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in diesem Charakter nicht wiedererkennen konnte, ja daß er ihm so viel Kummer bereitete". Ebenso aber hat durch Maximiliane die ursprüngliche Gestalt Lottens eine Änderung erfahren: jene Lotte in Weklar genügte in ihrem einfachen Wesen und Schicksal nicht, um die Heldin des Romans zu werden" (H. Grimm, Goethe S. 171 u. fgde.). Die Beschreibung in Dichtung und Wahrheit (III. S. 130. 131) von dem Zustande der Marim. Br. in Frankfurt stimmt vielfach mehr mit der Darstellung im zweiten Teile des Werther überein als die der Wetlarer Tage. Von Marim. heißt es, sie sei,,unglücklich gewesen, habe sich in ihre neue Umgebung nicht zu finden gewußt". G.,,war der einzige, an dem sie noch einen Wiederklang jener geistigen Töne vernahm, an die sie von Jugend auf gewöhnt war." Und auch auf den Werther im zweiten Teile des Romans ist aus diesem Verhältnisse Goethes einiges übergegangen*). Diesem selbst fehlte es noch an Erfahrung, um jenen als Liebhaber einer verheirateten Frau erscheinen zu lassen.“ (Grimm S. 171. Vgl. Loepers Anmerk. Dicht. u. Wahrh. III. S. 382.) Und daß in der That Goethes Verhältnis zu Maximiliane nicht frei von Leidenschaft geblieben ist, das geht nicht nur aus seinem Briefwechsel hervor, das hat er selbst in Dicht. u. Wahrh., wenn auch nur leise, angedeutet, als er des Mannes gedenkt, dessen Schicksal zu all dem jezt Dargelegten noch hinzukommen mußte, damit G.,,den Plan" zum Werther finden konnte, so daß dann das Ganze von allen Seiten zu sammenschoß und eine solide Masse ward".

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BB) Außere Erfahrung: Jerusalems Tod. Dadurch ward G. ,,aus seinem Traume geschüttelt"**). Unglückliche Neigung zur Gattin eines Freundes war die Ursache dieses Todes gewesen;,, ähnliches", sagt G.,,, erfuhr mir im Augenblicke selbst und seßte mich in leidenschaftliche Bewegung"; ja, diesem Umstande vor allem schreibt er es zu, daß er seinem Romane,,alle die Glut eingehaucht habe, welche keine Unterscheidung zwischen dem Dichterischen und dem Wirklichen zuläßt". Aber außerdem hat G. viele Einzelheiten jenes Mannes in den Roman aufgenommen: seine Kleidung, blauer Frack u. s. w.,,Auch jener liebte Zeichnungen und Skizzen, in welchen man einsamen Gegenden ihren stillen Charakter abgewonnen hatte". Ferner:,,kleine Verdrießlichkeiten, die ihm in vornehmerer Gesellschaft begegnet"; die genaueste und umständlichste Beschreibung seines Todes; auch Lokalität und Persönlichkeit paßte vielfach auf ihn; daher man denn beim Erscheinen des Romans,,das Leben und die Sinnesart jenes Jünglings wiederzufinden Ineinte".

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Schluß von a und ß. Diese Erlebnisse Goethes zusammen mit jener allgemeinen Richtung und Neigung der Zeit finden wir im Drama vereinigt. Durch diese Komposition hatte er sich mehr als durch jede andere aus einem stürmischen Elemente gerettet, auf dem er durch eigne und fremde Schuld, durch zufällige und gewählte Lebensweise, durch Vorsatz und übereilung, durch Hartnäckigkeit und Nachgeben auf die gewaltsamste Art hin und wieder getrieben worden. Ich fühlte

*) Kestner urteilte,,,Goethe habe sich viel größer benommen als Werther“. **) Vgl. jedoch Loeper zu D. u. W. III. S. 378.

Klaude, Deutsche Aufsäge u. Disp.

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mich wie nach einer Generalbeichte wieder froh und frei und zu einem. neuen Leben berechtigt. Das alte Hausmittel war mir diesmal vor: trefflich zu statten gekommen"..

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2) Der ewige Jude. a) Äußere Umstände. Der Stoff ward schon dem Knaben bekannt durch die Volksbücher (Dichtung und Wahrheit I. S. 30; III. S. 178). -Mit jüdischen Verhältnissen, Einrichtungen, Spracheigentümlichkeiten u. s. w. ebenfalls seit seiner Jugend teils durch die Praxis des Lebens, teils durch Studium vertraut gemacht. Ferner die,,Grundzüge" des Charakters gab ihm der Dresdener Schuster, jener praktische Philosoph, bewußtlose Weltweise", dessen Humor und Schalkheit, dessen tüchtigen Menschenverstand und heiteres Gemüt bei gleichmäßiger Thätigkeit G. so enthusiastisch beschreibt (II. S. 97-99), und der ihm, als er jenen Stoff zu bearbeiten beschloß, sofort vor die Seele trat. Auch mit eines Handwerksgenossen, mit Hans Sachsens Geist und Humor stattete er den Helden bestens aus". Hans Sachs folgte er auch hinsichtlich der Form: Knüttelvers. (Vgl. III. S. 179).

b) Innere Beziehungen. a) Seine eigenen Erlebnisse mit der Brüdergemeinde und mit Fräulein von Klettenberg, III. S. 176. Erst nach langer Zeit erkannte er, wodurch er sich von ihnen unterschied. Jene hielten den Menschen für völlig verdorben, so daß er aus eigner Kraft zum Heile seiner Seele nichts thun könne. Er wollte der menschlichen. Natur inwendig noch einen gewissen Keim zugestehen, welcher, durch göttliche Gnade belebt, zu einem frohen Baume geistiger Glückseligkeit emporwachsen könne“ (S. 177). Man sagte ihm, dies sei eine ver derbliche Lehre, der wahre Pelagianismus". Er ging in die Kirchengeschichte zurück und verfolgte die allmähliche Ausbreitung dieser Lehre. Jest sah er die Kluft, die ihn von der Brüdergemeinde trennte; aber seine Liebe zu den heiligen Schriften konnte ihm nicht genommen wer den; so schuf er sich ein Christenthum zu seinem Privatgebrauch". (S. 178).,,Weil nun aber alles, was ich mit Liebe in mich aufnahm, sich sogleich zu einer dichterischen Form anlegte, so ergriff ich den wunderlichen Einfall, die Geschichte des ewigen Juden . episch zu be handeln und an diesem Leitfaden die hervorstehenden Punkte der Religions- und Kirchengeschichte nach Befinden darzustellen".

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6) Auch ein Teil der Lehren Spinozas sollte in dem Gedichte zum Ausdruck kommen. Einen Besuch des ewigen Juden bei demselben hatte sich G.,,ausgedacht und sich im stillen gern damit beschäftigt". Daraus wäre deutlich geworden, was sich G. aus Spinoza,,zugeeignet“. Das Gedicht ist Fragment geblieben: Der Anfang, zerstreute Stellen und der Schluß waren geschrieben, aber es fehlte die Sammlung" u. s. w. Diese Teile, erst nach Goethes Tode bekannt geworden, s. bei Hempel III. S. 181-89.*)

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*) Natürlich, daß dem Schüler einiges daraus mitgeteilt werden muß; vor allem die Stelle (S. 185):,,Er denkt an jenen Augenblick, da er den leyten Todesblick" u. s. w. Noch einmal beschäftigte sich Goethe im Geiste mit diesem Stoffe, dazu angeregt durch italienische Eindrücke. Vgl. ital. Reise, 27. Ottober abends, 1786.

C. Lyrische Gedichte*). Von allen diesen Liedern gilt Goethes Wort (IV. S. 95):,,Eine fortwährende Aufregung in glücklicher Liebeszeit, gesteigert durch eintretende Sorge, gab Anlaß zu Liedern, die durchaus nichts überspanntes, sondern immer das Gefühl des Augenblickes aussprachen. Von geselligen Festliedern bis zur kleinsten Geschenksgabe, alles war lebendig, mitgefühlt von einer gebildeten Gesellschaft; erst froh, dann schmerzlich und zuletzt kein Gipfel des Glücks, kein Abgrund des Wehes, dem nicht ein Laut wäre gewidmet gewesen".

1) Durch das äußere Leben veranlaßt. a) Wanderungen und Reisen. In Frankfurts Umgegend: wegen seines Umherstreifens „der Wanderer" genannt. (III. S. 71). Unterwegs sang er sich,,seltsame Hymnen und Dithyramben: „Wanderers Sturmlied“. „Ich sang diesen Halbunsinn leidenschaftlich vor mich hin, da mich ein schreckliches Unwetter unterwegs traf, dem ich entgehen mußte". Auf der Fahrt die Lahn hinunter entstand,,Geistesgruß", (III. S. 163) beim Anblick einer merkwürdigen Bergruine. Zugleich ist dies Gedicht eins von denen, in denen G. ein Gefühl niederlegte, das damals „gewaltig bei ihm überhand nahm und sich nicht wundersam genug äußern konnte, die Empfindung der Vergangenheit und Gegenwart in eins". (III. S. 166.) Auf derselben Reise mit Lavater und Basedow dichtete er die Knüttelverse auf den,,wunderlichen Wirtstisch in Koblenz":,,Zwischen Lavater und Basedow saß ich bei Tisch des Lebens froh" u. s. w. mit dem oft citierten Schluß: „Prophete rechts, Prophete links, das Weltkind in der Mitten". Endlich entstanden in der Schweiz mehrere kleinere Reisegedichte, wie:,,Und frische Nahrung, neues Blut".

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b) Veranlaßt durch Menschen, mit denen er teils persönlich, teils durch seine Schriften in Berührung kam. Zum Geburtstage des Pfarrers Ewald: „In allen guten Stunden erhöht von Lieb und Wein“. (IV. S. 30). Das Gedicht auf das Bild des Fräulein Klettenberg Sieh in diesem Zauberspiegel" (III. S. 175) schildert nur diese selbst. Sprichwörtlich gehaltene Verse, die im Streite mit seinem Vater von beiden Seiten her entstanden; veranlaßt durch den Besuch des Erbprinzen von Weimar:,,Lang bei Hofe, lang bei Höll" u. s. w. (III. S. 187 und 88). Spottgedichte auf Nikolai und dessen Freuden des jungen Werther"; (III. S. 135),,auf Werthers Grabe". - Auf den Nachdrucker Himburg: Holde Zeugen süß verträumter Jahre" (IV. S. 10).

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2) Inneres Leben. a) Liebe zu Lili. Seine Gedichte enthalten fast eine Geschichte dieses Verhältnisses; sie sind teils ernsten, teils scherzhaften Inhalts. Schildern einmal das Glück, das ihn in jener Zeit erfüllte. Dahin gehören: „Herz, mein Herz, was soll das geben“; ,,was ziehst du mich unwiderstehlich", in denen, wie G. sagt, dem Lesenden ein Hauch jener Fülle glücklicher Stunden vorüberwehen wird" (IV. S. 25). Teils tritt in ihnen die Ungeduld, die Pein und trübe Stimmung zu tage, die ihn infolge der Mißlichkeit dieses Verhältnisses so oft befiel. So fchon in dem zuletzt genannten, wenn er

*) Auch hier muß der Schüler diejenigen Gedichte, die nicht ganz in Dichtung und Wahrheit abgedruckt sind, genau kennen lernen.

darin klagt, daß er bei Lichterglanz am Spieltisch von der Geliebten
festgehalten und oft so unerträglichen Gesichtern gegenübergestellt wird.
Aber in der selbst geschaffenen Trennung erfaßte ihn von neuem un-
endliche Sehnsucht nach ihr, und auf dem Zürcher See entstand:,,Wenn
ich, liebe Lili, dich nicht liebte“. Ja, ein Andenken von ihr zog ihn
schließlich, als er schwankend auf dem Gotthard stand, nach Hause zu-
rück: Angedenken du verklungener Freude". Aber die Qual wurde
bald hier noch stärker; nach 40 Jahren war ihm dieser Zustand,,noch in
der Erinnerung beinah unerträglich"; in denselben ward nur durch die Poesie
,,einige geistreich herzliche Linderung eingeleitet". Mehr „die Anmut
dieses Unglückes" (IV. S. 94) drückt aus:,,Ihr verblühet, süße Rosen“;
auch darin heißt es aber, daß ihm,,der Gram die Seele bricht".
Nach dieser Seite hin sucht dann „Lilis Park“,,mit genialischer Hef=
tigkeit das Widerwärtige zu erhöhen und durch komisch-ärgerliche Bilder
das Entsagen in Verzweiflung umzuwandeln" (IV. S. 94).

b) Kunst und Natur. Ich fuhr fort die Dichtkunst zum Aus-
druck meiner Gefühle und Grillen zu benutzen" (III. S. 85). Er nennt
besonders den,,Wanderer", welches Gedicht aber die lokale Schilderung
Goethes Wanderungen im Elsaß verdankt*). Dahin gehört ferner
,,Adler und Taube", gehört auch das schon genannte Wanderers
Sturmlied", welches zugleich ein Ausfluß der eifrigen Beschäftigung
Goethes mit griechischen Dichtern, namentlich mit Pindar ist.

Schluß. 1) Wir verstehen jezt für diesen Abschnitt von Goethes
Leben und Dichten die in der Einleitung citierten Aussprüche; verstehen
jezt einigermaßen, wenn er gerade über diese seine Werke - die vier
ersten Bändchen, die ihn in Rom aufsuchten, die Resultate eines halben
Lebens" von Italien aus schreibt (22. Sept. 1787):,,Jch kann wohl
sagen: es ist kein Buchstabe darin, der nicht gelebt, empfunden, genossen,
gelitten, gedacht wäre". 2) Auch für seine späteren Werke werden wir
diesen Gesichtspunkt wohl als maßgebend betrachten müssen, so wenig
es uns auch oft gelingen will, alle Beziehungen zu des Dichters Leben
klar zu erkennen.

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*) II. S. 194.,,Hier in Niederbronn in diesen von den Römern
schon angelegten Bädern umspülte mich der Geist des Altertums, dessen ehr-
würdige Trümmer in Resten von Basreliefs und Inschriften, Säulenknäufen
und Schäften mir aus Bauerhöfen zwischen wirtschaftlichem Wuft und Geräte
gar wundersam entgegenleuchteten".

Druck von Fr. Aug. Eupel in Sondershausen.

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