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Wesen zu dämpfen wußte, war er auch im sittlichen Sinne für mich ganz heilsam". Auch der Umgang mit dem ,,ernsten" Langer ward ihm nach dieser Seite hin fruchtbar. Sodann war Gellert für ihn doch anfangs eine bedeutende Autorität, der zu Liebe er selbst seine Handschrift änderte. Seine Schriften nennt er das Fundament der damaligen deutschen sittlichen Kultur; seine Vorlesung über Moral, ,,man hielt sich für sehr glücklich, sie von ihm selbst vortragen zu hören übte auch auf ihn,,sittlichen Einfluß" aus, der freilich durch die Gesellschaft gelegentlich verkümmert wurde. Besonders aber während des legten Aufenthalts in Leipzig, während seiner Krankheit erfreute und unterrichtete ihn der Umgang mit vielen,,vorzüglichen Männern“. Er erwähnt besonders den Rathsherrn Hermann, Gröning von Bremen, Horn, die Breitkopfische, die Stockische Familie, am meisten Langer. Wie beliebt er bei allen war, zeigen die Worte:,,Es war keiner darunter, dem ich nicht durch widerliche Laune beschwerlich gewesen wäre; keiner, den ich nicht durch krankhaften Widersinn u. s. w.: das alles war vergessen, sie behandelten mich aufs liebreichste" u. s. w.

(8) Religiöse Bildung. (aa) Persönlicher Verkehr. Die kirchliche Gleichgültigkeit, mit der G. nach Leipzig kam, muß am meisten auf Rechnung der zulegt in Frankfurt gemachten Erfahrungen gesetzt werden; bald fuchte er sich von der kirchlichen Verbindung ganz und gar loszuwinden. Sehr gering war Gellerts Einfluß auf ihn in dieser Beziehung. Bei seinen Fragen, wie oft sie in die Kirche gingen oder das heilige Abendmahl genöffen, bestanden sie schlecht und wurden ,,mehr verdrießlich als erbaut"; die,,Anmahnungen waren drückend" für sie, und G. ließ bald Kirche und Altar völlig hinter sich." Nicht unbedeutend aber war die Wirkung, die in der letzten Zeit Langer auf ihn ausübte, eine Wirkung, die durch Goethes Krankheit befördert wurde. Mit ihm bespricht er,,die Angelegenheiten des Herzens, die auf das Unvergängliche Bezug haben". Der ernste, verständige Mann (L.) gab ,,der Bibel vor allen Schriften einen besonderen Vorzug"; ihm war ,,eine Vermittelung zwischen dem großen Weltgotte und den Menschen nötig"; so ward Goethen,,das Evangelium willkommen, und mit Gefühl und Enthusiasmus beschäftigte er sich mit dem neuen Testamente." (bb) Stellung zu den theolog. Richtungen. Und die Bibel ist ihm ja zu jeder Zeit lieb und wert" geblieben, sie, der er „fast allein seine sittliche Bildung schuldig war". Daher mißfielen ihm die ungerechten, spöttlichen und verdrehenden Angriffe" der damaligen Zeit. Doch nahm er auch natürliche Erklärungen der heiligen Schrift an und hielt sich denen gegenüber, welche die dunkelsten, geheimnisvollsten Schriften (3. B. Offenbarung Johannis') besonders liebten, zur klaren Partei", wenn er freilich auch fürchtete,,,den poetischen wie den prophetischen Gehalt dabei zu verlieren". Wie er selbst damals über seine religiöse Gesinnung dachte, sagt er im Anfang des 8. Buches; nach Frankfurt zurückgekehrt, glaubte er,,mit seinem Gott ganz gut zu stehen“ u. f. w.,,,ein Dünkel", den ihm freilich die Klettenberg gründlich" zu zerstören suchte, die ihm unumwunden versicherte, seine Unruhe, Ungeduld u. s. w. komme daher, weil er keinen versöhnten Gott habe“.

Schluß. Die größte Bedeutung für Goethe hatte der Leipziger

Aufenthalt dadurch, daß er einen bestimmten Grundsaß für sein Dichten gewann; ferner dadurch, daß, am meisten durch Öser, sein Geschmack und ästhetisches Urteil geläutert wurde; endlich dadurch, daß ihm hier eine Fülle von Lebenserfahrung zu teil ward. Gedenkend der mannichfaltigen Anregung, die ihm Leipzig gegeben, sprach er einige Jahre darauf das Urteil aus: „Es ist ein klein Paris, es bildet seine Leute."

7. Durch welche Umstände trat während des Straßburger Aufenthalts in Goethes Anschauungen und Beßtrebungen eine völlige Umwandlung ein?*)

(Nach Dichtung und Wahrheit (Buch 9-11) und dem Auffage „von deutscher Baukunst“.)

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Einleitung. Diese Epoche in Goethes Leben ist poeeisch unproduktiv nur wenig lyrische Gedichte und dennoch für ihn von der größten Bedeutung. Diese liegt aber nicht darin, daß er seine juristischen Studien durch ein Examen zum Abschluß brachte; auch nicht darin, daß er medizinische und chemische Studien mit Eifer betrieb; noch in anderen einzelnen Umständen, die auf seine körperliche wie geistige Entwickelung von Einfluß gewesen sind; sondern eine totale Umwandlung seines Wesens, seiner dichterischen Weltansicht" ging hier vor.

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I. Negativer Einfluß. So wurden wir denn an der Grenze von Frankreich alles französischen Wesens auf einmal bar und ledig." Zwar hatten ihn zwei Professoren auf die französische Seite zu ziehen gesucht, wollten ihn für Geschichte, Staatsrecht und Redekunst zum akademischen Lehrer ausbilden und in Straßburg selbst festhalten; aber es wurde aus allem diesem nichts". Er erkennnt das Verfehlte, Unnatürliche, ihm nicht Zusagende der fran zösischen Bildung auf den verschiedenen Gebieten. A. Materielle Lebensverhältnisse. 1) Privatleben. Das Mittel des gewöhnlichen Umgangs ist die Sprache. Die französische war Goethe lieb, ,,eine zweite Muttersprache". Zum Teil deswegen hatte er Straß burg anderen Universitäten vorgezogen. Aber durch die Art der Erlernung war sein Französisch sehr „buntscheckig". Jezt wird er fortwährend forrigiert, ja geradezu getadelt. So erfuhr 3. B. gleich nach seiner Ankunft sein kleines französisches Gedicht eine ganz „unbarmherzige" Kritik über Sprache und Vers. Dabei ward offen ausgesprochen, daß

*) Besondere Themata: 1) Wodurch ward Goethe in Straßburg,,alles französischen Wesens bar und ledig"? S. 313 S. 316. 2) Wodurch ward G. in St. dem deutschen Wesen zugewandt? S. 316 S. 321. 3) Jn wie fern hat Land und Leute im Elsaß mit dazu beigetragen, G. dem deutschen Wesen zuzuwenden? S. 316. 320. 4) Herders Einfluß auf G. in Str. S. 320. Eingehender wird das lezte Thema behandelt von Minor und Sauer, Studien zur Goethe-Philologie, S. 72–117. S. 124. 25.

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ein Fremder nie ordentlich französisch lernen könne; und selbst wer es sehr weit darin gebracht, wie Schöpflin, der disseriere und dialogiere mehr, als daß er eigentlich konversiere"; jenes sei ein Grundfehler der Deutschen, dieses die Kardinaltugend der Franzosen. G. überzeugt sich durch dieses Beispiel, daß es jenen weniger um die Sache zu thun sei als um die äußeren Bedingungen, unter welchen etwas erscheinen solle. Auch Goethes sonstige Erfahrungen im Privatverkehr mit Franzosen konnten ihn für ihre Eigentümlichkeiten nicht einnehmen; ihre Lebensweise erschien ihm und seinen Freunden zu bestimmt und zu vornehm". Selbst Unhöflichkeit nimmt er wahr. Sein Umgang mit dem Ludwigsritter, dessen Freundschaft,,schließlich lästig" wurde; seine Erfahrungen beim Tanzunterricht; sein Spott über die Verkehrtheiten beim Bau der Stadt; die eigene Unzufriedenheit der Straßburger über ihre Regierung. Dazu der Einfluß Rousseaus, der von dem geselligen Leben einen Ekelbegriff" verbreitete. 2) Staatsverhältnisse. Die französische Verfassung lauter geseglose Mißbräuche". Im Elsaß selbst sprach man schlecht über König und Minister, über Hof und Günstlinge G. schrieb dergleichen selbst auf ; man ahnte die folgende Um wälzung voraus. B. Geistiges Leben. 1) Kunst. Er muß wiederholt die „unhöfliche Behauptung" hören, daß es den Deutschen, ebenso wie dem nach französischer Kultur strebenden Friedrich dem Großen, an Geschmack fehle; dies entfernte fie gewaltiger als alles andere von den Franzosen". Dabei erkannten sie bald, daß lettere ebenso wenig Geschmack besäßen. Bald nach seiner Ankunft nahm Goethe dies wahr in der (a) Malerei. Je wohlthuender in jenem Empfangsgebäude der zukünftigen Königin Frankreichs die kleinen Nebensäle mit den Nachbildungen der Raphaelschen Kartone auf ihn wirkten, desto schrecklicher" war ihm der Hauptsaal mit seiner weit glänzenderen, reicheren Ausstattung. Hier lernte er den Geschmack und die Manier der neueren französischen Maler kennen. Schon daß man Christus und die Apostel in die Seitengemächer gedrängt, hielt er nicht gerade für geschmackvoll; aber jene Darstellungen aus der alten Mythologie, zumal zur Verherrlichung der Vermählung einer jungen Prinzessin, das war ein Verbrechen gegen Geschmack und Gefühl", das ihm, der eben aus der Schule Ösers und Winkelmanns kam, um so mehr Abscheu erregen mußte. Und er genierte sich auch nicht, diesem Abscheu kräftigen Ausdruck zu geben; so daß seine Gefährten fast fürchteten, der überlaute Kritiker möchte bei den Franzosen Anstoß erregen. b) Ebensowenig, gewahrte er, habe die französische Dichtkunst und ihre Litteratur überhaupt den rechten Weg eingeschlagen. Menages Urteil, die französischen Schriftsteller,,besäßen alles, nur nicht Geschmack". Aus dem jest lebenden Paris hatte man erfahren, daß die neuesten Autoren sämt= lich des Geschmackes ermangelten." Dem jungen, aufstrebenden Geschlecht erschien die ganze franz. Litteratur,,bejahrt und vornehm“; die Dich tung kalt"; die größten Talente des 18. Jahrhunderts waren ihnen nur Epigonen einer vergangenen Epoche. Besonders veraltet" war das Lustspiel. Aber auch die Tragödie. Hier hatte ja Lessing in der vor kurzem erschienenen Hamburgischen Dramaturgie sein vernichtendes Ur teil gesprochen. Voltaire selbst wollte zeigen, wie „mangelhaft“ sein

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Vorgänger, Corneille gewesen sei. Und eben dieser Voltaire hatte ihn nicht erreicht und galt ebenfalls als „bejahrt“. Durch den Einfluß der Gesellschaft auf die Schriftsteller wurde die Litteratur selbst gesellschaftlich und vornehm". Rousseau freilich sagte Goethe und seinen Freun den zu, aber dieser lebte ja unerkannt und vergessen in Paris. Auch Diderot wurde geschäßt, aber gerade diejenigen seiner Seiten, um derent: willen die Franzosen ihn tadelten, darin war er,,ein wahrer Deutscher". Beide Männer,,drängten" auch in der Kunst zur Natur. Auch die frühere Schauspielkunst der Franzosen war veraltet; dem Schauspieler Lecain, der,,mit besonderem theatralischen Anstand" u. s. w. spielte, trat Aufresne entgegen, der jene Kunst für unnatürlich hielt und allein in seinem Spiel die höchste Wahrheit auszudrücken" suchte; Streit da rüber in Paris. Auf. kommt nach Straßburg, und G. sah ihn,,mit der wahrsten, natürlichsten Würde" spielen.

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2) Wissenschaft. a) Die Kritik der Franzosen nennt Goethe ,,vernichtend"; an einer andern Stelle,,ablehnend, verneinend, herunter. ziehend, mißredend“; solcher Ausdrücke bedienten sich die Franzosen selbst gegen ihre Schriftsteller. Selbst Voltaire nannten sie ein altes, eigenwilliges Kind", seine früheren Grundsätze ließen sie nicht mehr gelten. Voltaire entging dieser Umschwung nicht, und in kritischen und satirischen Schriften wandte er sich gegen seine eigenen Landsleute. Dabei zeigte er parteiische Unredlichkeit u. s. w. Jede neue Richtung wurde von den Franzosen verurteilt, nachdem sie eben erst den größten Erfolg gehabt hatte; z. B. Bellons,,Belagerung von Calais",,,die Sittenschilderungen“ des Destouches. Kurz, Goethe und seine Freunde erkannten, daß es der französischen Kritik an positiven Grundfäßen fehlte, daß sie nur nach subjektiven Anschauungen urteilte und nur zu zerstören wußte. b) Ähnliches nahmen sie auf religiösem Gebiete wahr. G. unwillig über Voltaire, der die Religion und die Bibel,,,um den sogenannten Pfaffen zu schaden, niemals genung herabseßen konnte". Der heftige Streit französischer Philosophen mit dem Pfaffentum" war Goethe und seinen Genossen gleichgültig, ihnen, die sich über religiöse Gegenstände selbst aufgeklärt zu haben glaubten." Welchen Eindruck die Encyklopädie", in der der französische Rationalismus niedergelegt war, auf sie machte, giebt Goethe durch einen Vergleich zu verstehen: wie wenn,,man zwischen den unzähligen bewegten Spulen und Webstühlen" u. s. w. c) Eng zu sammen damit hängt die französische Philosophie, deren hervor ragendste Vertreter ja eben die Encyklopädisten waren. Ausführlich spricht Goethe über den Eindruck, den das Hauptbuch, das système de la nature auf ihn und seine Freunde gemacht habe:,,grau, cimmerisch, totenhaft, wie ein Gespenst, die Quintessenz der Greisenheit, unschmackhaft, ja abgeschmackt" in diese Epitheta faßte er sein Gesamturteil zusammen. Er begründet es also: a) Ihr sittliches Gefühl ward dadurch nicht befriedigt. aa) (Gott.) Alles follte notwendig sein, und deshalb kein Gott. Warum aber könne dieser nicht auch notwendig sein? bb) (Freiheit des Willens.) Physische und animalische Zustände in uns seien freilich notwendig; aber es bleibe in unserm Wesen noch ein Teil zurück, der sich jenen Einflüssen entziehen könne: Freiheit des Willens. „Die Hoffnung immer vernünftiger zu werden

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konnten wir nicht aufgeben."

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P) Die physikalische fische Seite des Buches täuschte sie völlig - daher es auch keiner von ihnen ganz durchlesen konnte. — aa) Einmal fanden sie nicht, was sie in dieser Beziehung erwartet hatten. Ein System der Natur“, hofften sie, würde Physik, Chemie, Himmels- und Erdbeschreibung u. s. w. enthalten; nichts von alledem in jenem Buche; dafür eine triste, athei stische Halbwelt, in der es ihnen hohl und leer zu Mute ward, in der Himmel und Erde mit allen ihren Gebilden verschwanden". bb) Und was sie wirklich fanden, war ungenügend und erklärte nichts. Denn die Grundlagen mochten sie vielleicht noch zugeben: eine von Ewigkeit her bewegte Materie: wenn der Verfasser nur wirklich daraus die Welt aufgebaut hätte". Statt dies zu thun, versuchte er vielmehr das geistige Leben zur materiellen Natur zu verwandeln.

Schluß. Infolge davon hatten sie nicht bloß an jenem Buche genug, fie wurden aller Philosophie, besonders aber der Metaphysik ,,recht herzlich gram“.

Übergang. Wenn somit die französische Bildung, wie sie sich in diesen wichtigsten Richtungen des Lebens und Denkens zeigte, ihnen nicht genügte, wären sie,,ratlos gewesen“, sie hätten sich der rohen Natur, wenigstens versuchsweise, hingegeben", wenn nicht zu gleicher Zeit andere Einflüsse sich überwiegend geltend gemacht hätten.

II. Positiver Einfluß. Dem deutschen Wesen ward G. zu= gewendet und auf die Natur, seine „Abgöttin“ nachdrücklich hingewiesen. Wodurch? A. Materielles Leben. 1) Privatverhältnisse; seine Umgebung und sein Umgang. a) Der entferntere; Land und Leute im Elsaß. Die Herrlichkeit des Landes wiederholt geschildert; der erhebende Genuß der Tages- und Jahreszeichen, die Spaziergänge in der Nähe von Straßburg, die größeren Ausflüge nach Süden und Norden. Und dies Land,,war noch nicht lange genug mit Frankreich verbunden, als daß nicht noch bei alt und jung eine liebevolle Anhänglichkeit an alte Verfassung Sitte, Sprache, Tracht sollte übrig geblieben sein.“ Und G. verkehrte viel mit der elsässischen Gesellschaft. Durch Salzmann ward er in die städtischen, durch Weyland in verschiedene ländliche Kreise und Familien persönlich oder durch Empfehlungen eingeführt. Die Straßburger waren leidenschaftliche Spaziergänger"; in den Gärten, Lustorten fanden die jungen Leute gute Aufnahme und gute Gesellschaft; oft genug Einladungen zu frohen Tagen. An Tänzen in Vergnügungsorten wie auf Privatbällen nahmen sie vielfach teil; hatte ihm doch das lebenslustige Volk „die Taktfähigkeit seiner Glieder“ wieder erregt und er sich bald entschlossen, von neuem Tanzunterricht zu nehmen. So hatten G. und seine Genossen ihre Freude an und unter dem,,heitern, lustigen Völkchen". Wie gefiel ihnen schon die verschiedene Tracht des weiblichen Geschlechtes: die aufgewundenen Zöpfe, die knappe Kleidungsart u. s. w. Und selbst noch einige vornehme Häuser gab es, welche an den alten, deutschen Gewohnheiten festhielten, wenn auch freilich die französische Partie jedes Jahr einige Proselyten machte. Und in diesen Kreisen ward nur deutsch gesprochen; hier hatte er, als ihm die französische Sprache verleidet wurde, reichlich Gelegenheit, sich mehr als bisher mit Gewalt und Ernst der Muttersprache zu widmen".

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