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übrigens aber verborgenen Siß schon geringere Versuche gemacht hatte. Ich war höchst aufmerksam und behend; in dem Augenblick, daß er Amen sagte, eilte ich aus der Kirche und wendete ein paar Stunden daran, das, was ich auf dem Papier und im Gedächtniß fixirt hatte, eilig zu dictiren, so daß ich die geschriebene Predigt noch vor Tische überreichen konnte. Mein Vater war sehr glorios über dieses Gelingen, und der gute Hausfreund 1), der eben zu Tische kam, mußte die Freude theilen. Dieser war mir ohnehin höchst günstig, weil ich mir seinen Messias so zu eigen gemacht hatte, daß ich ihm, bei meinen öftern Besuchen, um Siegelabdrücke für meine Wappensammlung zu holen, große Stellen davon vortragen konnte, so daß ihm die Thränen in den Augen standen.

Den nächsten Sonntag seßte ich die Arbeit mit gleichem Eifer fort, und weil mich der Mechanismus derselben sogar unterhielt, so dachte ich nicht nach über das, was ich schrieb und aufbewahrte. 2) Das erste Vierteljahr mochten sich diese Bemühungen ziemlich gleich bleiben; als ich aber zuleßt, nach meinem Dünkel, weder besondere Aufklärung über die Bibel selbst, noch eine freiere Ansicht des Dogmas zu finden glaubte, so schien mir die kleine Eitelkeit, die dabei befriedigt wurde, zu theuer erkauft, als daß ich mit gleichem Eifer das Geschäft hätte fortseßen sollen. Die erst so blätterreichen Kanzelreden wurden immer magerer, und ich hätte zuleßt diese Bemühung ganz abgebrochen, wenn nicht mein Vater, der ein Freund der Vollständigkeit war, mich durch gute Worte und Versprechungen dahin gebracht, daß ich bis auf den lezten Sonntag Trinitatis aushielt, obgleich am Schlusse kaum etwas mehr als der Text, die Proposition und die Eintheilung auf kleine Blätter verzeichnet wurden.

Was das Vollbringen betrifft, darin hatte mein Vater eine besondere Hartnäckigkeit. Was einmal unternommen ward, sollte ausgeführt werden, und wenn auch inzwischen das Unbequeme, Langweilige, Verdrießliche, ja Unnüße des Begonnenen sich deutlich offenbarte. Es schien, als wenn ihm das Vollbringen der einzige Zweck, das Beharren die einzige Tugend däuchte. Hatten wir in langen Winterabenden im Familienkreise ein Buch angefangen vorzulesen, so mußten wir es auch durchbringen, wenn wir gleich sämmtlich

1) Der mehrfach genannte Rath Schneider.

2) im Gedächtniß behielt.

dabei verzweifelten, und er mitunter selbst der Erste war, der zu gähnen anfing. Ich erinnere mich noch eines solchen Winters, wo wir Bower's) Geschichte der Päpste so durchzuarbeiten hatten. Es war ein fürchterlicher Zustand, indem wenig oder nichts, was in jenen kirchlichen Verhältnissen vorkommt, Kinder und junge Leute ansprechen kann. Indessen ist mir bei aller Unachtsamkeit und allem Widerwillen doch von jener Vorlesung so viel geblieben, daß ich in späteren Zeiten Manches daranzuknüpfen im Stande war.

Bei allen diesen fremdartigen Beschäftigungen und Arbeiten, die so schnell auf einander folgten, daß man sich kaum besinnen konnte, ob sie zulässig und nüßlich wären, verlor mein Vater seinen Hauptzweck nicht aus den Augen Er suchte mein Gedächtniß, meine Gabe, etwas zu fassen und zu combiniren, auf juristische Gegenstände zu lenken, und gab mir daher ein kleines Buch, in Gestalt eines Katechismus, von Hopp2), nach Form und Inhalt der Institutionen gearbeitet, in die Hände. Ich lernte Fragen und Antworten bald auswendig, und konnte so gut den Katecheten als den Katechumenen vorstellen; und wie bei dem damaligen Religions-Unterricht eine der Hauptübungen war, daß man auf das Behendeste in der Bibel aufschlagen lernte, so wurde auch hier eine gleiche Bekanntschaft mit dem Corpus Juris für nöthig befunden, worin ich auch bald auf das Vollkommenste bewandert war. Mein Vater wollte weiter gehen, und der kleine Struve3) ward vorgenommen; aber hier ging es nicht so rasch. Die Form des Buches war für den Anfänger nicht so günstig, daß er sich selbst hätte aushelfen können, und meines Vaters Art zu dociren nicht so liberal, daß sie mich angesprochen hätte.

Nicht allein durch die kriegerischen Zustände, in denen wir uns seit einigen Jahren befanden, sondern auch durch das bürgerliche Leben selbst, durch Lesen von Geschichten und Romanen, war es uns nur allzu deutlich, daß es sehr viele Fälle gebe, in welchen die

1) Die deutsche Uebersehung dieses Werks eines 1726 zum Protestantismus übergegangenen Schottländers erschien 1751-1780 in zehn Bänden und umfaßt nur die ersten Jahrhunderte der Geschichte des Papstthums. 2) Das kleine, zuerst 1684 erschienene Examen institutionum imperialium. Hoppe (Hoppius) war Professor in Danzig gewesen.. 3) Die jurisprudentia romano-germanica forensis, für den Gerichtsgebrauch bestimmt, zuerst 1670 erschienen.

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Geseze schweigen und dem Einzelnen nicht zu Hülfe kommen, der dann sehen mag, wie er sich aus der Sache zieht. Wir waren nun herangewachsen, und dem Schlendriane nach sollten wir auch neben andern Dingen fechten und reiten lernen, um uns gelegentlich unserer Haut zu wehren, und zu Pferde kein schülerhaftes Ansehn zu haben. Was den ersten Punkt betrifft, so war uns eine solche Uebung sehr angenehm: denn wir hatten uns schon längst Haurapiere von Haselstöcken, mit Körben von Weiden sauber geflochten, um die Hand zu schüßen, zu verschaffen gewußt. Nun durften wir uns wirklich stählerne Klingen zulegen, und das Gerassel, was wir damit machten, war sehr lebhaft.

Zwei Fechtmeister befanden sich in der Stadt: ein älterer ernster Deutscher, der auf die strenge und tüchtige Weise zu Werke ging, und ein Franzose, der seinen Vortheil durch Avanciren und Retiriren, durch leichte, flüchtige Stöße, welche stets mit einigen Ausrufungen begleitet waren, zu erreichen suchte. Die Meinungen, welche Art die beste sei, waren getheilt. Der kleinen Gesellschaft, mit welcher ich Stunde nehmen sollte, gab man den Franzosen, und wir gewöhnten uns bald, vorwärts und rückwärts zu gehen, auszufallen und uns zurückzuziehen, und dabei immer in die herkömmlichen Schreilaute auszubrechen. Mehrere von unsern Bekannten aber hatten sich zu dem deutschen Fechtmeister gewendet, und übten gerade das Gegentheil. Diese verschiedenen Arten, eine so wichtige Uebung zu behandeln, die Ueberzeugung eines Jeden, daß sein Meister der bessere sei, brachte wirklich eine Spaltung unter die jungen Leute, die ungefähr von einem Alter waren, und es fehlte wenig, so hätten die Fechtschulen ganz ernstliche Gefechte veranlaßt, denn fast ward ebenso sehr mit Worten gestritten, als mit der Klinge gefochten, und um zulezt der Sache ein Ende zu machen, ward ein Wettkampf zwischen beiden Meistern veranstaltet, dessen Erfolg ich nicht umständlich zu beschreiben brauche. Der Deutsche stand in seiner Positur 69 wie eine Mauer, paßte auf seinen Vortheil, und wußte mit Battiren und Legiren seinen Gegner ein- über das andre Mal zu entwaffnen. Dieser behauptete, das sei nicht Raison, und fuhr mit seiner Beweglichkeit fort, den Andern in Athem zu sehen. Auch brachte er dem Deutschen wohl einige Stöße bei, die ihn aber selbst, wenn es Ernst gewesen wäre, in die andre Welt geschickt hätten.

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