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kommen richtig auffasst, verfällt Frantz allmählig in alle Fehler seiner Vorgänger. Er erkennt nur die Realität der rein physischen Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens an, die Realität des Bodens und der Producte, die zur Befriedigung der physischen Bedürfnisse des Menschen dienen, der physischen Bedingungen, unter denen der Mensch sich entwickelt, der physischen Gefahren, die seine Existenz bedrohen. Er führt Schiller's Worte aus dem Gedicht die Weltweisen an, dass der Welt Getriebe > durch Hunger und durch Liebe erhalten werde, giebt aber nur die Realität des Hungers zu, alles Uebrige hält er für rein idealen Ursprungs. Dem entsprechend nimmt Frantz für den Staat zwei Kategorien von Gesetzen an: natürliche und ideale, die gleichsam unabhängig von einander wirken sollen. Indem er dergestalt die Wirkung der natürlichen Gesetze auf eine äussere Hülle, die den Menschen und die menschliche Gesellschaft umschliesst, beschränkt, hat Frantz eigentlich nichts Neues gesagt, sondern nur in etwas veränderter Form die Lehren des Aristoteles, Montesquieu's, Buckle's und vieler Anderen wiedergegeben. Andererseits. indem er das ideale Element vom realen schied, und damit für den Staat eine von der realen Existenz unabhängige ideale annahm, trat er in die Fussstapfen aller Dogmatiker und Doctrinaire, die die Gesellschaft auf allgemeine speculative Principien gründeten.

Um diesen Fehlern zu entgehen und weder in das eine noch in das andere Extrem zu gerathen, dürfen wir daher uns einerseits die menschliche Gesellschaft nicht als ein Wesen vorstellen, das äusserlich einem oder dem anderen Organismus der Natur ähnlich ist und mit diesen oder jenen äusseren Organen der Pflanzen oder Thiere versehen ist; andererseits aber dürfen wir uns auch nicht bodenlosen metaphysischen Betrachtungen hingeben. Vor Allem müssen wir uns davon überzeugen, dass die Analogie zwischen der menschlichen Gesellschaft und der Natur nicht in äusseren Kennzeichen und zufälligen Formen, sondern in der Wechselwirkung der Kräfte besteht, in einer eben so realen Wechselwirkung, als die Kundgebung der Kräfte der organischen und unorganischen Natur es ist, und dass das ideale Element in der Gesellschaft nur, gleich allen übrigen Naturkräften, die bewegende Kraft abgiebt. In der Erforschung dieser doppelten, realen und idealen Analogie besteht auch speciell die Aufgabe der Socialwissenschaft.

Irregeleitet durch die Vielgestaltigkeit äusserer Formen und die Mannigfaltigkeit der äusseren Eindrücke auf seine Sinne, ahnte der Mensch lange Zeit nicht einmal die wesentlichen Eigenschaften, durch welche die scheinbar verschiedenartigsten Naturerscheinungen zu einem gemeinsamen Ganzen verknüpft sind. So besitzen Luft, Wasser, Pflanzen und Thiere, ungeachtet der ungeheuren Unterschiede in den äusseren Kennzeichen und in der äusseren Kundgebung von Kräften, gleiche wesentliche Eigenschaften. Was könnte dem ersten Anschein nach ein gasförmiger Körper mit dem Organismus eines Thieres gemein haben? Und doch bedarf es nur einer geringfügigen Veränderung des thierischen Organismus, um fast ausschliesslich in Gase aufzugehen. Die Oxydation unorganischer in Berührung mit atmosphärischer Luft befindlicher Körper und die Athmung der Thiere repräsentiren ein und denselben chemischen Process mit nur geringer Abweichung. Die Rinde der Bäume, die Haut der Thiere, Haare, Federn, Augen, Ohren und Geruchsorgane sind, trotz ihrer scheinbaren Verschiedenheit, nicht nur morphologisch, sondern auch physiologisch homogen organische Erscheinungen.

Zur Erkenntniss dieser Analogie, dieser Homogeneität, zur Unterscheidung der äusseren und zufälligen Eigenschaften von den wesentlichen und zur Ergründung des inneren Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Erscheinungen der organischen und unorganischen Natur gelangte der Mensch nur allmählig auf dem Wege der Erfahrung und objectiven Beobachtung. In Bezug auf die menschliche Gesellschaft muss derselbe Weg eingeschlagen werden.

Die Homogeneität der verschiedenen Seiten des socialen Organismus, der ökonomischen, juridischen und politischen, mit den entsprechenden Seiten der übrigen Organismen besteht nicht in der äusseren Beschaffenheit, nicht in dieser oder jener Form, nicht in dieser oder jener äusseren Gestaltung, sondern in wesentlich organischen Eigenschaften. Diese wesentlichen Eigenschaften erscheinen in Bezug auf alle Organismen überhaupt in Ernährung, morphologischem Bau und Einheit des organischen Lebens, und dieselben Seiten der Entwickelung finden wir auch in jeder menschlichen Gesellschaft in realen, wenn auch nicht immer unseren Sinnen zugänglichen Formen. Vergeblich würden wir an der menschlichen Gesellschaft Hände, Füsse, Augen und andere Organe suchen, die in den einzelnen thierischen Orga

nismen durch allmählige Wechselwirkung zwischen den stufenweise progressiv sich entwickelnden Organismen und der sie umgebenden physischen Welt entstanden. Und doch wird die Entwickelung der menschlichen Gesellschaft durch ebendieselben wesentlichen Seiten der Entwickelung bedingt, wie das Leben aller übrigen Organismen, d. i. durch Ernährung, Form und Einheit des Lebens, und zwar nicht in idealem Sinne, sondern völlig realer Existenz. Kapitalisation des Eigenthums und productive Arbeit zeigen in der ökonomischen Sphäre der Gesellschaft dieselbe Realität, wie Gewinnung und physiologische Bearbeitung der Nahrung bei den Organismen der Natur. Die durch festbestimmte, gesetzmässige Abgrenzung der Thätigkeit eines jeden Gliedes bedingte Gliederung der Gesellschaft hat dieselbe Realität, wie die durch Wechselwirkung der den organischen Zellen innewohnenden Kräfte bedingte morphologische Gliederung der Pflanze und des Thieres. Die Unterordnung endlich eines Individuums unter das andere, einer socialen Gruppe unter die andere in der Gesellschaft und das Zusammenwirken Aller zu einheitlicher Thätigkeit ist so real, wie die gegenseitige Unterordnung und das einheitliche Zusammenwirken aller Zellen eines und desselben Organismus. Die Gesellschaft stellt im Vergleich zu den Organismen der Natur nur eine grössere Kapitalisation, grössere Specialisation, eine innigere Einheit und grössere Freiheit in ihren Thätigkeitsäusserungen and Bewegungen dar, und zwar in rein realem, nicht in idealem Sinne.

Die allgemeinen Begriffe von Recht, Eigenthum, Macht und Freiheit umfassen, in Bezug auf jede einzelne Gesellschaft und de sociale Gruppe, die Gesammtsumme von Erscheinungen und Kräften, aus denen jede organische Einheit sich zusammensetzt. - Als allgemeine Begriffe existiren sie in Wirklichkeit nicht, sondern nur als specielle reale Erscheinungen: Eigenthum als bestimmte gewissen Individuen, Familien, Korporationen, Institutionen oder auch dem Staate gehörende Werthgegenstände; Recht als eine bestimmte Gliederung der Gesellschaft in ciale Gruppen, eine bestimmte Abgrenzung der persönlichen, sellschaftlichen, staatlichen Thätigkeit; Macht als eine stimmte Unterordnung einer Persönlichkeit, einer socialen ruppe unter die andere, woraus die Einheit der Familie, der

Stände, der Korporationen, verschiedene Institutionen, endlich die Volks- und Staatseinheit entspringt.

Eben so existirt die ökonomische, rechtliche und politische Freiheit in der Wirklichkeit nur als Summe bestimmter in dieser oder jener Gesellschaft zum Vorschein kommender und ihre Entwickelung bedingender Thätigkeiten und Bewegungen.

Wir wiederholen es: Eigenthum, Recht, Macht und Freiheit als Ausdrücke für die Summe von Beziehungen und Thätigkeiten, aus denen dieser oder jener gesellschaftliche Organismus sich zusammensetzt, bezeichnen eben solche Realitäten, wie die physiologische, morphologische und individuelle Seite eines jeden Naturorganismus es sind. Ja man könnte sogar mit vollem Recht die ganze Terminologie der Biologie auf die Gesellschaft übertragen, ohne dadurch weder den Sinn alles dessen, was sich auf die sociale Wissenschaft bezieht, noch die Bedeutung der socialen Gesetze zu ändern. Zu allen Zeiten, in der Sprache aller Völker ist schon bei zahlreichen socialen und physikalischen Erscheinungen von einer solchen allgemeinen Terminologie Gebrauch gemacht worden. Dahin gehören die Ausdrücke: Bewegung, Wechselwirkung, Arbeit, Ersparniss, Kapitalisation, Production. Consumtion, Entwickelung, Fortschritt, Leben und viele andere. Doch fast alle diese Ausdrücke wurden bei ihrer Anwendung auf die Gesellschaft bis jetzt nur im figürlichen, allegorischen Sinne genommen, während alle diese Ausdrücke, auf die Gesellschaft angewandt, eben solche Realitäten bezeichnen, als in Betreff der Organismen der Natur. Das reale Verständniss solcher identischer Benennungen müsste als erste Grundlage zur Erforschung und Aufdeckung der der Natur und der Gesellschaft gemeinsamen Gesetze dienen.

X.

Die sociale Freiheit.

Die innere Entwickelung des Menschen, wie eines jeden Organismus, kann in einzelne Thätigkeitsäusserungen, Bewegungen, Schwingungen, rhythmische Vibrationen zerlegt werden. Dasselbe lässt sich auch von jeder äusseren Thätigkeit des Menschen, von jeder Kundgebung seiner physischen und geistigen Kräfte nach aussen behaupten. Aber da das sociale Leben jeder Gesellschaft speciell in der äusseren Kundgebung der Kräfte der dieselbe constituirenden Individuen besteht, so folgt daraus, dass die Entwickelung eines jeden gesellschaftlichen Organismus sich aus bestimmten von den einzelnen Individuen ausgehenden Bewegungen, Thätigkeitsäusserungen, Schwingungen und rhythmischen Vibrationen zusammensetzt, die eben so real sind, wie die Bewegungen, Thätigkeitsäusserungen und Vibrationen der den Bestand eines Organismus bildenden Zellen, wie die Bewegungen eines jeden Körpers überhaupt in der Natur. Unter dem Begriff der Freiheit ist folglich eine bestimmte Summe von Bewegungen, Thätigkeitsäusserungen, Schwingungen und rhythmischen Vibrationen zu verstehen, die in einer bestimmten Sphäre, innerhalb bestimmter Grenzen dieser oder jener Gesellschaft vor sich gehen.

Aber die Freiheit kann noch eine andere Bedeutung haben. Sie kann die Grenzen ausdrücken, innerhalb derer bestimmte dividuelle oder collective Handlungen und Bewegungen sich kund geben oder kund geben können. In diesem Fall kann das Wort Freiheit auch nur eine reale Grösse ausdrücken, da überhaupt die Grenzen realer Bewegungen, Handlungen, Vibrationen nur als reale Grössen aufzufassen sind.

Endlich wird unter dem Worte Freiheit das Nichtvorhandenein überhaupt jeder Beschränkung der Thätigkeit und Bewegung Terstanden. Doch eine derartige Freiheit existirt nicht und ihre Existenz ist sogar undenkbar. Wie es in der Natur keine Beegung oder Thätigkeit giebt, die nicht durch andere Bewegungen nd Einflüsse beschränkt wird, so kann es auch in der menschSehen Gesellschaft keine unbeschränkte Freiheit geben.

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