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Vorwort.

Rosenberg sieht sich (vor seiner Ausg. der Oden und Epoden 1883) zu dem Geständnisse genötigt, je mehr er die Gedichte des Horaz zum Gegenstande eingehender Beschäftigung gemacht habe, um so mehr sei er zu der Ansicht gekommen, dafs noch zahlreiche Rätsel der Erklärung harren. Ich für meinen Teil schliefse mich dieser Ansicht aus voller Überzeugung an. Es steht schon längst bei mir fest: ein sehr erheblicher Bruchteil der Oden hat bisher seitens der Erklärer eine Auffassung und Auslegung erfahren, die mit dem Bilde von Horazens dichterischer und moralischer Persönlichkeit, wie man es aus den Sermonen und einer langen Reihe nicht mifszuverstehender Oden gewinnen mufs, gar wenig im Einklange steht. Ich habe in erster Linie diejenigen Gedichte im Auge, die man als „Liebesoden" zu bezeichnen pflegt. Wer in diesen, wie es ja gäng und gäbe ist, wahrhaftige, ernstgemeinte „Liebes“ergüsse erblickt, der bedenke wohl, dafs er in die Natur des Dichters einen unbegreiflichen Zwiespalt bringt, indem er den sonst so idealen, Religion, Humanität und Tugend, Zucht und gute Sitte, strenge Erziehung der männlichen und weiblichen Jugend, Verzichtung und Entsagung predigenden Horaz zu einem lockeren Zeisig, einem flatterhaften, lüsternen, immer schmachtenden und nie befriedigten Gesellen stempelt, der um kein Haar besser ist, als seine eignen Gebilde dieser Art (ein gracilis puer, Sybaris, Telephus u. a.), und, so im Sumpfe watend, wenig Recht hat zu behaupten, dafs ihn sein Dichtersinn himmelhoch über die Menge erhebe.

Und nun denke man sich diese ,,Liebeslyrik" mitsamt ihrer landläufigen Erklärung einmal in die Schule getragen! Nach

Kiefsling ist, um einige Beispiele anzuführen, I 13 ein Lied, in welchem „die unbändig auflodernde Leidenschaft, durch welche der schöne Telephus Lydia an sich fesselt, und die tiefe, stille Glut, welche Horaz mit allen Qualen der Eifersucht verzehrt, einander gegenübergestellt werden;" I 19 veranschaulicht nach Gebhardi ,,das Bangen des Dichters vor dem masslosen Walten der Liebesgöttin, die ihn mit wildem Weh ergreift, so dafs er die Herrschaft über sich selbst zu verlieren scheint, nichts Anderes treiben, nichts Anderes denken kann;" I 25, „dies wilde, rücksichtslose Gedicht“, „kann nur ein Produkt Horazischer Jugendeselei sein" [NB. im J. 23 war H. bereits in das fünfte Dezennium seines Lebens, also richtig ins Schwabenalter eingetreten, und doch hat er das nichtsnutzige Gedicht seiner Odensammlung einzureihen für gut befunden!] so meint Gebhardi, mutet uns dann aber gleichwohl zu, zu „fühlen, dafs dieser Ausbruch vorübergehen und stiller Schmerz an seine Stelle treten wird. Sie, die er so schmäht und vernichtet, er liebt sie mit dem ganzen Feuer seiner Seele." Derselbe Verfasser des ,,Ästhetischen Kommentars" sagt den Freunden des Dichters, die es sind und die es werden wollen, jungen und alten", mit Beziehung auf IV 1 und 10: „Die Zeiten der Liebesthorheiten lagen weit hinter ihm [man sollte es glauben, denn zur Abfassungszeit dieser Oden war er etwa fünfzig Jahre alt und arbeitete längst ernstlich an seiner Veredlung].. Aber all die weisen Lehren der Philosophie machte die Schönheit des Ligurinus zu Schanden [!!]... Unwürdig ist die Neigung u. s. w.". Ja wohl, unwürdig, wenn nämlich diese Neigung in der That im Herzen des Poeten statt im Kopfe unseres Horazinterpreten gewühlt hätte!1 Zu III 12 sollen wir nach Naucks Anleitung den Schülern bemerken: „So verlafs den [gestrengen] Oheim: dies scheint der Dichter im Interesse des Hebrus [!] zu wollen und den neuen Lebensplan [sc.: amori dare ludum et dulci mala vino lavere!], den er

1 Da lasse ich mir doch noch eher die sonderbare Erklärung Kiefslings gefallen, welcher meint, da H. „in der ersten Odensammlung die Knabenliebe nicht behandelt, in den Epoden nur gestreift habe, so fülle er diese Lücke im Kreise der erotischen Motive, welche in seiner Lyrik anklingen, jetzt nachträglich aus".

empfiehlt [!], durch die Anrede Nɛoßovλn anzudeuten." Ist es möglich, frage ich, dafs wir mit einem solchen Horaz, der sich wahrlich eher zum Tollhäusler, als zum Lehrer der deutschen Jugend eignet, vor unsere Schüler hintreten, um ihnen zu versichern, das sei der Dichter, der Millionen Sterblicher Geist und Gemüt gebildet und veredelt habe"? Ich sollte vielmehr glauben, dafs wir entweder die Lektüre einer den Dichter nicht ehrenden und die Schüler ganz gewifs nicht belehrenden und veredelnden „Liebeslyrik" aus der Schule verbannen oder aber, wenn es angeht, eine neue Bahn der Erklärung beschreiten müssen.

Letzteres habe ich unternommen. Die, wie mir scheint, unbestreitbare Thatsache, dafs H. in den Sermonen und in einem grofsen Teile seiner Oden eine erziehliche Tendenz verfolgt, legte mir den Versuch nahe, auch die erotischen Lieder unter den Gesichtspunkt der Didaxis zu begreifen. In der That fand ich, dafs die meisten der in Frage stehenden Gedichte einer solchen Deutung unschwer sich fügen, keines aber dieselbe durchaus abweist. Desgleichen fand ich, dafs bei dieser Deutung alle jene Gedichte ohne Ausnahme die Eigenart der Horazischen Muse, welche auf dem Grundsatze des ridentem dicere verum beruht,1 wiederspiegeln. Endlich last not least

wurde es mir zu meiner grofsen Freude klar, dafs meine Deutung eine Reihe ansprechender Oden als Schullektüre verwendbar mache, die bisher von einsichtigen Schulmännern als für Schüler wertlos oder völlig ungeeignet mit Recht zurückgewiesen wurden.

Der Kommentar ist umfangreich dies ist nicht zu leugnen; ob er zu umfangreich ist, wolle man, ich bitte sehr darum, erst nach gewissenhafter Kenntnisnahme entscheiden. Die Lektüre des H., wie jedes Dichters, soll dem Schüler Genufs gewähren. Geniefsen aber kann unsern Dichter nach Wielands treffender Bemerkung (zu epist. II 2) nur, wer bei seinen Worten soviel möglich denkt, was er dabei dachte. Nun aber hat H. bei

1 Ich habe diese Art der Behandlung in der Einleitung zu meinem Kommentar „humoristisch" genannt. Wer an dieser Bezeichnung Anstofs nimmt, versäume nicht nachzulesen, was Österlen in „Komik und Humor bei Horaz" auf S. 7-9 des ersten Heftes bemerkt.

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