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Unterdessen ritt die bürgerliche Cavallerie in mehreren Abtheilungen, mit den Oberhäuptern an ihrer Spiße, an jenen Tagen zu verschiedenen Thoren hinaus, fand an einer gewissen Stelle einige Reiter oder Husaren der zum Geleit berechtigten Reichsstände, die nebst ihren Anführern wohl empfangen und bewirthet wurden; man zögerte bis gegen Abend, und ritt alsdann, kaum von der wartenden Menge gesehen, zur Stadt herein; da denn mancher bürgerliche Ritter weder sein Pferd noch sich selbst auf dem Pferde zu erhalten vermochte. Zu dem Brückenthore kamen die bedeutendsten Züge herein, und deswegen war der Andrang dorthin am stärksten. Ganz zuleht und mit sinkender Nacht langte der auf gleiche Weise geleitete Nürnberger Postwagen an, und man trug sich mit der Rede, es müsse jederzeit, dem Herkommen gemäß, eine alte Frau darin sizen; weshalb denn die Straßenjungen bei Ankunft des Wagens in ein gellendes Geschrei auszubrechen pflegten, ob man gleich die im Wagen sizenden Passagiere keineswegs mehr unterscheiden konnte. Unglaublich und wirklich die Sinne verwirrend war der Drang der Menge, die in diesem Augenblick durch das Brückenthor herein dem Wagen nachstürzte; deswegen auch die nächsten Häuser von den Zuschauern am meisten gesucht wurden.

Eine andere, noch viel seltsamere Feierlichkeit, welche am hellen Tage das Publikum aufregte, war das Pfeifergericht. Es erinnerte diese Ceremonie an jene ersten Zeiten, wo bedeutende Handelsstädte sich von den Zöllen, welche mit Handel und Gewerb in gleichem Maße zunahmen, wo nicht zu befreien, doch wenigstens eine Milderung derselben zu erlangen suchten. Der Kaiser, der ihrer bedurfte, ertheilte eine solche Freiheit da, wo es von ihm abhing, gewöhnlich aber nur auf ein Jahr, und sie mußte daher jährlich erneuert werden. Dieses geschah durch symbolische Gaben, welche dem kaiserlichen Schultheißen, der auch wohl gelegentlich Oberzöllner sein konnte, vor Eintritt der Bartholomäi-Messe 1) gebracht wurden, und zwar des Anstands wegen, wenn er mit den Schöffen zu Gericht saß. Als der Schultheiß späterhin nicht mehr vom Kaiser geseßt, sondern von der Stadt selbst gewählt wurde, behielt er doch diese Vorrechte, und sowohl die Zollfreiheiten der Städte, als die Cere

1) Gemeint ist wohl die Herbstmesse. Bartholomäustag ist freilich der 24. August.

monien, womit die Abgeordneten von Worms, Nürnberg und Alt= Bamberg 1) diese uralte Vergünstigung anerkannten, waren bis auf unsere Zeiten gekommen. Den Tag vor Mariä Geburt 2) ward ein öffentlicher Gerichtstag angekündigt. In dem großen Kaisersaale, in einem umschränkten Raume, saßen erhöht die Schöffen, und eine Stufe höher der Schultheiß in ihrer Mitte; die von den Parteien bevollmächtigten Procuratoren unten zur rechten Seite. Der Actuarius fängt an, die auf diesen Tag gesparten wichtigen Urtheile laut vorzulesen; die Procuratoren bitten. um Abschrift, appelliren oder was sie sonst zu thun nöthig finden.

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Auf einmal meldet eine wunderliche Musik gleichsam die Ankunft voriger Jahrhunderte. Es sind drei Pfeifer, deren einer eine alte Schalmei, der andere einen Baß, der dritte einen Pommer oder Hoboe bläst. Sie tragen blaue, mit Gold verbrämte Mäntel, auf den Aermeln die Noten befestigt, und haben das Haupt bedeckt. So waren sie aus ihrem Gasthause, die Gesandten und ihre Begleitung hinterdrein, Punkt Zehn ausgezogen, von Einheimischen und Fremden angestaunt, und so treten sie in den Saal. Gerichtsverhandlungen halten inne, Pfeifer und Begleitung bleiben vor den Schranken, der Abgesandte tritt hinein und stellt sich dem Schultheißen gegenüber. Die symbolischen Gaben, welche auf das Genaueste nach dem alten Herkommen gefordert wurden, bestanden gewöhnlich in solchen Waaren, womit die darbringende Stadt vorzüglich zu handeln pflegte. Der Pfeffer galt gleichsam für alle Waaren, und so brachte auch hier der Abgesandte einen schön gedrechselten hölzernen Pokal mit Pfeffer angefüllt. Ueber demselben lagen ein Paar Handschuhe, wundersam geschligt, mit Seide besteppt und bequastet, als Zeichen einer gestatteten und angenommenen Vergünstigung, dessen sich auch wohl der Kaiser selbst in gewissen Fällen bediente. Daneben sah man ein weißes Stäbchen, welches vormals bei geseßlichen und gerichtlichen Handlungen nicht leicht fehlen durfte. Es waren noch einige kleine Silbermünzen hinzugefügt, und die Stadt Worms brachte einen alten Filzhut, den sie immer wieder einlöste, so daß derselbe viele Jahre ein Zeuge dieser Ceremonien gewesen.

1) Nicht die allerdings schon seit dem 15. Jahrhundert angebaute neue Stadt. - 2) 7. Sept.; der Tag der Geburt ist der 8.

Nachdem der Gesandte seine Anrede gehalten, das Geschenk abgegeben, von dem Schultheißen die Versicherung fortdauernder Begünstigung empfangen, so entfernte er sich aus dem geschlossenen Kreise; die Pfeifer bliesen, der Zug ging ab, wie er gekommen war, das Gericht verfolgte seine Geschäfte, bis der zweite und endlich der dritte Gesandte eingeführt wurden: denn sie kamen erst einige Zeit nach einander, theils damit das Vergnügen des Publikums länger daure, theils auch weil es immer dieselben alterthümlichen Virtuosen waren, welche Nürnberg für sich und seine Mitstädte zu unterhalten und jedes Jahr an Ort und Stelle zu bringen übernommen hatte.

Wir Kinder waren bei diesem Feste besonders interessirt, weil es uns nicht wenig schmeichelte, unsern Großvater an einer so ehrenvollen Stelle zu sehen, und weil wir gewöhnlich noch selbigen Tag ihn ganz bescheiden zu besuchen pflegten, um, wenn die Großmutter den Pfeffer in ihre Gewürzladen geschüttet hätte, einen Becher und Stäbchen, ein Paar Handschuh oder einen alten Räder-Albus 1) zu erhaschen. Man konnte sich diese symbolischen, das Alterthum gleichsam hervorzaubernden Ceremonien nicht erklären lassen, ohne in vergangene Jahrhunderte wieder zurückgeführt zu werden, ohne sich nach Sitten, Gebräuchen und Gesinnungen unserer Altvordern zu erkundigen, die sich durch wieder auferstandene Pfeifer und Abgeordnete, ja durch handgreifliche und für uns besißbare Gaben auf eine so wunderliche Weise vergegenwärtigten.

Solchen altehrwürdigen Feierlichkeiten folgte in guter Jahrszeit manches für uns Kinder lustreichere Fest außerhalb der Stadt unter freiem Himmel. An dem rechten Ufer des Mains unterwärts, etwa eine halbe Stunde vom Thor, quillt ein Schwefelbrunnen 2), sauber eingefaßt und mit uralten Linden umgeben. Nicht weit davon steht der Hof zu den guten Leuten, ehmals ein um dieser Quelle willen erbautes Hospital. Auf den Gemeinweiden umher versammelte man zu einem gewissen Tage des Jahres die Rindviehheerden aus der Nachbarschaft, und die Hirten sammt ihren Mädchen feierten ein ländliches Fest, mit Tanz und Gesang, mit mancherlei Lust und Ungezogenheit. Auf der andern Seite der Stadt lag ein ähnlicher,

1) Albus oder Weißpfennig ist der dreißigste Theil eines Guldens. brunnen, am rechten Mainufer. Dabei der Gutleuthof.

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nur größerer Gemeindeplag), gleichfalls durch einen Brunnen und durch noch schönere Linden geziert. Dorthin trieb man zu Pfingsten die Schafheerden, und zu gleicher Zeit ließ man die armen verbleichten Waisenkinder aus ihren Mauern ins Freie: denn man sollte erst später auf den Gedanken gerathen, daß man solche verlassene Creaturen, die sich einst durch die Welt durchzuhelfen ge= nöthigt sind, früh mit der Welt in Verbindung bringen, anstatt sie auf eine traurige Weise zu hegen, sie lieber gleich zum Dienen und Dulden gewöhnen müsse, und alle Ursach habe, sie von Kindesbeinen an sowohl physisch als moralisch zu kräftigen. Die Ammen und Mägde, welche sich selbst immer gern einen Spaziergang bereiten, verfehlten nicht, von den frühsten Zeiten, uns an dergleichen Orte zu tragen und zu führen, so daß diese ländlichen Feste wohl mit zu den ersten Eindrücken gehören, deren ich mich erinnern kann.

Das Haus war indessen fertig geworden, und zwar in ziemlich kurzer Zeit, weil Alles wohl überlegt, vorbereitet und für die nöthige Geldsumme gesorgt war. Wir fanden uns nun Alle wieder versammelt und fühlten uns behaglich: denn ein wohlausgedachter Plan, wenn er ausgeführt dasteht, läßt Alles vergessen, was die Mittel, um zu diesem Zweck zu gelangen, Unbequemes mögen gehabt haben. Das Haus war für eine Privatwohnung geräumig genug, durchaus hell und heiter, die Treppe frei, die Vorsäle lustig 2), und jene Aussicht über die Gärten aus mehreren Fenstern bequem zu genießen. Der innere Ausbau, und was zur Vollendung und Zierde gehört, ward nach und nach vollbracht und diente zugleich zur Beschäftigung und zur Unterhaltung.

Das Erste, was man in Ordnung brachte, war die Büchersammlung des Vaters, von welcher die besten, in Franz- oder HalbFranzband gebundenen Bücher die Wände seines Arbeits- und Studirzimmers schmücken sollten. Er besaß die schönen holländischen Ausgaben der lateinischen Schriftsteller, welche er der äußern Uebereinstimmung wegen sämmtlich in Quart anzuschaffen suchte; sodann Vieles, was sich auf die römischen Antiquitäten und die

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1) Die Pfingstweide" vor dem Allerheiligenthor. 2) Es handelt sich nicht um luftige", wie die neuesten Ausgaben schreiben, Vorsäle (Frankfurtisch: Vorpläge, d. h. Flurräume), sondern um lustige, zur Bezeichnung des angenehme Empfindungen Erweckenden.

elegantere Jurisprudenz bezieht. Die vorzüglichsten italiänischen Dichter fehlten nicht, und für den Tasso bezeigte er eine große Vorliebe. Die besten neusten Reisebeschreibungen waren auch vorhanden, und er selbst machte sich ein Vergnügen daraus, den Keyßler 1) und Nemeiß 2) zu berichtigen und zu ergänzen. Nicht weniger hatte er sich mit den nöthigsten Hülfsmitteln umgeben, mit Wörterbüchern aus verschiedenen Sprachen, mit Realleriken, daß man sich also nach Belieben Raths erholen konnte, sowie mit manchem Andern, was zum Nußen und Vergnügen gereicht.

Die andere Hälfte dieser Büchersammlung, in saubern Pergamentbänden mit sehr schön geschriebenen Titeln, ward in einem besondern Mansardzimmer aufgestellt. Das Nachschaffen der neuen Bücher, sowie das Binden und Einreihen derselben betrieb er mit großer Gelassenheit und Ordnung. Dabei hatten die gelehrten Anzeigen 3), welche diesem oder jenem Werk besondere Vorzüge beilegten, auf ihn großen Einfluß. Seine Sammlung juristischer Dissertationen vermehrte sich jährlich um einige Bände.

Zunächst aber wurden die Gemälde, die sonst in dem alten Hause zerstreut herumgehangen, nunmehr zusammen an den Wänden eines freundlichen Zimmers neben der Studirstube, alle in schwarzen, mit goldenen Stäbchen verzierten Rahmen, symmetrisch angebracht Mein Vater hatte den Grundsay, den er öfters und sogar leidenschaftlich aussprach, daß man die lebenden Meister beschäftigen, und weniger auf die abgeschiedenen wenden solle, bei deren Schäßung sehr viel Vorurtheil mit unterlaufe. Er hatte die Vorstellung, daß es mit den Gemälden völlig wie mit den Rheinweinen beschaffen sei, die, wenn ihnen gleich das Alter einen vorzüglichen Werth beilege, dennoch in jedem folgenden Jahre ebenso vortrefflich als in den vergangenen könnten hervorgebracht werden. Nach Verlauf einiger Zeit werde der neue Wein auch ein alter, ebenso kostbar und vielleicht noch schmackhafter. In dieser Meinung bestätigte 4) er sich vorzüglich

1) J. G. Keyßler, Reiseschriftsteller, 1693-1743. Seine,,Neuesten Reisen durch Teutschland . . ., Italien und Lothringen" waren zuerst 1740 erschienen. 2) Joachim Chr. Nemeiß, 1679-1753. Außer Schriften über Geschichte und Alter= thumskunde veröffentlichte er besonders ein Reisehandbuch über Paris, Frankfurt 1718, das vielfach nachgedruckt und übersezt wurde. 3),,Gelehrte Anzeigen" waren die Titel verschiedener in Göttingen, Leipzig u. a. m. erscheinender kritischer Zeitschriften. 4) bestärkte.

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