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Ausgaben eingeschlichen, die erst 1866 durch M. Bernays getilgt wurden. Es verstand sich daher von selbst, der durch Bernays gegebenen Anregung zu folgen und ungeachtet der Autorität, im Ganzen den späteren Ausgaben zukommt, hier auf die früheren Lesarten zurückzugreifen.

Die erwähnte Neubearbeitung wurde bereits 1782 geplant. Von dem Plane machte Goethe Kestnern Mittheilung, indem er schrieb (15. März 1783): „Ich habe in ruhigen Stunden meinen Werther wieder vorgenommen und denke, ohne die Hand an das zu legen, was so viel Sensation gemacht hat, ihn noch einige Stufen höher zu schrauben. Dabei war unter Anderm meine Intention, Alberten so zu stellen, daß ihn wohl der leidenschaftliche Jüngling, aber doch der Leser nicht verkennt. Dies wird den gewünschten und besten Effect thun. Ich hoffe, Ihr werdet zufrieden sein.“ Kestner antwortete auf diese Andeutungen in recht kleinlicher Weise. Er bemängelte zwei Dinge, erstens, daß Lotte gelegentlich Ohrfeigen austheile, und zweitens, daß sie bei ihrer ersten Begegnung Werthern mittheile, sie sei bereits versprochen. Beides sei unrichtig. Man wird sich nicht wundern dürfen, daß Goethe derartige kleinliche Correcturen unbeachtet ließ. Wohl aber hielt er manches Andere für verbesserungsbedürftig, die Zeichnung Alberts, die strengere Motivirung u. A. Diese Verbesserungen und Veränderungen, die der zweiten, im J. 1786 unter dem Beirath und der Mitwirkung Herder's ausgeführten und im ersten, 1787 erschienenen Bande der Schriften gedruckten Bearbeitung zu Gute kamen, sind in den folgenden Anmerkungen erwähnt. Daselbst sind auch Proben der frühern Fassung mitgetheilt. Es ist zugleich darauf hingewiesen, daß nicht alle diese Veränderungen zugleich Verbesserungen genannt werden können. Die wesentlichste Umgestaltung hat der Schlußabschnitt „Der Herausgeber an den Leser“ erfahren; ganz neu ist die in mehrere Abschnitte zerfallende Geschichte des Bauernburschen von Wahlheim, die in höchst wirkungsvollen Contrast zu Werthers Erlebnissen und Handlungen gesezt ist. (Eine hübsche Ausgabe von „Werthers Leiden“, Berlin 1868, Schröder, hat in den Anmerkungen sämmtliche Abweichungen der ersten Ausgabe reproducirt; ein getreuer Neudruck der Originalausgabe im „Jungen Goethe“; ein verkleinertes Facsimile derselben, München 1880.)

Goethe. V.

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Die späteren Ausgaben zeigen nur ganz unbedeutende Aenderungen. Erwähnung verdient nur die Jubelausgabe von 1825, die bei Weigand in Leipzig erschien, demselben Verleger, der 50 Jahre vorher die Originalausgabe gebracht hatte. Sie ist besonders wichtig, weil in ihr zuerst das große schöne Gedicht „An Werther“ erschien, das später den Cyclus „Trilogie der Leidenschaft“ eröffnete, vgl. Werke, unsere Ausgabe I, S. 341 ff.

Dem folgenden Texte ist die Ausgabe leßter Hand (A. I. H.), zu Grunde gelegt worden, freilich unter den angegebenen Modificationen. Für die Anmerkungen sind die Dünger'schen Erläuterungen, 3. Bändchen (2. Aufl. Leipz. 1880) und die in dieser Einleitung genannten Werke benugt worden.

Seit dem ersten Erscheinen des „Werther“ sind mehr als hundert Jahre verflossen. Die Zeit ist eine andere geworden und mit ihr die Beurtheilung. Goethe hatte sich durch dieses Buch von einer Last befreit, die ihn zu ersticken drohte. Wenn er später gelegentlich sagte (1812, an Zelter II, 45 ff.): „Ich getraute mir einen neuen Werther zu schreiben, über den dem Volke die Haare noch mehr zu Berge stehen sollten als über den ersten“, oder (1816, das. 223): ,,Vor einigen Tagen kam mir zufälligerweise die erste Ausgabe meines Werthers in die Hände und dieses bei mir längst verschollene Lied fing wieder an zu klingen. Da begreift man denn nur nicht, wie es ein Mensch noch vierzig Jahre in einer Welt hat aushalten können, die ihm in früher Jugend schon so absurd vorkam“, so darf man aus diesen und ähnlichen Aeußerungen nicht schließen, daß die Werther-Stimmung wieder den Einzug in sein Inneres gehalten hätte. Wir sind Alle einig darüber, daß die Zeit eine krankhafte war, aus der jene Stimmung und der „Werther" geboren wurde. Daher hat die Zeit die üblen Wirkungen geübt, nicht das Buch, das nur ein Ausdruck jener Zeit war. Mag auch heute noch ein junger Selbstmörder pomphaft „Werthers Leiden" vor sich ausbreiten oder sie vorsichtig in seine Tasche stecken, bevor er sich zum leßten verhängnißvollen Schritte anschickt, wir glauben nicht daran, daß ihn das Buch in den Tod getrieben. Ein gesunder Mensch wird vielmehr, weit entfernt davon, Schaden durch das Buch zu erleiden, sich noch heute an ihm erlaben. Als ein ewig junges Product tritt es seinen Triumphzug durch das zweite Jahrhundert an. Was ihm seinen

dauernden Erfolg sichert, ist zunächst die Sprache. Sie ist nicht eigentlich schön, nicht regelmäßig, aber sie stroßt von Leben und Kraft, ist durch und durch originell und darum von bedeutendster Wirkung. Sodann die Zeichnung Lottens. Sie ist keine Schwärmerin, keine ideale Erscheinung, die, das gewöhnliche Leben verachtend, in höhere Regionen sich flüchtet, sondern eine echte Vertreterin des deutschen Mädchens, der deutschen Hausfrau. Sie ist heiter und unbefangen, liebt die Menschen und das Leben, die Natur und die Dichtung, sie ist Schußengel der Armen, Pflegerin der Kranken, Stüße des Vaters, eine zweite Mutter, unermüdlich sorgend für ihre jüngeren Geschwister. Endlich der revolutionäre Zug, der das Ganze durchzieht: der Haß gegen das Pedantische und Philisterhafte in Moral und Gesellschaft; das Auflehnen des jugendlichen Geistes gegen die Schranken, welche ein eigensüchtiges, auf seinen Besig eingebildetes Alter ihm zieht, die begeisterte Verkündung der Liebe, die dem Jünglinge in seinen Leiden einziger Trost ist.

Jeder Jüngling sehnt sich, so zu lieben,

Jedes Mädchen, so geliebt zu sein.

Dies Wort, welches Goethe der zweiten Ausgabe seines Jugendwerkes beigab, erklärt zum Theil die allgemeine Wirkung, welche „Werthers Leiden“ noch heute üben. Und noch besser wird die Bedeutung des Werkes durch ein Wort charakterisirt, das sich in Goethe's Gesprächen mit Eckermann (III, 29) findet: „Die vielbesprochene Werther - Zeit gehört, wenn man es näher betrachtet, freilich nicht dem Gange der Weltcultur an, sondern dem Lebensgange jedes Einzelnen, der mit angeborenem feinen Natursinn sich in die beschränkenden Formen einer veralteten Welt finden und schicken lernen soll. Gehindertes Glück, gehemmte Thätigkeit, unbefriedigte Wünsche sind nicht Gebrechen einer besondern Zeit, sondern jedes einzelnen Menschen, und es müßte schlimm sein, wenn nicht Jeder einmal in seinem Leben eine Epoche haben sollte, wo ihm der „Werther“ käme, als wäre er blos für ihn geschrieben."

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Briefe aus der Schweiz.

Die Briefe aus der Schweiz zerfallen in zwei äußerlich und innerlich getrennte Abtheilungen. Die erstere enthält undatirte Tagebuchnotizen, Stimmungsbilder und Mittheilungen über unbedeutende Erlebnisse, die an keinen bestimmten Ort gebunden sind, wenn auch meist ein Ort genannt wird, wo sie sich zugetragen haben sollen. Die lettere enthält genau datirte Beschreibungen einer wirklich unternommenen Schweizerreise, in welcher von Genf aus Theile des Wallis besucht und der Gotthard bestiegen wurde. Die erstere giebt sich als Niederschrift Werthers aus, und zwar aus der Zeit vor seiner unseligen Bekanntschaft mit Lotte; die leztere ist von Goethe in eignem Namen abgefaßt, ein Bericht seiner mit dem Herzoge Karl August von Weimar angetretenen Schweizerreise aus dem Jahre 1779. Troßdem die erstere spätestens aus dem Jahre 1770 zu stammen vorgiebt, denn der erste Brief in „Werthers Leiden“, der ja später als die Briefe der Schweizerreise sein muß, ist vom 24. Mai 1771, ist sie doch später als die zweite Schrift. Dünßer hat auf eine Notiz aus Goethe's Tagebuch vom 18. Februar 1796 aufmerksam gemacht, die so lautet: „Fing an zu dictiren an Werthers Reise", die, wenn man die Worte nicht pressen will, nichts anders besagen kann, als daß diese Werther'schen Briefe erst damals entstanden sind. Ist dem so, dann muß man bekennen, daß es dem Dichter durchaus nicht mehr gelungen ist, die rechte Werther-Stimmung wiederzufinden. Weder in Sprache, noch in Gesinnung entsprechen diese Briefe den ersten Werther'schen. Wenn der Dichter später als seine Absicht aussprach, den Gegensaß der schweizerischen löblichen Ordnung und geseßlichen Beschränkung mit einem in jugendlichem Wahn geforderten Naturleben zu schildern, so hat er dies feineswegs erreicht, nicht einmal versucht. Die Schweizer, die er schildert, mit ihrer thörichten Bevorzugung eines rothen Bändchens, das sie für einen Orden halten, sind keine würdigen Männer des Geseßes; aus dem jugendlichen Stürmer aber ist ein kindischer Fant geworden, der weder im Wissen, noch in der Kunst recht Bescheid weiß und der einen kleinen Ansah zur Frivolität hat.

Die Briefe sind zum ersten Male 1808 im 11. Bande der seit 1806 erscheinenden Gesammtausgabe der Werke gedruckt. Ob ihre Fortseßung wirklich beabsichtigt war, ist kaum zu sagen. Goethe bemerkt gelegentlich einmal, die Fortseßung sei unterblieben, weil die Schweizer über die Darstellung des Dichters unwillig gewesen seien, doch ist eine mißbilligende Aeußerung der Schweizer nicht bekannt. Man darf wohl annehmen, daß Goethe selbst nach einer Ausrede suchte, die ihm unbequeme und für seine spätere Gemüthsstimmung recht unpassende Arbeit sich vom Halse zu schaffen.

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Jedenfalls ist die an die Werther - Briefe schon bei dem ersten Drucke derselben angeschlossene zweite Abtheilung keine Fortseßung derselben. Diese zweite Abtheilung ist in der That nichts anders als eine Redaction der Briefe, welche Goethe im J. 1779 an die Freunde in der Heimath, besonders an Frau von Stein schrieb. Aus den damals geschriebenen Briefen ließ er freilich Alles fort, was sich auf seine Herzensangelegenheiten und auf den eigentlichen Zweck der Reise bezog. Das Erstere mag nicht zu bedauern sein, zumal es anderweitig genugsam zu lesen ist. Das Leztere ist aber sehr bedauernswerth. Denn die Reise bildete Epoche in Goethe's und des Herzogs Karl August Leben und in dem Verhältnisse Beider zu einander. Sie kann eine pädagogische genannt werden. Sie wurde von Goethe unternommen, um den Herzog aus dem Strudel des Weimarer Lebens zu entfernen, ihn durch den Einfluß einzelner Menschen, mit denen er ihn bekannt machte, besonders Lavater's, durch die Einwirkung der großartigen Natur zur Einkehr in sich zu ermuntern. Diese Absicht gelang. Die Reisenden waren als Jünglinge fortgegangen und kehrten als Männer zurück. Sie wußten von nun an, wie sie zu einander standen, sie waren innerlich gefestet genug, um sich Freude bereiten zu können, auch ohne das hohle äußerliche Treiben, das die ersten Weimarer Jahre charakterisirt hatte. Von allen diesen Absichten und Wirkungen wissen unsere Briefe nichts. Sie sind für die Jeßtlebenden, die theils durch eigene Anschauungen die geschilderten Gegenden kennen, theils durch vielfache Schilderungen Anderer mit denselben vertraut sind, recht bedeutungslos; meist trockene Beschreibungen des genommenen Wegs mit Betrachtungen über Winde und Erdgestaltung untermischt, nur selten finden sich culturhistorische Bemerkungen, erzählende

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