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BP 373.1

Lowell fund

26 fae. 1903 - 13 Ape, 1903 Jan.1903

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Die Zwecke der Kritik.

Von Julius Konst. v. Hoeßlin.

Unter allen Schriftstellern des alten Griechenlands liebe ich nächst Aeschylos und Homer vor allen - Archi lochos. Zwar habe ich von ihm, außer ein paar fragmentarisch erhaltenen Versen, nichts gelesen, denn es ist uns nichts erhalten geblieben. Aber etwas macht mir diesen Dichter wert. Es wird berichtet, daß dieser Es wird berichtet, daß dieser Satiriker durch seine Spottgedichte einen Bürger namens Lykambes zum Selbstmorde zwang. Ein Mann, der so schreiben kann, daß er dem Philister das Weiterleben unmöglich macht, muß etwas fönnen. Ich stelle mir vor, daß Archilochos — der durch seine Lebensführung sehr an Byron erinnert, als er später unter den Truppen seines Vaterlandes zu Felde 30g, seine Mitkrieger zu Heldentaten durch seine Gesänge angefeuert haben wird. Ein Mann, der die Macht besigt, seine Worte nicht klingendes Gefasel sein zu lassen, sondern der durch seine Worte morden kann, wird auch die Kraft haben, durch seine Reden Siege zu realisieren.

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Ich bedauere sehr, daß es unter unseren Theaterfritikern feinen Archilochos gibt. Wenigstens, trotz der Klagen unserer modernen Kozebues über die „Verrohung" der Kritik, hat noch niemand von ihnen, gezwungen durch den ihnen gebührenden Spott, nach der Selbstmordwaffe gegriffen. Die Verfertiger aller dieser schrecklichen Dinge, deren Aufführungen an den Anschlagesäulen alltäglich bekannt gemacht werden und die zum Zeitvertreib unseres Bildungspöbels dienen, leben alle immer noch - leider.

Unserer Kritik ist der Giftzahn entnommen worden. Sie kann zischen. Aber ihren Worten folgt keine Tat. Keine „Verrohung" der Kritik, sondern eine Degeneration derselben ist zu konstatieren.

Einer der Jünger Kozebues hat in den letzten Tagen als Anwalt seiner Berufs- und Gewerbegenossen sich der Mühe unterworfen, in einer Reihe von Aufsäzen, die den Titel führen „Verrohung in der Theaterfritif" eine Auslese von Grobheiten, die Theaterberichterstatter den Volksunterhaltern gelegentlich entgegenwarfen, zu publizieren. Die betroffenen Zeitungsschreiber hätten sich bei Herrn Sudermann bedanken müssen. Die Auswahl ist mit Geschmack getroffen worden. Jede dieser Grobheiten ist charakteristisch und trifft den Nagel auf den Kopf. Irgend ein Kritiker spricht z. B. über ein Lustspiel von Fulda und sagt: „Es ist nicht ganz unbedenklich, wenn Dramatiker, gequält von bohrenden Zahnschmerzen, sich hinsehen und ein Lustspiel zu Papier bringen." Ausgezeichnet! Ein anderer sagt: „Wenn Herr Brahm Geld am Wege liegen sieht, dann stachelt er seinen Klepper . . ." Wenn wir nicht irren, ist Herr Brahm der Mann, der „Es lebe das Leben" und die Machwerke Max Dreyers in seinem Theater aufführen läßt. Also das Bild ist nicht schlecht. Mangel an Kritik könnte man Herrn Brahm wahrlich nicht vorwerfen; wenn er also dennoch durch bedeutungslose Ausgeburten der Theatralik seine einstens

JAN 23 1993 CAMBRIDGE,

MASS.

durch Ibsen und Gerhard Hauptmann geheiligte Bühne zum Zirkus herabwürdigt, können feine anderen Motive angenommen werden, als die vom erwähnten Kritiker durch das Bild angedeuteten.

Wenn ich die deutsche Kritik nur aus der Zusammenstellung der Zitate kennte, die Herr Sudermann auserwählt hat, würde ich ihr eine gewisse Achtung nicht verjagen können die Achtung vor ihrem charakte ristischen Wort. Aber Herr Sudermann hat durch die kunstvoll getroffene Wahl entschieden idealisiert. Unsere Kritik ist nicht so markant und kraftvoll, wie sie aus den Aufsäßen Herrn Sudermanns uns scheint.

Vor allem ist unsere Kritik unproduktiv. Ihr mangelt ebenso sehr wie die Macht, durch ihre Verneinungen die Unholde unseres Theaterwesens zu endgültigem Schweigen zu bringen, auch das Vermögen, den ästhetischen Sinn des Volkes derart zu bilden, daß es für die echte Dichtkunst empfänglich wird. Aber erzieherisch wirkt man nicht durch die scharfe Charakte risierung des Schlechten, sondern durch die Bewirkung, daß das echte verständlich gemacht wird. Ueberlege man sich, welche Macht in den Mitteln unserer Presse liegt. Ein paar nur unserer großen Berliner Blätter rechnen auf eine Million von Lesern. Stelle man sich vor, daß unsere Kritiker bei Aufführungen von Jbsen, Hebbel, Maeterlinck, Gerhard Hauptmann, um von den Größten ganz zu schweigen, versuchen würden statt zu geistreicheln, statt mit Belesenheit und Wih prangen zu wollen, ihre Leser in die Eigenart und in die schöpferischen Tiefen dieser Dichter einzuführen; bedenke man, daß, was abstrakt vorgetragen, langweilig und öde wirkt, unter Zugrundelegung eines noch frisch in Erinnerung haftenden, eben aufgeführten Dramas gesagt, befruchtend auf den Geschmack des Publikums wirken müßte. Wie hat Lessing seine kritische Pflicht gehandhabt? Er hat, die Geseze der Dichtkunst aufdeckend, seine Zeitgenossen zur Empfänglichkeit für das Auserwählte emporerzogen, so daß ein Goethe nicht mehr die Gefahr lief, am Unverständnis zu Grunde zu gehen.

Vor zwei Jahren beliebte es einer neugegründeten Bühne, die ihren Namen der Sezessions- Bewegung unserer Malerei entnahm, einige recht widerwärtige und recht unbedeutende Stücke der schlimmsten Art aufzuführen. Die Kritik hat in gerechter Empörung damals den Stempel des Spottes auf die niedrige Stirn ihrer Urheber gedrückt. Aber dieselbe Bühne hatte auch Maeterlinck aufgeführt. Hat die Kritik ihre Pflicht erfüllt, die seltsamen Schönheiten dieses zartesten unter unseren zeitgenössischen Dichtern zu enthüllen? Publikum ging hin, beschaute sich den „Tod des Tintagiles", das „Interieur" und lachte. Es lachte ... warum? Weil es an diese Kunstwerke die Forderung stellte, auf dieselbe Weise ergriffen zu werden, wie durch ein Stück von Hauptmann oder eine Tragödie Schillers. Aber jeder originäre Dichter hat seine besondere Art,

Das

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