf dem Scheiterhaufen mit Purpurgewändern bedecken, so ruht die tote Priscilla (Stat. silv. V, 1, 215, 226) unter einer Purpurdecke. So werden, um nur ein Beispiel von Naturvölkern anzuführen, auf Neuseeland die Gebeine von Häuptlingen in rote Decken gehüllt, in einen mit roter Farbe eingeriebenen Kasten getan, in ein rot bemaltes Grab gebracht, in dessen Nähe sich ein rotes Grabmal erheben muß (Lubbock). So führt die Freude des Toten am Blut und daher an der roten Farbe zu mannigfacher Verwendung im Totenkultus. Wenn Iphigenie in rotem Gewand zum Opfer geführt wird, so mag man ja mit Diels und Samter das vielleicht aus einem Lustralritus ableiten; einen solchen jedoch wiederzuerkennen z. B. im Brauch der Platäer, deren Archon beim alljährlichen Totenfest zu Ehren der in der Perserschlacht Gefallenen in blutrotem Gewand zu erscheinen hatte, während seine sonstige Amtstracht weiß war, sind wir m. E. durch keinen zwingenden Grund genötigt. ̓́Εχει γάρ τινα τὸ πορφυροῦν χρῶμα συμπάθειαν agòg tòv dávatov (Artemidor I, 71 p. 70 ff., zitiert von Rohde, Psyche I2 226). So war es noch im Florenz des Quattrocento üblich, rote Bahrtücher zu verwenden, die Totenkapellen rot auszuschlagen, den Toten in einen roten Mantel zu kleiden, als Leidtragender in rotem Mantel zu erscheinen; Reste solch roter Bemalung zeigen noch vielfach die in Marmor ausgeführten Bahrtücher Florentiner Grabdenkmäler; auch aus Frankreich ist die Sitte bekannt (s. Burckhardt, Kult. d. Renaiss. I7 Exc. III, zitiert von F. Burger, Gesch. d. Florent. Grabmals 39, 4, und Burger selbst öfter, z. B. 139, 166). Ein modernes Beispiel: wenn in Livigno (Valtellina) ein kleines Kind stirbt, muß es der padrino in die Kirche tragen. Im Totenhause legt er ein „,ornamento di circostanza" an, „che è cura speciale delle donne di preparare: attorno al suo cappello vien messo a guisa di nastro e assicurato con spilli un fazzoletto per solito di color rosso-scarlatto e più volte ripiegato; alla parte posteriore della falda viene attaccato pel centro un altro fazzoletto uguale, ma in modo che i quattro lembi sventolino liberamente sulle spalle dell' uomo. Appena arrivato il prete il padrino si mette in capo il cappello così adornato" usw. Der Leichenzug: „si compone anzitutto di ragazzi adorni anch' essi di nastri rossi in modo che hanno una specie di galloni sulle maniche, le bande lungo i pantaloni e una tracolla intorno al corpo come se fossero dei soldatini in servizio. Le ragazze invece si adornano con dei fazzoletti." Stirbt ein fanciullo oder giovanetto, so ist der Brauch ebenso: er wird getragen auf der baretta, „dai suoi coetanei che hanno il cappello come il padrino“ (E. Filippini, Archivio per lo studio delle tradiz. popol. XIX 1900, 466). Wie fest auch nördlich der Alpen derartige Dinge sitzen, trotz des Weiß und Schwarz, welches das Christentum im Totenwesen überall bevorzugt, zeigt z. B. der von Rochholz1 aus dem schweizerischen Fricktal noch 1867 berichtete Wunsch alter Frauen, in ihrem roten Frauenrock begraben zu werden; und daß das nicht etwa ein einfach gewohnheitsgemäßes oder sentimentales Festhalten an einem ihnen lieb gewordenen Kleidungsstück ist, ersieht man daraus, daß solch roter Frauenrock ganz besondere Kräfte hat, die eben in der roten Lebensfarbe begründet sind: Fieberkranke werden dort in einen solchen roten Rock gehüllt, damit sie wieder gesund werden, und für die Bedeutung womöglich noch wichtiger junge Frauen, die sich einen Knaben wünschen, legen ihn sich unter. So wird in Indien die Braut auf ein rotes Stierfell gesetzt u. a. m. In Indien ist Rot sogar unmittelbar als Farbe des Todes betrachtet; Todesgott und Riesenweib sind beide rot; es stirbt, wer im Traum einen roten Kranz auf dem Kopfe trägt; ehe Barata die Nachricht vom Tode des Dasarata erhält, sieht er ihn eilig mit rotem Kranz und roter Salbe auf einem mit Eseln bespannten Wagen nach Süden fahren; rot sind die Kleider der zum Tode Verurteilten, rot das Pulver, mit dem er bestreut wurde, und aus roten Blumen bestand der Totenkranz; rot sind die Kleider, rot der Schleier der indischen Witwe, rote Blumen muß die Brahminenfrau in die Hand nehmen; in der Hand eine Kokosnuß, die rote Farbe enthält, umwandelt die Witwe den Scheiterhaufen usw.2 Rot bestreichen ihre Haut die trauernden Maoris auf Neuseeland, die Latuka und Kamma in Afrika u. a. (s. u.): Brough Smyth, The Aborigines of Victoria I, 1 Deutscher Glaube und Brauch II 251 in seinen umfassenden, wenn auch für unsere heutigen Ansprüche etwas ungenügend geordneten Sammlungen zum Gebrauch der roten Farbe. 2 Siehe hierüber die Zusammenstellungen von Pischel ZDMG. XL 116 ff. und Samter Familienfeste 40, 47 ff., sowie Zachariae Z. f. d. Kunde d. Morgenlandes (Wien) XVII 1903, 211-222; Z. f. Volkskunde XIV 1904, 204, 303, 401). · ་ |