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felten, auch im Göz sich zeigt, nahm infolge der Nachahmung zu; da durch glaubte man naturwahr und individuell zu werden. Goethe selbst sagt (Dicht. u. Wahrh. IV. S. 87), daß,,bei den Deutschen das Gemeine weit mehr überhand zu nehmen Gelegenheit findet als bei andern Nationen“. Wie ja der natürliche Mann oft in groben und derben Ausdrücken sich äußert, ward es Sitte,,in Kraftworten zu schwelgen.“ Vgl. damit einige von Bürgers Gedichten; Schillers Recension derselben (oben S. 245); Schillers drei Jugenddramen (S. 116). -Freilich Bürger und die Göttinger Schule befand sich schon vorher in diesem wie in anderen Punkten auf diesem Wege; aber daß sie sich auch des Einflusses, den Göt auf sie ausgeübt, bewußt waren, zeigt der weiter unten citierte Brief Bürgers. Doch ist daran zu erinnern, daß in dieser und in den übrigen Beziehungen die schädliche Wirkung eine vorübergehende war. II. Der Inhalt des Gök.

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A. Wirkung in Bezug auf die Entwickelung des Dramas.

1) Was durch die Form (5. oben S. 249) überhaupt erst möglich geworden war, schuf der Stoff: Göß war kein bloßes Ritterschauspiel, es war das erste historische Drama der Deutschen, wenigstens ,,der erste gelungene Versuch"; die früheren waren mißlungen. In dieser 'Beziehung wurde das Beispiel Shakspeares, auf welches von Lessing und Herder wiederholt hingewiesen war, zum ersten Male befolgt, das Leben eines ganzen Volkes, ein Bild der Weltgeschichte dargestellt.*),,Egmont“ ging weiter auf dieser Bahn, dann 8 Jahre später alle Stücke Schillers. Zugleich zeigte der Göt praktisch die Richtigkeit jener aristotelisch-lessingschen Grundsähe über das Verhältnis des Dramas zur Geschichte; zeigte, wie dem Dichter vor allem die Charaktere der Geschichte heilig" sein müßten, wie er aber sonst mit den Fakten beliebig schalten und walten könne.

2) Lessing hatte schon 1759 den Gedanken einer nationalen Litte ratur ausgesprochen (Vgl. oben S. 64); Lessing selbst hatte dann the oretisch wie praktisch in diesem Sinne gearbeitet und schon Bedeutendes erreicht. Es galt in jener ganzen Periode die Kluft auszufüllen, die seit der Zeit der Renaissance und des dreißigjährigen Krieges fast allein in deutschen Landen entstanden war, die Kluft zwischen der Dichtung der Gelehrten und dem poetischen Bedürfnisse des Volkes. Jene Dichtung hatte sich seit dem Anfange des 17. Jahrh. an verschiedene Vorbilder angelehnt, die alle, bald mehr, bald weniger dem deutschen Wesen und Charakter fremd waren, daher jene Dichtung in das Volk nicht eindringen konnte. So sehr auch das von Gottsched eingeführte französische Theater die französisch Gebildeten entzücken mochte: das Volk lief weiter den alten Staats- und Heldenaktionen nach und freute sich an den derben Späßen des Hanswursts; das Volk nicht nur, auch ein Lessing und seine Genossen. Dieser selbst hatte in seiner Minna v. Barnhelm das erste nationale Lustspiel geschaffen. Wie sehr durch das

*) Doch ist davor zu warnen, den Gök für ein Drama Shakspeareschen Geistes zu halten, und zu zeigen, in wie fern es nach wichtigen Seiten hin den Stücken des Engländers nicht gleicht. Wenn dem so gewesen wäre, würde ja auch Lessing nicht so entschieden gegen dasselbe Front gemacht haben.

selbe in der That jene Kluft ausgefüllt ward, das beweisen so viele Zeugnisse, die wir aus jener Zeit haben.*) Auf dieser Bahn trieb nun Goethes Göß das deutsche Drama ein gut Stück weiter: es war unsere erste nationale Tragödie.

a) Äußerlich. Der Stoff war aus der allgemeinen deutschen Geschichte gewählt, nicht bloß, wie in Minna v. Barnhelm, aus der norddeutschen, preußischen. Wir sind auf deutschem Grund und Boden, das Leben und Treiben unserer Vorfahren wird vorgeführt; Deutschland in seiner Größe und auch in seiner Kleinheit geschildert: das Leben des ganzen Volkes, nicht bloß einzelner Helden, das alte Kaisertum mit seinen Institutionen, die Reichsstände, das Privatleben u. s. w.

b) Innerlich. Deutsche Gesinnung, deutsche Treue und Rechtlichfeit wird verherrlicht, das fremde Wesen verabscheut. Die Tugenden des deutschen Mannes wie der deutschen Frau (Elisabeth, Maria) geprie sen; die Eigenheit des deutschen Wesens,,,daß jeder nur auf sein eigenes persönliches Gefühl angewiesen sei, um innerhalb unbrauchbarer, in Auflösung begriffener Zustände den rechten Weg inne zu halten“. Dadurch erwachte der deutsche Geist in der Litteratur, des französischen Wesens war man satt; selbst die Ausschreitungen in dieser Beziehung, die vie len Ritterschauspiele u. a. zeigen diese Wirkung. Weil so der Göß von nationalem Gehalt war und echt deutsches Leben und deutsche Gesinnung verherrlichte, daher der Unwille der französisch Gebildeten gegen das Stück. (Vgl. Hettner, Litt. III. S. 147).

B. Und dies Drama trug natürlich auch dazu bei, auf den übrigen Gebieten der Poesie und der Litteratur überhaupt nationale Gesinnung zu fördern und zu heben.

1) (Gute Wirkung.) Es drängte die Dichtkunst nur noch ener gischer vorwärts auf dem Wege, der schon infolge anderer Bestrebungen eingeschlagen worden war, wonach man nichts gelten lassen wollte als Wahrheit und Aufrichtigkeit des Gefühls." Einfache und natürliche Verhältnisse, Gesinnungen und Charaktere sollten dargestellt, das Unnatürliche und Gefünftelte, das der französische Einfluß vielfach veranlaßt hatte, verlassen werden. Die Dichtung sollte Volksdichtung werden; Natur sollte der einzige und wahre Gegenstand der Kunst sein. Das Bestreben, daß man mit der bisherigen Litteratur, ja mit der ganzen Kultur brechen; daß man, wie Rousseau gelehrt, den Menschen in seinem Naturzustande aufsuchen müsse, trat hier zuerst in einem großartigen Beispiele der Kunst in die Praxis. Daß aus dem Leben selbst der Stoff aller Kunst genommen werden müsse; daß alles Gemachte, Künstliche zu verwerfen sei, zeigte dies eine Vorbild, in welchem selbst es auch ausgesprochen ward, was den Dichter macht: „ein volles, ganz von einer Empfindung volles Herz". Und so übte dies Drama diese Wirkung auch auf die übrigen Gebiete der Poesie aus. Dies beweist z. B. ein Brief Bürgers

*) Von denen eines auch hier seine Stelle finden mag. Anna Luise Karsch schrieb an Gleim: „Heute wird „das Soldatenglück" zum achten Mal vorgestellt, und es war gestern zum Erstaunen, was sich die berlinische Welt hinzudrängte u. s. w. Vor Lessing hat's noch keinem deutschen Dichter gelungen, daß er dem Edlen und dem Volk, dem Gelehrten und Laien zugleich eine Art von Begeisterung eingeflößt und so durchgängig gefallen hätte."

(an Boie, v. 8. Juli 1773), in dem es heißt:,,Welch' ein durchaus deutscher Stoff! Glück zu dem edlen, freien Manne, der der Natur gehorsamer als der tyrannischen Kunst war.... Dieser Göt v. Berlich. hat mich wieder zu drei neuen Strophen zur Lenore begeis stert!Herr, nichts weniger in ihrer Art soll sie werden, als was dieser Göz in seiner ist!"*) - Diese Richtung trat zu tage:

a) Positiv. Durch Verherrlichung der Natur. aa) Durch Vorführung natürlicher Charaktere; Menschen, die ein einfaches, natürliches Leben leben, die Freiheit über alles lieben und Haß und Abscheu gegen Verfeinerung und Künstelei an den Tag legen; so Gök, Selbig, Sidingen, Lerse, Georg, Bruder Martin. Der glückliche Zustand, den Göz Ende von Akt III. schildert, wo,,Verehrung des Kaisers, Fried und Freundschaft der Nachbarn und Lieb der Unterthanen der kostbarste Familienschat sei, der auf Enkel und Urenkel erbe".

bb) Durch Schilderung der mittelalterlichen Zustände, die, von der Kultur noch nicht verdorben, als die ursprünglichen, volkstümlichen, allein naturgemäßen hingestellt werden. Solche sind namentlich aa) das unabhängige Rittertum, das in trüben, anarchischen Zeiten als berechtigt erscheint, mit eigener Hand sich Recht zu verschaffen. Daher selbst Verherrlichung des Faustrechts. ßß) Die alten Schöppengerichte. Nur Richter, die des römischen Rechtes unkundig find. Es genügt ja,,,durch Alter und Erfahrung sich eine genaue Kenntnis des inneren und äußeren Zustandes der Stadt zu erwerben". Nach altem Herkommen und wenigen Statuten werden Bürger und Nachbarschaft gerichtet. Und dies Gericht steht in großem Ansehen weit umber". 77) Die heilige Vehme. Die einfache, natürliche Einrichtung, die alten Gebräuche und Formeln, der schnelle Gang des selben; der Verbrecher, der dem Arme der staatlichen Gerichtsbarkeit entflieht, wird von ihr verurteilt und gerichtet. dd) Die Zigeuner. 1) Äußeres Leben. Ein Naturvolk auf freiem Felde, im Walde; der Kräuter und Wurzeln kundig; betteln, rauben, stehlen. 2) Charakter. Abergläubisch; wilde Kerls"; aber starr und treu". Bei ihnen findet der verfolgte Göt Zuflucht, sie heilen seine Wunden, bringen ihm ihre Feiertagsgewänder; „es ist ihnen herzlich lieb, ihn zu haben"; ihr Leben und Blut lassen sie für ihn. —

cc) Durch Darstellung kleiner, unbedeutender Umstände, die in aller Natürlichkeit und Reinheit auftreten und als ebenso würdige Gegenstände der Dichtkunst vorgeführt werden als Fürsten und Könige und die gezierten Helden der französischen Bühne. Hatte schon Lessing, englischem Vorbilde folgend mit seiner Miß Sara Sampson sich und das deutsche Volk von dem Wahne frei gemacht, nur unter hochgestellten Personen könne sich der Kothurn der Tragödie in würdiger Weise bewegen; hatte er auf das Bürgertum und auf das Familienleben als auf ein neues, jenem durchaus ebenbürtiges Gebiet des Dramas hingewiesen, so ging Goethe, Shakspeare folgend, mit dem Gök noch einen Schritt tiefer, bis hinunter zu den geringsten Männern des

*) Vgl. auch Loepers Anm. in Dichtung u. Wahrh. III. S. 371 und die dort citierten Strophen von Voß.

Volkes, zu den niedrigsten, unbedeutendsten Beschäftigungen. Auch der Natur hierin folgend, in der Hohes und Niedriges wechselt, läßt er unmittelbar nach der Bauernhochzeit den Kaiser selbst auftreten, und fortwährend wechseln im Drama bedeutende Personen und Züge mit unbedeutenden. Zuletzteren gehören: die eben erwähnten Zigeuner; die Reitersknechte und Bauern in der Schenke (I. 1); das naive, kindliche Geplauder Karls mit seiner Tante; mit seinem Vater und Weißlingen, als er deren ernstes Gespräch unterbricht und schließlich endigt. Ferner jene Scenen, in denen Georg auftritt: die erste, wo er sich den zu großen Küraß umschnallt; sein Gespräch mit Bruder Martin; wie er das Pferd zäumt und dabei sein lustig Lied singt. Sodann: die Bauernhochzeit, an der ein Gök und Selbig teil zu nehmen sich nicht genieren; die Reichsknechte bei dem Moraste; die Knechte Gözens bei der Belagerung; die dann selbst mit ihm zusammen bei Tische siten; jene zwei, die im Saale am Rüstschrank die Waffen auswählen.

b) Negativ. Durch Verurteilung der Unnatur. a) Einzelne Charaktere: Bischof, Abt Weislingen, Adelheid, Franz. ) Zustände. aa) Der Adel und das Rittertum der neuern Zeit. aa) Ritter, die sich in den Dienst der Fürsten begeben: Weislingen. Zustand seiner Güter; sieht selbst das Verächtliche seiner Stellung und Gesinnung ein.

PP) Solche, die sich gelehrter Bildung widmen, um nicht mehr Ritter zu bleiben, sondern Beamte des Staates zu werden. Gegensah: Göt, dem Schreiben sauer ankommt, geschäftiger Müßiggang ist".

bb) Das Militärwesen (Aft 3). Gegensah dazu Göz, Lerse, Georg, die Knechte. Und der Dichter macht auf diesen Gegensah recht aufmerksam:,,Kannst du sagen, Maximilian, du hast unter deinen Dienern einen so geworben!"

cc) Das römische Recht. aa) Vom ehrlichen Manne verabscheut; die Richter als ,,Verwirrer des Volks und Beutelschneider" laufen Gefahr gesteinigt zu werden. ßß) Und nicht mit Unrecht: langsamer Gang, arge Bestechlichkeit und Parteilichkeit.

dd) Der Mönchsstand. aa) Bischof und Abt von Fulda. ßß) Bruder Martin zeigt am meisten die Unnatur des ganzen Standes; er zugleich Luther in seiner Jugend, wie mehrere äußere und innere Züge beweisen die einzige Andeutung, die sich im Drama von dem hervorragendsten Ereignis jener Epoche findet: der Reformation.

ee) Wie sehr aber in jener Zeit die Natur unterdrückt und mißhandelt wurde, das zeigt am meisten der Zustand der Bauern. Ihre Erbitterung gegen die, die,,ihnen die Haut über die Ohren ziehen.“ Der Schwindelgeist ergreift ganze Landschaften; die Unterthanen, die Leibeignen wollen die hergebrachte Oberherrschaft schmälern." ,,Nach Rechten und Freiheiten" verlangen sie. Endlich ihr Aufstand, ihre Grausamkeit, ihre Niederlage und Bestrafung. Wenn Göß und die Seinigen sich auflehnen gegen die neue Ordnung der Dinge, so geschieht dies doch mit Einsicht und mit völliger Redlichkeit: die Bauern wollten alte, aber unnatürliche und unerträgliche Zustände abschaffen. Aber so berechtigt ihre Forderungen sind, es fehlt ihnen Überlegung und Verständnis, ebenso moralischer Wert.

2) Schädliche Wirkung. Noch weit mehr dem Inhalte nach

wurde das Drama Veranlassung, dem Ungeregelten, Maßlosen, Ungeheuerlichen die Bahn zu eröffnen, die verfehlte Richtung der Sturm- und Drangperiode zu befördern. Goethe selbst beschreibt diese Wirkung (Dich. u. Wahrh. B. 13.):,,Man glaubte, daran ein Panier zu sehen, unter dessen Vorschritt alles, was in der Jugend Wildes und Ungeschlachtes lebt, sich wohl Raum machen durfte, und gerade die besten Köpfe, in denen schon vorläufig etwas Ähnliches spukte, wurden davon hingerissen.“

Schluß. So bewirkten Form und Inhalt zusammen jene litterarische Umwälzung, die man mit dem Namen Sturm- und Drangperiode bezeichnet. Der Göt zeigte,,,mit allen bisherigen Formen und Stoffen müsse gebrochen, die gelehrte Dichtung, die seit länger als hundert Jahren geherrscht hatte, müsse verlassen, das französische Muster aufgegeben werden." Goethe selbst hatte sich noch in seinen beiden ersten Dramen der alten Richtung angeschlossen. In Straßburg war die Umwandlung erfolgt. In Dich. u. Wahrh. schildert G., wie er dort allem französischen Wesen gründlich feind und dem deutschen Wesen zugewandt wurde". Götz und Faust waren die hervorragendsten Resultate dieser Änderung, die am meisten durch zwei Männer bewirkt worden war: einen lebenden, Herder, der als der reifere und erfahrenere den Weg, den er bereits der ganzen Nation enthüllt hatte, auch dem jüngeren Freunde offenbarte, den Weg zur Natur und,,zur Urpoesie". Sodann ein toter, auf den ebenfalls durch Herder Goethe hingewiesen wurde: Shakspeare. Was Lessing lange vorher erkannt und ausgesprochen, wurde im Göt praktisch dargelegt, daß die Manier Shakspeares unserm deutschen Wesen die angemessene sei, nicht die der Franzosen. Denn wenn auch der Göt ein shakspearsches Drama nicht genannt werden kann, so tritt darin doch nach mehr als einer Seite hin die Nachahmung des englischen Dichters zu tage,**) aber Nachahmung in einer freien, felbständigen, dem deutschen Wesen eigentümlichen Weise." Somit hatte die Generation recht, den Göt als etwas ,,Driginelles, Geniehaftes" anzusehen, dergleichen vorher nie dagewesen, und so ist es erklärlich, daß ein bis dahin unbekannter junger Mann mit einem Schlage Führer der gewaltigsten Revolution werden konnte, die die deutsche Litteratur je er fahren hat.

3) Das niederländische Volk in Goethes
Egmont. *)

Freudigen Herzens, ja siegesgewiß geht in Goethes Egmont der Held in den Tod; er weiß es, nicht umsonst wird sein und vieler Edlen Blut vergossen. Und doch sieht er, daß die Tyrannei stärker denn je

*) Besondere Themata: 1) Der allgemeine Zustand des niederländischen Volkes. S. 257-260. 2) Welche Umstände bewirkten im Drama Erbiiterung und Auflehnung des Volkes gegen die spanische Herrschaft? S. 260-264.

**) Vgl. Minor u. Sauer, Studien zur Goethephilol. S. 125. 237-292.

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