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stets inneren Tiefstand, äußerer Fall innere Umkehr. Als der ,, Beau Alman" als Günstling vornehmer Damen in Paris Schätze einsammelt, befindet er sich sittlich auf einer tiefen Stufe. Als Simplicius äußerlich die Armut auf sich nimmt, wird ihm innerlich die Erlösung zuteil.

Solche Dissonanzen sind aber von Anfang an da. Denn der glückselige Bauernjunge am Anfang des Buches ist,, nur mit der Gestalt ein Mensch und mit dem Namen ein Christenkind, im übrigen aber nur eine Bestia!" Und wie auf die Spanne der äußeren Glückseligkeit alle Schrecken des Krieges folgen, womit freilich zugleich die innere Einkehr beginnt, so kommt auch sonst durch das ganze Buch hindurch Hochmut vor dem Fall, und die beiden Themen steigern sich zu immer größeren Dissonanzen, bis schließlich Simplicius ein offenbares Räuberleben führt und dadurch auf der Stufe der größten inneren Verwahrlosung angelangt ist. Aber nun setzt auch mit der Wallfahrt nach Einsiedlen der erste ernstliche Umschwung ein; das innere Thema drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund, bis es am Ende allein herrschend wird und sich zu immer größerer Reinheit steigert. Die Begegnung mit dem,, Baldanders," dem proteisch wechselnden Geist der Erscheinungen, erfolgt erst im sechsten Buch, und die ruhige Abkehr vom äußeren Leben gelingt Simplicius erst am Schluß seiner Lebensbahn. Denn als er sich am Ende des fünften Buches zum Einsiedlerdasein entschließt, da ist er innerlich noch nicht reif genug; heimlich hat er doch noch Verbindung mit der Welt, der er abgeschworen hat.

Freilich hat Borcherdt in der Einleitung zu seiner Ausgabe des Simplicissimus völlig richtig betont, daß die Schilderung der inneren Entwicklung des Helden vernachlässigt ist. Oft wenn wir eine Darstellung der inneren Kämpfe des Simplicius erwarten, heißt es kurz, daß er begonnen habe sich zu verbessern; worin diese Besserung bestanden hat, wird uns aber nicht gesagt. So in II, 6:,, Damals fieng ich erst an, in mich selbst zu gehen und auf mein Bestes zu gedenken, und gleichwie ich Ursach genug hatte, Gott zu danken, daß er mir meinen Verstand gesund erhalten, also war ich auch bedürftig, denselben inbrünstig zu bitten, daß er mich ferner behüten, regieren, leiten und führen wollte." Eine solche summarische Andeutung läßt

sicherlich der Einbildungskraft noch viel zu tun übrig. Gewiß gibt es daneben auch ausführlichere Schilderungen von Simplicii innerem Werdegang; so muß man die Mummelsee-Episoden mit Ermatinger als eine symbolische Darstellung seiner Beschäftigung mit der Philosophie werten, wie denn das Ergebnis dieser Beschäftigung in V, 23 zum deutlichen Ausdruck gekommen ist. Aber im ganzen hinkt doch die Darstellung der inneren Entwicklung etwas. Wir stehen eben noch nicht in der Zeit des psychologischen Romans.

Stilistisch ganz ins Dynamische, Musikalische aufgelöst ist letztlich nur die Darstellung des äußeren Lebens des Helden. In ihr treffen wir nirgends plastische Kürze, anstatt ihrer aber eine fortgesetzt flutende Bewegtheit; man könnte als stilistisches Ziel auch dieses Werkes die Wagnersche,, unendliche Melodie “ angeben. Wo wir eine bestimmte Beschreibung erwarten, ist eine wortreiche Umschreibung gegeben. Wie der Begriffsinhalt der deutschen Wörter überhaupt oft schwankend ist, so ist er hier durch Parallelausdrücke gern noch schwankender gemacht: ihre Häufung wird geradezu zum Stilprinzip. So beschreibt Simplicius in I, 19 den Aufzug, in dem er vor den Gouverneur von Hanau getreten ist:,, Ich muß dem Leser nur auch zuvor meinen damaligen visierlichen Aufzug erzählen, eh daß ich ihm sage, wie mirs weiter ging; dann meine Kleidung und Gebärden waren durchaus seltsam, verwunderlich und widerwärtig, so daß mich auch der Gouverneur abmalen lassen. Erstlich waren meine Haare in dritthalb Jahren weder auf griechisch, teutsch noch französisch abgeschnitten, gekampelt, noch gekräuselt oder gebüfft worden, sondern sie stunden in ihrer natürlichen Verwirrung, noch mit mehr als jährigem Staub anstatt des Haarplunders, Puders oder Pulvers (wie man das Narren- oder Närrinwerk nennet) durchstreut, so zierlich auf meinem Kopf, daß ich darunter herfürsahe mit meinem bleichgelben Angesicht wie eine Schleiereule, die knappen will oder sonst auf eine Maus spannet. Und weil ich allzeit barhäuptig zu gehen pflegte, meine Haare aber von Natur kraus waren, hatte es das Ansehen, als wann ich einen türkischen Bund aufgehabt hätte," usw. usw. Statt einer deutlichen, haltmachenden Beschreibung eine Beleuchtung des Gegenstandes von immer neuen

Seiten, eine Auflösung des ruhigen Seins in ein kaleidoskopisches Fließen. Mit anderen Worten eine musikalische und keine plastische Darstellungsweise.

Die Plastik im einzelnen ist dabei gewiß nicht ausgeschlossen. Vergleiche wie den in II, I,, Ich lausterte wie eine Sau, die ins Wasser harnt" und selbst noch drastischere Bilder treffen wir im ganzen Buche an. Aber man kann nicht behaupten, daß diese treffende Ausdrucksweise Stilprinzip sei. Wie wenig Realistik im einzelnen sprühender Bewegtheit des Ganzen widerspricht, kann man z. B. auch an der Treppe des Schlosses Mirabell in Salzburg sehen, jener Meisterleistung deutscher Barockkunst. Auch Grimmelshausens Stil ist eben seinem Wesen nach barock.

Daß eine schwellende Gelehrsamkeit mit zu den Voraussetzungen dieser stilistischen Bewegtheit gehört, sei nur nebenbei angedeutet.

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Trotzdem

man denke an Fischart-hätte das unendliche Fließen leicht ein Zerfließen werden können. Es bedurfte eines harmonisierenden Mittels, das all den Reichtum doch in eine große symphonische Wirkung zusammenband. Und dieses Mittel ist auch hier, wie später bei Jean Paul und bei Raabe, der Humor. Alle Gegensätzlichkeit erscheint letzten Endes doch nur als eine Abwandlung desselben Grundmotivs, sie berührt sich geheimnisvoll, und wir können hier abermals, wie schon bei Nicolaus von Kues, dem ersten eigentlich deutschen Philosophen, von einer,, coincidentia oppositorum" reden. Da ist jener Baldanders" im neunten Kapitel des sechsten Buches. Er ward erst,, zu einem großen Eichbaum, bald darauf zu einer Sau, geschwind zu einer Bratwurst und unversehens zu einem großen Baurendreck (mit Gunst); er machte sich zu einem schönen Kleewasen und, eh ich mich versahe, zu einem Kühfladen, item zu einer schönen Blume oder Zweig, zu einem Maulbeerbaum und darauf in einem schönen seidenen Teppich . . ., bis er sich endlich wieder in menschliche Gestalten veränderte und dieselbe öfter verwechselte, als solche gedachter Hans Sachs von ihm beschrieben." Und inmitten dieses Wandels bleibt er doch der Baldanders, der ewig flutende Geist des Lebens. Es ist dieselbe Einheit im Gegensätzlichen, die später den Goetheschen

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Erdgeist sich als Geburt und Grab, ein ewiges Meer" offenbaren läßt. Erhabenes und Lächerliches, Gewaltiges und Kleinliches, Schönes und Häßliches erscheinen auch diesem Deutschen als im Grunde das Gleiche, wie schon im Waltharius Manu Fortis die Helden nach all den grausamen Verstümmelungen, die sie einander zugefügt haben, Versöhnung trinken und schon im Nibelungenliede,, diu liebe leide z'aller jungeste gît.“

Im Stil sowohl wie im Gehalt beweist sich also der Simpli cissimus als eine der deutschesten Literaturschöpfungen, und wer deutsches Wesen in seiner Besonderheit zu erkennen strebt, der darf an diesem Werke nicht vorübergehen. Gewiß hat sich bei unseren Betrachtungen herausgestellt, daß auch diese Leistung zeitbedingt ist. Aber gerade in denjenigen Zügen, durch die das Buch des Grimmelshausen barocker Seelenanlage wie barockem Stilgefühl zum Ausdruck verhilft, finden wir Eigenschaften wieder, die durch die gesamte deutsche Geistesentwicklung hindurchgehen. Dieses Buch zeigt erneut, wie sehr deutscher Geist seit Urzeiten her sich gleich geblieben ist, wie schon im siebzehnten Jahrhundert bestand, was nachher im Faust seinen bisher größten und entsprechendsten Ausdruck gefunden hat, und so muß sich auch der mit dem Simplicissimus befassen, der der historischen Betrachtungsweise nicht traut und im Wechsel der Erscheinungen erst recht das Bleibende sucht.

NEW YORK UNIVERSITY

ECONOMIC INFLUENCES ON THE LITERATURE OF

ECC

THE NINETEENTH CENTURY

BY JOHN WHYTE

CONOMIC determinism, as expressed in the extreme terms of doctrinaire socialists, has been rejected by all competent literary critics. But the discussion that has arisen about this convenient formula has not been without its influence in the field of literary criticism. There are few students of literature today who are satisfied with the histories of literature of a generation ago. For in these histories, literature was considered too largely merely as a precipitate of literary ideas, of a literary tradition. And thus there arose in the minds of many people the conception of two distinct worlds, the world of reality and the world of literature. Fiction was to their minds the product of the world of imagination of writers, a world utterly distinct from the world of reality. A typical example of such an attitude is expressed in the answer which a well-known American economist gave recently to the question, "What do you read?" "I read history and biography," was the answer. "I do not read fiction, for I am in search of reality."

Among historians of German literature, two men may be mentioned who have departed from the traditional point of view of a generation ago Kuno Francke and Friedrich Kummer. For Francke, literature is no longer merely the product of men writing under the auspices of a literary tradition or rebelling against such a literary tradition and inaugurating a new one. Literature is for him also the precipitate and expression of the society and culture of which these men are a part. Kummer in his Literaturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts nach Generationen introduces his criticism of the successive generations with paragraphs on "politische und wirtschaftliche Zustände," and "philosophische, naturwissenschaftliche und religiöse Einflüsse." Both of these historians, I believe, are under the direct or indirect influence of the great expounder of Kulturgeschichte; and

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